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Soldatenbilder im Wandel | Deutsche Verteidigungspolitik | bpb.de

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Soldatenbilder im Wandel Innere Führung, Staatsbürger in Uniform und der "hybride" Soldat

Nina Leonhard

/ 11 Minuten zu lesen

Ein Job wie jeder andere? Soldatische Berufsbilder vermitteln Vorstellungen über die Haltung und das Verhalten von Soldaten. Was als richtig oder typisch für Soldaten angesehen wird, wird von Staat, Gesellschaft und von den Soldatinnen und Soldaten selbst unterschiedlich bewertet.

Soldatenbilder sind ständig im Wandel: Die aus Beton gefertigte Skulptur "Metamorphose" von Rainer Stiefvater vor dem Kreiswehrersatzamt in Freiburg stellt symbolisch den Wechsel vom Zivilbürger zum Soldaten als "Staatsbürger in Uniform" und wieder zum Bürger dar. (© picture-alliance/dpa)

Was ist eigentlich ein Soldat?

Unter Soldaten versteht man Angehörige regulärer bewaffneter Streitkräfte, die ihre Zugehörigkeit nicht nur äußerlich, durch das Tragen von Uniform, kenntlich machen, sondern die sich durch ein besonderes Treueverhältnis gegenüber dem Staat als obersten Dienstherr auszeichnen. Dadurch unterscheiden sie sich sowohl von Söldnern, die als bewaffnete "Lohnarbeiter" ihre Dienste unterschiedlichen Auftraggebern gegen Geld anbieten, als auch von Mitgliedern bewaffneter Gruppen wie Partisanen oder Freischärlern, die im Namen einer politischen Bewegung oder Partei handeln.

Eine solche Definition des Soldatseins sagt allerdings wenig über das Verhältnis zwischen Soldat, Militär, Politik und Gesellschaft aus. Soldatische Berufsbilder, wie sie offiziell vertreten werden und innerhalb der Streitkräfte informell zirkulieren, füllen diese Lücke. Sie transportieren Vorstellungen über Haltung und Verhalten, an denen sich die Soldaten selbst, aber auch alle anderen Akteure in Politik und Gesellschaft orientieren können, und dienen dazu, das Handeln von Soldaten in seinen Eigenheiten zu charakterisieren und zu legitimieren. Deshalb sind soldatische Berufsbilder häufig umstritten und können zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen werden – innerhalb der Streitkräfte sowie in der politischen Öffentlichkeit. Denn was als "richtig" oder "typisch" für Soldaten angesehen wird, ist erstens wandelbar und daher je nach zeitlichem Kontext neu zu bestimmen. Zweitens gibt es nicht nur eine, sondern mehrere, sich überschneidende, voneinander abweichende oder sogar sich widersprechende Vorstellungen vom Soldatsein, die gleichzeitig bestehen und miteinander konkurrieren.

Dies gilt gerade für die Bundesrepublik. Seit Gründung der Bundeswehr 1955 hat man sich wiederholt mit der Frage nach dem "richtigen" Soldatenbild auseinandergesetzt – vor allem dann, wenn sich der militärische Auftrag und seine gesellschaftliche Wahrnehmung änderten: etwa in den 1950er-Jahren vor dem Hintergrund der Interner Link: Debatte um die westdeutsche Wiederbewaffnung oder Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre angesichts der Interner Link: aufkommenden Friedensbewegung und der Proteste gegen den sogenannten NATO-Doppelbeschluss. Auch heute, seit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr vor allem in Afghanistan, wird über das Berufsbild des Soldaten intensiv debattiert. Die Diskussionen lassen mindestens drei verschiedene Zugänge zu der Frage, was das "richtige" Soldatenbild ist und was den Soldatenberuf und das Soldatsein ausmacht, erkennen:

  • Aus einer präskriptiven (Normen vorgebenden) Perspektive geben Soldatenbilder Auskunft darüber, wie Soldaten sein sollen. Im Fall der Bundeswehr stellt der "Staatsbürger in Uniform" als zentraler Bestandteil der "Inneren Führung" das offizielle Leitbild dar, das nach außen wie innen Gültigkeit beansprucht.


  • Aus einer deskriptiven (beschreibenden) Perspektive charakterisieren soldatische Berufsbilder, wie Soldaten "sind" und was ihre Tätigkeit typischerweise umfasst. Unter sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkten steht hier insbesondere die analytische Erfassung des Wandels der Aufgaben westlicher Streitkräfte mit seinen Folgen für den Soldatenberuf im Vordergrund.


  • Aus einer subjektiven Perspektive beschreiben Soldatenbilder, wie Soldaten sich selbst und ihren Beruf sehen und welche Bedeutung sie offiziellen Leitbildern gegebenenfalls beimessen.

Soldatische Leit-, Berufs- und Selbstbilder heben also, auch wenn sie in einem Wechselverhältnis zueinander stehen, auf unterschiedliche Aspekte soldatischer Wirklichkeit ab. Diese verschiedenen Perspektiven sollen im Folgenden am Beispiel der Bundeswehr veranschaulicht werden.

Soldatenbild in der DDR

Auch in der DDR gab es normative Vorstellungen über Haltung und Verhalten von Soldaten. Maßgeblich für die Nationale Volksarmee (NVA) war das Bild der "sozialistischen Soldatenpersönlichkeit", das die SED vorgab. Der Soldat der NVA zeichnete sich demnach durch ein ausgeprägtes politisches Bewusstsein und das Bekenntnis zu den sozialischen Werten und Normen aus. Nach Ansicht der SED war dies die Voraussetzung für eine optimale Beherrschung militärischer Fertigkeiten und begründete die Überlegenheit und die Unbesiegbarkeit des sozialistischen Soldaten in Abgrenzung zum Soldaten des "Klassenfeindes". Dieses Soldatenbild blieb jedoch oftmals Fiktion, wie Rüdiger Wenzke Interner Link: in seinem Text zur NVA schreibt.

Soldatenbilder im Vergleich

Das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform

Die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte 1955 war seitens der damaligen Bundesregierung nicht nur mit dem Ziel verbunden, politische Souveränität wiederzuerlangen. Es ging auch darum, eine in Abgrenzung zu den deutschen Vorgängerarmeen neue Form von Militär zu schaffen. Dieses Militär sollte von Grund auf kompatibel mit der durch das Grundgesetz geschaffenen freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung sein. Hierfür steht die Konzeption der Inneren Führung als "Organisations- und Unternehmenskultur" der Bundeswehr. Sie beschreibt, wie sich Angehörige der Bundeswehr im Dienst am Heimatstandort wie im Einsatz verhalten und an welchen Werten sie sich dabei orientieren sollen. Ihr zentrales Leitbild ist der Staatsbürger in Uniform. Es soll die Spannungen und Widersprüche, die sich aus den individuellen Rechten von Staatsbürgern und den soldatischen Pflichten ergeben, verringern und so eine umfassende demokratische Einbindung der Streitkräfte in die Gesellschaft ermöglichen.

Der Staatsbürger in Uniform als Leitbild umfasst politische, soziale und ethische Aspekte: Es garantiert die Teilhabe an staatsbürgerlichen Rechten (z.B. das Wahlrecht), die parlamentarische Kontrolle des militärischen Einsatzes und das individuelle Beschwerderecht von Soldaten durch die unabhängige Institution des Wehrbeauftragten. Darüber hinaus wird soldatisches Handeln vor allem als wertorientiert konzipiert. Soldaten sind aus Sicht der Inneren Führung mündige Staatsbürger, die von ihren Vorgesetzten auch als solche zu behandeln sind. Den Wert und die Funktion der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik sollen sie auch und gerade im Militär erfahren und deshalb in der Lage sein, sich für die Verteidigung von Recht und Freiheit einzusetzen. Gemäß der Vorgaben der Inneren Führung üben Soldaten als Staatsbürger in Uniform ihre Tätigkeit nicht primär gegen Entlohnung, sondern im Bewusstsein ihres Auftrags und der zugehörigen Wertvorstellungen aus. Sie verstehen demnach ihren Beruf als einen Beruf "wie jeder andere", mit dem kein privilegierter sozialer Status verknüpft ist. Das Ziel soldatischen Handelns ist laut Innerer Führung die Herstellung beziehungsweise Sicherung von Frieden – unter Androhung und Anwendung von Gewalt. Der Einsatz von Gewalt ist aus diesem Verständnis als Mittel zur Erreichung friedlicher Zwecke zu verstehen und nicht als Ziel oder Selbstzweck soldatischen Handelns an und für sich.

Wie die institutionelle Verankerung der Inneren Führung war die Einführung und Etablierung des Leitbilds vom Staatsbürger in Uniform ein von Kontroversen begleiteter Prozess, der von der Herausgabe eines ersten Handbuches zur Inneren Führung (1957) über die Verabschiedung einer entsprechenden Vorschrift und ihrer Überarbeitung in den Jahren 1972 und 1993 bis zur bis heute gültigen Neufassung der sogenannten Externer Link: Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) 10/1 von 2008 reicht.

Mit der Entwicklung der Bundeswehr weg von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu einer Armee im (Auslands)Einsatz ist sowohl aus den Reihen der Soldaten als auch der Wissenschaft Kritik am offiziellen Leitbild des Staatsbürgers in Uniform laut geworden: Einerseits sei fraglich, ob die historisch bedingte, auf Kriegsvermeidung und Friedenssicherung abzielende Grundausrichtung der Streitkräfte die aktuelle Realität asymmetrischer Konflikt- und Einsatzlagen noch abzubilden vermag. Zum anderen bestehe mit Blick auf die Aussetzung der allgemeinen Wehrpflicht und die Umwandlung der Bundeswehr in eine international eingesetzte Freiwilligenarmee das Risiko einer Aushöhlung der zivilgesellschaftlichen Integration der Streitkräfte und einer Schwächung des demokratischen Bewusstseins der Soldaten: Auf der einen Seite kämen immer weniger Bürger in ihrem Leben direkt mit der Bundeswehr in Kontakt und beschäftigten sich mit militärbezogenen Themen. Auf der anderen Seite konzentrierten sich die Soldaten angesichts des Wegfalls des einst klaren Verteidigungsauftrags zunehmend auf den professionellen Wesenskern des Militärs zu Lasten einer Reflexion über die übergeordnete politische Bedeutung ihres Handelns. Die Innere Führung müsse daher in dieser Hinsicht weiterentwickelt werden.

Von dieser normativen Beschäftigung mit dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform sind Ansätze zu unterscheiden, die zentrale Merkmale des Soldatenberufs im Wandel der Zeit analytisch erfassen und anhand von Berufsbildern systematisieren.

Das Berufsbild des Soldaten vor dem Hintergrund sich wandelnder Einsatzbedingungen

In der deutschen wie internationalen Militärsoziologie ist man sich weitgehend einig, dass sich mit dem Ende des Kalten Krieges der Auftrag westlicher Streitkräfte und damit auch das berufliche Anforderungsprofil von Soldaten grundlegend gewandelt haben. Stand bis 1989/90 die Landesverteidigung im Vordergrund, kamen seit den 1990er-Jahren sogenannte friedensschaffende sowie friedenssichernde Einsätze in innerstaatlichen oder grenzüberschreitenden Konflikten als "neue", zusätzliche Aufgaben für das Militär hinzu. Damit hat sich auch das Berufsbild des Soldaten verändert: Prägte in den "großen" zwischenstaatlichen Kriegen der Vergangenheit das Bild vom Soldaten als "Kämpfer und mitreißender Truppenführer" und unter den Bedingungen nuklearer Abschreckung der "Manager und Techniker" die Wahrnehmung, gilt für die hochkomplexen Einsatzszenarien der Gegenwart der "diplomatisch, politisch [und] akademisch" gebildete Soldat als militärischer Prototyp. Er erfüllt gleichermaßen militärische und polizeiliche Aufgaben und verbindet – als Diplomat, Helfer, Schützer oder sogar Sozialarbeiter – somit ganz unterschiedliche Rollen und wird zu einer Art Hybrid, einem soldatischen Mischwesen.

Offen bleibt, inwieweit Soldaten in der Lage sein können, mit diesen vielfältigen Anforderungen zurechtzukommen – insbesondere mit Widersprüchen wie etwa der Konfrontation mit Gewalt im Einsatzland, die im krassen Kontrast zum zivilgesellschaftlichen Gewaltverbot im Heimatland steht. Mit Blick auf die oben dargestellte "Hybridisierung der Streitkräfte" bzw. des Soldatseins ist zu fragen, ob die geforderte Rollenvielfalt letztlich nicht zu einer funktionalen Überforderung der Soldaten führt, die eine Konzentration aufs Kämpfen bedingt, wenn nicht sogar erforderlich macht. Inwieweit dies der Fall ist, darüber können Studien Auskunft geben, die sich mit dem soldatischen Selbstverständnis befassen, das im nächsten Abschnitt betrachtet wird.

Soldatische Selbstbilder

In der Forschung gibt es verschiedene Annäherungen an die subjektive Sicht des Soldatseins, die zu übereinstimmenden wie abweichenden Ergebnissen kommen. Im Rahmen einer in den 2000er-Jahren durchgeführten qualitativen Befragung unter jungen Soldaten aus Ost- und Westdeutschland, die sich längerfristig bei der Bundeswehr verpflichtet hatten, wurde auf der Basis vier unterschiedlicher Dimensionen (Tätigkeit, Status, Tugenden, Auftrag) ein Modell soldatischer Identität entwickelt. Es umfasst vier Typen soldatischen Selbstverständnisses:

  • Für Soldaten des ersten Typus stellt die Tätigkeit bei der Bundeswehr in erster Linie eine "Alternative zum Zivilberuf" dar. Von ihnen werden die Parallelen zwischen einer Arbeit beim Militär und bei einem zivilen Arbeitgeber hervorgehoben. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden unter politischen Gesichtspunkten thematisiert und sind für diesen Typus in erster Linie als Teil der konkreten Arbeitsbedingungen von Bedeutung.


  • Soldaten des zweiten Typus ("Soldatsein als Karriere") zeichnen sich durch eine ausgeprägte Aufstiegs- und Statusorientierung aus. Für sie stehen materielle Anreize sowie die Qualifizierungs- und beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten einer militärischen Laufbahn im Vordergrund. Die Aufgaben der Bundeswehr, namentlich die Auslandseinsätze, werden in erster Linie unter funktionalen Gesichtspunkten, mit Blick auf die eigene Karriere, thematisiert und entsprechend bewertet.


  • Soldaten des dritten Typus stechen durch eine ausgeprägte Identifikation mit dem Militär und der Institution "Bundeswehr" hervor ("Soldatsein als Lebenswelt"). Für sie stehen "Dienst" und "Kameradschaft" an erste Stelle. Die eigene Stellung innerhalb der Militärhierarchie wie auch die von anderen wird am Dienstgrad und den gezeigten Führungsqualitäten festgemacht. Der politische Auftrag der Bundeswehr im Allgemeinen wie auch die Auslandseinsätze im Besonderen werden als politisch vorgegeben akzeptiert. Für die Beurteilung der Einsätze im Einzelfall stehen Fragen der militärischen Machbarkeit im Zentrum.


  • Soldaten des vierten Typus lassen sich durch eine starke Identifikation mit dem Auftrag charakterisieren ("Soldatsein als Mission"). Dies setzt eine umfassende Auseinandersetzung mit den der Bundeswehr übertragenen Aufgaben und dem eigenen Beitrag dazu voraus, der für die Einschätzung des eigenen Status wie auch für die allgemeine Berufszufriedenheit von entscheidender Bedeutung ist.

Zusammenfassend lassen die skizzierten soldatischen Selbstbilder nicht nur unterschiedliche Berufsmotive, sondern auch unterschiedliche Sichtweisen auf das Verhältnis zur Militärorganisation wie zu den Aufgaben der Bundeswehr erkennen. Daran zeigt sich, dass soldatisches berufliches Handeln unterschiedlichen Logiken folgt, die sich teils mehr, teils weniger mit dem offiziellen Leitbild decken – auch wenn die Innere Führung als normativer Bezugspunkt grundsätzlich anerkannt wird.

Wie stabil diese Logiken über die Zeit hinweg sind und durch (Gewalt)Erfahrungen während eines Auslandseinsatzes gegebenenfalls beeinflusst werden, dazu liegen bislang nur vereinzelte Erkenntnisse vor. Anja Seiffert konstatierte mit Blick auf die Ergebnisse ihrer Untersuchung zum Bosnien-Einsatz der Bundeswehr Ende der 1990er-Jahre eine Verschiebung soldatischer Legitimationsvorstellungen: Übergeordnete politischer Erwägungen zu Einsatzzielen wie beispielsweise Demokratisierung verloren gegenüber funktionalen und utilitaristischen Überlegungen, die auf organisationsbezogene oder individuelle (Eigen)Interessen abhoben, an Bedeutung. Neuere Studien zeigen dagegen, dass sich kaum Unterschiede bei den Einflussfaktoren für soldatische Motivation zwischen Stabilisierungs- und Kampfeinsätzen feststellen lassen. Dass speziell die während des Afghanistan-Einsatzes gemachten Gefechtserfahrungen allerdings im Selbstverständnis der davon betroffenen Soldaten zu einem höheren Maß an militärischer Professionalität und professionellem Selbstbewusstsein geführt haben, verdeutlicht die Untersuchung von Maren Tomforde. Tomforde warnt in diesem Zusammenhang davor, den soldatischen Umgang mit Gewalt ausschließlich unter psychopathologischen Gesichtspunkten zu thematisieren und plädiert stattdessen dafür, soldatische Gewalterfahrungen in ihren destruktiven wie konstruktiven Auswirkungen und somit sowohl als Erfahrungen von Leid und Zerstörung als auch von professionellem Können und Selbstbewährung ernst zu nehmen.

Fazit

Die Frage des soldatischen Umgangs mit Gewalt stellt letztlich den Dreh- und Angelpunkt der Beschäftigung mit soldatischen Leit-, Berufs- und Selbstbildern dar: Die Aufgabe von Soldaten als Angehörige von Streitkräften ist die organisierte Anwendung oder Androhung bewaffneter Gewalt im Auftrag des Staates. Als Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols verfügen Soldaten über Handlungsoptionen, die allen anderen Bürgern untersagt sind. Zugleich unterliegen Soldaten in ihrem Handeln besonderen Zwängen, da staatliche Gewalt kontrolliert werden muss, um als legitim gelten zu können.

Soldatenbilder – ob normativ kodiert, analytisch konstruiert oder durch alltägliche Praxis konstituiert – liefern Lösungsangebote für dieses Spannungsfeld, das aufgrund der jedem Gewalthandeln innewohnenden Dynamiken nie ganz aufgelöst werden kann. Soldatenbilder bündeln die normativen und funktionalen ebenso wie die politischen, organisationsbezogenen und individuellen Parameter, die das Soldatsein und den Soldatenberuf kennzeichnen. So, wie die Gewichtung dieser Parameter unterschiedlich ausfallen kann, so können die Vorstellungen voneinander abweichen, die in Militär, Politik und Gesellschaft über "den" Soldaten oder "die" Soldatin bestehen. Für pluralistische Gesellschaften ist eine solche Vielfalt weder ungewöhnlich noch problematisch. Wichtig erscheint vielmehr, dass Militär, Politik und Gesellschaft öffentlich und transparent darüber in Dialog treten und sich die Soldatinnen und Soldaten selbst, mit ihren eigenen Erfahrungen, Vorstellungen und Standpunkten, in dieser Debatte wiederfinden und mit einbringen können.

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Fussnoten

Fußnoten

  1. Zugunsten der besseren Lesbarkeit wurde in diesem Text darauf verzichtet, die männlichen wie weiblichen Angehörigen der Streitkräfte jeweils gesondert zu benennen. Desgleichen wurde aus Platzgründen auf eine Differenzierung zwischen geschlechtsspezifischen Vorstellungen des Soldatseins verzichtet – wohlwissend, dass nach wie vor Unterschiede zwischen Soldaten- und Soldatinnenbildern bestehen.

  2. Dies spiegelt sich beispielweise im Eid wider, den Soldaten der Bundeswehr bei der Übernahme als Zeit- und Berufssoldat ablegen: "Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen."

  3. Zu den Funktionen soldatischer Berufsbilder im Einzelnen siehe Vogt (1987: 100).

  4. Siehe hierzu zum Beispiel Geyer (2001).

  5. Siehe hierzu zum Beispiel Vogt (1986) sowie Dörfler-Dierken (2010).

  6. Siehe hierzu beispielsweise die Beiträge von Neitzel (2013), Biehl (2014/15) und Naumann (2014/15) mit weiterführenden Literaturhinweisen in der Zeitschrift Mittelweg 36.

  7. Vgl. hierzu und im Folgenden Franke (2012: 376 ff.).

  8. Wiesendahl (2007b: 22 et passim).

  9. Für eine ausführliche Rekonstruktion der Leitgedanken von Wolf Graf von Baudissin, auf den die Ideen der Inneren Führung maßgeblich zurückgehen, siehe Dörfler-Dierken (2005); für eine Zusammenfassung dieser Ideen mit Blick auf das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform siehe von Rosen (2006).

  10. ZDv 10/1 = Zentrale Dienstvorschrift 10/1 "Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur der Bundeswehr". Diese Vorschrift firmiert mittlerweile unter der Bezeichnung A2600/1 "Innere Führung. Selbstverständnis und Führungskultur".

  11. Siehe hierzu etwa die Kritik von Hellmann (2011, 2013).

  12. So z. B. Franke (2015); siehe hierzu auch die Beiträge in Wiesendahl (2007a).

  13. Exemplarisch hierfür: Moskos/Williams/Segal (2000); speziell für die Bundeswehr: Biehl (2008).

  14. Die entsprechenden Formulierungen stammen von v. Bredow (2006: 315).

  15. So z. B. Apelt (2012).

  16. Kümmel (2012).

  17. So z. B. Warburg (2010).

  18. Siehe hierzu und im Folgenden Leonhard/Biehl (2012: 416 ff.) sowie Leonhard (2007: Kap. 4).

  19. Siehe hierzu auch die Untersuchung von Tomforde (2005).

  20. Darauf deuten auch die Ergebnisse der Studie von Bake (2010) hin, die gleichzeitig deutlich machen, dass die Innere Führung von Soldaten in erste Linie mit guter Menschenführung und den Prinzipien des Führens mit Auftrag ("Auftragstaktik") verbunden wird. Vgl. hierzu auch Biehl/Leonhard (2012: 418 f.).

  21. Seiffert (2004).

  22. Vgl. Pietzsch (2012); siehe hierzu auch Biehl (2014/15: 59 f.).

  23. Tomforde (2015).

  24. Zum ambivalenten Charakter von Gewalt siehe auch Stümke (2013).

  25. Leonhard/Franke (2015: 5).

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Dr. habil. Nina Leonhard ist Politikwissenschaftlerin und Soziologin und Externer Link: Projektleiterin im Forschungsbereich Militärsoziologie am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Sie forscht, lehrt und veröffentlicht vor allem zu Militärsoziologie und Erinnerungskultur.