Zusammenfassung
Hans-Adolf Jacobsen: Zur Einführung
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Hans-Adolf Jacobsen: Zur Einführung
Vom 26. 4. bis 28. 4. 1973 fand in Bonn-Bad Godesberg ein Symposium über Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa statt, an dem über 70 Politiker, Wissenschaftler, Journalisten, Beamte und Mitarbeiter aus verschiedenen Ministerien und Institutionen teilgenommen haben. Veranstalter war das Seminar für Politische Wissenschaft an der Universität Bonn, das dabei von der Deutschen Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung unterstützt wurde. Das Ziel der Veranstaltung war ein mehrfaches: einmal sollte versucht werden, eine erste, vorsichtige Zwischenbilanz auf dem Gebiet der intersystemaren Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen zu ziehen und dabei deren Möglichkeiten und Grenzen zu verdeutlichen. Zum anderen ging es darum, einen kontinuierlichen Meinungsaustausch zwischen jenen einzuleiten, die auf Grund ihrer Tätigkeit auf dem Sektor der Kooperation mit den sozialistischen Staaten bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt haben, ohne daß diese immer hinreichend bekanntgeworden sind, und jenen, die sich vorwiegend als Wissenschaftler mit diesen Fragen auseinandersetzen. Damit verband sich zugleich die Hoffnung, daß eine solche Begegnung zu einem sicherlich notwendigen Korrektiv des Urteils auf beiden Seiten über die bestehenden Probleme führen und Ansätze aufgezeigt werden könnten, in welcher Weise aufgetretene und zu erwartende Schwierigkeiten intersystemarer Zusammenarbeit (mittel-oder langfristig gesehen) reduziert werden können. Und schließlich sollte zwischen Praktikern und Theoretikern erörtert werden, wie weitere Kreise der Öffentlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland für die künftigen Aufgaben der weltpolitisch so bedeutsamen Kooperation zwischen Ost und West als ein Mittel der Friedenssicherung verstärkt durch sachliche Information interessiert werden können.
Aus dem umfassenden Themenkatalog wurden Schwerpunkte ausgewählt. Dazu zählten
Aspekte der gesamteuropäischen Sicherheit, der Wirtschaftskooperation zwischen Ost und West, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wissenschaft, Kultur und Technologie sowie Perspektiven einer künftigen gesamteuropäischen Friedensordnung, die durch Referate von Praktikern und Theoretikern analysiert und in Arbeitsgruppen vertieft wurden. Berichte der Arbeitsgruppen und eine Plenardebatte über die Themenkreise beendeten das Symposium.
Die mannigfachen Beziehungen zwischen Ost und West haben in den vergangenen Jahren deutlich werden lassen, daß bisher nur sehr begrenzt von wirklicher Kooperation gesprochen werden kann. Davon kann eigentlich erst dann die Rede sein, wenn vertragliche, längerfristige Vereinbarungen getroffen werden mit dem Ziel, gemeinsame Leistungen zu erbringen, das beiderseitige Vorgehen abzustimmen und wechselseitige Vorteile anzustreben, die zu einer gewissen gegenseitigen Abhängigkeit, zur Arbeitsteilung und schließlich zur Partnerschaft auf lange Sicht führen können
Im Bereich der Wirtschaftskooperation stehen ähnliche Fragen im Vordergrund. Welche politischen Wirkungen sind von dem im ganzen doch noch recht bescheidenen Osthandel (OECD-Länder:
Es wird sorgfältig zu prüfen sein, ob die Behauptung zutrifft, daß, je größer das wirtschaftliche Engagement sei, desto mehr von einer Verflechtung gemeinsamer Wirtschaftsinteressen gesprochen werden könne mit der Konsequenz, daß sich die Gefahren der Ost-West-Konfrontation verringern und damit der Frieden stabiler werde. Ein prominenter Sachkenner in der BRD hat in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, daß besseres Kennenlernen und Verstehen zu wachsendem Vertrauen zwischen unterschiedlichen Gesellschaftssystemen führen würden. Denn dadurch würden politische Spannungen reduziert und zusätzlich Stabilität geschaffen. Von einem erhöhten Lebensstandard der Völker im Osten und von dem Anschluß der sozialistischen Staaten des Westens sei vielleicht zu erhoffen, daß bestimmte Härten und Starrheiten des Systems sowie gewisse ideologisch-politische Verkrampfungen reduziert würden. Längerfristig würden dann immer mehr sachbezogene Entscheidungen nach innen und außen getroffen werden 4).
Von sowjetischer Seite ist wenige Wochen vor dem Symposium bei einer Konferenz in Köln von Vertretern der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde und dem Institut für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der Akademie der Wissenschaften (Moskau) die Ansicht geäußert worden, daß auf dem Sektor der Wirtschaftskooperation nicht nur eine Arbeitsteilung notwendig sei, sondern in erster Linie auch eine Steigerung des Austausch-Volumens. Dadurch könne der Charakter der Beziehungen zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung geändert werden. Allerdings wurde in diesem Zusammenhang mit Recht auf den Zeitfaktor und die Explorationsphase hingewiesen. Im Hinblick auf den Antagonismus der Systeme müßten Wege und Methoden gefunden werden, um bestimmte psychologische Barrieren zu überwinden
Im Februar 1973 hat ein führender Vertreter des Bonner Wirtschaftsministeriums in Buda-pest angedeutet, daß die Industrie „Schrittmacher" auf dem politischen Felde sei. Denn Austausch von Informationen und Erfahrungen, ein gegenseitiges Kennenlernen, seien die Basis für bessere Partnerschaft
Diese und ähnliche Aussagen zwingen immer wieder zur Klärung der Frage, ob eine solche Zielsetzung im Rahmen gesamteuropäischer Kooperation als Element der Friedenssicherung betrachtet werden kann. Bekanntlich erhoffen sich die Vertreter des Funktionalismus von einer verstärkten Kooperation in den mehr konfliktfreien Bereichen eine Ausdehnung der Zusammenarbeit auch auf andere Gebiete. Ob aber eine Wirtschaftskooperation mit dem Zweck, das Ostblocksystem aufzulockern oder die unterschiedlichen Wirtschaftssysteme langsam zu überwinden nicht neue Gefahren (destabilisierender Wirkung) heraufbeschwört, wird stets von neuem zu untersuchen sein.
Damit hängt ein weiteres Grundproblem gesamteuropäischer Kooperation zusammen, nämlich das der „Friedlichen Koexistenz", das u. a. auch im Mittelpunkt der künftigen angestrebten Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen (sog. „Korb" III der KSZE)
Gewiß sind dies alles Ideen, die sie in erster Linie auf friedliche Weise propagieren, jedoch keineswegs nur im eigenen Blocksystem. Freilich: Wenn die westeuropäischen kapitalistischen Staaten etwas ähnliches im Sinne ihrer Wert-und Ordnungsvorstellungen durch einen freien Austausch von Ideen, Informationen und Menschen anstreben, wird ihnen massiv der Vorwurf der Unterwanderung (Diversion) der gesellschaftlichen Struktur im Osten gemacht. Das Prinzip der Gegenseitigkeit, das im politisch-wirtschaftlichen Bereich, wenn auch eingeschränkt, akzeptiert worden ist, läßt sich auf dem Sektor der Kultur und Ideologie nur schwer durchsetzen. Dafür scheint die Zeit einfach noch nicht reif zu sein. Gerade deswegen werden die Vertreter des Westens und der unabhängigen bzw. neutralen Staaten diesen Gesichtspunkt im Interesse einer wirklichen Entspannung auf weite Sicht immer wieder mit Nachdruck zur Sprache bringen und um gemeinsame Konzepte ringen müssen
Die bis heute eingeleitete Phase gesamteuropäischer Kooperation bedarf nach den bisherigen Erfahrungen — das haben auch die Diskussionen auf dem Symposium gezeigt — ständig sorgfältiger Analysen nicht nur über politische Prioritäten, Rückwirkungen auf die Kohärenz der eigenen Bündnis-und Ordnungssysteme, sondern auch über die jeweiligen Auswirkungen auf andere Staaten (einschließlich die der Neutralen und der Länder der Dritten Welt) und das globale Kräfteverhältnis. Angesichts der Heterogenität, der Struktur-und Normenunterschiede, ferner einer noch völlig unzureichenden Ost-West-Kommunikation, müssen die Möglichkeiten und Grenzen, ebenso die Vor-und Nachteile sowie die Fragen des gegenseitigen Nutzens bei der intersystemaren Zusammenarbeit verdeutlicht werden. Eine Politik, die auf eine Art Konvergenz abzielt, wäre dabei freilich unrealistisch. Vielmehr wird es entscheidend darauf ankommen, sich gegenwärtig unter Wahrung eines ausgewogenen militärischen Gleichgewichts von den Prinzipien der „antagonistischen Kooperation"
Wenn die Politik intersystemarer Zusammenarbeit in Zukunft den Frieden in unserer Welt festigen soll, muß auf allen Seiten die Bereitschaft gefördert werden, das eigene Bild vom Nachbarn nur als Teil der Wirklichkeit zu begreifen und durch einen dauerhaften Informationsprozeß, begleitet von korrigierender Rückkoppelung, Verfälschungen und Verzerrungen auf ein politisch vertretbares Ausmaß zu reduzieren. Vor allem kommt es dabei darauf an, sich endlich von der „Herrschaft der Schlagworte" zu befreien. Diese Aufgabe darf allerdings nicht mit jener häufig noch bevorzugten sog. „Entlarvungsideologie" verwechselt werden, die lediglich die andere Ideologie entlarven möchte, die eigene jedoch dabei ausklammert
Ob die auf der 2. und 3. Phase der KSZE 1973/74 im Mittelpunkt der Verhandlungen stehenden gemeinsamen Kooperationsinteressen und die dort möglicherweise getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen oder politischen Grundsatzerklärungen über die allgemeinen Prinzipien der zwischenstaatlichen Beziehungen ausreichen werden, ein neues Fundament für eine dauerhaftere europäische Friedensordnung zu schaffen, wird erst die Zukunft lehren können. Eines dürfte aber heute schon feststehen: zu einer multilateralen Entspannungspolitik, die u. a. gekennzeichnet ist durch Gewaltverzicht, Unverletzbarkeit der Grenzen, souveräne Gleichheit, Nichteinmischung, Achtung vor den Menschenrechten, europäische Konfliktregeln und ihre strikte Einhaltung, gleichgewichtige Rüstungsverminderung, engere wirtschaftlich-technologische Kooperation durch verbesserten vertrauenbildenden Austausch von Menschen, Ideen und Informationen zwischen Ost und West, gibt es für Europa keine sinnvolle Alternative zum Frieden
Im Verlauf des dreitägigen Symposiums konnten nur einige der hier angedeuteten Probleme erörtert werden. Davon legen z. T. die nachfolgenden Beiträge Zeugnis ab. Wenn die Fragen der MBFR nicht berücksichtigt worden sind, obgleich sie einen großen Teil der Diskussion umfaßt haben, so liegt das daran, daß die vorgetragenen und diskutierten Thesen bereits zu einem früheren Zeitpunkt veröffentlicht worden sind
Zu bedauern bleibt lediglich, daß die zum Symposium eingeladenen Vertreter der deutschen Wirtschaft, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, von der Möglichkeit des Dialogs mit Wissenschaftlern und Praktikern aus recht unterschiedlichen Motiven keinen Gebrauch gemacht haben; ähnliches gilt für zahlreiche Journalisten. Es ist nur zu hoffen, daß auch sie vom Sinn einer kontinuierlichen, politisch-wissenschaftlichen Auswertung ihrer Erfahrungen über die Ost-West-Beziehungen im Interesse einer stetig zu verbessernden Entspannungspolitik überzeugt werden können.
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