Transformation statt Bruch und Eklat
Als der gerade berufene Minister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels, den deutschen Filmschaffenden in seiner Rede im Berliner Hotel Kaiserhof vom 28.3.1933 die neue Filmpolitik darstellte, fielen die Worte “Revolution“ und “radikale Neuerungen“. Was aber kam, sei vielmehr eine “Transformation“ als ein “Bruch oder Eklat“ zur Filmkultur der Weimarer Republik gewesen, erklärt Dr. Rainer Rother, künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek. Zur Integration einer gespaltenen deutschen Gesellschaft im Übergang von Weimarer Republik zum Dritten Reich, hätten die Nationalsozialisten mit der Kontinuität der Filmkultur das NS-Kino für die Bevölkerung annehmbar machen wollen. Anhand von Ausschnitten aus unter anderem den Filmen "Hitler-Junge Quex" und der Tonfilmoperette "Externer Link: Einmal eine große Dame sein" zeigt Rother beispielhaft, dass Merkmale der Weimarer Filmkultur als Reminiszenzen teils direkt erkennbar, teils versteckt im nationalsozialistischen Film übernommen wurden. Sogar Elemente des Jazz – der von den Nationalsozialisten denunzierten "verfemten Negermusik" – waren in den Filmen zu finden. Diese Filme seien durch die Zensur gekommen, so Rother, solange sie nur den von Goebbels proklamierten wichtigsten Zweck des NS-Films erfüllt hätten: die Unterhaltung.
"Tagesbedarf gegen Langeweile und Trübsal"
Happy Ends, Klischees und Illusionen – das vermittelten Film und Musik der 1930er und 1940er Jahre. "Dem Idealbild der Volksgemeinschaft entsprechend war die kulturelle Vorbildung für die Filme und Musik des Nationalsozialismus nicht ausschlaggebend", so Rother, "Homogenisierung, Konzentration und Kontrolle waren die Ziele des NS-Films." Seichte Schlager wie "Ich wollt ich wär ein Huhn" aus dem Film "Externer Link: Glückskinder" zum Beispiel liefen in der Dauerschleife in der Radiosendung "Das Wunschkonzert" – an der Front, in der Provinz und in den Städten herrschte eine "Dauerpräsenz des Schlagers". Dies trug zum "Schaffen des kleinsten Amüsements, des Tagesbedarfs gegen die Langeweile und Trübsal" bei, wie Goebbels es in seiner Kaiserhof-Rede gefordert hatte. Leichte Unterhaltung in Filmen wie etwa "Externer Link: Die große Liebe" mit Zarah Leander wurde 1942 in allen Kinos an der Heimfront als Durchhaltepropaganda für die Soldaten gezeigt.
Verkaufsschlager Unterhaltungsfilm
Neben den Unterhaltungsfilmen hätte es zwar auch Bestrebungen gegeben, eine avantgardistische Filmkultur zu schaffen – einen "genuin nationalen Film" oder anders "einen deutschen Potemkin" – wie beispielsweise Leni Riefenstahls Film "Externer Link: Der Triumph des Willens". Allerdings herrschten für die nationalsozialistische Filmkultur weder Leitlinien oder Normen wie etwa im sozialistischen Realismus, erklärt Rother. Noch konnten diese dem pragmatischen Anspruch Goebbels genügen, der die Filmkultur vorrangig als Unternehmen verstand: "Der Film musste sich verkaufen. Die Filmindustrie sollte als Industrie funktioniere", sagt Rother. Der NS-Unterhaltungsfilm sei zum Verkaufsschlager geworden – vor allem in Kriegszeiten: 1942 bis 1944 gingen jährlich über eine Milliarde Menschen ins Kino. Das Massenmedium Film habe damit zu keiner Zeit eine höhere Akzeptanz gehabt.
Tipp: Retrospektive "The Weimar Touch"
Rother ist gleichzeitig Leiter der Sektion Externer Link: Retrospektive der Berlinale. "The Weimar Touch" ist in diesem Jahr das Thema. Es werden 30 Filme gezeigt, die die Transformationsphase von der Filmkultur der Weimarer Republik zum nationalsozialistischen Propaganda-Film zeigen.
Ein Videointerview mit Rainer Rother finden Sie