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Montag, 9. Februar 2015 | Entgrenzter Rechtsextremismus? | bpb.de

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Montag, 9. Februar 2015 Tagungsbericht: "Entgrenzter Rechtsextremismus? Internationale Perspektiven und Gegenstrategien"

/ 9 Minuten zu lesen

Der bayerische Staatsminister des Innern Joachim Herrmann rief zur Eröffnung der Tagung in seiner Ansprache in Erinnerung, dass Rechtsextremisten es stets auf die Grundlagen unseres Zusammenlebens abgesehen hätten: "die von unserer Verfassung garantierten Grundwerte von Freiheit, Demokratie, Toleranz und Pluralismus. Sie bekämpfen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung und stellen damit eine große Gefahr für unseren Rechtsstaat dar". Wohin das führen kann, lehre die Geschichte, betonte der Innenminister und erinnerte an die Mordserie des selbsternannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). In seiner Rede wies Joachim Herrmann ferner darauf hin, dass die internationale Vernetzung auch aus bayerischer Perspektive zu beobachten sei. Die Partei Der III. Weg verfüge über Kontakte zur griechischen rechtsextremistischen Partei Goldene Morgenröte. Und bayerische Rechtsextreme hätten in der Vergangenheit, zählte er beispielhaft auf, an entsprechenden Demonstrationen in Tschechien und Griechenland teilgenommen. Daher gelte es, dieser Herausforderung ebenso international koordiniert zu begegnen. Dazu gehöre auch ein reger Informationsaustausch.

Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, betonte noch einmal, dass ein auf den Nationalstaat begrenzter Rechtsextremismus eine Illusion sei. Längst verwischten Grenzen im Zuge der allumfassenden Globalisierung und der kommunikativen Vernetzung. In seinen einführenden Worten hob er auch noch einmal die Bedeutung des zweiten Tages der Fachtagung hervor. Während der Auftakt unter dem Zeichen einer Bestandsaufnahme stehe, würden am Folgetag Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen von Interventionen stehen. "Wichtig ist unseres Erachtens", so Krüger, "dabei nicht nur über die Erfolge zu sprechen, sondern uns gleichwohl über Fehler und Versäumnisse zu verständigen. Wir brauchen eine gelebte Fehlerkultur, um Ansätze, Modelle und Projekte weiterentwickeln zu können."

Joachim Herrmann ist seit 1994 Mitglied des Bayerischen Landtags und seit 2007 Bayerischer Staatsminister des Innern. Nach seinem Jurastudium in München, das er 1984 mit dem zweiten juristischen Staatsexamen abschloss, trat er in den Staatsdienst der Bayerischen Staatskanzlei ein. 1988 wechselte er als Leiter der Abteilung für Öffentliche Sicherheit und Ordnung an das Landratsamt Erlangen-Höchstadt und war von 1992 bis 2003 als Rechtsanwalt zugelassen. Als Innenminister unterstehen ihm unter anderem die Bayerische Landespolizei und der Verfassungsschutz.

Thomas Krüger ist seit 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Nach der Ausbildung zum Facharbeiter für Plast- und Elastverarbeitung nahm er ein Theologiestudium auf und war anschließend Vikar. Er war 1989 Gründungsmitglied der Sozialdemokraten in der DDR (SDP) und Mitglied der Volkskammer der DDR. Von 1991 bis 1994 war er Senator für Jugend und Familie in Berlin, anschließend von 1994 bis 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit 1995 ist er außerdem Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes und seit 2003 Mitglied der Kommission für Jugendmedienschutz.

"Rechtsradikalismus als internationales Phänomen", der Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Michael Minkenberg

Interner Link: Michael Minkenberg: Positionspapier

"Eine solche Tagung ist dringender denn je", eröffnete Minkenberg von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) seinen Vortrag und verwies auf jüngere Entwicklungen der radikalen Rechten in Europa. Bewusst wählte er die Bezeichnung Rechtsradikalismus, die im Kontrast zum Tagungstitel "Entgrenzter Rechtsextremismus?" stand. Er verstehe Rechtsradikalismus "als eine Reaktion auf gesellschaftliche Modernisierungs- und Differenzierungsschübe beziehungsweise beschleunigten sozialen Wandel", erklärte er. "Rechtsradikale Akteure und ihre Anhänger wollen diesen Wandel stoppen oder gar umkehren und greifen dabei auf extreme Homogenititätsvorstellungen zurück, die auf einer radikalen Freund-Feind-Unterscheidung beruhen". Rechtsradikalismus sei ihm zufolge eine politische Ideologie, die sich, anders als der Begriff des Rechtsextremismus, tendenziell nicht unbedingt manifest und dezidiert gegen die liberale Demokratie und ihre zugrundeliegenden Prinzipien von Individualität und Universalismus richte.

Aus der Globalperspektive auf das Thema erläuterte Minkenberg im Anschluss Ähnlichkeiten und Unterschiede der radikalen Rechten hinsichtlich Ideologien und Akteuren, Resonanz- und Mobilisierungserfolgen. Dabei untermauerte er anhand empirischer Daten seine Thesen, dass sich die radikale Rechte, insbesondere in den westlichen Ländern Europas, erneuere und zweitens, dass es nach wie vor gravierende Unterschiede des Rechtsradikalismus zwischen Ost- und Westeuropa beziehungsweise anderen westlichen Demokratien gebe. Dabei hob er beispielsweise darauf ab, dass verschiedene Länder Osteuropas aufgrund von historischen Ereignissen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (im Zuge des Ersten oder Zweiten Weltkriegs) Gebiete verloren hätten, die heute wichtige Mobilisierungsthemen der radikalen Rechten darstellten. "Wir haben es hier nicht mit einem Abwehrnationalismus gegen die ‚Zumutungen von Zuwanderung‘ zu tun wie in Westeuropa, sondern mit einem offensiven Ultranationalismus, der noch ‚offene Fragen‘ klären will – in der Regel auf Kosten von Nachbarländern oder langfristig ansässigen Minderheiten wie den Roma", so Minkenberg. Dabei würden die Politiker/-innen in ihrer Rhetorik auf rechtsextreme Regime der Zwischenkriegszeit Bezug nehmen oder zumindest auf einzelnen Repräsentanten dieser Ära.

Eine internationale Vernetzung wäre infolgedessen zunächst ein Problem – wie beispielsweise im Rahmen der Europäischen Volkspartei oder der Sozialistischen Internationale. Entsprechend sei die transnationale Zusammenarbeit im Europäischen Parlament eher dürftig. "Man sollte nicht nach Straßburg schauen, wenn man sich das Problem der Vernetzung anschauen möchte. Dort erlebe man nur die Unfähigkeit der radikalen Rechten, dauerhafte Parteienbündnisse zu schmieden, die als Gegenblock fungieren könnten", erklärt der Politikwissenschaftler. Eine enorme Vernetzung erlebe man vielmehr auf der Ebene der Bewegungen, dort werde grenzübergreifend zusammengearbeitet. Und es existiere ein transnationaler Transfer von politischen Konzepten und Ideen wie dem "Ethnopluralismus". Im Fazit verwies Minkenberg schließlich noch einmal auf die zunehmende Aufweichung des Cordon sanitaire, die gemeinsame Absage etablierter Parteien an eine Zusammenarbeit mit Parteien der radikalen Rechten. Im europäischen Vergleich zeige sich, dass diese zunehmend in Koalitionen eingebunden werden. Zwar werde ihre Arbeit dadurch besser sichtbar, aber um den Preis einer Verhärtung zuwanderungsfeindlicher Positionen in den Regierungen Europas und ihrer Politik.

Prof. Dr. Michael Minkenberg lehrt vergleichende Politikwissenschaft an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder). Er studierte in Heidelberg, Freiburg/Br., Bonn, Köln und an der Georgetown University Politikwissenschaft, Geschichte und VWL und unterrichtete in Göttingen und Heidelberg sowie an der Cornell University. Von 2007 bis 2010 war er Inhaber des Max Weber Chair for German and European Studies an der New York University. Er veröffentlichte u. a.: Die neue radikale Rechte im Vergleich. USA, Frankreich, Deutschland (1998); The Radical Right in Europe Today (2008); Transforming the Transformation? The East European Radical Right in the Political Process (als Herausgeber. 2015).

Rechtsextremismus in den USA und Russland

Anschließend an Minkenberg skizzierten Betty Dobratz und Andreas Umland sehr gegensätzliche Einblicke in den Rechtsextremismus in den USA und Russland.

Interner Link: Betty A. Dobratz: Positionspapier "Right-wing Extremism in the USA"

Dobratz skizzierte anhand von Daten des Southern Poverty Law Centers (SPLC), dass so genannte Hate Groups vor allem im Süden, Mittleren Westen und Westen der USA verbreitet seien. Allerdings habe ihre absolute Zahl in den letzten Jahren abgenommen, ihre gesellschaftliche Stigmatisierung sei zudem sehr ausgeprägt. Derzeit sei von etwa 30.000 "hardcore supporters of White Power groups" auszugehen, die Zahl der Sympathisanten und potentiellen Unterstützer liege aber de facto deutlich höher.

Es solle allerdings kein falscher Eindruck entstehen: Die White-Power-Gruppen versuchten derzeit, sich neu auszurichten und sich abseits ihres bisherigen Rufs als reine ‚Haters‘ neu zu positionieren. Es gehe zunehmend darum, sich ‚positiv‘ zu verkaufen und als ‚lovers of our own race‘ sozialisierende Identifikationsmuster anzubieten. Auch hätten einzelne Mitglieder versucht, die Tea Party zu infiltrieren, eine dem konservativen Flügel der Republikaner nahe stehende Bewegung. Aufgrund des noch immer verhärteten und absolut zentralen Rassismus allerdings mit wenig Erfolg. In jedem Fall inspiriert vom Gedankengut der White-Power-Bewegung aber seien die rechtsextremen Attentäter der letzten Jahre gewesen, die als ‚lone wolfes‘ verheerende Anschläge verüben konnten.

Weiterhin verwies Dobratz auch auf schwarze Separatistengruppen in den USA: die bekannteste ist die Nation of Islam, die sich vom Mainstream-Islam in den Staaten deutlich abgrenze. Ihr Führer Louis Farrakhan propagiere einen ‚Pro-Black-Pride‘, positioniere sich explizit gegen Weiße und sei offen antisemitisch. Letztendlich, betonte Dobratz nochmals, dass die weißen, aber auch schwarzen Separatisten insgesamt wenig Erfolg vorzuweisen hätten. Ihre Ideologie gelte für die meisten Bürgerinnen und Bürger der USA als inakzeptabel. Gleichwohl seien die Aktivitäten der Gruppen seit Jahren konstant beobachtbar und stellten somit auch zukünftig eine Herausforderung dar.

Andreas Umland hingegen zeichnete ein deutlich pessimistischeres Bild der Situation in Russland. Er konzentrierte sich auf wichtige Akteure der extremen Rechten, die mitunter erfolgreich versuchen, auf die politische Kultur Einfluss zu nehmen. Er hob beispielsweise auf den Politiker der Liberal’no-demokratičeskaja partija Rossii (LDPR), Wladimir Schirinowski, ab, der in deutschen Medien eher belächelt werde, tatsächlich aber komme sein populistisch ummantelter Rechtsextremismus an – vor allem, seitdem er gelernt habe, sich den unterschiedlichen Zielgruppen anzupassen. Dies führe dazu, dass er beispielsweise regelmäßig als Gast in Talkshows auftrete. Die zweite Person, die heute für Russland und darüber hinaus von Bedeutung ist, ist Aleksandr Dugin. Er gehörte 1993 zu den Mitgründern der National-Bolschewistischen Partei und gründete selbst 2001 die Bewegung "Eurasien”, heute Internationale Eurasische Bewegung. Dahinter verbirgt sich ein geopolitisches Konzept, das eine Ausdehnung Russlands nach Westen propagiert. Obwohl seine Thesen unter politischen Beobachtern mitunter als krude gelten, sei er doch heute ein prominenter politischer Kommentator und Publizist in Russland. Und schließlich verwies Umland auf Lev N. Gumilëvs, der bereits 1992 verstarb, dessen Gedankengut aber in der politischen Kultur Russlands bis heute fortbestehe. Es ähnele sehr dem Denken Oswald Spenglers, Denker der so genannten Konservativen Revolution der 1920er Jahre in Deutschland. Gumilëvs formuliere eine neo-rassistische Theorie und erkläre die Entwicklung der Welt als einen Aufstieg und Untergang von Ethnien respektive ‚natürlichen Gemeinschaften‘. In der Diskussion betonte Umland, dass es, anders als in den USA, in Russland nicht nur einen sehr manifesten Rechtsextremismus gebe, sondern dass Personen aus diesem Milieu, die gesamte russische Gesellschaft erheblich beeinflussten.

Prof. Dr. Betty Dobratz lehrt Soziologie an der Iowa State University. Sie studierte Soziologie an der Northern Illinois University (MA) und an der University of Wisconsin (Ph.D.). Sie veröffentlichte u. a.: "Ballots and/or Bullets”: Strategies of the White Power Movement in the United States (mit Lisa Waldner, in: Yannis Stivachtis und Stefanie Georgakis Abott (Hrsg.): Adressing Integration and Exclusion, 2014, S. 255-268; "White Power, White Pride”. The White Separatist Movement in the United States (mit Stephanie Shanks-Meile, 1997; Power, Politics and Society (mit Twayne Dobratz, Lisa Waldner und Timothy Buzzel, 2012).

Dr. Andreas Umland ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Euro- Atlantische Kooperation Kiew und Dozent für Europastudien an der Kiewer Mohyla- Akademie. Er studierte Politik- und Geschichtswissenschaft in Leipzig, Berlin, Oxford, Stanford und Cambridge. Forschungs- und Lehraufenthalte hatte er am St Antony’s College Oxford sowie an der Hoover Institution Stanford, der Uraler Staatlichen Universität, der Harvard University, der Katholischen Universität Eichstätt und der Taras- Schewtschenko-Universität Kiew. Zudem ist er Mitglied des Deutsch-Ukrainischen Forums sowie des wissenschaftlichen Beirates des Europa-Ausschusses des ukrainischen Parlaments. Er veröffentlichte u. a.: Fascism Past and Present, West and East (herausgegeben mit Roger Griffin und Werner Loh, 2004); Post-Soviet Ukrainian Right- Wing Extremism (als Gastherausgeber; Russian Politics & Law 51 (5) 2013); Rechtsradikalismus in der heutigen Ukraine (als Gastherausgeber; Форум 10 (1) 2013).

Moderiert wurde das Tandem von Prof. Dr. Ursula Münch. Sie ist seit 2011 Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing und lehrt seit 1999 Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München. Nach ihrer Promotion mit einer Dissertation zur bundesdeutschen Familienpolitik 1989 und ihrer Habilitation 1996 über "Sozialpolitik und Föderalismus", beides an der LMU München, war sie zwischen 1996 und 1999 Professur- bzw. Lehrstuhlvertreterin am Geschwister-Scholl-Institut-München. Sie publizierte zahlreiche Werke zu Parteien, Politikfeldern (u. a. Asyl- und Einwanderungspolitik, Innere Sicherheit), Föderalismus sowie zu Politik und Gesellschaft in der Bundesrepublik, Großbritannien und den USA.

Rege wurden die Vorträge von Betty Dobratz und Andreas Umland in der Kaffeepause diskutiert, besonders vor dem Hintergrund der Ausführungen von Michael Minkenberg. Es zeigte sich, dass hier bereits vielfältige Anknüpfungspunkte für die Diskussion in den folgenden fünf Vertiefungsangeboten entstanden, die im Anschluss parallel abgehalten wurden. Mit entsprechenden Erwartungen wandten sich die Teilnehmenden diesen zu.

Nach zwei Stunden Diskussion und Austausch bot ein kleiner Abendimbiss nochmals die Gelegenheit, sich zu vernetzen. Miteinander tauschten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über den Tag aus, über Positionen, Inhalte und die Relevanz für die eigene Arbeit. Deutlich wurde spätestens hier, dass es einen großen Bedarf gibt, neben aktuellen Evidenzen über das Phänomen des Rechtsextremismus auch verstärkt über Gegenstrategien zu diskutieren.

Fussnoten