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Wenn man einen Soldaten weinen sieht, macht es ihn menschlicher | Israel | bpb.de

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Wenn man einen Soldaten weinen sieht, macht es ihn menschlicher Interview mit Yariv Mozer

Yariv Mozer

/ 7 Minuten zu lesen

Yariv Mozer, Regisseur, wurde im Sommer 2006 als Reservist in den Libanonkrieg einberufen. Instinktiv griff er zu seiner Video-Kamera und drehte einen sehr persönlichen Film über den Krieg.

Sie haben einen ungewöhnlichen Film über den Libanonkrieg mit dem Titel "My first War" 2006 gedreht. Sie zeigen die Soldaten in sehr privaten und emotionalen Momenten. Wie kam es zu dem Film?

Yariv Mozer: Als ich im Sommer 2006 als Reservist einberufen wurde, hatte ich zunächst nicht die Absicht einen Film zu drehen. Für mich war es etwas sehr Bedrohliches in den Krieg zu ziehen, ich nahm die Kamera instinktiv mit mir. Sie hilft mir in schwierigen Situationen Abstand zu wahren. Als ich mitten im Krieg war, wurde mir bewusst, dass er nicht so lief wie er sollte. Es gab widersprüchliche Befehle, eine unklare Strategie, es war alles sehr chaotisch. Mir wurde vor Ort klar, dass ich etwas größeres daraus machen musste und ich beschloss einen Film über diesen Krieg zu drehen.

Yariv Mozer. Foto: docaviv Tel Aviv

Wie haben Sie es geschafft, dass die Soldaten so offen über ihre Gefühle gesprochen haben?

Yariv Mozer: Ich war ja einer von ihnen. Ich trug wie sie eine Uniform, war Teil der Einheit, war mit ihnen in diesem Krieg. Ich hatte eine kleine Kamera bei mir und wir konnten auf Augenhöhe sprechen, ich war ja kein Journalist mit einem ganzen Kamerateam. Es war alles sehr persönlich. Das ist das besondere an dem Film.

Die Helden Ihres Films unterscheiden sich von dem Bild des Soldaten der Kriege zuvor. Können Sie Ihren Helden beschreiben?

Yariv Mozer: Ich habe meine Helden zufällig ausgewählt. Es sind Menschen, die ich in diesem Krieg getroffen habe, die diesen Krieg überlebt haben, auch wenn sie unter den Folgen noch leiden. Allein das macht sie zu Helden. Nicht indem sie besonders hart und tough waren und viele Menschen erschossen haben, es sind nicht diese Art von Helden. In meinem Film gibt es z.B. einen Befehlshaber, der seine Truppe nicht in den Libanon schickt. Mit dieser Entscheidung rettete er das Leben seiner Soldaten. Für mich ist er ein Held. Seine Entscheidung war sehr mutig und sein Verhalten unterscheidet sich von den heroischen Entscheidungen unserer legendären Soldaten in der Vergangenheit.

Haben Sie nicht Angst vor der Kritik, Sie zeigen die Soldaten als schwach oder wie können sie unsere Soldaten so zeigen?

Yariv Mozer: Ich bin mir sicher, ich werde mir anhören müssen, wie schwach ich unsere Soldaten zeige. Ich habe den Film meinen palästinensischen Freunden gezeigt. Sie sagten mir, dass sie erstmals Soldaten mit ihren Gefühlen und Wünschen sahen. Ich denke, wenn ich Soldaten in dieser Art zeige, macht es sie stärker, statt schwächer. Wenn man einen Soldaten weinen sieht, macht es ihn menschlicher.

Auch für den Gegner.

Yariv Mozer: Ja, auch für den Gegner. Für den Gegner ist es wichtig zu sehen, was die Soldaten denken, was in ihren Köpfen vorgeht. Sie wissen doch, dass wir eine starke Armee haben, dass wir Waffen haben. Das wird sich auch nicht ändern, aber sie wissen dann, dass wir auch nur Menschen sind, das wird uns noch stärker machen. Das ist meine Meinung, auch wenn ich weiß, dass ich für diese Position Kritik einstecken muss.

Was wollen Sie mit diesem Film erreichen?

Yariv Mozer: Mein Film stellt nicht die Fehler des Krieges in den Mittelpunkt. Mir ging es in erster Linie um die Menschen. Mir war es wichtig zu zeigen, wie es den Soldaten ging als sie in den Krieg gingen und als sie wieder aus dem Krieg zurückkehrten. Ich z.B ging sehr naiv in den Krieg und wachte dort erst auf. Ich habe die Charaktere aus meinen Film nach dem Krieg getroffen und sie gefragt wie es Ihnen nach dem Krieg ging. Ich fand heraus, dass alle unter den Folgen des Krieges litten. Viele hatten post-traumatische Symptome. Jeder von uns, auch ich trage eine Narbe des Krieges.

Gibt es Zahlen darüber, wieviele Soldaten nach dem Krieg in psychologischer Behandlung waren?

Yariv Mozer: In meinem Film zeige ich einen Soldaten mit post-traumatischen Symptomen. In Berichten hieß es, es habe tausende Soldaten gegeben, aber ich glaube die Dunkelziffer ist viel höher.

War die israelische Armee IDF (Israeli Defence Force) einverstanden mit dem Film?

Yariv Mozer: Nach dem Krieg als der Film fertig war, musste ich ihn der israelischen Armee vorlegen und ich musste zu dem IDF-Sprecher. Sie hatten Probleme mit dem Film und wir mussten einen Kompromiss finden. Ich muss aber sagen, die IDF musste mehr Kompromisse eingehen als ich.

Mussten Sie Szenen wieder rausschneiden?

Yariv Mozer: Keine Szene fiel zum Opfer. Es ging um zwei kleinere Änderungen, die dem Film jedoch nicht geschadet haben. Letzten Endes ist Israel ein demokratisches Land. Nach dem Krieg hatte es Kritik am Libanonkrieg gegeben. Es gab die Winograd Kommission, die die militärischen und politischen Fehler des Krieges analysieren sollte. Die politische Situation im Land war sehr angespannt. Nach alldem mussten sie den Film akzeptieren, sie mussten zeigen, dass sie nichts zu verbergen haben.

Was waren Ihrer Meinung nach die Fehler?

Yariv Mozer: Die Führung, die Befehle an die Soldaten waren nicht klar. Die Menschen wussten nicht, was vor sich ging, der Krieg an sich. Warum mussten wir in diesen Krieg ziehen? Nichts hat sich verändert. Wir haben die geknidnappten Soldaten nicht nach Hause bringen können. Wir haben den Raketenfall der Katjuschas auf Israel nicht stoppen können. Wir hatten keine Vorteile aus diesem Krieg.

Was hat sich seit dem zweiten Libanonkrieg in der israelischen Gesellschaft verändert?

Yariv Mozer: Zu Beginn wollte die Bevölkerung die Wahrheit über diesen Krieg erfahren. Sie unterstützten die Arbeit des Winograd Komitees. Aber diese Gesellschaft ist Tag täglich mit neuen politischen Streitigkeiten konfrontiert und mit der Zeit haben sie leider vergessen was passierte. Dieser Film zeigt, dass man diesen Krieg und seine Konsequenzen nicht so schnell vergessen kann. Wir Soldaten, die in diesem Krieg waren, leiden unten den Folgen. Die Erfahrung wird sie ihr leben lang begleiten.

Glauben Sie, Sie hätten diesen Film vor 20 Jahren drehen können? Das Bild der israelischen Armee hat sich seit den Kriegen 1948, 1967 und 1973 sehr verändert.

Yariv Mozer: Es ist heute ein anderes Land und die Menschen haben sich verändert. Es ist nicht mehr 1967 oder 1973. Ich denke, nicht nur die Soldaten, die israelische Gesellschaft im Ganzen hat sich verändert. Insgesamt gibt es nicht mehr die Bereitschaft, sich für das Land zu opfern.

Wie hat Sie der Krieg persönlich verändert?

Yariv Mozer: Ich persönlich stelle mir mehr Fragen über mein Land und über die Entscheidungen, die in diesem Land gefällt werden. Ich bin nicht mehr so naiv. Ich habe viele Fragen, die meine Armee-Zeit betreffen.

Wie war es für Sie mit 18 den Armee Dienst zu leisten?

Yariv Mozer: Es war ein großes Ereignis für mich. Und mit 28 Jahren ging ich zum ersten mal in meinem Leben in einen Krieg, auch das war ein großes Ereignis für mich. Ich glaubte an die IDF und an den Sieg der IDF. Bei diesem Krieg bin ich aufgewacht. Wenn man Grenzerfahrungen zwischen Leben und Tod erlebt hat, dann beginnt man jeden Moment des Lebens zu genießen. Heute stelle ich mir viele Fragen über die Situation in diesem Land, hinterfrage die Dinge und bin kritischer.

Glauben Sie dieser Krieg hatte einen Einfluss auf die Jugend?

Yariv Mozer: Ich habe gehört, dass die Motivation zur Armee zu gehen bei den Jugendlichen gewachsen hat. Ich weiß nicht warum. Auf der anderen Seite höre ich, dass viele versuchen, sich vom Armeedienst befreien zu lassen. Aber diesen Trend gibt es hauptsächlich in Tel Aviv. Außerhalb Tel Avivs ist die Motivation größer zur Armee zu gehen.

Während des Krieges lebten die Menschen in Tel Aviv ihr Leben weiter, sie gingen zum Strand usw. Wie denken Sie darüber?

Yariv Mozer: Als ich nach dem Krieg zurück nach Tel Aviv kam, war ich regelrecht geschockt. Es trafen völlig unterschiedliche Welten aufeinander. Zu sehen, wie sich in Tel Aviv eine Parallelwelt abspielt, während gleichzeitig Krieg herrscht. Das war fast schwieriger für mich, als im Krieg zu sein. Ich war regelrecht paralysiert. Aber das ist Tel Aviv, Tel Aviv lebt im hier und jetzt. Es ist die Natur der Stadt. Es ist die Art zu überleben.

Es gibt immer noch den Konflikt und Israel braucht eine Armee. Welche Lösung schlagen Sie vor?

Yariv Mozer: Wir brauchen eine kräftige und starke, aber weise Armee. Ich wünschte Israel wäre David, und nicht Goliath. Israels Armee ist in den vergangenen Jahren gewachsen und stärker geworden, aber ich denke, wir brauchen eine kleinere, dafür eine kluge Armee. Es gibt mehrere Wege zum Frieden als den einen gewaltsamen Weg. Ich denke, wir müssen einen anderen Weg gehen.

Was ist mit der Seite des Gegners. Sind Sie optimistisch, was die Zukunft betrifft?

Yariv Mozer: Letzendlich müssen aus Feinden unsere Freunde werden, wir brauchen Frieden. Wenn man mit seinen Feinden Frieden schließen möchte, muss man sich annähern und diplomatische Wege einschlagen. Wir brauchen eine starke Armee, ich sage nicht, dass wir die Armee abschaffen sollen, aber gleichzeitig brauchen wir eine intelligente Führung, die unsere Probleme in einer cleveren und diplomatischen Weise und nicht gewaltsam löst.

Ihre Wünsche zu Israels 60.?

Yariv Mozer: Ich hoffe, wir können unsere sozialen Probleme lösen und wir sollten mehr in Bildung und Kultur statt in die Sicherheit investieren. Wir müssen die Mauer niederreißen, die physische Mauer, aber auch die Mauern in unseren Herzen zu unseren palästinensischen Nachbarn. Denn wir werden hier bleiben und auch sie werden hier bleiben, wir müssen einen Weg zueinander finden. Das uns dies gelingt ist meine Hoffnung.

Das Interview führte Hanna Huhtasaari im April 2008 in Israel.

Fussnoten

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Yariv Mozer 1978 in Tel Aviv geboren ist Regisseur und Produzent. Er studierte Filmwissenschaften an der Universität in Tel Aviv.