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Ist Arbeitslosigkeit unvermeidlich? | Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Ist Arbeitslosigkeit unvermeidlich?

Joachim Möller

/ 9 Minuten zu lesen

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist die Arbeitslosigkeit ganz verschwunden, nicht einmal in der extremen Boomphase der 1960er Jahre. Woran liegt das? Versagt der Arbeitsmarkt?

Arbeitslose Männer in einer Behörde in San Francisco, 1930er Jahre – Beginn der Auszahlung von Arbeitslosengeld in der Großen Depression. Library of Congress, Prints & Photographs Division, Farm Security Administration/Office of War Information Black-and-White Negatives. (© Public Domain)

Im März 2024 waren der Bundesagentur für Arbeit zufolge knapp 2,8 Millionen Menschen arbeitslos, davon 2,1 Millionen in West- und 648.000 in Ostdeutschland. Zugleich weist die Stellenerhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) für Deutschland rund 1,6 Millionen offene Stellen aus, darunter 1,3 Millionen in den westdeutschen und 285.000 in den ostdeutschen Bundesländern (mit Berlin). Auf zwei unbesetzte Stellen kommen im Westen durchschnittlich mehr als drei Arbeitslose und im Osten sogar mehr als vier. Könnte man nicht den Löwenanteil der Arbeitslosigkeit beseitigen, wenn es gelänge, alle offenen Stellen zu besetzen? Warum bleiben vorhandene Arbeitsplätze unbesetzt, wenn es doch gleichzeitig Personen gibt, die eine Arbeit suchen? Und welche Ansätze hat die Arbeitsmarktpolitik überhaupt?

Der Arbeitsmarkt ist ein sehr unvollkommener Markt

Wir sprechen vom Arbeits"markt". Aber handelt es sich überhaupt um einen Markt wie einen Wochenmarkt oder eine Auktion? Wie auf jedem Markt gibt es auch auf dem Arbeitsmarkt Anbieter (Personen, die ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen) und Nachfrager (Unternehmen, die Arbeitskräfte zur Erledigung ihrer Aufgaben suchen). Und wie für andere Güter existiert auch ein Preis für die Arbeitskraft, der Lohn. Auch wenn diese Kriterien erfüllt sind: Der Arbeitsmarkt ist aufgrund seiner besonderen Bedingungen nur ein sehr unvollkommener Markt, auf dem es nicht gelingt, Angebot und Nachfrage zur Deckung zu bringen. Wie unterscheiden sich Märkte? Es gibt sogenannte vollkommene Märkte, bei denen die angebotenen Güter ausnahmslos Abnehmer finden und es zum Marktpreis keine unbefriedigte Nachfrage mehr gibt. Eine Auktion kommt dem Idealbild eines Marktes sehr nahe. Dort wird ein Gut (etwa Getreide einer bestimmten Sorte und Qualität) angeboten, und es gibt eine Anzahl von Personen, die Gebote abgeben. Wer am meisten bietet, erhält den Zuschlag. Der Markt wird "geräumt", es gibt weder ein überschüssiges Angebot noch eine zum Zuschlagspreis unbefriedigte Nachfrage.

Was heißt überhaupt Nachfrage?

Unter Nachfrage wird in der Wirtschaftswissenschaft immer eine zahlungsfähige Nachfrage verstanden. Es geht um Güter und Dienstleistungen, die Personen oder Unternehmen zu einem bestimmten Preis erwerben wollen und können.

Die Nachfrage ist also nicht identisch mit dem Bedarf: Wenn eine Person eine neue Waschmaschine braucht und dafür kein Geld hat, hat sie zwar einen Bedarf, daraus wird aber keine Nachfrage.

Ein Wochenmarkt funktioniert demgegenüber weniger vollkommen. Nicht jede Käuferin oder jeder Käufer erhält das Gesuchte, vielleicht ist der Blumenkohl für Spätkommende schon ausverkauft. Umkehrt findet vielleicht der eine oder andere Salatkopf keine Abnehmer. Es kommt somit vor, dass ein Teil der Nachfrage unbefriedigt bleibt oder ein Teil des Angebots nicht abgesetzt werden kann. Dennoch wirken auf dem Wochenmarkt Marktmechanismen recht gut. Bei einem Überschussangebot tendieren die Anbieter zum Beispiel dazu, über Sonderangebote den Preis zu senken, bei überschüssiger Nachfrage gilt das Umgekehrte. Damit gibt es Anreize, Angebot und Nachfrage anzupassen. Ein Wochenmarkt ist zudem vergleichsweise transparent. Die Waren verschiedener Anbieter liegen aus, Kundinnen und Kunden können sie vor der Kaufentscheidung begutachten und vergleichen.

Sand im Getriebe des Marktgeschehens

Verschiedene Faktoren können das Marktgeschehen behindern:

Fehlende Informationen: Häufig haben Nachfrager eines Produkts keine vollständige Übersicht darüber, wer ein für sie relevantes Angebot bereithält. Es kann zum Beispiel schwierig sein herauszufinden, welcher der angebotenen Laptops die gewünschten Merkmale hat und gleichzeitig preisgünstig ist. Umgekehrt ist es auch möglich, dass Anbieter nur sehr lückenhafte Kenntnis über potenzielle Nachfrager besitzen. Dies führt zu nicht marktgerechten Preisen, unbefriedigter Nachfrage und/oder nicht abgesetzten Gütern.

Marktmacht auf der Anbieter- oder der Nachfragerseite: Wenn es viele Anbieter, aber nur einen oder wenige relevante Nachfrager gibt, so ist zu erwarten, dass nicht alle Anbieter zum Zuge kommen und sich tendenziell ein niedrigerer Preis herausbildet als bei freiem Wettbewerb mit einer Vielzahl von Nachfragern. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn viele Landwirte ihr Obst nur an eine Handelsunternehmen verkaufen können. Dieses Unternehmen könnte darum sehr niedrige Preise durchsetzen.

Im umgekehrten Fall führt Marktmacht der Anbieter tendenziell zu einem höheren Preis. Zugleich wird weniger Nachfrage befriedigt als unter fairen Wettbewerbsbedingungen. Wenn es beispielsweise nur eine Firma gibt, die ein wichtiges Medikament herstellt, kann sie dafür höhere Preise verlangen als bei mehreren Anbietern.

Eingeschränkte Mobilität: Wenn die Mobilität der Anbieter eingeschränkt ist und sie deswegen auf einen oder wenige Nachfrager angewiesen sind, kann dies ebenfalls zu Marktmacht führen. Ein Beispiel hierfür sind wiederum Bauern, die ihre Milch nur an die nächstgelegene Molkerei liefern können. Die Anlieferung an entfernt liegende Molkereien scheidet aus, da die Milch sonst verdirbt.

Für den Arbeitsmarkt besitzen die genannten Hindernisse hohe Bedeutung. Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt gegenüber anderen Märkten Besonderheiten aufweist, die seine Funktionsweise noch weiter einschränken. Die wichtigste Besonderheit: Es geht hier um Menschen und nicht um Getreide oder Kartoffeln. Allein die Vorstellung, Arbeitsplätze oder Arbeitssuchende würden versteigert, ist absurd.

Das Informationsproblem ist auf dem Arbeitsmarkt gravierender als auf anderen Märkten. Ohne intensive Suche wissen Arbeitssuchende nicht, welches der bestmögliche Job für sie ist, und die Unternehmen wissen nicht, welche Person im Feld der potenziellen Bewerber und Bewerberinnen am besten geeignet ist. Für eine erfolgreiche Besetzung einer Stelle muss viel zusammenpassen. Für die Arbeitssuchenden sollen Arbeitszeiten und -bedingungen, das Arbeitsklima sowie die Bezahlung den Vorstellungen entsprechen, zudem sollten die mit dem Job verbundenen Fahrtzeiten zur Arbeitsstelle nicht allzu lang sein. Für die Firma hingegen ist wichtig, dass Qualifikations- und Persönlichkeitsprofil der Bewerber oder Bewerberinnen möglichst gut mit dem Anforderungsprofil der Stelle übereinstimmen. Für beide Marktseiten ist eine Fehlentscheidung mit Kosten verbunden. Deswegen ist der Besetzung oder die Annahme einer Stelle meist eine mehr oder weniger aufwendige Suche vorgeschaltet.

Der Suchprozess am Arbeitsmarkt

Einer Firma stehen verschiedene Suchwege offen, die häufig auch zugleich beschritten werden. Die offene Stelle kann der Arbeitsagentur gemeldet werden, sie kann auf einem Print- oder Online-Medium ausgeschrieben, auf der Homepage der Firma oder per Aushang bekannt gemacht werden. Die Firma kann zudem ihre Beschäftigten bitten, in ihrem Bekanntenkreis geeignete Personen anzusprechen. Ist das Anforderungsprofil sehr spezifisch und die Bewerberlage dünn, schalten Firmen häufig auch professionelle Headhunter ein. Vor der Einstellung erfolgt dann häufig ein Test der Bewerberinnen und Bewerber. Je höher die Anforderungen an die Qualifikation und das Persönlichkeitsprofil der Bewerberinnen und Bewerber ist, desto aufwendiger ist dieser Prozess. Die Informationskanäle für die Arbeitssuchenden sind ebenfalls vielfältig. Die Arbeitsagenturen spielen dabei als Informationsvermittler eine wichtige Rolle. Und neben klassischen Medien (Stellenanzeigen in Zeitungen) sind Online-Portale immer bedeutsamer geworden.

Untersuchungen zeigen, dass die Suche nicht nur Kosten verursacht, sondern auch zeitraubend ist. Zwischen dem Beginn der Personalsuche und der Stellenbesetzung vergingen in Deutschland der IAB-Stellenerhebung 2023 zufolge im Durchschnitt 95 Tage. Tendenziell sind die Such- und Besetzungszeiten gegenüber früher angestiegen. Einer früheren Untersuchung zufolge lagen sie im Schnitt bei 82 Tagen, wobei sie bei Stellen für Ungelernte mit 53 Tagen deutlich kürzer als für Akademiker (103 Tage) waren.

Das Passungsproblem und seine Facetten

Nicht jeder Suchprozess wird erfolgreich abgeschlossen. Dahinter steht das für den Arbeitsmarkt typische Passungsproblem, das auch mit dem englischen Begriff "mismatch" bezeichnet wird. Es tritt dann auf, wenn das Berufs- und Qualifikationsprofil der Arbeitssuchenden nicht mit dem der offenen Stellen übereinstimmt. Eine offene Stelle eines Elektrofachbetriebs kann nicht mit einer Gärtnerin oder einem Gärtner besetzt werden, ebenso wenig kann eine Person ohne abgeschlossene Ausbildung die Aufgaben eines Ingenieurs oder einer Ingenieurin erledigen. Wenn also die beruflichen und qualifikatorischen Profile der Arbeitssuchenden nicht mit den von den Unternehmen benötigten Profilen zusammenpassen, kann es nicht verwundern, dass es trotz Arbeitslosigkeit offene Stellen gibt. Wenn ein solcher beruflicher oder qualifikatorischer Mismatch besteht, spricht man von struktureller Arbeitslosigkeit. Strukturelle Arbeitslosigkeit hat auch eine regionale Dimension. Wenn sich für eine offene Stelle für eine Fachverkäuferin oder einen Fachverkäufer in München niemand findet, nützt es unmittelbar wenig, wenn es entsprechend Qualifizierte in Greifswald oder Flensburg gibt.

Etwas anderes ist es, wenn es in ein und derselben Arbeitsmarktregion zahlreiche offene Stellen mit bestimmten Qualifikationsanforderungen gibt (etwa für Köchinnen und Köche) und dort zugleich genügend viele Arbeitslose mit einer entsprechenden Ausbildung leben. Dann besteht kein Strukturproblem, sondern entweder ein Informations- oder ein Anreizproblem.

Ein Anreizproblem könnte sein, dass Bezahlung und Arbeitsbedingungen für Arbeitslose nicht attraktiv genug sind, um die Stelle anzunehmen. Eine keineswegs leicht zu beantwortende Frage ist, warum in einer solchen Situation die Löhne nicht entsprechend steigen. Die neue Monopsontheorie besagt, dass dies mit der Marktmacht der Arbeitgeber zu tun hat, die es unter Umständen vorziehen, eine Stelle unbesetzt zu lassen, als die Bezahlung für neue Mitarbeitende zu erhöhen, da dann auch die bereits Beschäftigten eine entsprechende Erhöhung fordern würden. Es lässt sich argumentieren, dass gerade in tarifungebundenen Bereichen Unvollkommenheiten am Arbeitsmarkt eher von der Arbeitgeberseite ausgenutzt werden können. Ein Beispiel: Die Jobs in Betrieb A sind ähnlich wie in Betrieb B, werden aber schlechter bezahlt. Betrieb A liegt aber viel günstiger zu einer Kinderbetreuungseinrichtung als Betrieb B. Ein alleinerziehender Elternteil wird dann unter Umständen trotz des geringeren Lohns Betrieb A bevorzugen. Die Lage verleiht dem Arbeitgeber eine gewisse Marktmacht. Wenn viele solche Unvollkommenheiten zusammenkommen, kann sich insgesamt ein zu niedriges Lohnniveau einstellen.

Von anderer Seite wird ins Feld geführt, dass die Koexistenz von offenen Stellen und Arbeitslosen, die die entsprechenden Qualifikationen mitbringen, auch damit zu erklären ist, dass die Anreize zur Arbeitsaufnahme wegen einer zu komfortablen sozialen Absicherung zu gering sind. Hier geht es um den Lohnabstand zwischen Personen, die eine Arbeit aufnehmen, und denen, die weiter arbeitslos bleiben. Untersuchungen zeigen, dass in der Regel ein solcher Lohnabstand zwar gegeben ist, aber in manchen Konstellationen vergleichsweise gering ausfällt. Unstrittig ist, dass das Zusammenspiel zwischen sozialen Sicherungssystemen auf der einen und dem Steuer- und Abgabensystem auf der anderen Seite noch verbessert werden könnte.

Die Beveridge-Kurve

Wie dargelegt wurde, funktionieren Arbeitsmärkte keineswegs perfekt. Im Zeitverlauf gibt es aber Unterschiede darin, wie gut es gelingt, Arbeitslose und offene Stellen zusammenzubringen. Als hilfreich für das Verständnis hat sich ein bereits in den 1950er Jahren entwickeltes und nach dem britischen Arbeitsmarktforscher Lord Beveridge benanntes Konzept erwiesen. Die Beveridge-Kurve beschreibt den Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote u und der Quote der offenen Stellen oder Vakanzen v.

Vereinfachtes Schaubild der Beveridge-Kurve (© bpb)

Die Kurve im u-v-Diagramm hat dabei einen inversen konvexen Verlauf (siehe Abbildung 1). Das bedeutet, dass die beiden Größen gegenläufig sind: Wenn im konjunkturellen Abschwung die Arbeitslosigkeit steigt, sinkt die Zahl der Vakanzen. Umgekehrt erhöht sich in einer Boomphase bei niedriger Arbeitslosigkeit die Zahl der offenen Stellen.

Kennzeichnend für die Kurve ist auch, dass die Vakanzen selbst bei hoher Arbeitslosigkeit nicht auf null gehen, während umgekehrt die Arbeitslosigkeit auch bei einer Rekordzahl an Vakanzen nicht völlig verschwindet. Tatsächlich gab es selbst in der extremen Boomphase der späten 1960er Jahre in Westdeutschland einen Restbestand an Arbeitslosen. Umgekehrt waren auch in den scharfen Rezessionen wie der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 etliche Stellen offen.

Eine Bewegung auf der Beveridge-Kurve beschreibt einen idealtypischen Konjunkturverlauf, etwa von einer konjunkturellen Hochphase mit geringer Arbeitslosigkeit und vielen offenen Stellen (Punkt A) zu einer Konjunkturkrise mit hoher Arbeitslosigkeit und einer vergleichsweise geringen Anzahl offener Stellen (Punkt B). Gäbe es am Arbeitsmarkt vollständige Information sowie weder Anpassungskosten noch Marktmacht, so fiele die Kurve tendenziell mit der horizontalen Achse zusammen, d.h. bei Arbeitslosigkeit würden alle offenen Stellen rasch besetzt. Im Idealfall eines perfekten Marktes (vollständige Transparenz für alle Marktteilnehmer, keine Friktionen und Suchkosten, keine Marktmacht von Anbietern und Nachfragern sowie eine vollkommene sofortige Lohnanpassung) wären wir stets im Ursprung des Koordinatensystems, also dort, wo sich die beiden Achsen treffen. Dann würde es weder Arbeitslose noch offene Stellen geben. Natürlich ist ein solcher Idealzustand völlig unrealistisch. Wie es in der Realität aussieht, veranschaulicht Abbildung 2 - unter der Voraussetzung, dass Arbeitslose und offene Stellen hinreichend genau statistisch erfasst werden. Die Punkte der Kurve liegen weit von den Achsen und dem Ursprung des Koordinatensystems entfernt, was zeigt, dass der Arbeitsmarkt nicht vollkommen ist: In allen Jahren gab es sowohl Arbeitslose als auch offene Stellen. Die Punkte folgen dem Konjunkturverlauf (2011: Nachwirkungen der Finanzkrise, 2019: gute Konjunktur vor der Covid-Pandemie). Während die Werte zwischen 2011 und 2019 recht nah an einer idealtypischen Beveridge-Kurve liegen, deuten die Werte für 2022 und 2023 eine Veränderung an. So war die Arbeitslosigkeit 2022 fast gleich hoch wie 2018, obwohl es 2022 deutlich mehr offene Stellen gab. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der Arbeitsmarkt gegenüber der Vorperiode schlechter funktioniert.

Wie lässt sich die Funktionsweise des Arbeitsmarktes verbessern?

Auch wenn es unrealistisch ist, die Quote der Arbeitslosen oder der offenen Stellen auf null zu drücken, so gibt es doch eine Reihe von Möglichkeiten, die Funktionsweise des Arbeitsmarktes zu verbessern. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die Verbesserung der Informationslage am Arbeitsmarkt. Hier sind zum einen die Arbeitsagenturen gefordert, bei denen die Informationen über Arbeitslose und offene Stellen zusammenlaufen. Auch digitale Medien wie Job-Portale tragen zu einer größeren Transparenz bei.

Idealerweise könnten langfristige Bedarfsprognosen Anhaltspunkte für junge Menschen bei der Wahl von Beruf und Qualifikation geben, sodass sich der berufliche und qualifikatorische Mismatch tendenziell verringert. Allerdings hat die Vergangenheit gezeigt, dass solche Langfristprognosen sehr unsicher sind. Wer etwa konnte vor 30 Jahren das Ausmaß der Digitalisierung oder die Energiewende vorhersehen? Erforderlich sind deshalb auch Programme der aktiven Arbeitsmarktpolitik wie Umschulungs- und Qualifikationsmaßnahmen, mit denen man kurzfristiger auf solche Entwicklungen reagieren kann. Auch die Unterstützung der regionalen Mobilität bietet einen Ansatz.

Auch eine Stärkung des Lohnmechanismus kann dazu beitragen, dass der Arbeitsmarkt besser funktioniert. Bereiche, in denen die Quote offener Stellen eine hohe Arbeitskräfteknappheit signalisiert, sollten höhere Lohnsteigerungen aufweisen, um die entsprechenden Jobs attraktiv zu machen.

Schließlich geht es darum, die Anreizstrukturen günstig zu gestalten. Hier ist das Zusammenspiel von sozialem Sicherungssystem auf der einen und dem Steuer- und Abgabensystem auf der anderen Seite zu bedenken. Dieses sollte so gestaltet sein, dass die Arbeitsaufnahme auch finanziell attraktiv ist – eine Forderung, die allerdings wegen bestehender Zielkonflikte zwischen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik keineswegs leicht umzusetzen ist. Beispielsweise soll das Bürgergeld das soziokulturelle Existenzminimum von Menschen sichern und kann nicht beliebig gekürzt werden, um den Abstand zwischen Löhnen und Sozialleistungen zu vergrößern.

Nicht zuletzt dieser Zielkonflikt verweist noch einmal darauf, dass es auf dem Arbeitsmarkt um Menschen geht, die ihre Arbeitskraft zu einem bestimmten Preis (dem Lohn) anbieten. Der Arbeitsmarkt ist mehr noch als andere Märkte unvollkommen. Die Arbeitslosigkeit auf null drücken zu wollen, ist auch deshalb genauso unrealistisch wie die Besetzung jeder offenen Stelle. Es gibt aber in der Arbeitsmarktpolitik genügend Ansatzpunkte, Sand aus dem Getriebe des Arbeitsmarktes zu nehmen.

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Joachim Möller ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Regensburg. Von 2007 bis 2018 war er Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. 2008 hat ihm die Fakultät Wirtschafts-, Verhaltens- und Rechtswissenschaften der Leuphana Universität Lüneburg die Ehrendoktorwürde Dr. rer. pol. h.c. verliehen.