Der lange Weg zur Entschädigung
Viele Jahre mussten ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf eine Entschädigung warten. In Form von sogenannten Globalabkommen leistete die Bundesrepublik lediglich an einzelne Staaten Entschädigungszahlungen. Nach langwierigen Verhandlungen wurde im Jahr 2000 die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von Zwangsarbeit gegründet.
Zwischen 2001 und 2007 erhielten die Überlebenden eine einmalige Zahlung zwischen 500 und 7.700 Euro. Kriegsgefangene sowie westeuropäische zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter blieben von der Entschädigung ausgeschlossen.
Verweigerte Verantwortung
Nach ihrer Befreiung litten viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter unter den psychischen und physischen Folgeschäden der Zwangsarbeit, besonders im Alter. In vielen osteuropäischen Ländern leben einige nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaften am Rand des Existenzminimums. Individuelle Entschädigungsansprüche oder wenigstens Lohnnachzahlungen wurden ihnen verweigert; die deutschen Regierungen und die von der Zwangsarbeit profitierenden Betriebe lehnten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – jede Verantwortung ab.Das 1953 in Kraft getretene Bundesentschädigungsgesetz schloss im Ausland lebende sowie nicht rassistisch oder politisch Verfolgte weitgehend von seinen Leistungen aus. Im parallel abgeschlossenen Londoner Schuldenabkommen gelang es der Bundesrepublik, die Entschädigung von ausländischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern rechtlich als „Reparationsansprüche“ zu definieren und damit auf die Verhandlungen um einen endgültigen Friedensvertrag zu verschieben. Vereinzelte Klagen von Überlebenden blieben erfolglos.
Globalabkommen mit anderen Staaten
Zur Beförderung der Westintegration leistete die Bundesrepublik lediglich Zahlungen an einzelne Staaten in Form sogenannter Globalabkommen, nämlich 1952 an Israel (3,5 Milliarden DM als materielle Aufbauhilfe) sowie zwischen 1959 und 1964 an mehrere westeuropäische Staaten (insgesamt 900 Millionen DM). In dieser Phase zahlten auch mehrere Großunternehmen einige Millionen DM an die Jewish Claims Conference.Die DDR lehnte aufgrund ihres Selbstverständnisses als antifaschistische Neugründung jegliche Entschädigung für ausländische NS-Opfer ab.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 folgten im Zuge des 2+4-Vertrags noch einmal Globalabkommen mit Polen (500 Millionen DM) sowie mit Belarus, der Ukraine und Russland (zusammen eine Milliarde DM). Russland und Belarus hatten dabei auch die NS-Opfer in den inzwischen souveränen baltischen Staaten zu berücksichtigen. Mit diesen Zahlungen sahen Regierung und Wirtschaft ihre Verantwortlichkeit damals als erfüllt an.
Die Debatte um die Entschädigung

Erst 1998 einigten sich die Fraktionen des Bundestags darauf, eine Stiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeit unter finanzieller Beteiligung der deutschen Wirtschaft einrichten zu wollen. Parallel dazu führten Sammelklagen und Boykottdrohungen in den USA zur Gründung der "Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft": Vor allem die exportorientierten Großunternehmen boten an, sich – ohne ein Schuldeingeständnis – an der Stiftung zu beteiligen. Als Bedingung verlangten sie die Zusicherung von "Rechtssicherheit" für die Unternehmen vor weiteren Klagen in den USA.
Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“
Nach langwierigen internationalen Verhandlungen wurde am 12. August 2000 durch ein Bundesgesetz die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) gegründet. Deutsche Unternehmen beteiligten sich mit rund fünf Milliarden DM an dem 10-Milliarden-DM-Fonds zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter und anderer NS-Opfer sowie zur Einrichtung eines speziellen Fonds „Erinnerung und Zukunft“. Nach Feststellung der "Rechtssicherheit" durch den Bundestag am 30. Mai 2001 konnten die Auszahlungen beginnen.i
Interview: Zur Entstehung und Arbeit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"

Die individuellen Auszahlungen
Aus dem Gesamtfonds von über 4,6 Milliarden Euro zahlte die Stiftung EVZ Entschädigungen insbesondere an ehemalige KZ-Häftlinge und an deportierte mittel- und osteuropäische Zivilarbeiterinnen und Zivilarbeiter. Über 1,6 Millionen Überlebende erhielten einmalige Zahlungen, die je nach Herkunftsland und Schwere der Lagerbedingungen differierten.KZ- und Ghetto-Häftlinge erhielten den Maximalbetrag von 7.669 Euro (Kategorie A), Inhaftierte in Arbeitserziehungslagern und sogenannten „anderen Haftstätten“ bekamen zwischen 3.068 und 7.669 Euro, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der Industrie in der Regel 2.556 Euro (Kategorie B).
Die Partnerorganisationen konnten dank einer Öffnungsklausel im Rahmen ihrer finanziellen Mittel weitere Opfergruppen berücksichtigen. Im Rahmen der Öffnungsklausel erhielten unter anderem in der Landwirtschaft Eingesetzte und Kinderhäftlinge zwischen 536 und 2.235 Euro. Wenn die Betroffenen nach 1999 verstorben waren, hatten die Angehörigen Anspruch auf die Leistung. Gesonderte Entschädigungen wurden aus den weiteren Mitteln der Stiftung für Versicherungs-, Vermögens- und „sonstige Personenschäden“ gezahlt.
Nicht Entschädigte

West- und südeuropäische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden nur anerkannt, wenn sie unter Haftbedingungen arbeiten mussten. Die meisten aus Frankreich, Belgien oder den Niederlanden Verschleppten erhielten daher keine Entschädigung. Menschen, die in ihrem eigenen Heimatland von den Deutschen zur Arbeit gezwungen worden waren, wurden nur teilweise in Tschechien, Polen und Belarus berücksichtigt.
Ebenfalls leer aus gingen die bereits vor 1999 Verstorbenen sowie diejenigen, die ihre Zwangsarbeit nach 65 Jahren nicht mehr nachweisen oder wenigstens glaubhaft machen konnten.
Historische Bedeutung
Der finanzielle Aspekt der Entschädigung war angesichts der bedrückenden Armut vieler älterer Menschen in Osteuropa für die Betroffenen überaus wichtig. Daneben haben die Debatte um die Entschädigung, das Nachweis- und Auszahlungs-Verfahren selbst sowie die folgenden Aktivitäten der Stiftung und anderer Initiativen (Begegnungsprogramme mit Überlebenden, Ausstellungen zum Thema Zwangsarbeit usw.) dazu beigetragen, die lange vergessenen Opfer der Zwangsarbeit wieder ins öffentliche Gedächtnis zu rufen, in ihren Heimatländern ebenso wie in deutschen Kommunen, Betrieben und der „großen Politik“.Weiterführende Links
Hintergrundfilm Zwangsarbeit und Entschädigung mit Zusatzmaterialien in der Online-Anwendung Lernumgebung "Lernen mit Interviews: Zwangsarbeit 1939-1945" (Registrierung notwendig)Mit Stempel und Unterschrift. Digitale Werkstatt für Quelleninterpretation von der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft"