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Krisenbedingungen der Weimarer Republik | Weimarer Republik | bpb.de

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Krisenbedingungen der Weimarer Republik

Thomas Raithel

/ 13 Minuten zu lesen

Weimar = Krise?! Schon von Zeitgenossen wurde die junge Republik oftmals als krisenhaft wahrgenommen. Die Geschichtswissenschaft hat das Narrativ der krisenhaften Republik schließlich fortgeschrieben. Doch worin bestanden die Krisenbedingungen der Weimarer Republik? Eine Bestandsaufnahme.

Ein Bäckermeister zählt 1923 während der großen Inflation seine Tageseinnnahmen. Während der Inflationskrise stiegen die Preise für Lebensmittel und andere Waren in unermessliche Höhen. (© picture-alliance/akg)

Kurz zusammengefasst

  • Krisen waren in der Zeit der Weimarer Republik allgegenwärtig und prägten auch die Wahrnehmung der Zeitgenossen.

  • Die verschiedenen Krisen speisten sich vielfach aus politischen und wirtschaftlichen Strukturproblemen, waren aber auch bedingt durch gesellschaftspolitische Spannungen zwischen Vertretern "alter" Ordnungen und Traditionen und Befürwortern einer demokratischen Modernisierung.

  • Allerdings: Die Instabilität und Krisenhaftigkeit der Weimarer Demokratie war kein Sonderfall, sondern eine in gewisser Weise europäische Normalität der Zwischenkriegszeit.

Die Weimarer Republik im Zeichen der Krise

Die Geschichte der Weimarer Republik wird in der Regel mit dem Begriff der Krise verbunden. Dies ist insofern berechtigt, als es massive politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Problemlagen gab, die immer wieder zu Zuspitzungen führten – etwa im "Krisenjahr" 1923, in dem sich Hyperinflation, Ruhrkampf, Regierungs- und Parlamentskrisen sowie ein Interner Link: nationalsozialistischer Putschversuch ballten. Die vielfältigen Schwierigkeiten waren schwere Belastungen für die erste parlamentarische Demokratie in Deutschland, und sie schufen Voraussetzungen für den Aufstieg und die Machtübernahme des Interner Link: Nationalsozialismus. Das Bild einer zutiefst krisenhaften Republik besaß freilich immer auch Charakteristika eines Konstrukts, dem eine spezifische Funktion zukam. Dies begann bereits mit den zeitgenössischen Urteilen, bei denen die Krisendiagnose vielfach standortgebunden war: So nahm ein Gegner der parlamentarischen Regierungsform bestimmte Erscheinungen des politischen Lebens kritischer wahr als ein Befürworter. Generell ist allerdings festzustellen, dass die Neigung zur Krisenperzeption und damit verbunden ein Gefühl der Unsicherheit unter den Zeitgenossen der Weimarer Republik weit verbreitet war.

Für die bundesdeutsche Selbstwahrnehmung gewann das Krisenparadigma dann grundlegende Bedeutung. "Weimar" diente über Jahrzehnte hinweg als Negativfolie, von der sich die eigenen Verhältnisse positiv abheben ließen: Interner Link: "Bonn ist nicht Weimar". Wenngleich die Historiografie inzwischen ein differenziertes und weniger düsteres Weimarbild zeichnet, ist "Weimar" gegenwärtig als Negativkontrast in aktuelle Debatten zurückgekehrt. Im Folgenden geht es in einem doppelten Sinne um Krisenbedingungen der Weimarer Republik. Skizziert werden zum einen die wichtigsten Herausforderungen und Konfliktfelder sowie zum anderen die Strukturen des politischen Systems, das mit der Problembewältigung befasst war. Da diese innenpolitischen Strukturen nicht selten selbst zum Problem wurden, soll hier der Schwerpunkt der Darstellung liegen. Die krisenhaften Aspekte, die im Mittelpunkt dieses Beitrags stehen, dürfen freilich nicht verabsolutiert werden. Die Weimarer Republik war Interner Link: nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt, und ihre Entwicklungen dürfen nicht allein im Hinblick auf das Jahr 1933 bewertet werden. Die Weimarer Zeit war auch eine Epoche vielfältiger Potentiale, verheißungsvoller Aufbrüche und großer Leistungen – Interner Link: nicht nur im kulturellen Bereich. Und bis zum Schluss gab es immer auch Situationen, in denen ein anderer Weg hätte eingeschlagen werden können.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass zwischen den Weltkriegen auch in anderen Teilen Europas und der Welt mehr oder minder schwerwiegende Krisenerscheinungen auftraten. Die Einordnung der Weimarer Republik in dieses größere Szenarium der europäischen und globalen "Zwischenkriegszeit" stellt eine schwierige Aufgabe dar, der sich die Geschichtswissenschaft zunehmend stellt.

Wirtschaftliche Probleme und sozialpolitische Grenzen

Die Wirtschaft der Weimarer Republik war von schwerwiegenden Strukturproblemen gekennzeichnet. Dies betraf zum einen die vielfach veraltete Landwirtschaft. Obwohl sie in der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung bereits vor 1914 von der Industrie überflügelt worden war, stellte sie immer noch einen wichtigen Sektor des Wirtschaftslebens dar. Die unter globalem Konkurrenzdruck stehenden und mit fallenden Preisen für Agrarprodukte konfrontierten Landwirte erwarteten Hilfen vom Staat, die dieser angesichts seiner schwierigen Finanzlage kaum gewähren konnte. Ende der 1920er Jahre, bereits Interner Link: vor Beginn der Weltwirtschaftskrise, führte die Agrarkrise in manchen Regionen zu heftigen bäuerlichen Protesten und zu einer Radikalisierung der Wählerschaft. Politisch brisant war Interner Link: in der Endphase der Republik zudem die wirtschaftliche Krise der ostelbischen Großgrundbesitzer.

Demonstration von Berliner Metallarbeitern gegen das Sparprogramm der Regierung Brüning während der Wirtschaftskrise. (© picture-alliance, akg-images)

Strukturelle Probleme herrschten zum anderen auch in der Industrie, die von Kapitalmangel, Überkapazitäten und insgesamt von einer Wachstumsschwäche gekennzeichnet war. Weltwirtschaftliche Faktoren, insbesondere auch ein hohes Maß an Interner Link: Protektionismus, spielten eine wichtige Rolle. Kontrovers beurteilt wird in der Forschung die schon zeitgenössische Annahme, dass ein zu starkes sozialpolitisches Engagement des Staates – mit Folgen für Steuerlast und Kreditwesen – sowie ein zu hohes Lohnniveau mitverantwortlich für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewesen seien. In der Weimarer Republik führten diese Konfliktthemen zu einer zunehmenden Konfrontation zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaften, nachdem die anfängliche Kooperation schon bald zerbrochen war. Infolge des Systems staatlicher Zwangsschlichtung von Tarifkonflikten wuchs gleichzeitig auf Unternehmerseite die Kritik am Weimarer Staat.

Die für die Weimarer Zeit ebenfalls charakteristischen Anstrengungen, die Industrie zu modernisieren, blieben ambivalent: Einerseits stellte der Rationalisierungsboom der 1920er Jahre eine notwendige weltwirtschaftliche Anpassung dar, andererseits war er belastend für einen Arbeitsmarkt, auf dem infolge der allgemeinen Wirtschaftsschwäche schon vor 1929 eine erhebliche Interner Link: Sockelarbeitslosigkeit herrschte. Die beiden großen ökonomischen Krisenkomplexe der Zwischenkriegszeit – Nachkriegsinflation und Weltwirtschaftskrise – haben Deutschland jeweils stark getroffen. Nachdem die bereits im Ersten Weltkrieg einsetzende Inflation zu Beginn der Republik auch wirtschaftliche Vorteile gebracht hatte, schlug die Entwicklung seit Ende 1922 unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Reparationsfrage und des Ruhrkampfes in eine wirtschaftlich und sozial fatale Interner Link: Hyperinflation um, die das Vertrauen vieler Bürger in den Staat schwer beschädigte. Die seit Herbst 1923 vollzogene Währungsstabilisierung war dann zweifellos ein finanzpolitischer Erfolg; vor allem aufgrund kurzfristiger Kredite aus den USA konnte nun vorübergehend eine gewisse wirtschaftliche Erholung stattfinden.

Ein deutscher Arbeitsloser auf Arbeitssuche während der Weltwirtschaftskrise, um 1930. (© Bundesarchiv, Bild 183-N0904-318)

Das schnelle Übergreifen der von den Vereinigten Staaten ausgehenden Weltwirtschaftskrise nach Deutschland im Herbst 1929, der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und die rasche Überforderung der 1927 eingeführten Arbeitslosenversicherung brachten schließlich ein breites wirtschaftliches Krisenbewusstsein zum Durchbruch. Die rigide Sparpolitik unter Reichskanzler Brüning, deren Beurteilung auch innerhalb der Forschung weiterhin kontrovers ist, beschleunigte in dieser Situation den Vertrauensschwund und das Erstarken der politischen Extreme (Interner Link: KPD und Interner Link: NSDAP). Insgesamt zogen die wirtschaftlichen Schwächen enge Grenzen für die Möglichkeiten des zunächst durchaus ambitionierten und in mancherlei Hinsicht wegweisenden Weimarer Sozialstaates. Dies wiederum verminderte die soziale Integrationskraft der jungen Republik.

Soziokulturelle Spannungen und Widersprüche

In soziokultureller Hinsicht herrschten in der Weimarer Republik große Differenzen zwischen der an Breite gewinnenden Interner Link: "klassischen Moderne" und den immer noch starken Kräften der Tradition. Dies betraf nicht nur die Hochkultur – man denke etwa an die Konflikte um moderne Malerei und moderne Architektur –, sondern auch das alltägliche Leben der Menschen. Die Widersprüche zwischen Interner Link: alten und neuen weiblichen Rollenbildern – zwischen "neuer Frau" und traditionellem Mutterideal – sind hierfür ein Beispiel unter vielen. Allerdings darf kein einseitiges Bild gezeichnet werden: Es gab zwischen Tradition und Moderne nicht nur Gegensätze und Konflikte, sondern auch manche Überlappungen und Synthesen. Vor allem die Architektur bietet hierfür zahlreiche Beispiele: So nahm etwa das erste Münchner Hochhaus, das 1929 fertiggestellte Technische Rathaus, Formelemente der lokalen Baugeschichte auf.

Deutlich ausgeprägt war die transnationale Dimension einer Modernität, die einerseits Begeisterung, andererseits aber auch Verunsicherungen und kulturpessimistische Widerstände hervorrief. Die Vereinigten Staaten wurden gleichermaßen zum Vor- und Schreckbild und der Begriff "Amerika" zu einer Chiffre des Neuen, das sich vor allem in den Großstädten entfaltete. Zudem entstand mit der wachsenden Angestelltenschaft im Dienstleistungsgewerbe – neben der schon im Kaiserreich etablierten Industriearbeiterschaft – eine weitere neue urbane Bevölkerungsgruppe. Die Provinz blieb hingegen meist traditionsverhaftet, und die bereits im späten Interner Link: Kaiserreich ausgebildete kulturpessimistische und häufig antisemitische Großstadtfeindschaft intensivierte sich.

In der Weimarer Zeit herrschten auch soziokulturelle Spannungen, die sich nicht der Dichotomie von Tradition und Moderne zuordnen lassen: Exemplarisch erwähnt seien etwa die konfessionellen Konflikte, die der politischen Kooperation hinderliche Beharrungskraft der sozialmoralischen Milieus und die Probleme der Jugend. Infolge hoher Geburtenraten im späten Kaiserreich war diese junge Bevölkerungsgruppe, die über ein zunehmendes Eigenbewusstsein verfügte, stark angewachsen; Arbeitsmarkt und Gesellschaft boten ihr jedoch oft nur wenig Chancen.

Eine Berliner Arbeiterfamilie teilt sich in Krisenzeiten eine magere Mahlzeit. (© picture-alliance, Mary Evans Picture Library, WEIMA)

Außen- und Militärpolitik im Schatten des Ersten Weltkriegs

Außen- und militärpolitische Fragen bildeten einen wichtigen Aspekt der Belastungen, mit denen die Weimarer Republik konfrontiert war. Prägend wurde die Ausgangssituation der Kriegsniederlage. Das Deutsche Reich war für viele, die noch lange von einem glänzendem "Siegfrieden" geträumt hatten, überraschend und kaum nachvollziehbar geschlagen worden. Es musste sich Friedensbedingungen unterwerfen, die nahezu im gesamten politischen Spektrum als sehr hart empfunden wurden. Das stete staatliche Bemühen, die militärischen Restriktionen des Interner Link: Versailler Vertrages zu unterlaufen, förderte die Militarisierung der extremen Rechten und gab Anlass zu schweren innenpolitischen Konflikten. Die schwelende Reparationsfrage schließlich wurde zu einem – teilweise auch innenpolitisch instrumentalisierten – Dauerproblem, das die rechten Gegner der Republik mit Propagandastoff versorgte, etwa in der Agitation gegen den Young-Plan 1929, der eine Zahldauer der Reparationsschuld bis 1988 vorsah.

Erneut ist freilich vor einem einseitigen Bild zu warnen: Die Weimarer Außenpolitik erzielte mit der Wiedereingliederung Deutschlands in das Staatensystem und den Bemühungen um eine Verständigung mit den Westmächten Erfolge, die durchaus auch Anerkennung im Innern fanden. Der langjährige Außenminister Interner Link: Gustav Stresemann, der 1929 mit nur 51 Jahren starb, war einer der umstrittensten, aber auch einer der beliebtesten Politiker der Republik. Im Bereich der Militärpolitik konnte der Weimarer Staat ebenfalls gewisse Erfolge verbuchen: Die Integration der Reichswehr in den republikanischen Staat, die lange Zeit kaum vorangekommen war, machte gegen Ende der Weimarer Zeit Fortschritte. So wurde nun, anders als zuvor, die gesamte Rüstungspolitik mit der Regierung abgestimmt. Allerdings gab dies der militärischen Führung auch neue Möglichkeiten, in die innenpolitische Entwicklung einzugreifen.

Strukturen des politischen Systems

Die Strukturprobleme der Weimarer Republik begannen mit ihrer Gründung. Die Transformation des Deutschen Reiches von einer konstitutionellen Monarchie in eine parlamentarische Demokratie und in eine Republik wurde in großen Teilen des politischen Spektrums nie wirklich akzeptiert. Antipathien gab es aus gegensätzlichen Motiven: Während auf der Rechten dem Kaiserreich nachgetrauert und der mit der Kriegsniederlage verbundene Systemwechsel als fremdbestimmt empfunden wurde, ging der Interner Link: revolutionäre Umbruch von 1918/19 der radikalen Linken nicht weit genug.

Das bekannte Schlagwort von der "Demokratie ohne Demokraten" ist allerdings zu pauschal: Es verdeckt, dass in den Parteien der Weimarer Koalition (SPD, DDP und Zentrum) bedeutende Kräfte am Werk waren, die engagiert für eine Entfaltung der Demokratie eintraten und dass es durchaus auch integrative Erfolge der Republik gab. Letzteres zeigte sich etwa in ihrer Frühphase, als die rechtsliberale DVP unter dem Vorsitz von Stresemann faktisch in das republiktreue Lager einbezogen wurde und als große Teile der 1917 abgespaltenen linkspazifistischen Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD) wieder Anschluss an die (Mehrheits-)SPD fanden. Ein integrativer Grundzug parlamentarischer Kultur konnte sich, vieler Widrigkeiten zum Trotz, bis Ende der 1920er Jahre auch im Reichstag entfalten. Vorübergehend kam es sogar zu einer gewissen Annäherung der konservativen DNVP an das Lager der systemtragenden Parteien. Auch die legislativen Leistungen des Reichstags – so z.B. die große Reichsfinanzreform von 1919/20 – konnten sich außerhalb der akuten Krisenphasen 1923 bis 1924 und 1930 bis 1933 durchaus sehen lassen.

Dass die Ergebnisse der Reichstagswahlen mit ihrer zunehmenden Parteienzersplitterung und dem Erstarken der Republikfeinde langfristig eine deutliche Schwächung der systemtragenden Kräfte nach sich zogen, war keine Zwangsläufigkeit. Vielmehr resultierte diese Entwicklung auch aus Ursachen, die sich erst im Laufe der Weimarer Zeit ausbildeten: So war in den ersten Jahren die harte Niederschlagung linksextremer Demonstrationen und Aufstände ein Faktor, der zur Distanzierung und Radikalisierung von Teilen der Arbeiterschaft beitrug. Neben den ökonomischen Krisen führten auf die Dauer besonders die parlamentarischen Funktionsprobleme, die auch in der Schwäche des demokratischen Lagers wurzelten, zu einem weiteren Vertrauensverlust gegenüber den demokratischen Parteien.

Bei der parlamentarischen Mehrheitsbildung und damit auch bei der Bildung und Stützung von Regierungen traten immer wieder schwere Krisen auf. Die durchschnittliche Lebensdauer der 20 Weimarer Reichsregierungen blieb entsprechend niedrig (ca. acht Monate). Kabinettsneubildungen wurden oft zu einer komplizierten Angelegenheit. Im Vergleich zur Stabilität, die den Regierungen der Kaiserzeit zu eigen war, verwundert es nicht, dass die neuen Verhältnisse als krisenhaft perzipiert wurden. Nicht selten zeigten sich zudem Schwierigkeiten im Verständnis eines modernen parlamentarischen Systems – etwa wenn zeitgenössisch der Einfluss der Reichstagsfraktionen auf die Kabinettsbildung kritisiert wurde.

Die konkreten Ursachen der Regierungskrisen waren komplexer, als es das lange Zeit in der Geschichtsschreibung beliebte Klischee von den zu wenig verantwortungsvollen Parteien suggeriert. Die massiven Differenzen innerhalb eines polarisierten Vielparteiensystems spiegelten die Interessengegensätze der fragmentierten deutschen Gesellschaft nach dem verlorenen Krieg. Ebenso waren sie Ausdruck der spannungsreichen politischen Gesamtlage. Ein Mehr an Kompromissbereitschaft zog immer auch die Gefahr nach sich, bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden – zumal das Verständnis für Pluralismus und Kompromisse in der deutschen Gesellschaft schwach entwickelt war. Die dominierenden politischen Mentalitäten waren gleichsam hinter den gesellschaftlichen und politischen Wandlungen zurückgeblieben. Und die Vielfalt und Konfliktträchtigkeit der Weimarer Verhältnisse bestärkte Gegenentwürfe, die ein ganzheitliches oder gar totalitäres Staats- und Gesellschaftsverständnis propagierten. Innenpolitische Komplikationen erzeugte phasenweise auch das seit 1922 immer wieder erkennbare Streben nach einer Interner Link: Großen Koalition von der SPD bis zur DVP. Dahinter standen nicht nur arithmetische Motive, die an einer parlamentarischen Mehrheitsbildung interessiert waren. Vielmehr spielten auch das durch Weltkrieg und Nachkriegskrisen bestärkte Ideal nationaler Einheit eine Rolle sowie das taktische Bemühen der bürgerlichen Mitte, die SPD als Regierungspartner möglichst breit einzurahmen. Als 1923 unter Reichskanzler Stresemann und von 1928 bis 1930 unter Hermann Müller (SPD) tatsächlich Große Koalitionen regierten, waren diese durch starke innere Spannungen belastet und teilweise gelähmt. Gleichzeitig gab es im Reichstag fast keine systemloyale Opposition, was bei den jeweils folgenden Reichstagswahlen zum Erstarken der Extreme beitrug. Zu den strukturellen Problemen gehörte auch die Neigung zur Gewalt: linksradikale Aufstandsversuche und ihre Niederschlagung durch Militär und Freikorps sowie rechtsradikale Putschversuche in der Anfangsphase der Republik, politische Morde und schließlich die Konfrontation militarisierter parteinaher Wehrverbände (SA, Stahlhelm, Rotfrontkämpferbund und – zwischen den Extremen – Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold) untereinander und mit den staatlichen Ordnungsorganen prägten die Weimarer Zeit.

Der Versuch, die innenpolitischen Schwierigkeiten über eine Aufwertung des Reichspräsidenten zu lösen, bildete eine im Keim bereits in der Weimarer Verfassung angelegte Option, die sich dann im Laufe der Jahre entfaltete. Die Inflationskrise von 1922 bis 1924 spielte dabei eine wichtige Rolle. Erstmals wurde nun eine stark vom Reichspräsidenten gesteuerte Regierungsbildung vollzogen (Kabinett Cuno im November 1922). Außerdem wurde eine entparlamentarisierte Form der Gesetzgebung mittels des "präsidentiellen" Artikels 48 der Verfassung sowie weitgefasster parlamentarischer Ermächtigungsgesetze praktiziert. All dies geschah unter Reichspräsident Friedrich Ebert in der besten Absicht, die politische und wirtschaftliche Krise zu überwinden und die Republik zu retten.

Allerdings wurden damit auch die staatsrechtlichen Voraussetzungen für den tiefergehenden parlamentarischen Funktionsverlust geschaffen, der seit 1930 unter den "Präsidialregierungen" Brüning, Papen und Schleicher erfolgte. Inzwischen bekleidete – nach dem frühen Tod Eberts und den Reichspräsidentenwahlen von 1925 – mit Paul von Hindenburg ein Repräsentant der alten Armee und des alten Systems das höchste Staatsamt. Für Teile des Mitte-rechts-Spektrums verband sich diese Entwicklung mit der Hoffnung, das parlamentarische System nun zugunsten einer autoritär-präsidialstaatlichen Lösung aufgeben und gleichzeitig die SPD dauerhaft aus der Regierungsverantwortung drängen zu können.

Dass die Rückkehr zu einer im Reichstag verankerten Kabinettsbildung seit den Wahlen vom Juli 1932 auch die Regierungsbeteiligung der stark angewachsenen NSDAP bedeuten musste, schuf eine paradoxe Situation, die kurzfristig wohl nur durch einen Staatsstreich aufzulösen gewesen wäre. Diesen Schritt scheute der am nationalen Konsens orientierte Reichspräsident Hindenburg – und lieferte schließlich im Januar 1933, indem er sich bei der Regierungsbildung formal an den Gepflogenheiten des parlamentarischen Systems orientierte, den Weimarer Staat an seine schärfsten Feinde aus.

Vergleichende Perspektiven

Die Fragilität und Krisenhaftigkeit der Weimarer Demokratie war kein Sonderfall, sondern bis zu einem gewissen Maße europäische, ja weltweite Normalität der Zwischenkriegszeit. Auch eine Neigung zu autoritären Tendenzen ist in vielen demokratischen Staaten dieser Epoche festzustellen, wobei die Regierungen gegenüber den Parlamenten an Macht gewannen.

Der inzwischen verstärkt praktizierte historische Vergleich muss die jeweiligen nationalen Spezifika jedoch genau beachten. Hinter vordergründig ähnlichen Erscheinungen verbergen sich oft unterschiedlich zu bewertende Phänomene. Beispielsweise hatte der ebenfalls häufige Wechsel der Regierungen in der Dritten Französischen Republik eine weniger gravierende Dimension als in der Weimarer Republik. Infolge eines schwach ausgeprägten Parteiensystems und eines breiten republikanischen Konsenses wurden in Frankreich Regierungsneubildungen meist sehr schnell vollzogen. Das ministerielle Personal blieb dabei häufig stabil. Auch das Scheitern einer Demokratie und ihre Ablösung durch ein autoritäres Regime waren in der Zwischenkriegszeit keine deutsche Besonderheit. Entsprechende Vorgänge fanden europa- und weltweit, je nach Kriterien der Zählung, in 12 bis 15 weiteren Staaten statt. Besonders betroffen waren junge parlamentarische Systeme in Mittel-, Ost- und Südeuro-pa. Dabei gab es auch eine transnationale Dynamik – etwa in der Vorbildwirkung des italienischen Faschismus.

Einen Sonderfall bildet das Scheitern der Weimarer Republik allerdings im Hinblick auf die fürchterlichen Folgen: den Machtgewinn der Nationalsozialisten. Die Analyse dieses Prozesses, für den weder ein geradliniger deutscher Sonderweg noch der bloße Zufall verantwortlich ist, bleibt eine zentrale Aufgabe der Zeitgeschichtsschreibung, insbesondere auch im Hinblick auf die Einordnung und Bewertung der Weimarer Problemlagen und Krisen. Der Vergleich kann dabei sowohl transnationale Phänomene als auch nationale Spezifika klarer hervortreten lassen. Der Forschungsbedarf hierzu ist weiterhin hoch.

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Prof. Dr. Thomas Raithel, Institut für Zeitgeschichte München/Berlin, seine Forschungsschwerpunkte sind vergleichende Geschichte Deutschlands und Frankreichs im 20. Jahrhundert, Geschichte der Europäischen Union, Parlamentarismusgeschichte und Sportgeschichte.