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Die Steuer – eine Last? | Wirtschaftspolitik | bpb.de

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Die Steuer – eine Last?

Stefan Bach

/ 11 Minuten zu lesen

Viele beklagen die hohe Steuerbelastung in Deutschland, andere fordern höhere Steuern für Reiche. Aber wie hoch sind derzeit eigentlich die Steuern und Abgaben, wer zahlt sie und wozu dienen sie?

Victor Dubreuil, Take One, Öl auf Leinwand, ca. 1886. (© Public Domain)

Die Steuern bewegen seit jeher die Gemüter. Schließlich liefern wir große Teile unseres Einkommens beim Finanzamt ab. Dabei geht es nicht nur um die Lohn- und Einkommensteuer, die in der öffentlichen Debatte zumeist im Zentrum steht. Wir zahlen auch bei jedem Einkauf Steuern: Mehrwertsteuer auf fast alles sowie Verbrauchsteuern, vor allem auf Energie und CO2, aber auch auf die kleinen Sünden: Rauchen, Trinken und Zocken. Da kommt einiges zusammen, eine ganz schöne Last. Daher lohnt es sich, genauer nachzuschauen, wer wie stark belastet wird.

Geld für eine „zivilisierte Gesellschaft“

„Taxes are what we pay for a civilized society“ steht als Inschrift an der Front des Hauptsitzes der US-Steuerbehörde IRS in Washington: Steuern sind das Geld, das wir für eine zivilisierte Gesellschaft zahlen. Damit werden staatliche Leistungen finanziert, die notwendig sind für Freiheit und Wohlfahrt: Rechtsstaat und Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, Wissenschaft, Kultur, soziale Sicherung. Die gibt es nicht auf dem Markt zu kaufen, oder jedenfalls nicht ausreichend. Insoweit ist der Staat rein wirtschaftlich betrachtet ein Verein oder eine Genossenschaft, in der alle Mitglieder sind und die das Wohlergehen aller verbessern soll. Die Beiträge sind die Steuern.

Da es die staatlichen Leistungen umsonst oder vergünstigt gibt, neigen manche dazu, sich beim Steuerzahlen zu drücken. Es wird mitunter weniger gearbeitet, weniger investiert, oder das Finanzamt betrogen mit Schwarzarbeit oder krummen Geschäften. Der Steuer-Staat ist eben auch eine Art Kollektivwirtschaft in der Privatwirtschaft, Interner Link: ein Sozialismus im Kapitalismus. Für welche Zwecke die Steuern verwendet werden, ist fast immer umstritten. Letztlich entscheiden darüber gewählte Mehrheiten den Parlamenten, was aber eben nicht bedeutet, dass alle damit zufrieden sind. Und wie jede größere Organisation mit wenig Wettbewerb neigt die Staatswirtschaft mitunter zu Verantwortungslosigkeit, Klientelismus und Ineffizienz. Bei vielen Menschen verstärkt sich der Eindruck, dass trotz der hohen Steuern und Abgaben die staatlichen Leistungen in den letzten Jahren schlechter geworden sind.

Diese Konfliktlinien dominieren die Steuer- und Sozialpolitik seit jeher – seit vor etwa 150 Jahren die modernen Steuer- und Wohlfahrtsstaaten entstanden sind. (Neo-)Liberale und Konservative beklagen die negativen Wirkungen hoher Steuerbelastungen auf Leistungsanreize und wirtschaftliche Entwicklung. Sie wollen einen schlankeren Staat mit niedrigen Steuern, der sich auf die Kernaufgaben konzentriert. Linksliberale, Linke oder Sozial-Konservative betonen dagegen stärker die große Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen, aber auch bei den Lebenschancen der Menschen, die in Kapitalismus und Marktwirtschaft entsteht. Das s durch breite öffentliche Leistungen („Daseinsvorsorge“), soziale Sicherheit und höhere Steuern für Wohlhabende gemildert werden.

Steigt die Steuerquote?

Die gesamtwirtschaftliche Höhe der Steuern wird üblicherweise in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen, also dem gesamten Bruttoeinkommen der Volkswirtschaft. Im historischen Längsschnitt der vergangenen 100 Jahre fällt auf, dass die gesamtwirtschaftliche Steuerquote bereits im Nationalsozialismus und im Zweitem Weltkrieg heutige Dimensionen erreichte. Seit dem „Wirtschaftswunder“ in den 1950er Jahren verläuft sie recht konstant – sie schwankte seitdem zwischen 21 und 25 Prozent. Nach einem Tiefpunkt 2005 ist sie in den vergangenen Jahren wieder gestiegen. Aktuell ist sie durch die Steuerentlastungen der vergangenen Jahre wieder etwas gesunken.

Steuern, Sozialbeiträge, sonstige Einnahmen und Ausgaben des Staats 1925 bis 2022 in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP); Quelle: DIW

Deutlich gestiegen sind im langfristigen Trend die Sozialbeiträge. Ab den 1950er Jahren wurde die Rentenversicherung ausgebaut, später die Krankenversicherung im Zuge des medizinisch-technischen Fortschritts. Ab Mitte der 1970er Jahren belasteten schwächeres Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit die Sozialversicherungen. Nach 1990 wurden die Transfers in die neuen Bundesländer zu einem erheblichen Teil über die Sozialversicherungen abgewickelt, die Beiträge stiegen weiter. Erst ab Ende der 1990er Jahre konnten die Belastungen durch die deutliche Aufstockung der staatlichen Zuschüsse an die Sozialversicherung leicht zurückgeführt werden. Diese wurden über Einnahmen aus Mehrwertsteuererhöhungen und der ökologischen Steuerreform finanziert. In den letzten 15 Jahren hat sich die Lage in den Sozialkassen durch die stark steigende Beschäftigung und den deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit entspannt. Langfristig sieht es da aber düster aus, wenn die Babyboomer-Generation in Rente geht und immer mehr Menschen pflegebedürftig werden. Derzeit steigen die Kranken- und Pflegebeiträge kräftig.

Zwischen Sozialbeiträgen und Steuern gibt es einen wichtigen Unterschied: Steuern sind nicht zweckgebunden, die Parlamente entscheiden darüber, wofür sie verwendet werden. Sozialbeiträge dienen hingegen der sozialen Absicherung, etwa bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit und für die Rente. Dafür sind sie zweckgebunden und auch eigentumsrechtlich geschützt. Die Geldleistungen der Sozialversicherungen orientieren sich an der Höhe der Beiträge. Wer durch sein höheres Einkommen mehr einzahlt, bekommt höhere Rente oder Arbeitslosen- und Krankengeld – das soll nicht nur Armut vermeiden, sondern auch den Lebensstandard sichern. Aufgrund dieses Gegenleistungsbezugs sind Sozialabgaben weniger Steuern, sondern eher Versicherungsbeiträge – die man allerdings nicht frei wählen kann wie bei privaten Versicherungen.

Die sonstigen Staatseinnahmen machen immerhin fast sechs Prozent des BIP aus. Das sind Gebühren, Beiträge, Konzessionsabgaben, Einnahmen aus dem Verkauf von Dienstleistungen, Vermögenseinkünfte und Zahlungen von ausländischen Staaten, insbesondere der EU.

Vergleicht man die gesamten Staatseinnahmen mit den Staatsausgaben, zeigt sich: Die Ausgaben waren in den meisten Jahren höher – der Staat war in den Miesen und hat seine Aufwendungen auch über Kredite finanziert. Daher sind die Schulden gestiegen – nicht nur absolut, sondern auch relativ zum BIP. In einzelnen Perioden, etwa in den 1950er Jahren bis Mitte der 1960er sowie zuletzt von 2014 bis 2019, überstiegen die Einnahmen die Ausgaben, teilweise kräftig. Da wurden die Staatsschulden kräftig abgebaut – das funktioniert also auch, mit und ohne Schuldenbremse. Zuletzt haben die Corona- und die Energiekrise wieder erhebliche Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen. Aktuell hält die andauernde Rezession die Staatsfinanzen in Atem.

Welche Steuern an Bedeutung gewonnen haben

Im Laufe der Jahrzehnte haben sich die Gewichte zwischen den einzelnen Steuerarten beträchtlich verschoben. Das hat die Belastung von unterschiedlichen Gruppen der Steuerzahler verändert.

Unter indirekten Steuern versteht man Verbrauchsteuern und Produktionsabgaben, die bei Unternehmen erhoben und von diesen über die Preise auf die Endverbraucher überwälzt werden. Am bedeutendsten sind dabei die Mehrwertsteuer und die Energiesteuer. Diese Steuern belasten vor allem untere und mittlere Einkommen, die einen großen Teil ihres verfügbaren Geldes ausgeben. Direkte Steuern werden auf Einkommen und Vermögen erhoben – also Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Vermögensteuer oder Erbschaftsteuer.

Die Einkommensteuer hat das größte Aufkommen und gilt traditionell als besonders gerecht, da sie durch Freibeträge für das Existenzminimum und deutlich steigende Steuersätze „progressiv“ wirkt. Progressiv heißt hier: Geringverdienende und Mittelschichten zahlen gar keine Einkommensteuer oder nur relativ geringe Beträge, für Hoch- und Spitzenverdiener gelten hohe Sätze. Die Einkommensteuer hat bis in die 1970er Jahre erheblich an Bedeutung gewonnen, darunter vor allem die Lohnsteuer. Das lag vor allem daran, dass die Politik bei deutlich steigenden Einkommen die Steuersätze kaum gesenkt hat („kalte Progression“). Außerdem stieg die Beschäftigung und der Anteil der Selbständigen ging zurück. In den Neunziger- und Nullerjahren war der Anteil der direkten Steuern dann wieder rückläufig, da unternehmens- und vermögensbezogene Steuern und die Einkommensteuer gesenkt wurden. In den 2010er Jahren haben die direkten Steuern wieder an Bedeutung gewonnen, da die Gewinne sprudelten und „Steuergestaltungen“ stärker bekämpft wurden. Zuletzt sind diese Steuern durch die Entlastungen der vergangegen Jahre wieder rückläufig.

Deutlich an Gewicht verloren haben im Lauf der Jahrzehnte die vermögensbezogenen Steuern. Diese machten zu Zeiten des Wirtschaftswunders in den 1950er Jahren etwa 2,5 Prozent des BIP aus, heute sind es weniger als ein Prozent. Neben Grundsteuer, Grunderwerbsteuer und Kapitalverkehrssteuern gab es damals auch spürbare Steuern auf hohe Vermögen. Dazu gehörte auch der sogenannte Lastenausgleich zum Ausgleich der Kriegsfolgen, der vor allem mit einer Vermögensabgabe von sage und schreibe 50 Prozent finanziert wurde. Die Vermögensteuer wird seit 1997 nicht mehr erhoben, die Kapitalverkehrssteuern sind seit 1991 abgeschafft. Im Gegenzug wurden Erbschaft- und Grunderwerbsteuer erhöht.

Unter den indirekten Steuern hat die Mehrwertsteuer die mit Abstand größte Bedeutung, sie ist seit jeher das zweite Standbein des deutschen Steuerstaates. Ab den 1980er Jahren wurden die Steuersätze deutlich erhöht – von 13 auf heute 19 Prozent beim Regelsatz und von 6,5 auf 7 Prozent beim ermäßigten Satz, der auf Lebensmittel, Bus und Bahnen oder Bücher anfällt. Auch die Energiesteuern hat die Politik seit den 1990er Jahren schrittweise angehoben: zunächst, um die Deutsche Einheit zu finanzieren, und später imzuge der „Ökologischen Steuerreform“. In den 2010er Jahren wurde dann der Strom durch die EEG-Umlage kräftig belastet, die inzwischen abgeschafft wurde. Seit 2021 verteuert die CO2-Bepreisung fossile Kraft- und Heizstoffe. Verbrauchsteuern, die bis in die 1970er und 1980er Jahre auf Zucker, Salz und Tee oder auf Spielkarten, Leuchtmittel und Zündwaren erhoben wurden, sind hingegen abgeschafft worden. Seitdem gibt es nur noch die Kaffeesteuer und die „Sündensteuern“ auf Tabak, Alkoholika und Glücksspiel.

Hochsteuerland bei durchschnittlichen Erwerbseinkommen, Niedrigsteuerland bei Vermögen

In der Öffentlichkeit gilt Deutschland häufig als „Weltmeister“ bei der Steuer- und Abgabenbelastung. So ergeben internationale Vergleiche der OECD, dass die Arbeitseinkommen von Durchschnittsverdienenden in Deutschland durch Einkommensteuer und Sozialbeiträge mit am höchsten belastet werden. Dies gilt insbesondere für Alleinstehende, Familien schneiden etwas günstiger ab. Bei diesen Berechnungen für „typische“ Arbeitnehmerhaushalte werden aber viele Aspekte des Steuer- und Sozialsystems ausgeblendet: Gestaltungsmöglichkeiten und Privilegien bei der Einkommensteuer, von denen Selbständige, Vermieter oder Hochverdiener profitieren, indirekte Steuern oder die vermögensbezogenen Steuern.

Einen umfassenden Vergleich bieten die Steuer- und Sozialbeitragsquoten in Relation zum BIP für die OECD-Mitgliedsländer. Bei den Steuern liegt Deutschland leicht unter dem OECD-Durchschnitt von 24,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also nur im Mittelfeld. Die Mehrwertsteuer liegt in Deutschland auf dem OECD-Durchschnitt von gut sieben Prozent des BIP, die speziellen Verbrauchsteuern sind dagegen unterdurchschnittlich. Auffällig ist vor allem das deutlich unterdurchschnittliche Niveau der vermögensbezogenen Steuern. Hier hat Deutschland nur ein Aufkommen von gut einem Prozent des BIP, während der OECD-Durchschnitt bei 1,9 Prozent liegt. Dies liegt vor allem an der niedrigen Grundsteuer in Deutschland, die Hochsteuerländer erheben hier ein Mehrfaches. Auch bei den Unternehmensteuern ist Deutschland unterdurchschnittlich mit gut zwei Prozent des BIP gegenüber 3,9 Prozent des BIP im OECD-Durchschnitt.

Bei der Einkommensteuer hat Deutschland dagegen mit 10,5 Prozent des BIP deutlich höhere Belastungen als im OECD-Durchschnitt mit 8,1 Prozent. Hier macht sich die relativ hohe Besteuerung von mittleren Einkommen bemerkbar. Ferner spielt eine Rolle, dass in Deutschland viele mittelständische Betriebe als Einzelunternehmen oder Personengesellschaft geführt werden, deren Gewinne bei der persönlichen Einkommensteuer erfasst werden und nicht bei der Körperschaftsteuer, die Kapitalgesellschaften zahlen.

Betrachtet man das Aufkommen von Sozialbeiträgen und Steuern insgesamt, rangiert Deutschland mit gut 38 Prozent im oberen Mittelfeld – der Durchschnitt der OECD-Länder liegt bei 34 Prozent – aber nicht in der Spitzengruppe. Europäische Nachbarländer wie Frankreich, Belgien, Österreich oder die skandinavischen Länder haben gemessen am BIP ein höheres Aufkommen.

Auffällig im internationalen Vergleich ist das relativ hohe Niveau Deutschlands bei den Sozialbeiträgen. Ebenso wie in anderen Ländern mit hohen Sozialbeiträgen, etwa Frankreich, Belgien oder Österreich, wird die soziale Sicherung in Deutschland stark über diese einkommensbezogenen Beiträge finanziert. Die angelsächsischen oder skandinavischen Länder setzen in der Sozialpolitik stärker auf eine steuerfinanzierte Grundsicherung – dort sind dann allerdings auch die Sozialleistungen niedriger. Daher müssen Mittelschichten und Besserverdienende stärker betriebliche oder private Vorsorge betreiben, wenn sie im Alter oder bei Krankheit und Arbeitslosigkeit ihren Lebensstandard halten wollen. Das ist die Kehrseite niedriger Steuern und Abgaben: Man muss mehr Eigenvorsorge leisten, hat aber dafür mehr Geld übrig, weil der Fiskus nicht so viel abzieht.

Dabei zeigt sich im Übrigen: Hohe Steuern sind nicht per se schlecht, wenn der Staat gut wirtschaftet und ein hohes Leistungsniveau für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet, siehe etwa die skandinavischen Länder. Das gilt gerade für die „kleinen Leute“, die sich private Gesundheitsvorsorge oder Bildung für die Kinder kaum leisten können, zum Beispiel in den USA.

Wer trägt welche „Steuerlast“?

In einer großen Studie haben wir beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) vor einigen Jahren untersucht, wie hoch die Steuer- und Abgabenbelastung von Haushalten mit unterschiedlichem Einkommen ist. Dafür wurden Erhebungen zu den Einkommen und Ausgaben der Privathaushalte mit Steuerstatistiken zusammengeführt und auf das Jahr 2015 fortgeschrieben. Da sich bei grundlegenderen Strukturen von Steuern und Sozialbeiträgen seither nur wenig geändert hat, sind die Ergebnisse – die für viele überraschend waren – weiterhin gültig.

Grundsätzlich gilt dabei: Eine Steuer ist progressiv und damit sozial gerechter, wenn die Durchschnittsbelastung mit höherem Einkommen steigt. Dann kommt es zu einer Umverteilung von oben nach unten, da sich die hohen Einkommen über die Steuerbelastung stärker an der Finanzierung des Gemeinwohls beteiligen als die niedrigen. Der Nachteil von höheren Steuersätzen ist, dass dann die wirtschaftlichen Nachteile zunehmen: Die Menschen arbeiten weniger, die Unternehmen investieren weniger.

Deutlich progressiv sind die Einkommen- und Unternehmensteuern, also die direkten Steuern. Niedrige Einkommen bleiben häufig steuerfrei durch den Abzug von Werbungskosten, Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und dem Grundfreibetrag. Gesetzliche Renten sind bisher zumeist nur zum Teil steuerpflichtig. Dadurch ist die Belastung bis zu den mittleren Einkommen gering. Bei hohen Einkommen steigt sie. So zahlt ein Haushalt, der gerade noch zu den reichsten zehn Prozent gehört (90. Perzentil), rund 16 Prozent an Einkommens- und Unternehmensteuern auf sein gesamtes Bruttohaushaltseinkommen.

Dagegen wirken die indirekten Steuern stark regressiv: Ärmere Haushalte tragen eine höhere Durchschnittsbelastung als reichere. Haushalte mit geringem Einkommen können weniger sparen, sie geben einen Großteil ihrer Einkünfte für Energie, Lebensmittel und andere Güter aus. So belasten Mehrwertsteuer ebenso wie Energiesteuern einschließlich EEG-Umlage und CO2-Bepreisung sowie „Sündensteuern“ auf Tabak, Alkohol und Glücksspiel vor allem untere Einkommensschichten. Um Missverständnisse zu vermeiden: Ärmere Haushalte geben nicht mehr Euro fürs Essen und Trinken oder Energie aus als die Reichen – eher weniger, da sie billigere Lebensmittel kaufen müssen oder kleinere Wohnungen und weniger Autos haben. Aber sie haben viel weniger Geld zur Verfügung als die Reichen, so dass Anteil dieser Ausgaben an ihrem niedrigen Einkommen deutlich höher ist als bei reicheren Haushalten.

Die DIW-Studie zeigt: Die gesamte Steuerbelastung verläuft aufgrund der indirekten Steuern im unteren Einkommensbereich regressiv: Die armen Haushalte tragen insgesamt eine größere Steuerlast als Haushalte mit mittlerem Einkommen. Erst bei höheren Einkünften steigt die Steuerlast mit dem Einkommen wieder an. Beim reichsten Prozent der Haushalte beträgt die gesamte Steuerbelastung im Schnitt dann knapp 40 Prozent.

Die Sozialbeiträge sind für Beschäftigte mit einem voll sozialversicherungspflichten Job prozentual fast gleich hoch und liegen derzeit bei rund 42 Prozent, wenn man die Arbeitgeberbeiträge dazuzählt. Dennoch wirken sie bis in den oberen Einkommensbereich progressiv. Dies liegt daran, dass bei den Haushalten mit niedrigem Einkommen Rentner und andere Nichterwerbstätige dominieren, die nur geringe Sozialbeiträge zahlen. Erst in den obersten zehn Prozent sinkt die Belastung mit Sozialbeiträgen deutlich, da sich hier die Beitragsbemessungsgrenze bemerkbar macht, bis zu der die Sozialbeiträge entrichtet werden.

Weitere Analysen zeigen: Progression und Umverteilung des Steuer- und Abgabensystems haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen. Die Belastung hat sich spürbar verlagert, weg von den Einkommensteuern hin zu indirekten Steuern. Die Einkommensteuer- und Unternehmensteuer-Reformen in den 2000er Jahren haben insbesondere im oberen Einkommensbereich zu deutlichen Entlastungen geführt. Die diversen Erhöhungen der indirekten Steuern erhöhten die regressiven Belastungswirkungen. Die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen hat sich dadurch leicht verstärkt.

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Stefan Bach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Staat beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln, promovierte dort und habilitierte sich 2010 an der Universität Potsdam. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Steuerpolitik, Sozialpolitik, Einkommens- und Vermögensverteilung sowie die Entwicklung von Mikrosimulationsmodellen.