Familienpolitik als Carepolitik für Ältere
Die Lebenserwartung in Deutschland steigt. Zugleich bleibt die Geburtenrate auf einem niedrigen Niveau. Der demographische Wandel der Gesellschaft stellt auch an die Familienpolitik Herausforderungen sowie Chancen. Familienpolitik muss dabei neben Kindern, auch die Älteren im Fokus haben und das Thema der Pflege. Solidarische Generationsbeziehungen sind dafür entscheidend, sagt Nancy Ehlert. Die Sozialwissenschaftlerin erklärt die Grundzüge der Carepolitik und die Anforderungen.
Der 'Care'-Begriff wurde aus einer feministischen Debatte heraus entwickelt und beschreibt bezahlte und unbezahlte Arbeit für die Fürsorge abhängiger Personen. Hierzu gehört die Kinderbetreuung und Altenpflege, auch die Nachbarschaftshilfe oder Unterstützung bei der Hausarbeit.
Bei der Altenbetreuung ist bisher nur ein vorsichtiger Ausbau verstetigt. Außerdem sind hier große Unterschiede in Bezug der Fürsorgeleistungen für ältere Menschen zwischen den europäischen Staaten zu beobachten. Zugleich besteht ganz allgemein die Notwendigkeit einer Debatte um Carepolitik für Ältere, also um die politischen Rahmenbedingungen einer Fürsorge für Ältere. Der altersstrukturelle Wandel der Gesellschaft macht solch eine Diskussion erforderlich.
Altersstruktureller Wandel der Gesellschaft
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der verringerten Geburtenraten zeigt sich eine veränderte Altersstruktur der Gesellschaft. Diese Tendenz ist in allen europäischen Ländern ersichtlich. Der Rückgang der Geburtenzahlen – wenn auch mit deutlichen Unterschieden – bedeutet einen Rückgang der für Pflegeleistungen zur Verfügung stehenden Jüngeren. Auch die finanzielle Absicherung älterer Menschen spielt eine Rolle. Zudem kommen geburtenstarke Jahrgänge in das Alter, in dem die Wahrscheinlichkeit der Pflegebedürftigkeit wächst.Eine Rolle für den altersstrukturellen Wandel spielen auch die sinkende Zahl an Mehrgenerationenhaushalten und die wachsende Zahl Alleinlebender. Diese Faktoren haben jedoch keinen Einfluss auf die weiterhin hohe Kontakthäufigkeit zwischen den Generationen.
Dabei offenbart der demographische Wandel Herausforderungen wie auch Chancen. Eine Chance ist, dass mit der Verlängerung der Lebenserwartung auch länger anhaltende Beziehungen zwischen den Generationen möglich sind und damit eine stark zunehmende gemeinsame Lebenszeit der Generationen. Herausforderungen sind die Versorgung der wachsenden Zahl von hilfsbedürftigen Älteren sowie die mögliche Überlastung der erwerbstätigen Erwachsenen, die familiäre Fürsorge zu übernehmen. Der demografische Wandel bedeutet auch eine steigende Zahl an Leistungsempfängern und eine abnehmende Zahl der Beitragszahlenden, was mit Lücken der öffentlich finanzierten Alterssicherung einhergeht – zum Beispiel in Deutschland.
Vereinbarkeit von Pflege und Beruf
Derzeit beziehen 2,7 Millionen Menschen in Deutschland Leistungen aus der Pflegeversicherung (siehe hierzu auch den Text "Die Pflegeversicherung – Überblick"). Für 2020 wird eine Erhöhung auf rund drei Millionen Menschen und für 2050 auf knapp fünf Millionen Menschen erwartet. Es wird angenommen, dass der Pflegebedarf pro Person zunimmt und die Zahl sehr alter Menschen wächst. Dennoch wird kein linearer Anstieg des durchschnittlichen Beginns der Pflegebedürftigkeit prognostiziert (Szydlik 2008): Das heißt, die Menschen werden nicht später im Alter pflegebedürftig sondern eher länger.Die Pflege wird überwiegend privat geleistet: Mehr als zwei Drittel der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Dabei sind viele Pflegende berufstätig. Gut drei Viertel (78 Prozent) der 40- bis 59-jährigen Frauen, die einen Angehörigen pflegen, sind auch berufstätig; davon 30 Prozent in Vollzeit. Der größte Teil der häuslichen Pflege wird von Frauen geleistet, etwa ein Viertel (in 2010) von Männern.[1] Für Männer wie Frauen besteht das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege: Es kommt zur doppelten Belastung. Dabei ist die mittlere Familiengeneration besonders angestrengt, also Männer und Frauen mit Kindern und pflegebedürftigen Eltern.
Es lässt sich die These aufstellen, dass familiale Hilfe- und Pflegeleistungen für ältere Angehörige zunehmend prekär werden (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina 2009). Dafür gibt es verschiedene Gründe: Der Betreuungsbedarf nimmt zu, doch die Betreuungsmöglichkeiten nehmen ab; die wachsende Flexibilisierung der Arbeit; die zunehmende Frauenerwerbsbeteiligung; steigende Mobilität, die Wohnungsentfernungen von Familienmitgliedern größer werden lässt und auch die abnehmende Geschwisterzahl, die sich die Betreuung der Eltern teilen könnten.
In der Diskussion steht deshalb die Unterstützung der Familien durch die Solidargemeinschaft, um gesamtgesellschaftliche Folgekosten durch die Überlastung der Familien zu verhindern (Szydlik 2008). Notwendig erscheinen die Flexibilisierung der Arbeitszeit für Pflegende und Betreuende, um einen mehrjährigen Ausstieg aus der Berufstätigkeit zu vermeiden (BMFSFJ 2006)[2]. Um mehr Anreize für die Nutzung professioneller Dienstleistungen zu setzen, wird über eine Erleichterung der Vernetzung familiärer und öffentlicher Angebote nachgedacht (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina 2009).