Die Klimakrise ist ein globales Problem, das global gelöst werden muss. Dieser Satz ist oft zu hören, gerade im Umfeld der Weltklimakonferenzen oder wenn es um nationale klimapolitische Entscheidungen geht. Doch so richtig es ist, die Erderhitzung als allgemeines Menschheitsproblem zu beschreiben, das sich weltweit bemerkbar macht und niemanden verschont, so fehlt hier doch ein wesentlicher Aspekt: Betroffen sind nicht alle Menschen gleichermaßen.
Denn die Betroffenheit ist sehr ungleich verteilt. Und das in doppelter Hinsicht – sowohl bei den Auswirkungen als auch bei den Ursachen. Wohlhabende und Reiche verursachen in aller Regel sehr viel mehr Treibhausgasemissionen als ärmere Menschen, auf deren Leben sich der Klimawandel auch besonders hart auswirkt, obwohl sie am wenigsten zu seiner Entstehung beigetragen haben. Umgekehrt können sich reiche Menschen vor den Folgen des Klimawandels besser schützen als arme. Die Klimakrise ist somit auch ein Ungerechtigkeitsphänomen.
Historisch gesehen tragen die „alten“ Industriestaaten den Großteil der Verantwortung. Mit der Nutzung fossiler Energien im Zuge der Industrialisierung in Nordamerika und Europa ab 1850, aber auch mit der Rodung von Wäldern in damaligen Kolonien wie Brasilien und Indonesien haben sie maßgeblich die Klimakrise angeheizt. Diese historische Verantwortung ist in der Klimarahmenkonvention von 1992 festgehalten. Dieses Abkommen bildet die Grundlage der jährlichen Klimakonferenzen, die Interner Link: Conference of the Parties (COP) genannt werden. Externer Link: Anhang 2 der Konvention regelt, welche Länder als „developed countries“ gelten und mit besonderen Pflichten belegt sind: die USA, Kanada, Westeuropa, Japan und Australien. Sie müssen ihre Emissionen senken und sind zu Unterstützungsleistungen für die Entwicklungsländer verpflichtet. Diese wiederum dürfen im Zuge einer nachholenden Entwicklung noch steigende Emissionen verursachen.
Allerdings hat sich die Welt seit der Verabschiedung der Klimakonvention verändert. Viele Länder, die nach UN-Definition immer noch als Entwicklungsländer gelten und sich auch selbst so verstehen, haben mittlerweile ebenfalls einen großen industriellen Sektor und einen ähnlich hohen Pro-Kopf-Ausstoß an CO2 wie die alten Industrieländer. Das gilt etwa für China oder Saudi-Arabien, andere Golfstaaten wie Katar und Bahrain übertreffen selbst die Industrieländer deutlich. Sie sollen sich auch an der internationalen Klimafinanzierung beteiligen, fordern die Industriestaaten. Das wird von den Schwellenländern zurückgewiesen, die allenfalls auf freiwilliger Basis Zahlungen leisten wollen. Dieser Konflikt prägt und bremst seit geraumer Zeit die Klimaverhandlungen. Die Länder mit dem absolut höchsten Treibhausgas-Ausstoß sind China, die USA, Indien, die EU, Russland und Brasilien, die Externer Link: 2023 gemeinsam fast zwei Drittel (62,7 Prozent) aller Emissionen verursachten.
Verändert hat sich aber noch etwas. Vor 30 Jahren bedeutete Ungleichheit beim CO2-Ausstoß insbesondere, dass reiche Länder mit hohen Emissionen ärmeren Ländern mit geringen Emissionen gegenüberstanden. Mittlerweile gibt es eine wachsende Klimaungleichheit auch innerhalb aller Länder. Überall ist der CO2-Fußabdruck der reichen Bevölkerungsschichten um ein Vielfaches größer als der aller anderen. Auch in Staaten mit einem sehr niedrigen Pro-Kopf-Ausstoß kommen reiche Menschen auf Emissionsmengen, die dem durchschnittlichen Ausstoß in Industriestaaten entsprechen oder diesen übertreffen. In Indien beispielsweise lag der durchschnittliche Pro-Kopf-Ausstoß 2019 bei 2,2 Tonnen CO2-Äquivalente. Das oberste eine Prozent verursachte hingegen rund 32 Tonnen und damit ähnlich viel wie die obersten zehn Prozent in Deutschland mit 31 Tonnen.
Die Ungleichheit zwischen den Einkommensgruppen ist inzwischen sogar ein größerer Faktor bei den globalen Verschmutzungsunterschieden als das Wohlstandsgefälle zwischen den Ländern. Das zeigen die Daten des World Inequality Lab, eine Denkfabrik um den französischen Ökonomen Thomas Piketty. An der École d’Économie de Paris baut ein Team von Forschenden seit rund zehn Jahren eine Datenbank zur weltweiten Ungleichheit auf, auch beim CO2-Fußabdruck.
Laut dem jüngsten „Climate Inequality Report“ von 2023 gingen im Jahr 1990 noch 62 Prozent der Ungleichheit bei den weltweiten CO2-Emissionen auf die Unterschiede zwischen dem Treibhausgas-Ausstoß der reichen und armen Länder zurück. Seit etwa 2007 kehrt sich das Verhältnis um. Heute resultieren fast zwei Drittel der Ungleichheit beim CO2-Ausstoß aus den Einkommensunterschieden innerhalb der Länder. Das heißt: Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ist nun für den CO2-Fußabdruck einer Person relevanter als die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Land.
Treibhausgas-Berechnungen
Zwischen Reichtum und Klimaschädigung besteht ein direkter Zusammenhang. Das ist durch zahlreiche Untersuchungen gut belegt. Reiche Menschen sind in der Regel Vielflieger, besitzen größere und teils mehrere Häuser und Autos, verfügen über Privatjets und Yachten. Neben diesen energieintensiven Konsumaktivitäten berücksichtigen neuere Studien wie die Berichte des World Inequality Labs auch die privaten Investitionen reicher Menschen in Aktien, Anleihen oder Immobilien und deren Klimawirkung. Dadurch kann genauer aufgeschlüsselt werden, wie groß der CO2-Fußabdruck der unterschiedlichen sozialen Gruppen ist.
Die unteren 50 Prozent der Weltbevölkerung (das waren 2021 alle bis zu einem Jahreseinkommen von 6.700 Euro) haben demnach einen Pro-Kopf-Ausstoß von 1,6 Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Das entspricht einem Anteil an den globalen Emissionen von zwölf Prozent. Das oberste eine Prozent der Bevölkerung (dazu zählen Menschen ab einem Jahreseinkommen von gut 124.000 Euro) hat einen Pro-Kopf-Ausstoß, der fast 70-mal höher ist, nämlich 110 Tonnen pro Kopf, das entspricht 17 Prozent der weltweiten Emissionen.
Insgesamt verursacht das reichste Zehntel der Weltbevölkerung (also Menschen, die im Jahr ein Einkommen von durchschnittlich 87.000 Euro haben) knapp die Hälfte aller Emissionen – das ist etwa so viel, wie China, die USA und Indien mit ihren rund drei Milliarden Menschen zusammen ausstoßen. Die obersten zehn Prozent sind somit der mit Abstand größte Emittent der Welt.
Die CO2-Ungleichheit hat sich seit 1990 deutlich verschärft. Die Wohlhabenden und Reichen emittieren heute sehr viel mehr als vor 30 Jahren, wobei gilt: Je reicher, desto mehr stiegen die Emissionen. Das oberste 0,01 Prozent hat seinen Pro-Kopf-Ausstoß seitdem annähernd verdoppelt. Einsparungen gab es hingegen nur bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen in den reichen Ländern. Nur sie haben demnach faktisch Klimaschutz betrieben und ihren CO2-Fußabdruck gesenkt. Bei allen anderen ging der Trend nach oben. Ein möglicher Grund: Die Realeinkommen vieler Menschen sind über Jahrzehnte nicht oder kaum gestiegen. Sie können nicht mehr kaufen oder in eine größere Wohnung ziehen. Gleichzeitig sind Produkte wie Haushaltsgeräte umweltfreundlicher geworden, es gibt mehr Ökostrom und in manchen Wohnungen ist die Wärmedämmung besser als früher.
Das gilt auch für Deutschland. Vor 30 Jahren betrug der Anteil der unteren Hälfte an den Gesamtemissionen noch rund ein Drittel, die oberen zehn Prozent hatten ein Viertel zu verantworten. Heute ist es genau anders herum. Die reichsten zehn Prozent übertreffen mit 29 Prozent aller Emissionen die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung, die bei 26 Prozent liegt. Mit den ärmeren zwei Dritteln ist es auch zu erklären, dass Deutschlands Emissionen seit 1990 gesunken sind. Die Superreichen hingegen vergrößern ihren CO2-Fußabdruck weiterhin. Das oberste eine Prozent verursacht heute 118 Tonnen Treibhausgasemissionen pro Jahr und damit zwanzig Mal mehr als die untere Hälfte und mehr als neun Mal so viel wie die mittleren Einkommenslagen.
Konsequenzen
Für die Klimapolitik ist die wachsende CO2-Ungleichheit von großer Relevanz. Wenn sich der CO2-Fußabdruck der Wohlhabenden dem globalen Durchschnitt annähern würde, wären enorme Emissionsreduktionen möglich und das schon verloren geglaubte 1,5-Grad-Limit des Pariser Klimaabkommens könnte doch noch in Reichweite kommen.
Vorschläge dafür liegen bereits auf dem Tisch. Der Club of Rome etwa fordert eine globale Kehrtwende bei der sozialen Ungleichheit. Ohne deren drastischen Abbau und einen maßvollen Lebensstil seien die multiplen Krisen der Gegenwart nicht lösbar, argumentiert der Thinktank in seinem neuen Bericht „Earth for All“, der auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Brasiliens Präsident Lula da Silva hat 2024 als Vorsitzender der G20-Gruppe eine internationale Milliardärssteuer vorgeschlagen. Verschiedene Initiativen von Wohlhabenden, Millionär:innen und Milliardär:innen in Deutschland und international fordern eine höhere Besteuerung der Reichen. Die Forschenden des World Inequality Lab schlagen eine progressive CO2-Steuer vor, die mit dem Emissionsniveau steigt und so Investitionen in klimafreundliche Bahnen lenkt. Würde diese Steuer so gestaltet, dass sie erst ab einer bestimmten jährlichen Emissionsmenge greift, wären davon nahezu vollständig nur die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung betroffen – also diejenigen, die die höchsten Emissionen verursachen.
Das legt auch eine Studie nahe, die britische Forschende im Frühjahr 2023 veröffentlicht haben. In Tiefeninterviews und Diskussionsrunden befragten sie „High Energy Consumers“, also wohlhabende Menschen mit besonders hohem Energieverbrauch. Das Ergebnis: Den Befragten war durchaus bewusst, dass sie einen privilegierten Lebensstil pflegen. Daran ändern wollten sie aber von sich aus nichts. Die Verantwortung für umwelt- und klimafreundliches Verhalten, so folgert das Forschungsteam, sollte nicht allein den Einzelnen zugeschoben werden.
Für eine wirksame Klimapolitik müsste mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, wie groß die Unterschiede beim CO2-Ausstoß sind – nicht nur zwischen armen und reichen Ländern, sondern auch zwischen armen und reichen Bevölkerungsgruppen.
Sowohl reiche als auch ärmere Menschen unterschätzen, wie viele Emissionen Wohlhabende verursachen. Gleichzeitig überschätzen sie den klimaschädlichen Beitrag der Ärmeren. Ein internationales Forschungsteam hat dazu 2024 eine große Befragung in vier Ländern durchgeführt: in Dänemark, Indien, Nigeria und den USA. Die Befragten sollten schätzen, wie groß der persönliche CO2-Fußabdruck von reichen und armen Menschen in ihrem Land ist. Jedesmal lagen sie weit daneben. In den USA etwa kommt die untere Hälfte der Bevölkerung in der Realität auf knapp zehn Tonnen Treibhausgas-Emissionen pro Jahr – geschätzt wurden 18,5 Tonnen. Beim reichsten ein Prozent lag die Schätzung bei 34 Tonnen – tatsächlich aber sind es 270 Tonnen. In Indien kommen die unteren 50 Prozent real auf eine Tonne, geschätzt wurden fast sieben Tonnen. Beim reichsten ein Prozent schätzten die Befragten, dass es nur acht Tonnen sind – also kaum mehr als bei den Ärmeren. Tatsächlich aber sind es 32 Tonnen. Diese Fehleinschätzung hat Folgen. Laut der Studie nimmt die Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen ab, je mehr die CO2-Ungleichheit unterschätzt wird.