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Wie ungleich ist die Welt? Ergebnisse des World Inequality Report 2022

Theresa Neef Lucas Chancel

/ 17 Minuten zu lesen

Einkommen und Vermögen sind nicht nur innerhalb von Ländern, sondern auch zwischen ihnen höchst ungleich verteilt, wie der World Inequality Report zeigt. Abhilfe schaffen könnten Mindeststeuern, ein globales Vermögensregister und eine globale Vermögenssteuer.

Einkommens- und Vermögensungleichheit ist ein weit verbreitetes Phänomen, das bis zu einem gewissen Grad unvermeidlich ist und immer im Zentrum von Debatten darüber steht, wie Gesellschaften organisiert sein sollten. Die Coronakrise hat dies unerwartet deutlich vor Augen geführt. Sie hat große Wirtschaftszweige zum Erliegen gebracht und viele Menschen damit ihrer Existenzgrundlage beraubt. Dennoch wurden in vielen Ländern sehr schnell kompensierende Unterstützungsprogramme aufgelegt, was zeigt, dass die Gesellschaften durchaus über die Machtmittel verfügen, über politische Maßnahmen Ungleichheiten zu mildern und soziale und politische Notlagen abzuwenden. Doch obwohl Ungleichheit in gesellschaftlichen Debatten einen hohen Stellenwert einnimmt, fehlen uns oft grundlegende Informationen. Zahlen zum Wirtschaftswachstum werden jährlich von Regierungen in aller Welt veröffentlicht, aber diese sagen nichts darüber aus, wie sich das Wachstum auf die Bevölkerung verteilt – und wer von der Wirtschaftspolitik profitiert und wer leer ausgeht. Der Zugang zu solchen Daten ist für die demokratische Debatte essenziell.

Der World Inequality Report 2022, auf dem die folgenden Ausführungen beruhen, ist die aktuellste Übersicht über die internationalen Forschungsbemühungen, Ungleichheiten bei Einkommen, Vermögen und Kohlenstoffemissionen im weltweiten Vergleich aufzuzeigen. Die vorgestellten Daten und Analysen beruhen auf der Arbeit von mehr als hundert Forschenden aus allen Kontinenten, die über vier Jahre hinweg zur World Inequality Database beigetragen haben, die vom World Inequality Lab in Paris gepflegt wird. Dieses umfangreiche Netzwerk arbeitet mit statistischen Ämtern, Steuerbehörden, Hochschulen und internationalen Organisationen zusammen, um länderübergreifend vergleichbare Daten zur Ungleichheit zu vereinheitlichen, zu analysieren und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Ergebnisse des Berichts zusammen und verorten Deutschland im internationalen Vergleich.

Ungleichheit – ein Überblick

Wichtige Indikatoren zur Beschreibung der Ungleichheit sind Einkommens- und Vermögensanteile am Nationaleinkommen oder Gesamtvermögen. Sie beschreiben, wie viel eine gesellschaftliche Gruppe vom Gesamteinkommen in einer Volkswirtschaft erhält oder wie viel sie vom Gesamtvermögen besitzt. Um die Gesellschaft in Gruppen einzuteilen, sortieren wir die Individuen einer Volkswirtschaft nach der Höhe ihres Einkommens oder Vermögens von den ärmsten zu den reichsten und gruppieren sie in die untersten beziehungsweise ärmsten 50 Prozent, die mittleren 40 Prozent (mitunter "Mittelschicht" genannt) und die obersten 10 Prozent. Die reichsten 1 Prozent werden oft gesondert betrachtet. In einer Gesellschaft, in der Gleichheit herrscht, würden die obersten 10 Prozent auch 10 Prozent des gesamten Nationaleinkommens erhalten, während die unteren 50 Prozent die Hälfte des Nationaleinkommens erhalten würden. Je mehr die Anteile von dieser Parität zwischen Bevölkerungsanteil und Einkommens-/Vermögensanteil abweichen, desto ungleicher ist eine Gesellschaft. So beträgt heute in vielen europäischen Ländern der Einkommensanteil der oberen 10 Prozent zwischen 30 und 40 Prozent, während der Einkommensanteil der unteren 50 Prozent in vielen Fällen unter 25 Prozent liegt.

Global gesehen nahm die Einkommensungleichheit zwischen 1820 und 1910 mit zunehmender westlicher Dominanz und Kolonialherrschaft rasant zu und blieb zwischen 1910 und 2020 auf einem sehr hohen Niveau. Aufgrund des schnellen Wachstums in den großen "Schwellenländern" hat sich die Kluft zwischen den Ländern seit 1980 etwas verringert. Jedoch nahmen Ungleichheiten innerhalb von Ländern im gleichen Zeitraum erheblich zu. Diese beiden Effekte glichen sich gegenseitig aus, sodass die globale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten weiterhin hoch blieb. Heute erhalten die reichsten 10 Prozent der Einkommensbezieher*innen etwa die Hälfte des weltweiten Einkommens. Die Vermögensungleichheit ist noch deutlich größer als die Einkommensungleichheit: Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung besitzen heute etwa drei Viertel des weltweiten Vermögens, während die ärmsten 50 Prozent über kein nennenswertes Vermögen verfügen.

Weitere Ungleichheitsachsen betreffen die Geschlechterungleichheit bei den Arbeitseinkommen sowie Ungleichheit in der Emission von Treibhausgasen: Frauen erhalten heute etwa 35 Prozent des gesamten weltweit erwirtschafteten Arbeitseinkommens, während die Parität bei 50 Prozent erreicht wäre. Kohlenstoffemissionen sind global gesehen ähnlich ungleich verteilt wie die Einkommen: Die obersten 10 Prozent der Kohlenstoffemittenten sind für fast 50 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen verantwortlich. Politische Maßnahmen zur Verringerung der globalen Emissionen sollten daher in erster Linie auf die sehr großen Emittenten abzielen.

Deutschland weist im Vergleich mit vielen westeuropäischen Ländern eine hohe Einkommensungleichheit auf. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern und zwischen den Menschen in Ost- und Westdeutschland teilen die deutsche Gesellschaft nach wie vor.

Eine globale Mindeststeuer auf – derzeit oft sehr niedrig besteuerte – Unternehmensgewinne, auf die sich 2021 mehr als 130 Länder im "Inclusive Framework on BEPS" der OECD geeinigt haben, könnte dringend benötigte Staatseinnahmen generieren. Derzeit können multinationale Unternehmen ihre Unternehmenssteuern leicht senken, indem sie einen Teil ihrer Gewinne in Steuerparadiese verlagern; die laufenden internationalen Bemühungen könnten dieser künstlichen Gewinnverlagerung bald ein Ende setzen. Aber auch manche vermögenden Privatpersonen untergraben die Progressivität unserer Einkommensteuersysteme, etwa durch Steuerflucht. Um Steuerhinterziehung einzudämmen, aber auch, um Geldwäsche und Finanzkriminalität zu bekämpfen, ist Finanztransparenz von entscheidender Bedeutung. In der Debatte über die Eindämmung der extremen Vermögenskonzentration und die Erzielung dringend benötigter Staatseinnahmen werden progressive Vermögenssteuern (wieder) als vielversprechendes Instrument ins Spiel gebracht. Wir kommen darauf am Ende unseres Beitrags zurück.

Trotz der großen Menge an Daten, die für den World Inequality Report verwendet wurden, sind wir uns durchaus bewusst, dass unsere Fähigkeit, die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensungleichheit zu messen, aufgrund zum Teil fehlender oder qualitativ minderwertiger Informationen begrenzt ist. Wir behaupten nicht, unsere Daten seien der Weisheit letzter Schluss, sondern wir wollen vielmehr deutlich machen, was wir wissen und was wir nicht wissen, und klar kennzeichnen, welche Länder in ihren Bemühungen, Statistiken zur Ungleichheit zu erstellen, bei der Datenproduktion und -veröffentlichung besser abschneiden als andere. Insbesondere ist es wichtig, dass Regierungen Forscher*innen Zugang zu zuverlässigen und detaillierten Steuerstatistiken gewähren. Nur zuverlässige Daten über Einkommen und Vermögen ermöglichen eine fundierte Debatte über die Entwicklung von Ungleichheit und darüber, was zu tun ist. Dabei sind wirtschaftliche Fragen nicht nur eine Angelegenheit von Wirtschaftswissenschaftler*innen, Statistiker*innen, Regierungsbeamt*innen oder Unternehmenschef*innen. Sie gehen alle etwas an, und es ist unser Hauptziel, die Zivilgesellschaft in dieser Debatte zu ermächtigen.

Globale Einkommens- und Vermögensunterschiede

Ein durchschnittlicher Erwachsener verdiente im Jahr 2021 etwa 23380 US-Dollar und besaß ein Vermögen von 102600 US-Dollar. Hinter diesen Durchschnittswerten verbergen sich jedoch große Unterschiede sowohl zwischen als auch innerhalb von Ländern. Die einkommensstärksten 10 Prozent der Weltbevölkerung beziehen derzeit etwa 52 Prozent des weltweiten Einkommens, während auf die ärmere Hälfte der Bevölkerung 8,5 Prozent entfällt (Abbildung 1). Im Durchschnitt verdient eine Person aus den obersten 10 Prozent der weltweiten Einkommensverteilung 122100 US-Dollar pro Jahr, während eine Person aus der ärmsten Hälfte der weltweiten Einkommensverteilung 3920 US-Dollar verdient.

Die globale Vermögensungleichheit ist noch ausgeprägter als die Ungleichheit beim Einkommen. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung besitzt so gut wie gar kein Vermögen, nämlich nur 2 Prozent des Gesamtvermögens. Im Gegensatz dazu besitzen die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung etwa 76 Prozent des gesamten Vermögens. Im Durchschnitt verfügt eine Person aus der ärmeren Hälfte der Bevölkerung über 4100 US-Dollar, während eine Person aus den obersten 10 Prozent im Durchschnitt 771300 US-Dollar besitzt.

Abbildung 2 zeigt das Niveau der Einkommensungleichheit in den einzelnen Weltregionen. Die Ungleichheit variiert erheblich zwischen der Region mit der größten Gleichheit (Europa) und der mit der größten Ungleichheit (Naher Osten und Nordafrika, zusammengefasst unter der Abkürzung MENA). In Europa liegt der Anteil der oberen 10 Prozent am Einkommen bei etwa 36 Prozent, während er in der MENA-Region 58 Prozent erreicht. Zwischen diesen beiden Extremen liegen die anderen Weltregionen. In Ostasien etwa beziehen die obersten 10 Prozent der Einkommenspyramide 43 Prozent des Gesamteinkommens, in Lateinamerika 55 Prozent.

Die Weltkarte der Ungleichheit (Abbildung 3) zeigt, dass sich vom durchschnittlichen nationalen Einkommensniveau nur schlecht auf den Grad der Ungleichheit schließen lässt: Unter den Ländern mit hohem Durchschnittseinkommen gibt es einige sehr ungleiche (zum Beispiel die USA), während andere relativ gleich sind (etwa Schweden). Das Gleiche gilt für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen, von denen einige eine extreme Ungleichheit aufweisen (etwa Brasilien und Indien), andere ein relativ hohes Ungleichheitsniveau (zum Beispiel China) und wieder andere ein moderates bis relativ niedriges Niveau (etwa Malaysia oder Uruguay).

Vermögen konzentriert sich stärker in den Händen weniger Menschen als das Einkommen, doch ähnliche regionale Muster sehen wir auch hier. Lateinamerika und die MENA-Region sind die Regionen mit der größten Vermögensungleichheit (Abbildung 4). In diesen beiden Weltregionen besitzen die reichsten 10 Prozent mehr als drei Viertel des gesamten Haushaltsvermögens. In Europa, der Weltregion mit der größten Gleichheit, besitzen die reichsten 10 Prozent immer noch etwa 58 Prozent des gesamten Vermögens. Der Vermögensanteil der ärmeren Hälfte der Bevölkerung beträgt in allen Regionen weniger als 5 Prozent.

Die globalen Ungleichheiten sind heute in etwa so groß wie auf dem Höhepunkt des westlichen Imperialismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung bezieht heute einen Anteil am globalen Einkommen, der etwa halb so groß ist wie 1820, als die Schere zwischen den westlichen Ländern und ihren Kolonien noch nicht auseinanderklaffte (Abbildung 5). Es liegt offenkundig noch ein langer Weg vor uns, um die globalen wirtschaftlichen Ungleichheiten zu beseitigen, die sich aus der sehr ungleichen Organisation der Weltproduktion zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts ergeben haben.

Die relativ geringe Dynamik der weltweiten Einkommensungleichheit sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich unter der Oberfläche erhebliche Veränderungen vollzogen haben: Während die Ungleichheit der Durchschnittseinkommen zwischen den Ländern in den vergangenen beiden Jahrzehnten zurückgegangen ist, haben sich die Ungleichheiten innerhalb der Länder erheblich verschärft. Dieser starke Anstieg der Ungleichheit innerhalb der einzelnen Länder hat dazu geführt, dass das Level an Ungleichheit in der Welt trotz des wirtschaftlichen Aufholprozesses und des starken Wachstums in den "Schwellenländern" auch heute noch bemerkenswert hoch ist. Die Einkommensungleichheit innerhalb einzelner Länder ist heute tatsächlich größer als die nach wie vor erheblichen Ungleichheiten zwischen den Ländern.

Im Gegensatz zum Einkommen, das beständig fließt, ist das Vermögen ein Bestand, eine wirtschaftliche Ressource, die im Laufe der Zeit akkumuliert wird. Wichtig ist, zwischen öffentlichem und privatem Vermögen zu unterscheiden. In den vergangenen 40 Jahren sind viele Gesellschaften deutlich reicher, ihre Regierungen jedoch deutlich ärmer geworden. Der Anteil des von öffentlichen Akteur*innen gehaltenen Vermögens geht in den reichen Ländern gegen Null oder ist negativ, was bedeutet, dass sich das gesamte Vermögen in privaten Händen befindet (Abbildung 6). Dieser Trend wurde durch die Coronakrise noch verstärkt, in deren Verlauf die Regierungen Kredite in Höhe von 10 bis 20 Prozent des BIP aufnahmen, im Wesentlichen vom privaten Sektor. Das gegenwärtig geringe Vermögen der öffentlichen Hand hat weitreichende Auswirkungen darauf, inwiefern ein Staat in Zukunft imstande ist, Ungleichheit zu bekämpfen und sich den zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzunehmen.

Das Privatvermögen stieg sowohl innerhalb der Länder als auch auf globaler Ebene in sehr unterschiedlichem Maße an. Globale Multimillionär*innen haben seit 1995 einen überproportionalen Anteil des globalen Vermögenswachstums erhalten. Auf das reichste 1 Prozent entfallen 38 Prozent des gesamten seit Mitte der 1990er Jahre zusätzlich angehäuften Vermögens, während die unteren 50 Prozent nur 2 Prozent von diesem Zuwachs abbekommen haben. Dieser ungleiche Vermögenszuwachs zwischen den oberen und den unteren Gruppen ist auf erhebliche Unterschiede bei den Wachstumsraten zurückzuführen. Das Vermögen der reichsten Menschen auf der Erde ist seit 1995 um 6 bis 9 Prozent pro Jahr gewachsen, während das durchschnittliche Vermögen nur um 3 Prozent pro Jahr gestiegen ist.

Wenn wir einen längeren Zeithorizont betrachten, ändert sich das Bild etwas: Die Vermögensungleichheit in den Vereinigten Staaten und Europa wurde zwischen dem frühen 20. Jahrhundert und den 1980er Jahren deutlich verringert, aber die ärmste Hälfte der Bevölkerung besaß in diesen Ländern gleichwohl immer nur sehr wenig, etwa zwischen 2 und 7 Prozent des Gesamtvermögens.

Geschlechterungleichheit, CO2-Emissionen und Klimawandel

Der World Inequality Report 2022 liefert auch erste globale Schätzungen zur geschlechterspezifischen Ungleichheit beim Arbeitseinkommen. Insgesamt lag der Anteil, den Frauen am globalen Arbeitseinkommen erhielten, in den frühen 1990er Jahren bei etwa 30 Prozent; auch heute noch liegt er bei nur 35 Prozent. In einer geschlechtergerechten Welt würden Frauen 50 Prozent des gesamten Arbeitseinkommens verdienen. In den vergangenen 30 Jahren wurden auf globaler Ebene hier nur sehr wenige Verbesserungen erzielt. Die Dynamik war von Land zu Land unterschiedlich: Während in einigen Ländern Fortschritte zu verzeichnen waren, ging in anderen, etwa in China, der Anteil, den Frauen am gesamten Arbeitseinkommen erhalten, zurück (Abbildung 7).

Eine vergleichsweise neue Frage globaler Ungleichheit betrifft den Klimawandel und die mit ihm verbundene Freisetzung klimaschädlicher Treibhausgase. Die Kohlenstoffemissionen sind ähnlich ungleich verteilt wie die weltweiten Einkommen. Im Durchschnitt stößt ein Mensch pro Kopf und Jahr 6,6 Tonnen Kohlendioxidäquivalent aus. Ein neuer Datensatz zur Ungleichheit bei Kohlenstoffemissionen zeigt, dass die 10 Prozent der weltweit größten Emittenten für fast 50 Prozent aller Emissionen verantwortlich sind, während jene 50 Prozent mit den geringsten Emissionen etwa 12 Prozent der Gesamtemissionen verursachen.

Allerdings sind diese Ungleichheiten nicht nur ein Problem zwischen reichen und armen Ländern. Auch in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gibt es große Emittenten und in reichen Ländern kleine Emittenten. In Europa emittieren die 50 Prozent der Bevölkerung mit den geringsten Emissionen etwa fünf Tonnen pro Jahr und Person, in Ostasien etwa drei Tonnen und in Nordamerika etwa 10 Tonnen. Dies steht in starkem Kontrast zu den Emissionen der oberen 10 Prozent in diesen Regionen. Diese emittieren 29 Tonnen in Europa, 39 in Ostasien und 73 in Nordamerika (Abbildung 8).

Während die ärmsten 50 Prozent der Bevölkerung in den wohlhabenden Ländern die von diesen Ländern für 2030 gesetzten Klimaziele bereits mehr oder weniger einhalten (wenn diese Ziele pro Kopf umgerechnet werden), ist dies bei der einkommensstärkeren Hälfte der Bevölkerung nicht der Fall. Bislang haben klimapolitische Maßnahmen wie CO2-Steuern oft unverhältnismäßig starke Auswirkungen auf Gruppen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, während die Konsumgewohnheiten der wohlhabenden Bevölkerungsschichten unverändert bleiben. Hier könnte sich die Klimapolitik stärker auf reiche Verschmutzer*innen ausrichten.

Deutschland im Vergleich

Deutschland gehört heute zu den europäischen Ländern mit der höchsten Einkommens- und Vermögenskonzentration. Die obersten 10 Prozent der Einkommensbezieher*innen erhalten in Deutschland etwa 40 Prozent des gesamten Nationaleinkommens, während sie in Frankreich nur etwa 32, im Vereinigten Königreich etwa 36 und in der Schweiz 33 Prozent des Einkommens beziehen. Auf die Hälfte der Bevölkerung mit den niedrigsten Einkommen entfällt weniger als 20 Prozent des Gesamteinkommens. Allerdings ist der Grad der Einkommenskonzentration in Deutschland noch deutlich von den Vereinigten Staaten entfernt, wo die obersten 10 Prozent etwa 45 Prozent des Gesamteinkommens für sich beanspruchen können.

Deutschland blickt in Bezug auf Einkommensungleichheit auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Durch die Industrialisierung stieg die Einkommenskonzentration bei den reichsten Deutschen von den 1870er Jahren bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs leicht an. Während des Ersten Weltkriegs verursachten die hohen Unternehmensgewinne in der Schwerindustrie einen starken Anstieg der Ungleichheit. Die 10 Prozent der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen erhielten Mitte der 1910er Jahre fast 50 Prozent des Gesamteinkommens. Erst in der Zeit der Weimarer Republik, die durch die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre und die Auswirkungen der Großen Rezession Anfang der 1930er Jahre geprägt war sowie durch erhebliche Lohnerhöhungen infolge der Einführung von Tarifverträgen, gingen die Einkommensanteile der Spitzenverdiener*innen stark zurück. In der Zeit des Nationalsozialismus nahm die Ungleichheit wieder zu, was vor allem auf die hohen Unternehmensgewinne in den kriegsrelevanten Industrien zurückzuführen ist. Nach einem Rückgang der Ungleichheit in der unmittelbaren Nachkriegszeit übertraf die Einkommenskonzentration bei den obersten 1 Prozent bald wieder das Vorkriegsniveau. Dies steht im Widerspruch zu der weitverbreiteten Ansicht, dass die soziale Marktwirtschaft das Niveau der Ungleichheit niedrig gehalten habe. Seit Ende der 1990er Jahre nahm die Ungleichheit wieder rasch zu. Mitte der 1990er Jahre verdienten die oberen 10 Prozent kaum mehr als 30 Prozent des Gesamteinkommens, heute beträgt der Anteil wieder etwa 40 Prozent. Die Einkommenskonzentration bei den obersten 10 Prozent der Einkommensbezieher*innen ist damit heute etwa genauso hoch wie um 1900.

Die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und zwischen Ost- und Westdeutschland spaltet die deutsche Gesellschaft nach wie vor. Nur etwa 36 Prozent des gesamten deutschen Arbeitseinkommens entfällt auf Frauen – Parität wäre bei 50 Prozent erreicht. Dies ist vergleichbar mit dem Niveau in ganz Westeuropa, wenn auch etwas niedriger als in Frankreich (41 Prozent) oder Großbritannien (38 Prozent). Ein Grund hierfür: Deutschland weist nach wie vor eine der größten Einkommensbenachteiligungen für Mütter auf. Und auch dreißig Jahre nach der deutschen Vereinigung gibt es zwischen ost- und westdeutschen Haushalten immer noch deutliche Unterschiede bei Einkommen, Vermögen und Lebensstandard. Das verfügbare mittlere Einkommen in Ostdeutschland beträgt auch heute noch nur 85 Prozent des westdeutschen Durchschnitts, das durchschnittliche Vermögen ostdeutscher Haushalte beträgt sogar weniger als 50 Prozent des westdeutschen Durchschnitts. Ostdeutsche sind unter den Spitzenverdiener*innen nach wie vor unterrepräsentiert, da sie weiterhin oft wesentlich geringere Unternehmenseinkünfte erzielen als westdeutsche Unternehmer*innen.

Hinsichtlich der Vermögenskonzentration hat sich Deutschland im Laufe des 20. Jahrhunderts von einem der relativ gleichsten europäischen Länder (für das uns Daten vorliegen) zum ungleichsten entwickelt. Heute besitzen die reichsten 1 Prozent in Deutschland fast 30 Prozent des gesamten Privatvermögens. Dieser Anteil ist etwas höher als in Frankreich, aber wesentlich niedriger als in den USA, wo die obersten 1 Prozent etwa 35 Prozent des Gesamtvermögens besitzen. Allerdings hat die Vermögensungleichheit im 20. Jahrhundert im Vergleich zum 19. Jahrhundert deutlich abgenommen: Während 1895 das reichste 1 Prozent der Deutschen etwa 50 Prozent des Vermögens besaß, hat sich dieser Anteil in den 1950er Jahren auf weniger als 25 Prozent halbiert. Seitdem ist der Anteil nur noch geringfügig gestiegen. Gleichwohl hat sich die Vermögensverteilung seit der Wiedervereinigung zunehmend polarisiert: Die wohlhabende Hälfte der Bevölkerung konnte ihr durchschnittliches Nettovermögen verdoppeln, und zwar durch Wertsteigerungen bei Unternehmensvermögen für die Reichsten und Wertsteigerungen bei Immobilien für die Mittelschicht. Das reale durchschnittliche Privatvermögen der ärmsten 50 Prozent stagnierte hingegen.

Innerhalb der Europäischen Union ist Deutschland zudem einer der größten CO2-Emittenten: Während der durchschnittliche "Fußabdruck" in der EU 9,5 Tonnen CO2 pro Kopf beträgt, liegt er in Deutschland bei über 11 Tonnen.

Umverteilung des Wohlstands als Investition in die Zukunft

Der Aufstieg der modernen Wohlfahrtsstaaten im 20. Jahrhundert war mit enormen Fortschritten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Chancen für alle verbunden. Diese wurden jedoch nur durch die Einführung deutlich progressiver Steuersätze möglich. Ähnliche Investitionen und eine erhebliche Umverteilung von Einkommen und Vermögen werden notwendig sein, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.

Ungleichheit und Umverteilung waren schon immer das Resultat politischer Entscheidungen, und prinzipiell sind viele Maßnahmen für die Umverteilung des Wohlstands und für Investitionen in die Zukunft denkbar. Wir werden uns in unserem Ausblick auf drei beschränken.

Die Globalisierung ermöglicht es multinationalen Unternehmen, ihre Gewinne in Steuerparadiese zu verlagern und ihre Steuerlast zu senken. Etwa 36 Prozent der multinationalen Gewinne werden jedes Jahr in Steuerparadiese verlagert. Gleichzeitig und teilweise als Reaktion auf die Gewinnverlagerungsmöglichkeiten haben viele Länder ihre Unternehmenssteuern gesenkt. Infolgedessen ist der weltweite durchschnittliche nominale Unternehmenssteuersatz zwischen 1985 und 2018 um mehr als die Hälfte gesunken, von 49 auf 24 Prozent. Dieser Unterbietungswettbewerb kann die Progressivität der nationalen Steuersysteme untergraben, da die Nutznießer*innen der Unternehmensgewinne in der Regel die Unternehmenseigentümer*innen und Aktionär*innen sind, die sich an der Spitze der Einkommensverteilung befinden. Um dieses Problem anzugehen, haben sich im Juni 2021 mehr als 130 Länder, koordiniert durch das "Inclusive Framework" der OECD, darauf geeinigt, multinationale Gewinne mit einer Mindeststeuer von 15 Prozent zu belegen. Sollte eine globale Mindeststeuer in Kraft treten, würde sie einige der extremsten Formen des Steuerwettbewerbs abschwächen, wie zum Beispiel die Tatsache, dass einige Länder Nullsteuersätze anbieten. Sie würde außerdem künstliche Gewinnverschiebungen verringern und könnte so erhebliche Staatseinnahmen schaffen.

Darüber hinaus ist auch die Steuerhinterziehung durch vermögende Privatpersonen ein Problem für die Staatshaushalte, denn auch sie untergräbt die Progressivität der nationalen Steuersysteme. Finanzielle Intransparenz macht es wohlhabenden Steuerflüchtlingen leicht, ihr Vermögen in Treuhandgesellschaften, Stiftungen und Briefkastenfirmen zu verlagern. Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa 8 Prozent des weltweiten Finanzvermögens der privaten Haushalte oder das Äquivalent von 10 Prozent des globalen BIP in Steueroasen gehalten werden. Die Steuereinnahmen, die auf diese Weise allein der EU entgehen, werden auf 50 bis über 100 Milliarden Euro jährlich geschätzt.

Um der Steuerhinterziehung weltweit ein Ende zu setzen, ist die Schaffung umfassender finanzieller Transparenz durch ein globales Vermögensregister notwendig. Die ersten Bausteine für ein solches Register sind bereits vorhanden: Auf OECD-Ebene wurde mit dem "Common Reporting Standard" (CRS) die Grundlage für den automatischen Austausch von Informationen über Finanzvermögen, vor allem Bankkonteninformationen, zwischen den Finanzbehörden geschaffen. Der CRS trat in den Jahren 2017 und 2018 in Kraft. Bis 2020 hatten sich mehr als 100 Länder diesem automatischen Informationsaustausch angeschlossen. Darüber hinaus mussten die EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen der EU-Geldwäscherichtlinie Transparenzregister einrichten, die Auskunft über die wirtschaftlichen Eigentümer von Unternehmen geben. Für den Aufbau eines umfassenden Registers zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung benötigen wir jedoch auch Informationen darüber, wer Anteile an Unternehmen, Immobilien oder Luxusgüter wie Yachten oder Kunstwerke besitzt. Informationen über Anleihen und Aktien werden von staatlichen und privaten "Zentralverwahrern" (etwa der Depository Trust Company in den USA oder Clearstream und Euroclear für in der EU ausgegebene Wertpapiere) erfasst, deren Zugang aber nicht immer kostenlos oder öffentlich ist. Informationen darüber, wer Eigentümer*in von Immobilien ist, werden in der Regel in nationalen Registern erfasst, ohne dass bisher ein systematischer grenzüberschreitender Informationsaustausch stattfindet.

Ein globales Vermögensregister könnte schließlich auch als Informationsgrundlage für die Einführung einer globalen Vermögenssteuer dienen. Angesichts der hohen Vermögenskonzentration können schon moderate progressive Steuern der öffentlichen Hand erhebliche Einnahmen generieren. Die erzielten Einnahmen könnten dann in Bildung, Gesundheit und die notwendige ökologische Transformation reinvestiert werden.

Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der World Inequality Report 2022 wurde von Lucas Chancel, Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman koordiniert. Er basiert auf den Forschungsergebnissen des World Inequality Lab in Paris. Ziel des Reports ist es, den weltweiten Debatten über Ungleichheit die aktuellsten und vollständigsten verfügbaren Daten zur Verfügung zu stellen. Siehe Externer Link: https://wid.world.

  2. Vgl. Externer Link: http://www.oecd.org/tax/beps.

  3. Alle monetären Werte sind ausgedrückt in Kaufkraftparität (KKP), jahresdurchschnittlicher Wechselkurs 2021.

  4. Vgl. Lucas Chancel, Global Carbon Inequality 1990–2019, in: Nature Sustainability 2022 (i.E.).

  5. Vgl. Charlotte Bartels, Top Incomes in Germany, 1871–2014, in: The Journal of Economic History 3/2019, S. 669–707; Thomas Blanchet/Lucas Chancel/Amory Gethin, Why is Europe More Equal than the United States?, in: American Economic Journal: Applied Economics 2022 (i.E.).

  6. Vgl. Bartels (Anm. 5), S. 678, Abb. 2.

  7. Zu beachten ist, dass in diesen Anteil aufgrund der Konstruktion des Indikators als Aggregat aller von Männern und Frauen bezogenen Arbeitseinkommen sowohl ungleiche Entlohnung als auch ungleiche Erwerbsbeteiligung einfließen.

  8. Vgl. Henrik Kleven et al., Child Penalties across Countries: Evidence and Explanations, in: AEA Papers and Proceedings 109/2019, S. 122–126; Julia Schmieder/Katharina Wrohlich, Gender Pay Gap im europäischen Vergleich: Positiver Zusammenhang zwischen Frauenerwerbsquote und Lohnlücke, DIW Wochenbericht 9/2021, S. 141–147; Annekatrin Schrenker/Katharina Wrohlich, Gender Pay Gap ist in den letzten 30 Jahren fast nur bei Jüngeren gesunken, DIW Wochenbericht 9/2022, S. 149–154. Für eine allgemeine Diskussion der Muster und Ursachen ungleicher Lohneinkommen zwischen den Geschlechtern siehe Francine D. Blau/Lawrence M. Kahn, The Gender Wage Gap: Extent, Trends, and Explanations, in: Journal of Economic Literature 3/2017, S. 789–865; Sophie Ponthieux/Dominique Meurs, Gender Inequality, in: Anthony Atkinson/Francois Bourguignon (Hrsg.), Handbook of Income Distribution, Vol. 2A, Amsterdam 2015, S. 981–1146.

  9. Vgl. Peter Krause, 30 Jahre seit dem Mauerfall: Fortschritte und Defizite bei der Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland, DIW Wochenbericht 45/2019, S. 827–838.

  10. Vgl. Thilo Albers/Charlotte Bartels/Moritz Schularick, Wealth and Its Distribution in Germany 1895–2018, CESifo Working Paper Nr. 9739/2022.

  11. Vgl. Stefan Bach/Charlotte Bartels/Theresa Neef, When Capitalism Takes Over Socialism: The National Income Distribution in East and West Germany since 1992, unveröffentlichtes Manuskript 2022. Eine frühere Version des Artikels findet sich in: Raj Chetty et al. (Hrsg.), Measuring Distribution and Mobility of Income and Wealth, Chicago 2021, Externer Link: http://www.nber.org/system/files/chapters/c14457/c14457.pdf.

  12. Vgl. Albers/Bartels/Schularick (Anm. 10).

  13. Vgl. Thomas Tørsløv/Ludvig Wier/Gabriel Zucman: The Missing Profits of Nations, in: Review of Economic Studies 2022 (i.E.).

  14. Die Umsetzung des Abkommens wird derzeit in den Ländern verhandelt. Allerdings gab es einige Rückschläge im Umsetzungsprozess in der EU und den USA. Zudem untergraben womöglich einige Details wie zum Beispiel ein aktivitätsbezogener Freibetrag ("substance-based carve-out") oder der recht niedrige Steuersatz die Wirksamkeit des Abkommens.

  15. Vgl. Mona Baraké et al., Revenue Effects of the Global Minimum Tax: Country-by-Country Estimates, EU Tax Observatory, Note No. 2, Oktober 2021.

  16. Untersuchungen zeigen, dass die Offshore-Steuerflucht vor allem von Vermögenden begangen wird. Siehe Annette Alstadsæter/Niels Johannesen/Gabriel Zucman, Tax Evasion and Inequality, in: American Economic Review 6/2019, S. 2073–2103; John Guyton et al., Tax Evasion at the Top of the Income Distribution: Theory and Evidence, NBER Working Paper 28542/2021.

  17. Vgl. Annette Alstadsæter/Niels Johannesen/Gabriel Zucman, Who Owns the Wealth in Tax Havens? Macro Evidence and Implications for Global Inequality, in: Journal of Public Economics 162/2018, S. 89–100.

  18. Eine Zusammenfassung dieses Themas findet sich in der Literaturdatenbank des EU Tax Observatory unter Externer Link: http://www.taxobservatory.eu/repository/scale-of-tax-evasion-individuals.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Theresa Neef, Lucas Chancel für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Osteuropa-Koordinatorin des Word Inequality Lab und Researcher am EU Tax Observatory an der Paris School of Economics (PSE). Sie promoviert an der Freien Universität Berlin.
E-Mail Link: theresa.neef@psemail.eu

ist Co-Direktor des World Inequality Lab an der Paris School of Economics (PSE) und Professor für Ökonomie an der Sciences Po in Paris.
E-Mail Link: lucas.chancel@psemail.eu