Das Smartphone vibriert, Freunde haben uns einen Teil der geteilten Restaurantrechnung per Tastendruck erstattet. Die vernetzte Armbanduhr piept vor dem Lesegerät der Supermarktkasse und begleicht damit die Rechnung für den Wochenendeinkauf. Das Onlinebanking-Portal präsentiert den eingegangenen Arbeitslohn als grüne Schrift – endlich wieder im Plus! Eine Plastikkarte entlockt einem Automaten mit Ziffern bedruckte Scheine, die in einem Geschenkkuvert verschwinden. Und schließlich erlauben uns kleine, in einen passenden Schlitz geworfene Metallplättchen mit der geprägten Europakarte darauf, eine Raststättentoilette zu betreten.
Geld begegnet (und beschäftigt) uns im Alltag ständig, in verschiedenen Erscheinungsformen, die, egal ob als Metall, Papierschein oder digitale Information, dasselbe repräsentiert: Ein (Handlungs-)Vermögen in Form einer Zahl, durch deren Abgabe wir Zugriff auf Lebensnotwendiges und Nicht-so-Lebensnotwendiges erhalten – Essen, Wohnraum oder Videospiele. Wir freuen uns, wenn wir Geld bekommen und sorgen uns, wenn es uns ausgeht. So präsent Geld in unserer Lebenswirklichkeit aber auch ist, weil es eigentlich nur dann wirklich in den Hintergrund tritt, wenn man sowieso viel zu viel davon hat, so selten sind doch Momente der Reflexion, in denen wir uns fragen, was das eigentlich ist, womit wir da Tag für Tag zu tun haben.
Geldfunktionen
In den Wirtschaftswissenschaften definiert man Geld gewöhnlich durch ein Set von drei Funktionen, sodass alles, was diese Funktionen erfüllt, als Geld gelten und alles, was sie weniger gut oder weniger einfach leistet, auf einer Skala von „geldnäher“ bis „geldferner“ eingeordnet werden kann (s. Kasten „Liquidität und Geldmenge“). Die Bezeichnung »Geld« bezieht sich also nicht auf ein bestimmtes Material oder eine explizite Sache, sondern auf eine Verwendungsweise von den so unterschiedlichen Dingen, die allesamt Geld repräsentieren können.
Traditionell bezeichnet man dementsprechend all jene Dinge als Geld, die erstens als universelles Tauschmittel, zweitens als abstrakter Wertspeicher und drittens als allgemeines Wertmaß verwendet werden.
1. Tauschmittel
Tauschmittel bedeutet: Man akzeptiert die betreffenden Geld-Dinge nicht deswegen als Entlohnung für Arbeit oder als Bezahlung für abgegebenes Eigentum (hält sie also für wertvoll), weil man sie verbrauchen könnte. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn man als Lohn für eine Stunde Arbeit ein Paar Schuhe akzeptierte, die man anschließend trägt, bis sie auseinanderfallen. Geld hingegen ist kein sogenanntes finales Gut, das wir wegen seines Gebrauchswertes begehren und nach Erhalt verbrauchen. Man akzeptiert es, weil man davon ausgeht, es selbst im Austausch gegen die Arbeit oder das Eigentum anderer verwenden zu können. Also nicht der Tausch Arbeit gegen Schuhe, sondern der Tausch Arbeit gegen Geld, um dieses wiederum gegen Schuhe (oder anderes) einzutauschen. Als Tauschmittel ermöglicht Geld somit einen indirekten Tausch, in dem wir eigene Güter oder Leistungen (Arbeitskraft, Eigentum) gegen etwas abgeben, das man nur dafür gebrauchen kann, es wiederum gegen die Güter oder Leistungen anderer einzutauschen – und um diese Leistungen geht es eigentlich am Ende.
Liquidität und Geldmenge
Volkswirtschaftlich unterscheidet man Vermögenswerte danach, wie akzeptiert sie im Austausch sind, wie leicht man also mit ihnen handeln kann: je leichter, desto liquider. Das macht Geld für die Wirtschaftswissenschaft per Definition zum liquidesten Vermögenswert: Wer Geld hat, ist liquide, »flüssig«, weil man Geld sofort und immer zum Bezahlen verwenden kann. Immobilien, Aktien oder Sparanlagen sind zwar ebenfalls Vermögenswerte, aber man muss sie erst veräußern oder auflösen, um an Geld zu kommen. Ein Beispiel: obwohl Elon Musk der reichste Mensch der Welt ist, konnte er das soziale Netzwerk Twitter nicht direkt kaufen. Stattdessen musste er vorher Aktienanteile verkaufen und Kredite aufnehmen, um genügend liquide Mittel zum Kauf von Twitter zu haben. Man kann also nicht oder jedenfalls nicht sofort mit ihnen handeln, sie sind daher „geldferner“.
Institutionen wie die Zentralbank (in unserem Fall die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank) folgen dieser Logik auch bei der Messung der sogenannten Geldmengen von M1 bis M3: Zur eng definierten Geldmenge M1 gehören die Formen von Geld, die man unmittelbar als Tauschmittel einsetzen kann, also Münzen, Scheine und Guthaben auf Girokonten beispielsweise. Zu den weiteren Definitionen M2 und M3 kommen dann weniger liquide Anlagen hinzu, beispielsweise Festgeld und Sparkonten, die man nur nach einer gewissen Frist, nicht von jetzt auf gleich verwenden kann.
Mit Geld kann man (fast) alles kaufen. Damit stellt es sogar so etwas wie eine verdinglichte Form von Freiheit dar: Solange die Akzeptanz der Geld-Dinge im Tausch gegen echte Leistungen fraglos und unstrittig ist, erhält man in Geldwirtschaften als Entlohnung der eigenen Leistungen die freie Wahl zwischen vielen verschiedenen, am Markt angebotenen Leistungen anderer, was den Ökonomen Friedrich Hayek dazu veranlasste, von Geld als einem »Werkzeug der Freiheit« zu sprechen. Anders als bei einer Entlohnung durch reale Güter, wie sie womöglich im Mittelalter noch üblich war, beschränkt unser Arbeitslohn (und damit unsere Arbeitgeberin) die finale Vergütung durch die gezahlte Summe zwar quantitativ, aber nicht qualitativ: Die Summe bestimmt, wie viel man kaufen kann, aber nicht, was. Oder anders: Mit Geld kann man alles kaufen – wenn man genug davon hat.
Der soziologische Vordenker Georg Simmel oder auch der Ökonom Karl Marx haben die Ambivalenz dieser vom Geld bereitgestellten Wahlfreiheit herausgearbeitet, weil die Geldwirtschaft das Individuum gleichzeitig strukturell dazu zwingt, immer wieder Geld verdienen zu müssen. Ohne Guthaben auf dem Konto oder Bargeld in der Tasche sind wir in modernen Marktgesellschaften kaum mehr handlungsfähig. Und deswegen sind die meisten von uns bereit, aber eben auch gezwungen, sich permanent um unsere Zahlungsfähigkeit zu sorgen. Anders gesagt: Jede und jeder von uns muss auf Märkten verkaufbare Leistungen anbieten, also solche, für die jemand anderes zu zahlen bereit ist, um dann auf dem Markt seine Gegenleistung frei wählen zu können. Das Leben in einer Geldwirtschaft bedeutet somit immer gleichzeitig Freiheit und Zwang.
2. Wertspeicher
Die Verwendung als Tauschmittel macht Geld dabei selbst zu einer ganz speziellen Form von Wert, nämlich einem reinen Tauschwert, in die konkrete Gebrauchswerte wie Schuhe überführt werden können. Indem eine Schusterin ihre Produkte unter der Annahme gegen Münzen, Scheine oder Bankguthaben handelt, die Summe später zum Einkaufen verwenden zu können, »verwandelt« sie die von ihr erschaffenen Gebrauchswerte (Fußbekleidung) sozusagen in eine reine Tauschwertform (Geld) und »speichert« sie für später. Als universeller wirtschaftlicher Wertspeicher ermöglicht Geld damit das (abstrakte) Sparen anstelle des Hortens konkreter Dinge. Für die Schusterin ist das Speichern reinen Tauschwertes anstelle der Anhäufung viel zu vieler Schuhe oder des direkten Eintauschens ihrer Fußbekleidung gegen andere konkrete Gebrauchswerte von Vorteil, eben weil die Wertform Geld abstrakt ist: Es ist alle Güter in einem. Schon der altgriechische Philosoph Aristoteles, später aber vor allem der Volkswirt John Maynard Keynes oder der Soziologe Niklas Luhmann haben diesen Vorteil als eine existenzielle Versicherung beschrieben. Weil niemand die Zukunft vorhersehen kann, denken sich Menschen immer wieder neue Werkzeuge und Institutionen der Absicherung aus, die ihnen das Entscheiden erleichtern.
Eine solche Institution ist das Geld, weil sein Besitz anstelle konkreter Güter überhaupt erst erlaubt, mittel- und langfristige ökonomische Entscheidungen zu treffen. Mit einem noch so großen Vorrat an Schuhen kann man schlussendlich nur eines machen: Sie an den Füßen tragen. Gespartes Geld hingegen verschafft in zweifacher Hinsicht Handlungsspielraum: Was und wann man etwas kauft, ist vom Geld selbst nicht vorgegeben, weswegen man mit Schuhen oder Getreide nicht, mit Geld aber schon auf Unsicherheiten bezüglich des eigenen Bedarfs und des sich wandelnden Angebots reagieren kann, indem man Kaufentscheidungen hinauszögert, den Handelspartner wechselt und dergleichen – wer weiß schon, was man morgen will und was es gibt und wer es hat? Dabei hilft Geld, als, wie es Luhmann formulierte, »verfügbare Zukunft«.
In einer Wirtschaft, die auf Markt und Tausch beruht, ist Geld damit so etwas wie eine fundamentale (wirtschaftliche) Versicherung gegenüber einer prinzipiell offenen Zukunft, die man in der Tasche mit sich herumtragen kann; und weil man eigentlich nie sicher genug sein kann, macht der durch das Geld verkörperte unspezifische Handlungsspielraum den Kern seiner Faszination aus und motiviert zur Ansammlung. In gewisser Weise kann man von Geld »nie genug« haben, weil man nie genau weiß, was passieren wird; die Wertform Geld bereitet somit auch die Grundlage grenzenloser Akkumulation: der Anhäufung reinen Tauschwertes, also der Akkumulation von »Wahlfreiheit« (Geld) sind keine prinzipiellen oder sinnhaften Grenzen gesetzt. Es käme uns skurril vor, würde jemand ganze Lagerhallen an Schuhen als persönlichen Besitz ansammeln, hüten und horten. Tausende oder gar Millionen Euro auf dem Konto zusammenzusparen gilt hingegen gesellschaftlich als beachtenswerter Erfolg und reife Leistung. Als abstrakte Wertform legt das Geld damit auch die Grundlage einer auf Vermögensvermehrung und Wachstum angelegten Wirtschaftsweise, die vielfach mit der Bezeichnung »Kapitalismus« versehen wird: Während der Anhäufung von konkreten Gebrauchswerten jeder Art biologische, physische, logistische und auch sinnhafte Grenzen gesetzt sind, können abstrakte Zahlen auf Bankkonten als persönliches Vermögen der Sache nach unbegrenzt wachsen, es sei denn, sie stoßen auf finanzwirtschaftliche Instabilität oder moralisch-politische Einwände einer Gesellschaft.
Wie gut und verlässlich Geld als Wertspeicher funktioniert, ist allerdings eine offene Frage. Steigende Preise können den Gegenwert des Tauschmittels verringern. Bekommt man heute für 100 Euro 20 Brote, könnten es ein einem Jahr nur noch 15 sein; betrifft dieser Preisanstieg nicht nur Brote, sondern mehr oder weniger alle lebensnotwendigen Güter, spricht man von Inflation, das Geld ist weniger wert. Durch Inflation droht das Geld also seine Kernfunktionen zu verlieren, einen versetzten Tausch und eine abstrakte Wertspeicherung anzubieten. Deswegen ist die Stabilität des Geldwertes auch eine zentrale Frage der Geldpolitik.
3. Wertmaß
Geld kann als reiner Tauschwert und Tauschmittel das Markthandeln ermöglichen, weil es gleichsam ein allgemeines Wertmaß bereitstellt, eine immaterielle Recheneinheit namens Euro, US-Dollar oder Pfund (und so weiter), in der und durch die wir völlig unterschiedliche Güter und Dienstleistungen in Zahlenform vergleichbar machen können. Durch Geld wird es also möglich, Preise zu bilden, und damit lassen sich Dinge bewerten und ihre Werte ins Verhältnis setzen. 2 Hosen = 1 Paar Schuhe. Marx und wiederum auch Simmel haben auf ihre je eigene Weise betont, welch bedeutsamer sozio-kultureller Wandel eigentlich in der Einführung von Preisen in einem abstrakten Wertmaß begründet liegt. Viel naheliegender war es doch, Güter nach ihren Gebrauchsweisen zu unterscheiden und dementsprechend zu zählen, zu wiegen oder auf andere, je spezifische Weise zu messen; aber wie bewertet und vergleicht man sie dann? Getreide ließe sich demnach nach Qualität und Gewicht der Körner bewerten, Stoff hingegen nach der Reinheit der Fasern und der Länge der Ballen, eine Dienstleistung wie Wachschutz nach der Dauer der Wacht und der Einsatzbereitschaft bei Vorfällen. Erst mit dem Geld kommt die heute so selbstverständliche Praxis in die Welt, all diese Unterschiede auf eine einzige und noch dazu völlig abstrakte Skala, nämlich den Geldpreis herunterzubrechen: 100 Euro = 1 Hose = 1 Paar Schuhe = 20 Brote = ...
Und das Wertmaß des Geldes selbst? Das ist nach Ansicht vieler Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler der Zins. Denn der wird als Preis dafür verlangt, sich Geld für eine bestimmte Zeit zu leihen, und der variiert je nachdem, wie „kreditwürdig“ eine Person, ein Unternehmen oder gar ein Staat ist. Der Zins beeinflusst so die „Zeitkomponente“ des Geldwertes: Preise und Werte messen sich an heutigen Einheiten, aber Kreditzinsen machen Zahlungsverpflichtungen in der Zukunft teurer. Deswegen gehört die Steuerung des Zinses und der Verschuldung zu den zentralen Aufgaben der Finanzpolitik.
Ist das Geld „neutral“?
Aus volkswirtschaftlicher Sicht ermöglicht die Existenz einer solchen Skala, dass Märkte zwischen den Bedürfnissen (Nachfrage) und den verfügbaren Ressourcen (Angebot) so vermitteln können, dass bestmögliche Ergebnisse erzielt werden – ein Gleichgewicht, das nur zustande kommen kann, weil Angebot und Nachfrage in eine gemeinsame Sprache, nämlich Preise übersetzt und so unzählige und in der Sache völlig verschiedene Dinge und Wünsche verglichen werden können. In diesem Sinne stellt man sich in der konventionellen Wirtschaftstheorie das Geld gerne als ein »neutrales«, das heißt auch: unpolitisches (und deswegen von interessengeleiteten Einflüssen und Verzerrungen freizuhaltendes) Marktwerkzeug vor, das »objektive« Bewertungen und »objektive« Knappheitsverhältnisse ebenso objektiv abzubilden vermag.
In den Sozialwissenschaften, aber auch in vielen unkonventionellen
Zum anderen findet die Neutralitätsidee wenig Anhänger:innen in den Sozialwissenschaften, weil man in diesen Disziplinen häufig eine andere Vorstellung davon vertritt, was Preise sind und wie sie zustande kommen. Schon Max Weber, ein weiterer Gründervater moderner Soziologie, hatte argumentiert, in wirtschaftlichen Aushandlungen gehe es genau genommen um die stets umkämpfte Durchsetzung und Vergrößerung von Handlungsmöglichkeiten. Als Käuferin will man schließlich in der Regel nicht einen fairen, sondern einen möglichst günstigen Preis zahlen; und als Verkäufer will man einen möglichst hohen Preis erlösen. Das gleiche am Arbeitsmarkt, wo die Beschäftigten möglichst viel Lohn für ihre Arbeitszeit bekommen und die Unternehmen einen möglichst niedrigen zahlen wollen. Preise sind, so Weber, eigentlich immer »Kampfpreise«, was aus Geld keinen neutralen Berechnungsmechanismus macht, sondern ein genuines »Kampfmittel« im Wirtschaftsprozess. Den politischen forschenden Sozialwissenschaften fehlt dementsprechend oft der Glaube an die schiere Möglichkeit »objektiver« Messung des Wertes. Deswegen untersuchen sie gesellschaftliche Konflikte um den Wert des Geldes im Inland (gemessen als Inflation) und im Verhältnis einer Währung zu anderen Währungen auf dem Weltmarkt (gemessen als Wechselkurs, zum Beispiel 1 Euro = 1,10 US-Dollar), machtpolitische Interessen um die Höhe der Zinsen und die Ausweitung oder Begrenzung der Geldschöpfung.
Solche Konflikte gehören untrennbar zum Thema Geld dazu. Immer wieder wurde versucht, die Neutralitätsannahme der Wirtschaftswissenschaften durch die Behauptung zu legitimieren, Geld sei eigentlich das Produkt politikferner Interaktionen von Händlern, sei sozusagen automatisch und ungeplant vom Markt selbst hervorgebracht worden (s. Kasten „Geldgeschichte – die hungrige Schusterin“). Doch Geld entsteht historisch betrachtet nicht nur einmal, sondern immer wieder und wird in der Regel von Herrschenden oder Machteliten etabliert und durchgesetzt. In der Moderne reklamieren Nationalstaaten das Vorrecht für sich, exklusive Währung in ihrem Herrschaftsgebiet zu definieren, als britisches Pfund, amerikanischer Dollar oder Deutsche Mark und so weiter. Auch der Euro, der als sogenannte supranationale Währung zwar eine historische Neuerung darstellt, gilt in einem von Nationalstaaten kontrollierten Territorium. Internationaler Handel funktioniert deswegen auch in Zeiten der Globalisierung nicht mit einem wirklich globalen Tauschmittel, sondern wird mithilfe eines Flickenteppichs aus Währungsräumen betrieben, zwischen denen es auch immer wieder Konflikte gibt. Allgemeine Tauschmittel, universelle Wertspeicher und abstrakte Wertmaße gibt es also nicht ohne Politik, das heißt auch nicht ohne Interessenkonflikte und Kompromisse, ohne Gewinnerinnen und Verlierer und nicht ohne Ambivalenzen von Freiheitsgewinnen und Zwangsbewährung.
Solche Konflikte äußern sich auch in der Geopolitik: Es gibt schließlich keine einheitliche Weltwährung, sondern nur (supra-)nationale Gelder, die unterschiedlich begehrt und wichtig sind. Seit dem zweiten Weltkrieg ist der US-Dollar an der Spitze dieser Hierarchie: Wer auf den internationalen Märkten unterwegs ist, Güter exportieren oder importieren oder mit Vermögensanlagen handeln will, braucht (fast immer) US-Dollar. Das verschafft vor allem den US-Banken und US-Behörden großen Einfluss und ist vielen Ländern und Regionen auf der Welt ein Dorn im Auge. Die Europäische Union versucht deswegen etwa immer wieder, den Euro auch gegenüber dem US-Dollar zu stärken, indem sie darauf drängt, internationale Geschäfte in Euro abzuschließen und die sogenannten BRICS+-Staaten (zu denen unter anderem Russland und China gehören) handeln untereinander immer mehr in ihren eigenen Währungen und überlegen, eine neue Gemeinschaftswährung für den globalen Handel einzuführen. Auch neue sogenannte Digital- oder Kryptowährungen setzen hier an und bieten sich als nicht-staatliche Alternativen an, die, wenigstens prinzipiell, über das Internet in der ganzen Welt genutzt werden könnten. Kurzum: Wohin man beim Geld auch blickt, geht es (auch) um Politik.
Geld war und ist stets eine durch und durch machtdurchzogene gesellschaftliche Institution, was nicht nur die Verteilung von Geld sondern auch die im Hintergrund der Münzen, Scheine und digitalen Informationen wirkenden Verfahren und Machtverhältnisse zu einem bedeutsamen Thema der politischen Bildung und gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse macht. All das und sicherlich noch viel mehr ist mit dem Thema »Geld« aufgerufen.
Geldgeschichte – die hungrige Schusterin
Plausibilität hat die Neutralitätsidee stets durch eine Erzählung der Geldentstehung beansprucht, die heute weitestgehend als widerlegt gilt. Mit den Anfängen der sogenannten Nationalökonomie – später wurde daraus das, was man heute Wirtschaftswissenschaft nennt – bei Adam Smith und anderen kommt eine auf einem Gedankenspiel fußende Erzählung über die spontane Entstehung und Fortentwicklung des Geldes in die Welt, die sich wie ein Lauffeuer verbreitet und heute nicht nur in den meisten Lehrbüchern zu finden ist, sondern auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen, lexikalischen Beiträgen oder Schulbüchern. In dieser Modellerzählung entsteht Geld automatisch durch die rationale Begegnung von Händlerinnen, die sich, um die Schwierigkeiten des direkten Tauschens zu umgehen, auf eine bestimmte Ware einigen, die fortan als Tauschmittel, Wertspeicher und Wertmaß fungiert.
Ohne ein verfügbares Tauschmittel müsste eine hungrige Schusterin, so die Annahme, nämlich stets jemanden finden, der nicht nur Nahrungsmittel im Angebot hat, die sie haben will, sondern der gleichzeitig bereit ist, Schuhwerk dafür zu tauschen. Man spricht hier auch, reichlich sperrig, von der »doppelten Koinzidenz der Bedürfnisse«: Das Bedürfnis nach Schuhen muss auf das Bedürfnis beispielsweise nach Brot mit dem jeweiligen entsprechenden Angebot treffen, damit ein Handel zustande kommt. Ansonsten wird es schwer, sich arbeitsteilig zu spezialisieren. Was nämlich, wenn die Familie des Bäckers keinen weiteren Bedarf mehr an Schuhen hat, die Schusterin aber Hunger leidet? Die hungrige, aber rational agierende Schusterin wird ihre Waren nun nicht nur gegen ihr gewünschtes finales Gut, das Brot, einzutauschen bereit sein, sondern auch gegen andere Waren, die häufig begehrt und deswegen in einem weiteren Tausch wahrscheinlich auch akzeptiert werden. So wird es für sie leichter, den Bäcker zu einem Handel zu bewegen, weil der womöglich bereits genügend Schuhwerk besitzt, aber an anderen Dingen interessiert sein könnte.
Weil alle so Handelnden also bereit sind, eine »Zwischentauschware« auf dem Weg zu ihrem finalen Gut zu akzeptieren, wird sich wie von allein eine einzelne Ware als Tauschmittel etablieren, automatisch also, allein durch den Handel selbst. Ein solch nützliches Hilfsmittel erleichtert den Marktbetrieb nicht bloß, es ermöglicht überhaupt, sich gesellschaftlich auf eine Verteilung der Ressourcen durch arbeitsteilige Märkte zu verlassen. Als Geld bot sich historisch Edelmetall an, weil es für einen solchen Zweck materiell gut geeignet ist, es ist vor allem relativ beständig und gut aufteilbar. Allerdings ist es auch recht schwer. Deswegen scheint es auch so rational, hat man sich einmal auf Edelmetall als Zwischentauschware geeinigt, diese zentral zu lagern und nur noch die Einlagerungsbelege als Geld zu verwenden – Bankkonten, Banknoten und der Goldstandard waren geboren. Schließlich, so endet diese Handels- oder Marktgeschichte des Geldes in der Gegenwart, war allen Beteiligten die Nützlichkeit eines Tauschmittels so in Mark und Bein übergegangen, dass man auf die Deckung durch Gold faktisch verzichten und zum heutigen sogenannten »Fiat-Geld« aus bedrucktem Papier und elektronischen Konteneinträgen übergehen konnte, das ganz ohne wertvolle Substanz auskommt.
Die Marktgeschichte legt damit nahe, Geld sei ohne Zutun der Politik entstanden und hätte sich mehr oder weniger evolutionär und linear von stofflich wertvollen Formen wie Edelmetallgeld zu stofflich wertlosen, also zunehmend immaterieller oder virtueller werdenden Geldformen entwickelt, wie nicht mehr durch Gold gedecktes Papiergeld oder heutige Formen, die nur noch durch Plastikkarten oder digitale Zahlenfolgen in der Bank-App dargestellt werden. Beide Elemente werden in den historisch arbeitenden Forschungsdisziplinen als grob verfälschend betrachtet: Geld hat sich nicht linear von stofflich wertvollen zu virtuellen Formen entwickelt, vielmehr gab es bereits in der mesopotamischen Bronzezeit immaterielle Formen von Guthaben und auch im antiken Griechenland oder im alten China wurden mal stofflich wertvolle, mal stofflich wertlose Dinge als Geld eingesetzt, eine gleichförmige, lineare Evolution lässt sich also schon einmal nicht beobachten.
Und noch ein wiederkehrendes Element setzt die empirische Geldforschung in Opposition zur Marktgeschichte: Historisch ist die Entstehung funktionierender Geldformen in der Regel mit politischer Herrschaft verbunden. Der Markt alleine bringt allenfalls in elitären Handelsnetzwerken funktionierende, aber nicht allgemein und universell geltende Tauschmittel hervor (und auch hier greift die Annahme einer freien Interaktion individueller Händlerinnen zu kurz, denn auch hier geht es um Machtkämpfe, nicht um spontane Marktverbesserung). Kurz und über zahlreiche Debatten über Details hinwegsehend kann man festhalten: Die Geschichte einer politikfernen Entstehung von Geld durch die freie Interaktion auf Märkten wird heute mindestens als nicht plausibel, vielfach sogar als schlicht falsch betrachtet. Geld(er) entstehen und funktionieren nie außerhalb und abseits von herrschaftlichen Institutionen und politischen Machtverhältnissen und Konflikten.