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Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – droht die menschenleere Fabrik? | Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – droht die menschenleere Fabrik?

Jens Südekum

/ 7 Minuten zu lesen

Nehmen uns die Maschinen die Arbeit und die Einkommen weg? Diese Furcht ist alt und wird durch Digitalisierung und Künstliche Intelligenz derzeit neu befeuert. Ganz unbegründet ist sie nicht.

Autonomes Transportsystem im Regensburger Werk von BMW – wo Maschinen selbstständig arbeiten. (© picture-alliance, Cover Images | BMW Group/Cover Images)

Technologischer Fortschritt macht Menschen arbeitslos. Diese These ist sehr alt. Sie wurde schon bei Aristoteles im 3. Jahrhundert v. Chr. artikuliert. Und sie erlebt aktuell eine Wiedergeburt, diesmal im Hinblick auf die Effekte von Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Arbeitsmarkt.

Im November 2022 fand die Markteinführung von ChatGPT statt, nach nur fünf Tagen war die Marke von einer Million Nutzern überschritten. Und nur wenige Wochen darauf legte die US-Investmentbank Goldman Sachs eine erste Studie vor, wonach rund zwei Drittel aller Berufe künftig von generativer KI betroffen sein werden. Rund ein Viertel aller derzeit von Menschen ausgeübten Tätigkeiten könne prinzipiell automatisiert werden, damit drohe die Vernichtung von rund 300 Millionen Arbeitsplätzen weltweit. Und diese Zahl ist nur als Momentaufnahme zu verstehen, die mit der weiteren rasanten Entwicklung von KI noch deutlich steigen dürfte.

In Reaktion auf diese Schreckensvision merkten viele Experten an, dass das Ende der menschlichen Arbeit in der Geschichte schon oft prophezeit wurde, aber noch nie eingetreten ist. So führte der Einsatz von Kapital wie zum Beispiel Robotern stetig zum Ersatz menschlicher Arbeit, wodurch Berufe verschwanden und Maschinen bestimmte Tätigkeiten übernahmen. So sind heute keine Dampflokomotiven mehr in Betrieb und damit ist auch der Beruf des Heizers verschwunden, genau wie der Beruf des Stenotypisten und viele andere. Doch gleichzeitig entstanden – in Wechselwirkung mit den neuen Technologien – reihenweise neue Betätigungsfelder. Rund 80 Prozent des gesamten Beschäftigungswachstums in den USA seit Ende des Zweiten Weltkriegs geht auf Berufe statt, die es im Jahr 1945 noch gar nicht gab – vom Finanzberater bis zum Software-Entwickler. Die Nachfrage nach menschlicher Arbeitskraft ging durch den technologischen Wandel insgesamt nicht zurück. Stattdessen übersetzten sich Produktivitätsgewinne in langfristig wachsende Reallöhne und einen höheren Lebensstandard.

Doch nur, weil es bisher so gewesen ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es wieder so kommen muss. Vielleicht sind die Zeiten diesmal anders („this time is different“), weil KI eine insgesamt tiefergreifende Umwälzung darstellen und damit auch andere Arbeitsmarkteffekte haben könnte als frühere Technologien. Wirklich beantworten lässt sich die Frage heute noch nicht, dafür ist das Phänomen KI zu neu und – trotz der aktuell Externer Link: rund 800 Millionen Privatnutzer von ChatGPT – in weiten Teilen der Unternehmenswelt noch nicht angekommen. Um aber wenigstens informiert spekulieren zu können, lohnt sich ein genauerer Blick auf die Arbeitsmarkteffekte früherer digitaler Technologien.

Die Roboter kommen

Besonders im Fokus stehen dabei die Industrieroboter. Es gibt sie schon seit den 1990er Jahren, im verarbeitenden Gewerbe sind sie weit verbreitet. Eine Reihe von Studien konnte daher ihre Auswirkungen detailliert erforschen. Für die USA zeigt sich ein deutlich negativer Effekt: Jeder neu installierte Roboter senkte danach die Gesamtbeschäftigung um etwa sechs Arbeitsplätze.

In Deutschland sah die Situation dagegen günstiger aus. Hier sind im verarbeitenden Gewerbe langfristig nur rund zwei Arbeitsplätze pro Roboter weggefallen, und diese Verluste sind ausgeglichen worden durch Zuwächse in anderen Sektoren, insbesondere in wirtschaftsnahen Dienstleistungen. Insgesamt lag der Beschäftigungseffekt also bei null.

Der Strukturwandel verlief zudem nicht disruptiv. Es finden sich keine Belege für ein erhöhtes Arbeitslosigkeitsrisiko von Beschäftigten in stärker roboterisierten Betrieben. Es wurde, bildlich gesprochen, niemand rausgeschmissen, weil nun Roboter dieselbe Arbeit erledigt haben wie vorher die Menschen. Stattdessen hielten die Unternehmen zumeist ihre Beschäftigten und positionierten sie nach einer Umschulungs- und Weiterbildungsphase im Unternehmen um. Die Arbeitsplätze selbst blieben also stabil, aber die Beschäftigten veränderten ihre Tätigkeitsfelder: weg von manueller Produktionsarbeit hin zu stärker interaktiven und nicht standardisierten Aufgaben in ganz anderen Unternehmensbereichen.

Die Abnahme der Industriejobs erfolgte im Zeitablauf nicht durch Entlassungen, sondern durch das Nicht-Nachbesetzen frei gewordener Stellen im Zuge des Renteneintritts. Für junge Menschen änderten sich durch die Roboter die Einstiegswege in den Arbeitsmarkt: Immer weniger begannen ihre Karriere in der Industrie und immer mehr im Dienstleistungssektor.

Was lief in Deutschland besser?

Insgesamt verlief die Roboterisierung in Deutschland für Industriebeschäftigte glimpflicher als in den USA und anderswo. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Erstens unterstützt das deutsche System der dualen Berufsausbildung die berufliche Flexibilität, weil es neben berufsspezifischen auch generelle Fähigkeiten vermittelt. So fällt ein kompletter Wechsel der beruflichen Tätigkeitsfelder tendenziell leichter als in den USA, wo im Rahmen des on-the-job learning hauptsächlich spezifische Qualifikationen und Fähigkeiten erworben wird.

Zudem ist der Kündigungsschutz in den USA weniger stark ausgeprägt und der Arbeitsmarkt insgesamt von höherer Mobilität gekennzeichnet. Die US-Unternehmen wählten daher tendenziell den Weg der Kündigung ihres bisherigen Personals und stellten parallel zur Installation der Roboter neue Beschäftigte mit anderen Profilen ein. In Deutschland wurde stattdessen auf die Weiterentwicklung der bisherigen Beschäftigten gesetzt. Dies gilt insbesondere in gewerkschaftlich geprägten Umfeldern, weil Betriebsräte einen großen Wert auf Beschäftigungssicherung legen. Dafür akzeptierten sie im Gegenzug oft moderate Lohnabschlüsse. Zweitens spielte die global führende Marktposition deutscher Industrieunternehmen eine wichtige Rolle. So war die deutsche Automobilbranche zum Beispiel wesentlich stärker roboterisiert als ihre Wettbewerber in anderen Ländern. Dieser Technologievorsprung führte zu einem starken Produktivitätsgewinn. Da aber gleichzeitig die Löhne nicht im selben Umfang stiegen, sanken die Lohnstückkosten. Das machte vor allem deutsche Exportprodukte vergleichsweise günstiger – die deutsche Industrie münzte dies in zusätzliche Weltmarktanteile um, die wiederum einen Beitrag zur heimischen Beschäftigungssicherung leisteten. Anders ausgedrückt: die starke Roboternutzung in der deutschen Industrie hat durchaus negative Effekte auf die Beschäftigung gehabt, aber nicht in Deutschland, sondern in anderen und weniger stark roboterisieren Ländern. Insgesamt ergibt sich also ein Bild, dass neue Technologien nicht dort Jobs kosten, wo sie tatsächlich eingesetzt werden. Vielmehr konzentrieren sich die Jobverluste auf die Unternehmen oder Länder, wo die Technologien gerade nicht (oder nur schwächer) eingesetzt werden, weil die im Wettbewerb zurückfallen.

Wird der KI-Schock in Deutschland wieder gut ausgehen?

Für die Frage, welche Arbeitsmarkteffekte KI in Deutschland haben wird, erlauben die empirischen Befunde zu den Industrierobotern drei wesentliche Schlussfolgerungen, darunter zwei optimistische und eine pessimistische.

Eine gute Nachricht ist, dass der deutsche Arbeitsmarkt mit seinen Institutionen und industriellen Beziehungen in der Vergangenheit Strukturbrüche vergleichsweise gut verarbeitet hat. Vom Roboterschock waren vor allem Facharbeiter in der manuellen Produktion mit abgeschlossener Berufsausbildung betroffen, die dann ihre Tätigkeitsprofile komplett umgekrempelt haben. Bei KI rücken nun ganz andere Berufsgruppen in den Vordergrund. Zu den akut gefährdeten Berufen zählt Goldman Sachs etwa Sachbearbeiter, Verwaltungsmitarbeiter oder Rechtsanwälte, weil KI hier das höchste Ersatzpotenzial aufweist. Doch diesen Beschäftigten sollte dasselbe gelingen wie damals den Autoschraubern. Es dürfte ihnen aufgrund ihrer akademischen Qualifikationsprofile sogar leichter fallen, auf Verschiebungen am Arbeitsmarkt mit einer Neuorientierung der Tätigkeitsprofile zu reagieren, weil sie eine längere Ausbildungszeit durchlaufen und dabei vielseitig einsetzbare Fähigkeiten und Qualifikationen angesammelt haben.

Die zweite gute Nachricht betrifft den großen Gegenspieler der Digitalisierung, die Demografie: Die Bevölkerung wird tendenziell älter, die Zahl der Arbeitskräfte schrumpft. Schon heute ist aller Orten vom Fachkräfte- und sogar vom Arbeitskräftemangel die Rede, also dem Gegenteil von Massenarbeitslosigkeit. Diese Sorgen werden noch zunehmen. Wesentlicher Grund dafür ist der bevorstehende Renteneintritt der Babyboomer-Generation. Sie ist so groß, dass ihr Arbeitsmarktaustritt zahlenmäßig nicht annähernd durch den Berufseinstieg der Generation Z kompensiert werden kann. Ohne weitere Zuwanderung droht bis Mitte der 2030er Jahre deshalb eine Lücke von Millionen Beschäftigten, die dem Arbeitsmarkt dann fehlen. In dieser Situation sind Ersatzpotenziale durch KI keine reale Gefahr, sondern eine schlichte Notwendigkeit. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: die Bundesagentur für Arbeit ist mit 110.000 Mitarbeitern die größte deutsche Behörde. In den kommenden 10 Jahren gehen mehr als ein Drittel dieser Mitarbeiter in Rente. All diese Stellen nachbesetzen zu wollen, ist ein aussichtsloses Unterfangen. Folglich ist die Behörde geradezu darauf angewiesen, die Möglichkeiten von KI zu nutzen, etwa im Bereich Erstellung von Leistungsbescheiden, sonst wird sie dysfunktional.

Allein wegen der Alterung und Schrumpfung der Erwerbsbevölkerung ist in Deutschland also nicht mit einer technologischen Massenarbeitslosigkeit zu rechnen, und die Furcht vor diesem Szenario scheint in der öffentlichen Diskussion auch weniger präsent zu sein als in Ländern mit anderer Demografie.

Doch es gibt auch eine schlechte Nachricht. Anders als bei den Robotern ist Deutschland bei KI sicher nicht in der Position des weltweiten Technologieführers. Im Gegenteil, Deutschland belegt in allen internationalen Standortrankings bei Digitalisierung bestenfalls einen mittelmäßigen Platz. Alle maßgeblichen KI-Unternehmen kommen aus den USA oder aus China. Deutschland ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, technologisch abgehängt.

Für die Arbeitsmarkteffekte verheißt das nichts Gutes, da Probleme ja – wie oben dargestellt – gerade bei den technologischen Nachzüglern aufschlagen. Wenn KI also reihenweise zu Arbeitsplatzverlusten in Deutschland führen sollte, dann weil deutsche Unternehmen mit schwächelndem Digitalkapital ihre Wettbewerbsposition nicht halten können.

Ob KI ultimativ zu Massenarbeitslosigkeit und menschenleeren Fabriken führen wird, ist heute noch nicht klar. Wenn Deutschland diesem Szenario vorbeugen möchte, dann wird das nicht durch Abschottung von der Technologie gelingen. Die beste Versicherung gegen Jobverluste durch KI besteht darin, selber mehr in KI zu investieren.

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Jens Südekum lehrt als Professor an der Universität Düsseldorf Volkswirtschaft und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.