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Wirtschaftskrisen und ihre Ursachen | Wirtschaftspolitik | bpb.de

Wirtschaftspolitik Grundlagen Keine Angst vor der "Wirtschaft" Zwei Ökonomen – drei Meinungen? Wirtschaft in der Schule Geld – was ist das eigentlich? Wohlstand – was ist das eigentlich? Leben wir im Kapitalismus oder in einer sozialen Marktwirtschaft? Gerechtigkeit – kein Thema für Ökonomen? Wirtschaftskrisen und ihre Ursachen Ist Arbeitslosigkeit unvermeidlich? Der Lohn – Kaufkraft oder Kosten? Wohnungsnot, Mietenwahnsinn – über die Besonderheiten des Immobilienmarktes Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – droht die menschenleere Fabrik? Internationale Wettbewerbsfähigkeit von Staaten – was ist das? Staat und Wirtschaft Die Rolle des Staats für die Wirtschaft Der Staat als wirtschaftlicher Akteur Debatte: Soll sich der Staat aus der Wirtschaft raushalten? Ein aktiver Staat schützt das Klima und verhindert Wirtschaftskrisen Spielregeln des Wettbewerbs festlegen Industriepolitik – vom Teufelswerk zum Wundermittel? Fusionen, Übernahmen, Monopole Die Steuer – eine Last? Staatsschulden – sind wir alle bald pleite? Arbeit und Verteilung Woher kommt die Ungleichheit der Einkommen? Wieso ist das Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt? Was tun gegen Ungleichheit? Warum ist der Sozialstaat nötig? Wozu braucht es einen Mindestlohn? Wozu braucht es Gewerkschaften? Geschlechterverhältnisse in der Wirtschaft Debatte: Vier-Tage-Woche Wir müssen mehr arbeiten, nicht weniger Mehr freie Zeit ist eine Form von Wohlstand Klima und Wachstum Die mächtigste Zahl der Welt – was taugt das Bruttoinlandsprodukt? Debatte: Das Problem Wachstum Grünes Wachstum ist möglich und nötig Wachstum: Weder nachhaltig noch wünschenswert Wirtschaftswachstum – ein Schicksal? Klima oder Jobs? Wie die Wirtschaft sozialverträglich umgebaut werden kann Wachstum und Klimaschutz vereinen in Zeiten geopolitischer Herausforderungen Klimawandel – wenn der Markt versagt Preise oder Verbote – wie schützt man das Klima? Ungleiche Klimaerhitzung Redaktion

Wirtschaftskrisen und ihre Ursachen

Felix Ward

/ 7 Minuten zu lesen

Alle fürchten die Wirtschaftskrise. Denn sie bringt Pleiten und Arbeitslosigkeit. Was aber sind ihre Ursachen? Hier gibt es zwei Schulen: Die eine macht den Staat verantwortlich, die andere den Markt.

Broker in der Börse in New York während der Panikverkäufe am "Schwarzen Montag", dem 19.10.1987. (© picture-alliance/dpa, AFP)

Ein Einbrechen der Wirtschaftstätigkeit, fallende Einkommen, Pleitewellen, Massenarbeitslosigkeit und Finanzpanik – das sind Merkmale von Wirtschaftskrisen. Das bekannteste Beispiel aus der Geschichte ist die Große Depression in den 1930er Jahren. In den beiden Epizentren der Großen Depression – Deutschland und den USA – brach die Industrieproduktion um fast 50 Prozent ein. Die Arbeitslosenquote in der Industrie erreichte in beiden Ländern ihren Höhepunkt bei fast 40 Prozent. Solche Kennzahlen sind außergewöhnlich. In normalen Zeiten bewegt sich die jährliche Veränderung der Wirtschaftsleistung in entwickelten Volkswirtschaften im niedrigen einstelligen Prozentbereich.

Welche Kräfte führen dazu, dass Volkswirtschaften in Krisen abrutschen? Eine direkte Antwort bietet sich im Fall von Naturkatastrophen und Kriegen. Hier resultieren die wirtschaftlichen Schwierigkeiten unmittelbar aus der Schwere des Schocks, der das Wirtschaftssystem von außen trifft. Beispielsweise löste im Jahr 1816 ein Vulkanausbruch des Tambora in Indonesien einen vulkanischen Winter aus, ihm folgten Missernten in der nördlichen Hemisphäre, ein starker Anstieg der Lebensmittelpreise und Hunger.

Neben solchen externen Schocks haben Ökonomen Wirtschaftskrisen identifiziert, die ihren Ursprung innerhalb des Wirtschaftssystems haben. Dabei lassen sich zwei allgemeine Ansichten unterscheiden. Der einen Ansicht nach tendieren Märkte aus sich heraus zu einem stabilen Gleichgewicht, und Wirtschaftskrisen sind meistens das Ergebnis einer fehlgeleiteten Regierungspolitik. Der anderen Ansicht zufolge sind Marktwirtschaften von Natur aus instabil und führen, wenn sie nicht durch eine aufgeklärte Regierungspolitik stabilisiert werden, in gewisser Regelmäßigkeit zu Wirtschaftskrisen.

1. Fehlgeleitete Regierungspolitik?

a. Geldpolitik der Zentralbank

Zentralbanken agieren in einem Bankensystem, in dem Haushalte und Unternehmen Kredite bei Geschäftsbanken aufnehmen, um ihre Konsum- und Investitionsausgaben zu finanzieren. Geschäftsbanken erhalten Zinszahlungen auf die von ihnen gewährten Kredite und zahlen Zinsen an ihre Einleger und andere Gläubiger, von denen sie Geld leihen. Die Marge zwischen den Kreditzinsen der Geschäftsbanken und ihren Einlagenzinsen ermöglicht es ihnen, Gewinne zu erzielen – das ist ihr Geschäftsmodell. Allerdings können Haushalte ihr Einkommen verlieren und die Investitionspläne der Unternehmen scheitern – die Zukunft ist ungewiss. In diesem Fall können Kreditausfälle zu Bankverlusten führen, die, wenn sie schwerwiegend genug sind, die Existenz einer Bank bedrohen. Sobald der Fortbestand einer Bank in Frage steht, haben die Einleger dieser Bank einen Anreiz, "die Bank zu stürmen", um ihr Geld abzuheben, solange dies noch möglich ist. Wenn der Bank das Bargeld ausgeht, muss sie die Türen schließen. Infolgedessen erleiden Einleger, die ihr Geld noch nicht zurückbekommen haben, einen dauerhaften Verlust, und Unternehmen, die auf Kreditlinien dieser Bank angewiesen waren, können ihre Arbeiter und Lieferanten nicht mehr bezahlen – die Bankenkrise überträgt sich auf die Realwirtschaft.

Tatsächlich können sogar unbegründete Zweifel an der Solidität einer Bank einen Bankansturm auslösen. Lassen sich derartige unbegründete Bankenpaniken vermeiden? Die Antwort des Ökonomen Walter Bagehot aus dem 19. Jahrhundert lautete „Ja”. Nötig dafür ist eine staatliche Zentralbank, die in Krisenzeiten als Kreditgeber letzter Instanz fungiert und dem Bankensystem Geld (i) zu einem Strafzinssatz und (ii) gegen gute Sicherheiten zur Verfügung stellt. Die Idee: Sparer, die wissen, dass eine Zentralbank bereitsteht, um das Bankensystem mit ausreichend Geld zu versorgen, um ihre Sparer auszuzahlen, haben keinen Grund mehr, die Bank zu stürmen. Die Strafzinsen (i) sollen die Banken davon abhalten, in normalen Zeiten auf die Notfallunterstützung der Zentralbank zurückzugreifen. Die Bedingung guter Sicherheiten (ii) soll insolvente Banken von jenen trennen, denen nur vorübergehend Geld fehlt. Banken, die systematisch schlechte Investitionsentscheidungen getroffen haben, dürften Schwierigkeiten haben, Anforderung (ii) zu erfüllen. Auf diese Weise kann die Marktdisziplin weiterhin ihre Aufgabe erfüllen: Insolvente Banken gehen unter, die überlebensfähigen bleiben erhalten.

Dies führt uns zur ersten Art von geldpolitischem Versagen, das eine Wirtschaftskrise auslösen kann: das Versagen der Zentralbank, als Kreditgeber letzter Instanz zu fungieren, wodurch sich selbsterfüllende Bankenpaniken ausbreiten können. Einer einflussreichen Ansicht zufolge war dies einer der Haupttreiber der Großen Depression in den USA. Laut den neoliberalen US-Ökonomen Milton Friedman und Anna Schwartz versäumte das US-Zentralbanksystem, Bagehots Regel anzuwenden, obwohl sie sich in den vorangegangenen Jahrzehnten in vielen Ländern zu einer Standardpraxis der Zentralbankpolitik entwickelt hatte. Dadurch erlebten die USA zwischen 1930 und 1933 wiederholt Wellen von Bankenpaniken, tausende von Banken gingen pleite und die Kreditversorgung der Gesamtwirtschaft ging drastisch zurück, was den Rest der Wirtschaft tiefer in die Krise trieb.

Die Zentralbank kann aber auch durch eine zu freigiebige Geldversorgung zur Entstehung einer Krise beitragen. Denn eine lockere Geldpolitik trägt zu einem Niedrigzinsumfeld bei, das Unternehmen und Haushalte dazu anregt, mehr Geld zu leihen, weil es billig ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass sich Firmen und Haushalte zu stark verschulden. Wenn die Zinsen dann wieder steigen, stellen sich viele Investitionen, die mit billigem Kredit finanziert wurden, als nicht mehr rentabel dar. Die dann anfallenden Abschreibungen unrentabler Investitionsprojekte können eine Bankenkrise auslösen. In ähnlicher Weise wurde der US-Geldpolitik im Vorfeld der Finanzkrise von 2008 vorgeworfen, die Leitzinsen zu niedrig gehalten zu haben. Dieser Ansicht nach führten niedrige Zinsen in den frühen 2000er Jahren zu einem nicht nachhaltigen Boom bei Immobilienkrediten. Die Umkehrung dieses Booms in eine Krise und der Verfall der Immobilienpreise waren der Startschuss für die globale Finanzkrise, die sich ab 2008 entfaltete.

b. Staatsausgaben und Staatsschuldenkrisen

Eine weitere Möglichkeit, wie fehlgeleitete Regierungspolitik eine Wirtschaftskrise verursachen kann, ist durch eine Staatsschuldenkrise. In normalen Zeiten leiht sich ein Staat Geld, indem er Schuldscheine – Staatsanleihen – an Investoren verkauft. Eine Krise droht, wenn die Investoren daran zweifeln, dass der Staat seine Schulden bedienen kann, also Zins- und Kreditrückzahlung leisten kann. Wenn Investoren infolge dieser Zweifel ihre Staatsanleihen verkaufen, kann dies zu einem Einbruch der Staatsanleihenkurse führen. Angesichts der wichtigen Rolle von Staatsanleihen im Bankensystem – Banken halten große Mengen an Staatsanleihen – kann ein solcher Preisverfall wiederum eine Bankenkrise auslösen, wodurch sich die Staatsschuldenkrise nochmals verstärkt auf die Gesamtwirtschaft überträgt. Die griechische Schuldenkrise der 2010er Jahre ist ein Beispiel dafür, wie das Risiko eines Staatsbankrotts einen größeren wirtschaftlichen Zusammenbruch auslösen kann.

Jenseits von Fiskal- und Geldpolitik

Neben der Fiskal- und Geldpolitik können Regierungen das Krisenrisiko einer Volkswirtschaft auch auf andere Weise beeinflussen. Hier drei Beispiele:

  • Ein gut konzipiertes Einlagensicherungssystem kann einen Bankansturm verhindern, indem es den Einlegern die Sicherheit gibt, dass sie von der Regierung entschädigt werden.

  • Die Finanzregulierung kann den Banken finanzielle Sicherheitspuffer vorschreiben, wo Marktkräfte diese nicht etablieren.

  • Die Steuergesetzgebung beeinflusst, wie attraktiv die Finanzierung über Schulden ist (z. B. indem sie bestimmt, welche Zinsaufwendungen vom steuerpflichtigen Einkommen abgesetzt werden können).

Unterm Strich lässt sich sagen, dass die Regierungen die Krisenanfälligkeit moderner Volkswirtschaften maßgeblich beeinflussen. Die Qualität der Regierungsführung und der Institutionen ist entscheidend und erklärt zum Teil, warum manche Länder selten Wirtschaftskrisen erleben, andere dagegen immer wieder.

2. Marktversagen

a. Marktpsychologie und pro-zyklische Kreditvergabe

Laut der Finanziellen Instabilitäts Hypothese (FIH) von Hyman Minsky schwankt die Marktwirtschaft von sich aus zwischen Zuständen finanzieller Euphorie und finanzieller Depression. Die Euphoriephase beginnt mit einer guten Nachricht über die Wirtschaft, beispielsweise einer neuen Technologie, die Investoren begeistert (etwa das Internet und der E-Commerce in den 1990er Jahren). Positive Erwartungen über die wirtschaftliche Zukunft rechtfertigen auch eine erhöhte Kreditvergabe im Bankensystem. Unter anderem wird dieser Kredit dann in die neue Technologie investiert (zum Beispiel durch Kauf von Aktien von IT-Unternehmen und Online-Händlern). Dies übt Aufwärtsdruck auf die Börsenkurse aus. Die höheren Börsenkurse erhöhen wiederum das Nettovermögen der Aktienbesitzer, die nun leichter neue Kredite erhalten können, da sie den Banken mehr Sicherheiten anbieten können. Es setzt eine positive Rückkopplungsschleife ein, in der das Kreditwachstum Aufwärtsdruck auf die Vermögenspreise ausübt und steigende Vermögenspreise eine erhöhte Kreditvergabe rechtfertigen. Im Laufe der Euphoriephase wird mehr und mehr Kredit vergeben, und Haushalte und Unternehmen verschulden sich zunehmend. Zuletzt, wenn die Wirtschaft sehr hoch verschuldet ist, genügen selbst kleine schlechte Nachrichten, um Finanzpläne zunichte zu machen, die unter optimistischen Erwartungen noch durchführbar schienen – die Wirtschaft erreicht den sogenannten Minsky-Moment. Die Kreditvergabe kommt zum Stillstand, die Vermögenspreise beginnen zu fallen – und die Rückkopplungsschleife zwischen Kreditvergabe und Vermögenspreisen kehrt sich um: Angesichts fallender Aktienkurse kappen Banken ihre Kreditvergabe, das treibt die Aktienkurse nach unten, es folgen Pleiten, eine Rezession und die Depression.

Die Vorstellung, dass Marktwirtschaften anfällig für große wirtschaftliche Schwankungen sind, ist eng mit der Vorstellung verbunden, dass der Staat in die Wirtschaft eingreifen sollte, um sie zu stabilisieren. Diese Stabilisierungsbemühungen können verschiedene Formen annehmen, beispielsweise Finanzregulierung, Geldpolitik oder die staatliche Einnahmen- und Ausgabenpolitik. Letztere wird allgemein mit dem Namen des Ökonomen John M. Keynes in Verbindung gebracht, dem zufolge die Fiskalpolitik ein Schlüsselinstrument ist, um heftige Schwankungen der Marktwirtschaft auszugleichen. Wenn der private Sektor beispielsweise Arbeitnehmer entlässt, dann kann der öffentliche Sektor Arbeitslosenunterstützung bereitstellen, um das (Netto-) Einkommen der entlassenen Arbeitnehmer zu stabilisieren. Alternativ kann der Staat neue öffentliche Investitionsprojekte (etwa Infrastrukturprojekte) initiieren und die entlassenen Arbeitnehmer zu diesem Zweck einstellen.

3. Fazit

Wirtschaftskrisen schaden einer Gesellschaft in mehrerer Hinsicht. Neben den wirtschaftlichen Schäden kann das Gefühl, dass irgendwo ein Fehler begangen wurde, der die weitverbreitete wirtschaftliche Not hervorgerufen hat gesellschaftliches Vertrauen schwer belasten. Ein wichtiger Schritt bei der Aufarbeitung solcher Wirtschaftskrisen ist eine akkurate Diagnose der zugrunde liegenden Ursachen. In den obigen Abschnitten wurden verschiedene Arten von Wirtschaftskrisen beschrieben, die durch unterschiedliche Faktoren verursacht werden. Ein grundlegendes Verständnis dieser Krisentypen stellt eine notwendige Basis dar, auf der diese Episoden des ökonomischen Chaos besser fassbar werden, und auf der effektive wirtschaftspolitische Lösungsvorschläge formuliert werden können.

Weitere Inhalte

Der angewandte Makroökonom Felix Ward ist Assistant Professor an der Erasmus School of Economics an der Universität Rotterdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die internationale Makroökonomie und die Wirtschaftsgeschichte.