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Die Frauenbewegung organisiert sich Die Aufbauphase im Kaiserreich

Dr. Kerstin Wolff Kerstin Wolff

/ 8 Minuten zu lesen

1865 entstand in Leipzig der erste Frauenbildungsverein. Diese Gründung trat eine Lawine los, in den nächsten Jahrzehnten wuchs die Frauenbewegung stark an. Die Themen der Zeit reichten von Bildungsforderungen bis zum Kampf um das Frauenwahlrecht.

Bürgerliche Mädchen sollten in den wenigen staatlichen Schulen nicht auf eine Berufstätigkeit vorbereitet werden, sondern auf eine spätere Ehe.Interner Link: Bildnachweis

(© AddF )

Nach der Revolution

In den Jahren nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 regierten in Deutschland wieder konservative Kräfte. Auch Louise Otto-Peters, eine der großen Protagonistinnen der 1848er-Revolution, zog sich ins Private zurück, ohne allerdings die Hoffnung zu verlieren, dass nach dem politischen Winter auch wieder einmal ein Frühling kommen würde. Zuerst schien dieser Frühling allerdings noch auf sich warten zu lassen, und die regierenden Kräfte nutzten die Zeit, um einer erneuten Versammlungstätigkeit von Frauen Steine in den Weg zu legen. So wurden in allen deutschen Ländern Vereinsgesetze erlassen, die eine politische Betätigung von Frauen verboten.

Trotzdem waren die 1850er und 1860er Jahre geprägt von einer zunehmenden Lockerung der autoritären Strukturen. Dank Wirtschaftsaufschwung und einer tief greifenden Veränderung der Arbeitswelt setzte sich immer mehr die Idee durch, dass vorsichtige Reformen eine Zusammenarbeit der verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte befördern könnte. Die Idee einer Reichseinigung spukte nach wie vor in den Köpfen vieler Liberaler und diese begannen, einen vorsichtigen Frieden mit Preußen zu schließen. Dabei kam ihnen der Thron- und Regierungswechsel in Preußen zu Beginn der 1860er Jahre sehr gelegen. So konnte unter Kronprinz Wilhelm, dem späteren ersten Deutschen Kaiser, eine neue Ära beginnen, die viel Hoffnungen weckte und durch eine Amnestie für TeilnehmerInnen der 1848er-Revolution zusätzlich für Entspannung und Liberalisierung sorgte.

Diesen frischen Wind nutzten viele gesellschaftliche Gruppen, um sich neu aufzustellen. Dank der neuen Versammlungsform – dem (politischen) Verein – kam es zu ersten Zusammenschlüssen und zur Formulierung von gesellschaftlichen Gruppeninteressen, die bisher eher am Rande gestanden hatten. Diese offenere Situation nutzten nun auch die Frauen, um auf sich und ihre Situation aufmerksam zu machen.

Geburtsstunde der organisierten Frauenbewegung: die Gründung des ADF

Zwischen dem 16. und 18. Oktober 1865 fand in Leipzig eine große Frauenkonferenz statt, die als "Leipziger Frauenschlacht" in den Zeitungen des Landes verunglimpft wurde – aber enorm erfolgreich war. Eingeladen hatte der Leipziger Frauenbildungsverein, der ein halbes Jahr zuvor unter der Leitung von Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt gegründet worden war. Auf dieser Frauenkonferenz, die von 120 Frauen besucht wurde, wurde der Allgemeine deutsche Frauenverein (ADF) aus der Taufe gehoben, der zur Keimzelle einer sich rasch ausbreitenden Frauenvereinslandschaft in Deutschland werden sollte.

Ein zentrales Problem zu dieser Zeit war die überaus rasch ansteigende Frauenarmut, die auch zunehmend bürgerliche Kreise traf. Dieser Frauenarmut wollte der ADF durch eigenständige Erwerbsmöglichkeiten für Frauen entgegentreten. Und so formulierte der ADF auch in seiner Satzung: "Wir erklären (...) die Arbeit, welche die Grundlage der ganzen neuen Gesellschaft sein soll, als eine Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts". Damit war zum ersten Mal in Deutschland ein Frauenverein entstanden, der sich für die Rechte von Frauen einsetzte.

Neben der Vereinsgründung beschlossen die Anwesenden, sich einmal im Jahr zu treffen und zur gegenseitigen Kommunikation eine Zeitschrift zu gründen, die sie "Neue Bahnen" nannten. Die Gründung des ADF in Leipzig war so anregend, dass bald schon Zweigvereine des ADF in anderen Städten entstanden: Die Frauenfrage, die hier eine Frauenbildungsfrage war, nahm Fahrt auf.

Zum Beispiel: Frauenbildung

Ab den 1870er Jahren entstanden sehr vielfältige, sich um das ganze Spektrum der Frauenfrage positionierende Frauenvereine, von denen einige einen eindeutigen frauenemanzipatorischen Ansatz hatten. An dieser Stelle soll exemplarisch das Beispiel Bildung herausgegriffen werden.

Der ADF hatte nicht zu Unrecht die mangelnde Bildungssituation als einen Stolperstein für ein selbstständiges Frauenleben in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgemacht. Während Jungen in der öffentlichen Schule auf eine spätere Berufstätigkeit vorbereitet wurden, sollten Mädchen des Arbeiterstandes eine schlecht bezahlte und kräftezehrende außerhäusige Erwerbstätigkeit aufnehmen und Mädchen des Bürgertums sich auf eine Ehe vorbereiten. Erstere absolvierten die Volksschule, letztere waren auf die vielen privaten und wenigen öffentlichen Mädchenschulen angewiesen, deren Abschluss jedoch keine berufliche Perspektive bot.

Die Lehrerin Helene Lange trat ab den 1880er Jahren an, dies zu ändern. Sie verfasste zusammen mit fünf anderen Frauen aus dem liberalen Bürgertum eine Petition, die sie an den preußischen Unterrichtsminister und das preußische Abgeordnetenhaus richteten. Die Frauen bedienten sich dabei des politischen Mittels der Petition, eine Möglichkeit, die alle Flügel der Frauenbewegung in dieser Zeit sehr stark nutzten.

In dieser Petition wurde erstens eine grundlegend verbesserte Mädchenbildung, zweitens ein größerer Einfluss von Lehrerinnen auf die Erziehung der Schülerinnen und drittens die wissenschaftliche Lehrerinnenausbildung gefordert. Gleichzeitig wurden die unübersehbaren Missstände in der Mädchenschulbildung deutlich benannt und zusammengefasst, die vor allem daher rührten, dass die bürgerlichen Mädchen nach wie vor auf die Ansprüche eines späteren Ehemannes hin erzogen werden sollten.

Die Petition, als "Gelbe Broschüre" bezeichnet, löste eine heftige Debatte aus, ohne allerdings zu Beginn allzu viel zu erreichen. 1888 starb der liberale Friedrich III., dessen Frau – sie wurde Kaiserin Friedrich genannt – großes Interesse an der Umgestaltung des Mädchenschulwesens gezeigt hatte. Da danach von der offiziellen Politik unter Kaiser Wilhelm II. in diesem Punkt nichts mehr zu erwarten war, nahmen die Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung die Schulentwicklung selber in die Hand. Sie gründeten Realkurse für Frauen, die innerhalb von zwei Jahren zu einer allgemeinen Bildungsgrundlage für praktische Berufe und zur Schweizer Universität – diese war die einzige deutschsprachige Universität, die damals Frauen aufnahm – führen sollten.

Um die Forderungen der Lehrerinnen besser vertreten zu können, gründeten Helene Lange, Auguste Schmidt und Marie Loeper-Houselle 1890 eine der erfolgreichsten Frauenberufsorganisationen des Reiches, den Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLV). Das zähe Ringen dieses Vereins hatte schließlich Erfolg. Von der langsamen, aber sicheren Zulassung von Frauen an die Universitäten (ab 1899/1900 in den deutschen Ländern unterschiedlich) bis zur Preußischen Mädchenschulreform von 1908, die das Mädchenschulsystem zum ersten Mal in das staatliche Handeln integrierte, reichten die Erfolge.

Zum Beispiel: das Frauenwahlrecht

1908 war für die Frauenbewegung in Deutschland ein sehr entscheidendes Jahr. Neben der preußischen Mädchenschulreform (siehe den Punkt Bildung) wurde in diesem Jahr auch ein reichseinheitliches Vereinsgesetz verabschiedet, das die politische Sonderstellung von Frauen aufhob. Ab diesem Zeitpunkt durften Frauen endlich Mitglieder in politischen Parteien werden, auch wenn sie damit noch nicht das aktive und passive Wahlrecht erworben hatten. Trotzdem brach für die Frauenrechtlerinnen eine neue Epoche an, waren sie doch auf dem Weg zur Gleichberechtigung einen großen Schritt weitergekommen.

Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen Frauen das Wahlrecht zu fordern. 1918 wurde schließlich in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Die erste Wahl mit weiblicher Beteiligung fand 1919 statt.Interner Link: Bildnachweis

(© AddF )

Deutliche Forderungen nach dem Frauenwahlrecht erklangen im Deutschen Kaiserreich spätestens ab den 1890er Jahren, als die ersten Frauen aus der Frauenbewegung heraus begannen, sich schriftlich mit dem Frauenwahlrecht auseinander zu setzen. Die politischen Parteien hielten sich auffallend lange zurück; lediglich die SPD forderte schon in ihrem Parteiprogramm von 1891 das Wahlrecht für die Frau.

Die Forderungen nach dem Wahlrecht waren im Deutschen Kaiserreich auch deswegen problematisch, weil die verschiedenen Frauenstimmrechtsvereine, die in wachsender Zahl zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründet wurden, sehr unterschiedliche Forderungen erhoben. So wurde immer wieder die Frage gestellt, welches Wahlrecht denn sinnvoll wäre? Das preußische Dreiklassenwahlrecht auch für die Frau? Oder doch lieber gleich das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht, wovon dann auch Männer profitieren würden?

1902 gründeten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann in Hamburg den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, der Mitglied im 1904 gegründeten Weltbund für Frauenstimmrecht wurde. Die Vereine näherten sich erst im Ersten Weltkrieg einander an und schlossen sich zum Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht zusammen. Erreicht wurde das Frauenstimmrecht 1918.

Die Frauenbewegung differenziert sich

Wie in jeder anderen Sozialen Bewegung auch, gab es in der sehr rasch wachsenden Frauenbewegung bald verschiedene Flügel und Gruppierungen, die durchaus sich widersprechende Ansätze hatten. Gefördert wurde diese Entwicklung von einem rasanten Wachstum der Frauenbewegung um 1890 und die in diese Zeit fallenden politischen Veränderungen, wie die Entlassung Bismarcks und der Fall der Sozialistengesetze. Vor allem der Verein Frauenwohl in Berlin unter der Leitung von Minna Cauer entwickelte sich zu einem Zentrum des weiblichen Protestes. Neben der schon fast traditionell zu nennenden Petitionstätigkeit regte der Verein viele Vereinsneugründungen an und entwickelte neue Wege in die Öffentlichkeit. Neben diesem Verein gab es noch zahlreiche andere Gruppierungen wie zum Beispiel den Verein Jugendschutz, der sich als Teil der Sittlichkeitsbewegung verstand, den kaufmännischen Hilfsverein für weibliche Angestellte, als ein Beispiel für die schnell wachsenden Frauenberufsorganisationen, die Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, die zum Ausgangspunkt einer Professionalisierung der Sozialarbeit wurden, oder die diversen Rechtsschutzstellen, die sich für eine bessere juristische Beratung für Frauen einsetzten.

Logo des BDF. Interner Link: Bildnachweis (© AddF )

Bald schon gab es Bestrebungen, diese vielen Einzelgruppierungen unter einem Dachverband zusammenzufassen. Die Idee kam aus den USA, wo ein Frauenweltbund gegründet worden war. In diesen Weltbund konnten nur nationale Dachorganisationen aufgenommen werden und so gründete sich 1894 der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF). Er nahm in Bezug auf seine Mitglieder eine erstaunliche Entwicklung. Schon nach Ablauf des ersten Jahres gehörten dem Bund 65 Vereine an, 1901 137 mit insgesamt 70.000 Mitgliedern und 1913 waren es insgesamt 2.200 Vereine und geschätzte 500.000 Mitglieder. Geführt wurde der Bund – von einer kurzen Anfangsphase abgesehen – von Marie Stritt, die es zu Beginn recht gut verstand, die unterschiedlichen Kräfte im BDF zu bündeln. Es zeigte sich aber bereits bei der Gründung 1894, dass es im deutschen Kaiserreich nicht eine, sondern viele Frauenbewegungen gab.

So trat die proletarische Frauenbewegung unter Clara Zetkin dem BDF nicht bei, was auch darauf zurückzuführen war, dass dieser die Proletarierinnen aus Angst vor Auflösung nicht zur Zusammenarbeit aufgefordert hatten. So vergrößerte sich der Graben zwischen der Proletarischen Frauenbewegung und der Bürgerlichen Frauenbewegung immer mehr. Die Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit fußten auf einer fundamental anderen Lebensrealität und einer entgegengesetzten Auffassung von Emanzipation.

Setzten die gemäßigten bürgerlichen Frauen auf eine Emanzipation durch die langsame Steigerung des weiblichen Kultureinflusses, versprach sich die proletarische Frauenbewegung eine vollständige Emanzipation erst durch den Sieg des Sozialismus. Die außerhäusige Erwerbsarbeit (also die Teilhabe an der gesellschaftlichen Produktion) wurde so für die proletarische Frauenbewegung der einzige und notwendige Weg für die Befreiung der Frau. Erst nach 1900 gelang es, die proletarischen Frauen zu einer Massenbewegung zu mobilisieren und die selbstständige Bedeutung dieser Organisation zu verdeutlichen. Mittel dafür waren die sozialdemokratischen Frauenkonferenzen, die jeweils vor den Parteitagen abgehalten wurden. Wichtig war aber immer, dass die proletarischen Frauen nicht auf eine spezielle Frauenagitation setzten, sondern auf eine sozialistische Agitation unter Frauen.

Besonders deutlich wurde dies 1908, als ein reichseinheitliches Vereinsgesetz erlassen wurde und der Weg in politische Parteien für Frauen endlich frei war. Die Proletarierinnen traten sofort in die SPD ein, mussten dort allerdings erkennen – ebenso wie ihre bürgerlichen Schwestern, die in liberale und konservative Parteien eingetreten waren –, dass sie von einer Gleichberechtigung innerhalb der Parteien noch meilenweit entfernt waren.

Auch innerhalb der so genannten bürgerlichen Frauenbewegung gab es Fraktionierungen, sodass von einem bürgerlich-gemäßigten Flügel, einem bürgerlich-radikalen und einem sich seit 1900 entwickelnden konfessionellen Flügel gesprochen werden kann. Der BDF war angetreten, diese Entwicklungen unter einen Hut zu bekommen, ein Versuch, der aufgrund der Vielschichtigkeit der Bewegung nicht gelingen konnte.

Weitere Inhalte

geb. 1967, Studium der Geschichte und Politikwissenschaften, historische Promotion 2002 an der Universität Kassel. Seit 1999 Mitarbeiterin bei der Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung hier zuständig für Publikationen und Forschungskontakte. Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte der Frauenbewegungen in Deutschland.