Seit langem wird darüber diskutiert, ob Schülerinnen und Schülern in der Schule genug über Wirtschaft lernen. 2015 wurde die öffentliche Debatte durch einen Externer Link: Tweet einer Schülerin befeuert:
Wirtschaft in der Schule Gute Idee – aber welche Wirtschaft?
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Immer wieder wird ein Schulfach Wirtschaft gefordert. Allerdings gibt es gar nicht „die“ Lehre von der Wirtschaft, sondern es existieren sehr verschiedene Theorien mit unterschiedlichen Ansätzen.
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Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann `ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.
Nicht erst seitdem mehren sich Stellungnahmen und Studien, häufig initiiert von Externer Link: Wirtschaftsverbänden oder Externer Link: Stiftungen, die den Mangel an ökonomischem Denken im Schulunterricht kritisieren – insbesondere mit Blick auf alltagstaugliche Finanzbildung. Oft ist damit die Forderung nach einem separaten Schulfach Wirtschaft verbunden. Denn an allgemeinbildenden Schulen ist ein eigenes Unterrichtsfach Wirtschaft eher die Ausnahme. Meist werden ökonomische Inhalte vor allem in interdisziplinären Integrationsfächern wie Politik, Wirtschaft-Politik, Sozialwissenschaften, Sozialkunde oder Gesellschaftslehre, aber auch in Geografie und Geschichte vermittelt.
Die Diskussion zwischen Befürwortern eines eigenständigen Fachs Wirtschaft und Verteidigern der Integrationsfächer wird mitunter
Zugespitzt scheint es dabei letztlich um die folgende Debatte zu gehen: Verstehen wir uns als Marktgesellschaft mit individuellen Entscheidungen rund ums Arbeiten, Kaufen und Sparen im Zentrum und mit dem Preissystem als wichtigstem Koordinationsmechanismus? Oder sind wir eine in erster Linie politische Gesellschaft, in der die Interessen gesellschaftlicher Gruppen konfliktreich aufeinandertreffen und wo der Primat der Politik über den Markt gilt?
Diese unterschiedlichen Grundhaltungen wurden exemplarisch im Oktober 2024 deutlich, als mehrere Bundesministerien ein groß angelegtes „Externer Link: Festival für Finanzbildung“ organisierten. Die Initiative stieß auf Zustimmung der Bundesschülerkonferenz („Wir fordern schon lange mehr alltagsbezogenen Unterricht“), aber auch auf scharfe Kritik etwa der Externer Link: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die davor warnte, öffentliche Bildung zu „missbrauchen, um die Finanzmärkte anzukurbeln“.
Zusätzlich verkompliziert wird die Debatte über „Wirtschaft in der Schule“ dadurch, dass es innerhalb der Wirtschaftswissenschaften verschiedene Externer Link: Denktraditionen (unter anderem Neoklassische Ökonomik, Evolutionäre Ökonomik, Feministische Ökonomik, Keynesianische Ökonomik, Marxistische Ökonomik) gibt. Diese kommen zu sehr unterschiedlichen Ansichten darüber, wie Wirtschaft gelehrt werden sollte und inwieweit Einsichten aus Nachbardisziplinen wie Soziologie, Politikwissenschaft, Geschichte, Psychologie, Philosophie oder der Biologie für ökonomisches Denken relevant sind.
Thematische oder methodische Definition von Ökonomie?
Der koreanisch-britische Ökonom Ha-Joon Chang unterscheidet zwei grundlegend unterschiedliche Definitionen der Wirtschaftswissenschaften.
Wer beispielsweise die Entstehung des Kapitalismus im Zuge der Industrialisierung untersucht, wird (auch) geschichtswissenschaftliche Methoden nutzen. Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung erfordern philosophische Ansätze, während psychologische und soziologische Perspektiven notwendig sind, um den Zusammenhang zwischen Konsumverhalten und Lebenszufriedenheit zu verstehen. Diese thematische Herangehensweise war für Klassiker wie Adam Smith (Lehrstuhl für Moralphilosophie) oder Karl Marx (geprägt von Hegels Philosophie) selbstverständlich. Vertreter der thematischen Definition bezeichnen ihr Fach oft als Politische Ökonomie oder Sozioökonomie, um den inhärent politischen Charakter des Fachs zu betonen. Ob Märkte und Preise als Koordinationsmechanismus genutzt werden, ist für sie eine politische Frage.
Die zweite Definition, vor allem mit der neoklassischen Denkschule verbunden, definiert Wirtschaftswissenschaften nicht über ihren Themenbereich, sondern über eine spezifische Methode. Diese Methodik lässt sich auf nahezu alle Lebensbereiche anwenden. Lionel Robbins fasste dies 1936 wie folgt zusammen: „Ökonomik ist die Wissenschaft, die menschliches Verhalten als Beziehung zwischen Zielen und knappen Mitteln mit alternativen Verwendungsmöglichkeiten untersucht.“
Das der Neoklassik zugrunde liegende Modell des Menschen als
Neoklassik oder Plurale Ökonomik als Basis für ökonomischen Schulunterricht?
Die meisten Befürworter eines eigenständigen Fachs Wirtschaft argumentieren aus einer ausdrücklich neoklassischen Perspektive (etwa
In den letzten Jahren gewinnt die Forderung nach einer Pluralen Ökonomik in Bildungskontexten zunehmend an Gewicht (siehe die
„Individuum“ oder „System“ als Adressat ökonomischer Bildung in Zeiten der Klimakrise?
Künftige Generationen werden den heutigen Wirtschaftsunterricht wohl vor allem danach beurteilen, ob er sie auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit vorbereitet hat. Das alles überragende Thema ist hier natürlich die Klimakrise. Gerade hier lassen sich die Unterschiede zwischen den Denkschulen erkennen: Das individualistische und alltagsbezogenene „Framing“
In vielen Schulbüchern wird das Homo-oeconomicus-Modell als Dreh- und Angelpunkt des ökonomischen Denkens präsentiert, anschließend werden Schülerinnen und Schülern angeregt, sich mit ihren individuellen Bedürfnissen und Konsumwünschen sowie mit den Zielen einzelner Unternehmen auseinanderzusetzen. Zugleich wird die individuelle Verantwortung von Konsumenten und Unternehmen diskutiert: Welche Kleidung ist ethischer und nachhaltiger als andere? Kann ich auf Auto und Flugzeug verzichten? Bin ich bereit, kürzer zu arbeiten und dafür weniger zu verdienen und zu konsumieren und die Umwelt zu verschmutzen? Wie kann unsere Schule Müll vermeiden? Als systemisches Konzept wird oft immerhin die Funktionsweise von CO2-Steuern oder des CO2-Zertifikatehandels vorgestellt.
Eine stärkere Betonung des s-frame hingegen würde bedeuten, neben dem neoklassischen Marktversagensansatz auch Perspektiven der Evolutionären Ökonomik, der Ökologischen Ökonomik, der Feministischen Ökonomik und anderen aufzugreifen (Plurale Ökonomik) und die politische und die ökonomische Sphäre zusammenzuführen (Interdisziplinarität). Die Schülerinnen und Schüler müssten sich dann mehr mit großen, systemischen Fragen der Transformation befassen: Ist der CO2-Zertifikatehandel ausreichend, um die Klimakrise zu bewältigen? Wie würden sich die „individuellen Präferenzen“ fürs Autofahren ändern, wenn die Verkehrsinfrastruktur nicht so autozentriert wäre und wenn durch entsprechende Stadt- und Verkehrsplanung die Bereiche Wohnen, Erwerbsarbeit und Sorgearbeit räumlich näher zusammenrücken würden? Warum ist der Öffentliche Personen-Nahverkehr nicht zuverlässig und kostenlos? Sollte Fliegen überhaupt noch erlaubt sein, und wäre es so schlimm, nicht mehr in den Urlaub zu fliegen, wenn die Mitschüler auch nicht mehr fliegen dürften? Möchten wir lieber in einer Welt leben, in der alle weniger arbeiten und konsumieren? Müssen Millionen Menschen in Deutschland rund um die Automobilindustrie beschäftigt sein? Welche Ziele sollte die Klimabewegung formulieren, und wie kann ich mich beteiligen? Solche Fragen sucht man in den meisten Schulbüchern vergeblich.
Die Auseinandersetzung mit individuellen Bedürfnissen und Rationalität sowie mit alltagsweltlichen ökonomischen Themen ist ein wichtiger Bestandteil von „Wirtschaft in der Schule“. Zugleich sollte aber hinterfragt werden, inwieweit die schulische Bildung über die verschiedenen Fächer hinweg der systemischen Tragweite aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen (Klima, Demokratie, gesellschaftlicher Zusammenhalt) gerecht wird.
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Till van Treeck ist Professor für Sozialökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Er studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften in Lille, Münster und Leeds. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Einkommensverteilung aus gesamtwirtschaftlicher Sicht, Wirtschaftspolitik und (sozio-)ökonomische Bildung.