Anita Augspurg
Anita Augspurg (1857 - 1943) war Deutschlands erste promovierte Juristin und setzte sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts für soziale und politische Rechte der Frauen ein. Die Einführung des Frauenwahlrechts war ihr vorrangiges Ziel.
Anita Augspurg zog nach München und eröffnete 1887 nach einer Ausbildung zur Fotografin gemeinsam mit ihrer Freundin Sophie Goudstikker das Fotostudio "Hofatelier Elvira", das künstlerisch und kommerziell erfolgreich wurde. Das selbstbewusste und unkonventionelle Auftreten der beiden Frauen mit Kurzhaarfrisuren und Reformkleidung sowie ihr freier Lebensstil erregte nicht wenig Aufsehen – zumal sie sich auch öffentlich zum Kampf der Frauenbefreiung bekannten.
Engagement in der Frauenbewegung und erste Juristin Deutschlands
Dieser Kampf wurde denn auch immer mehr zum Lebensinhalt Anita Augspurgs, und so widmete sie sich ab den 1890er Jahren kontinuierlich dieser Arbeit in der bürgerlichen Frauenbewegung. Ihr Einstieg fand über die Bildungsfrage statt: Im Frauenbildungsverein Reform setzte sie sich für eine Verbesserung der Mädchenbildung und insbesondere für das Recht der Frauen auf eine akademische Ausbildung ein. U.a. war sie 1893 mitbeteiligt an der Gründung eines Mädchengymnasiums in Karlsruhe, an dem die Hochschulreife erworben werden konnte.Mit der Diskussion um ein neues, für das gesamte Reich allgemein verbindliches Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), das keine ehe- und familienrechtlichen Verbesserungen für Frauen, teils sogar noch eine weitere Entrechtung der Frauen vorsah, erwachte Augspurgs Interesse für die Frauenfrage als Rechtsfrage. Um sich die ihrer Meinung nach dringend nötigen Kenntnisse im Zivil- und Staatsrecht anzueignen und so die Rechte der Frauen besser verteidigen und einfordern zu können, begann sie 1893 als Mitdreißigerin ein Jurastudium. Dafür musste sie nach Zürich gehen, denn in Deutschland war Frauen das Studium noch nicht erlaubt; 1897 kehrte sie als Deutschlands erste promovierte Juristin nach Berlin zurück. Als solche beteiligte sie sich verstärkt am Frauenrechtskampf und brachte ihre juristische Kompetenz in weibliche Belange unterstützende Gesetzesänderungsvorschläge im Reichstag ein und leistete Aufklärungsarbeit über die juristische Stellung der Frau.
Auf dem ersten internationalen Frauenbewegungskongress in Deutschland, dem Internationalen Kongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen, der im September 1896 in Berlin stattfand, lernte Anita Augspurg die zehn Jahre jüngere Lida Gustava Heymann kennen, die ihre Lebens- und Arbeitsgefährtin werden sollte. Gemeinsam mit ihr begann Augspurg nun auch, sich in der Internationalen Abolitionistischen Bewegung zu engagieren, die sich für die Abschaffung der staatlichen Reglementierung der Prostitution einsetzte – ein damals ausgesprochen kühnes Unterfangen.
Mittelpunkt des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung
Anita Augspurg gehörte zu dieser Zeit gemeinsam mit Lida Gustava Heymann zum Kern des so genannten radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. Ab 1899 arbeitete sie an Minna Cauers Zeitschrift "Die Frauenbewegung" mit und redigierte deren Beilage "Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung". Auch dem Vorstand des radikalen Vereins Frauenwohl gehörte sie einige Zeit an und war Mitbegründerin sowie zweite Vorsitze des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine (VFF), der sich als radikaler Gegenpol zum gemäßigten Bund deutscher Frauenvereine verstand. Den Radikalen ging es vor allem um eine Angleichung der Frauen an die Stellung des Mannes; ihr heute noch modern wirkendes rechtspolitisches Konzept beinhaltete das Ringen um Geschlechtergerechtigkeit und die Kritik an einer patriarchal organisierten kapitalistischen Gesellschaft und reichte weit über einen Kampf um formale Gleichberechtigung hinaus.Das vorrangige Ziel der Radikalen war die Erreichung des Frauenwahlrechtes, und diesem Anliegen widmete auch Anita Augspurg ab der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert den größten Teil ihre politischen Energie. 1902 konnte sie – eine Gesetzeslücke ausnutzend – den ersten Frauenstimmrechtsverein Deutschlands, den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht, mitgründen. Dessen Präsidentin war sie bis 1911 und redigierte bis 1914 die Zeitschrift "Frauenstimmrecht". Ab 1904 hatte sie auch im Weltbund für Frauenstimmrecht den stellvertretenden Vorsitz inne. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges trug sie dann aber zur vorübergehenden Spaltung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung bei, indem sie Mitbegründerin und Erste Vorsitzende des neuen Deutschen Bundes für Frauenstimmrecht wurde.