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Seidenstraße vor Ort | Chinas neue Seidenstraßen | bpb.de

Chinas neue Seidenstraßen Editorial Von Gürteln, Straßen und Ambitionen. China und die neuen Seidenstraßen Andocken – Diskursmacht – Versicherheitlichung. Chinas geopolitischer Code und die Belt and Road Initiative Im Wettstreit um Konnektivität Transfer und Transformation. Das alte China und die Seidenstraße Die polare Seidenstraße. Zeitenwende im Eismeer? Seidenstraße vor Ort. Einblicke in ausgewählte Projekte Nach der Pandemie. Zur innenpolitischen Logik der Belt and Road Initiative

Seidenstraße vor Ort Einblicke in ausgewählte Projekte

Jacob Mardell

/ 17 Minuten zu lesen

Ein Gesamtüberblick über Projekte der "neuen Seidenstraße" ist kaum möglich. Einzelprojekte geben Einblicke in die geografische Verteilung, Wirtschaftssektoren und thematische Schwerpunkte.

In diesem Beitrag stelle ich mehrere Projekte der "neuen Seidenstraßeninitiative", im Englischen bekannt als "Belt and Road Initiative" (BRI), vor. Eine Übersicht über alle Projekte zu erhalten ist sehr schwierig, denn die chinesische Regierung führt keine offizielle Liste mit BRI-Projekten. Es gibt keine allgemein zugänglichen Informationen zu Projektfortschritten und auch keine Definition darüber, was laut Beijing ein "BRI-Projekt" ausmacht. In den Reden chinesischer Offizieller werden einzelne Projekte erwähnt, allerdings nicht ausführlich erläutert. In BRI-Dokumenten werden fünf "Kooperationsprioritäten" aufgeführt, aber diese Prioritäten, die von der "Vernetzung von Einrichtungen" bis hin zur "Förderung zwischenmenschlicher Beziehungen" reichen, sind so abstrakt, dass sie praktisch alle möglichen Aktivitäten umfassen können. Die BRI ist somit sehr breit angelegt, und ihre Grenzen sind nicht klar umrissen, weshalb es nicht möglich ist, mit einer begrenzten Auswahl von Beispielen ein schlüssiges Gesamtbild der Initiative zu zeichnen. Dennoch soll die Vorstellung einzelner Projekte es ermöglichen, Einblicke in die geografische Verteilung, in die verschiedenen Wirtschaftssektoren und in unterschiedliche thematische Schwerpunkte der BRI zu erhalten.

BRI-Projekte als Türöffner für Staatsunternehmen

Autobahn Bar-Boljare in Montenegro

Die knapp einen Kilometer lange Morača-Brücke, die sich in 200 Metern Höhe über die gleichnamige Schlucht spannt, bildet den Höhepunkt eines 41 Kilometer langen Autobahnprojekts, das von Smokovac in der Nähe der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica nach Mateševo im Norden führt. Es ist Teil eines langfristigen Vorhabens, den Hafen von Bar an der Küste Montenegros mit Boljare an der serbischen Grenze zu verbinden. Der Abschnitt von Smokovac nach Mateševo ersetzt eine kurvige zweispurige Straße. Die neue Strecke mit ihren 20 Brücken und 16 Tunneln, die auf direktem Weg durch die gebirgige Landschaft Montenegros führt, verkürzt die einst gefährlichen 180 Kilometer zu einer deutlich sichereren 30-minütigen Fahrt.

Allerdings hat diese beeindruckende Ingenieursleistung einen stolzen Preis. 85 Prozent der Kosten für den Bau, der von der China Road and Bridge Corporation (CRBC) durchgeführt wird, sind durch einen Kredit der Export-Import Bank of China (Exim) gedeckt, einer staatlichen chinesischen Bank, die sehr aktiv bei der Finanzierung von BRI-Projekten ist. Unter Berücksichtigung von Währungsschwankungen und zusätzlichen Arbeiten wird sich der Preis der Autobahn bei Fertigstellung auf über eine Milliarde Euro belaufen. Das ist viel Geld für eine Strecke von 41 Kilometern. Der Preis ist allerdings noch höher, wenn man ihn ins Verhältnis zur Größe Montenegros setzt – einem Land, in dem weniger Menschen als in Frankfurt am Main leben und dessen Bruttoinlandsprodukt etwa dem der Stadt Bamberg entspricht.

Die Bemühungen um den Bau der Autobahn reichen noch in die Zeit vor Montenegros Unabhängigkeit 2006 zurück. Montenegro wandte sich zunächst an die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und die Europäische Investitionsbank (EIB), doch die Finanzinstitute waren skeptisch bezüglich des wirtschaftlichen Nutzens im Verhältnis zu den Kosten. 2010 nahmen Mitglieder der montenegrinischen Regierung inoffiziell Kontakt zu chinesischen Stellen auf und verkündeten schließlich 2013, CRBC werde die Autobahn bauen, wobei sie gleichzeitig einen von der EIB unterstützten Vorschlag ablehnten, stattdessen bestehende Straßen auszubauen.

Der Abschnitt von Smokovac nach Mateševo ist ein typisches Beispiel für die BRI, weil er einen weit verbreiteten Kritikpunkt an der Initiative illustriert und die Mechanismen chinesischer Finanzierung von Infrastrukturprojekten weltweit aufzeigt: Gäbe es China nicht, wäre die wirtschaftlich fragwürdige Autobahn wahrscheinlich gar nicht gebaut worden. Im Rahmen der BRI ermöglicht China den Projektländern ein – wie manche Analysten sagen würden – wirtschaftlich unverantwortliches Handeln.

Wählt man eine andere Perspektive, könnte man sagen, dass Beijing mit seinem Ansatz, den Partnern keine Vorschriften zu machen, auf die von den Projektländern geäußerten Bedürfnisse eingeht. Beijing hebt Chinas Identität als Entwicklungsland hervor und positioniert sich im Gegensatz zu westlichen Institutionen als Partner, der andere Länder nicht von oben herab behandelt, sondern ihre Wünsche akzeptiert.

Beijing und auch die lokalen Eliten vermarkten die Finanzierung der BRI-Projekte oft damit, dass diese an keine Bedingungen geknüpft sei. Da man chinesische Kredite oft einfacher bekommt und sie mit weniger Auflagen verbunden sind als westliche Finanzierungen, trifft das in gewisser Weise auch zu. Eine wichtige Bedingung gibt es allerdings doch: Das Projekt muss zum wirtschaftlichen Vorteil Chinas sein. So folgen Projekte wie die Autobahn in Montenegro dem Modell des gebundenen Kredits, bei dem die Finanzierung daran geknüpft ist, dass der Auftrag an ein chinesisches Unternehmen geht. Ein weiteres Verkehrsprojekt in Europa, das ebenfalls im Juli 2022 eingeweiht wurde, macht deutlich, wie Beijing dieses Modell zu seinem Vorteil nutzt.

Pelješac-Brücke in Kroatien

Die Pelješac-Brücke verbindet den südlichsten Zipfel Kroatiens mit dem kroatischen Festland und umgeht so den Neum-Korridor, einen schmalen Küstenstreifen, der zu Bosnien und Herzegowina gehört. Wie der Abschnitt von Smokovac nach Mateševo auf der Bar-Boljare-Autobahn wurde die Brücke von der chinesischen Staatsfirma CRBC gebaut. Doch im Gegensatz zur montenegrinischen Autobahn wurden die 420 Millionen Euro Baukosten für die Pelješac-Brücke unter anderem mit 375 Millionen Euro aus dem EU-Kohäsionfonds bezahlt.

Der Auftrag für die Pelješac-Brücke wurde im Rahmen einer offenen und transparenten öffentlichen Ausschreibung vergeben. Dennoch verärgerte die Entscheidung für CRBC europäische Baufirmen wie die Strabag, die sich an der Ausschreibung beteiligt hatten und feststellen mussten, dass ihr Angebot um 20 Prozent unterschritten worden war. Obwohl das Verwaltungsgericht in Zagreb eine Klage der Strabag auf Verschiebung des Brückenprojekts abwies, verstärkte sich in der Folge die Sorge über einen Wettbewerbsvorteil subventionierter chinesischer Unternehmen beim Zugang zum EU-Markt.

CRBC konnte die Ausschreibung in diesem Fall zwar ohne eine günstige Finanzierung durch eine chinesische Bank für sich entscheiden. Allerdings wäre es vermutlich nie dazu gekommen, wenn der chinesische Staat nicht schon zuvor in der Region aktiv gewesen wäre. Kredite für Projekte wie die montenegrinische Autobahn fungierten praktisch als staatliche Subventionierung, die es CRBC ermöglichten, sich mit dem Umfeld und den herrschenden Regularien vertraut zu machen und sich gleichzeitig wertvolles Projektwissen anzueignen.

Hier zeigt sich eine der wesentlichen treibenden Kräfte für die BRI: die Förderung chinesischer Staatsunternehmen, mit dem Ziel, sie global wettbewerbsfähig zu machen. Mit chinesischen Finanzmitteln als Türöffner verschafft die BRI chinesischen Staatsunternehmen einen besseren Marktzugang und stärkt ihre wirtschaftliche Dominanz in den Projektländern.

Das Modell der gebundenen Kredite findet sich auch bei der Finanzierung von anderen BRI-Projekten in Europa wieder. In EU-Ländern, wo diese Vorgehensweise durch das Gesetz zur öffentlichen Auftragsvergabe verboten ist, ist Beijing nur an wenigen Infrastrukturprojekten beteiligt. Der Schwerpunkt der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China liegt auf dem Handel und ausländischen Direktinvestitionen, nicht aber auf Infrastrukturprojekten. Doch in europäischen Ländern, die nicht der EU angehören und deren Vorschriften lockerer sind – oder nicht ganz so streng umgesetzt werden –, ist das BRI-Modell weit verbreitet.

Wiederbelebung kontinentaler Konnektivität

Khorgos Gateway in Kasachstan

Der offizielle Start der BRI war 2013 in Kasachstan, als der chinesische Staatspräsident Xi Jinping an einem Rednerpult der Nasarbajew-Universität in der Hauptstadt Astana stand und seine Absicht verkündete, einen "Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel" (Silk Road Economic Belt) durch Eurasien zu bauen. Xi versprach, dass die neue BRI ein "großartiges Vorhaben" werde, von dem "die Menschen aller Länder entlang der Route" profitieren würden. In Ländern wie Kasachstan, das an der Peripherie bestehender Handelsrouten liegt, galt die durch China in Aussicht gestellte Konnektivität als Schlüssel für zukünftiges Wachstum. Das Konzept der BRI geht mittlerweile weit über Eurasien hinaus und umfasst sogar Lateinamerika, doch seine Ursprünge liegen in der Idee einer kontinentübergreifenden Verbindung zwischen den beiden Polen des eurasischen Superkontinents.

Bereits der Name nimmt Bezug auf den Mythos der alten Seidenstraßen in Zentralasien und die zentrale Position Eurasiens. Mit dem Rückgriff auf die glorreiche Vergangenheit Zentralasiens macht die Initiative Versprechen für die Zukunft. Sie erzählt die Geschichte eines wiederauferstehenden trans-euroasiatischen Handels und verheißt eine Ära des allgemeinen Wohlstands, gestützt auf eine verstärkte Vernetzung.

Kein anderes Projekt in Zentralasien fängt diese chinesische Vision besser ein als das Khorgos Gateway. Angepriesen als Kronjuwel des wiederauflebenden Ost-West-Handels entlang der BRI wird das Khorgos Gateway, das in der Nähe des "eurasischen Pols der Unzugänglichkeit" liegt, von internationalen und chinesischen Medien als Handelszentrum dargestellt, das aus dem Wüstenstaub und der bisherigen geografischen Versenkung auferstanden ist.

Die Realität ist etwas prosaischer. Tatsächlich bezieht sich der Name Khorgos auf zwei separate Projekte der Initiative. Das eine, Khorgos Gateway, ist ein Güterumschlagplatz, an dem Kasachstan die Mehrheit der Anteile hält. Bei diesem sogenannten Trockenhafen wird chinesische Fracht von Zügen mit chinesischer Spurbreite auf Züge mit russischer Spurbreite umgeladen, bevor sie ihre Fahrt nach Westen fortsetzt. Das andere Projekt ist ein internationales Zentrum für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (Centre of Cross-Border Cooperation, ICBC) – eine visafreie neutrale Zone, die sich über die kasachisch-chinesische Grenze erstreckt und als zollfreies Einkaufsviertel in der Größe einer Stadt fungiert.

Khorgos wächst schnell, dennoch wurde seine Bedeutung für den Welthandel überschätzt. 2021 wurden in Khorgos 210000 TEU (Twenty-Foot Equivalent Units) umgeschlagen, eine standardisierte Einheit zur Erfassung von Frachtkapazitäten. Das ist eine erhebliche Menge und eine gewaltige Steigerung im Vergleich zu den 136000 TEU im Jahr 2018, allerdings sollte man die Zahlen in einem größeren Zusammenhang betrachten, um sie besser einordnen zu können. Ein Containerschiff der größten Klasse hat heute eine Kapazität von rund 20000 TEU, also bereits ein Zehntel der 2021 in Khorgos umgeschlagenen Warenmenge. Außerdem wurden 2021 nur 5,2 Prozent des gesamten Handels zwischen der EU und China per Bahn abgewickelt. Auch der Erfolg der ICBC-Zone ist überschaubarer, als die Medien in der Vergangenheit suggerierten. Ursprünglich als Handelszone zum Vorteil beider Seiten konzipiert, hat sich das ICBC sehr einseitig zu einem Lager für billige chinesische Konsumgüter entwickelt. Wie bei vielen chinesischen Projekten in Zentralasien haben Korruption und ausufernde Bürokratie zur Folge, dass die Realität weit hinter der ursprünglichen Vision zurückbleibt. Während auf der chinesischen Seite eine Reihe von Wolkenkratzern und futuristischen Ausstellungsgebäuden dominiert, entwickelt sich die kasachische Seite nur langsam.

Die wenigsten chinesischen Projekte in Zentralasien halten mit den großen BRI-Narrativen über eine kontinentübergreifende Konnektivität Schritt. Selbst Verkehrsprojekte wie die Nord-Süd-Straße in Kirgisistan oder der Kamchiq-Tunnel in Usbekistan fungieren eher als lokale Verbindungen, anstatt Teil der BRI-Korridore zu sein. Die meisten Projekte werden von lokaler Seite vorgeschlagen, es gibt keine chinesische Blaupause, der die Projekte folgen. Will man die treibenden Kräfte hinter den Projekten untersuchen, sollte man daher zuerst den lokalen Kontext betrachten, als sich auf die Berichte in den Medien zu stützen, die die BRI als Marke verkaufen.

Ein neuer "Qualitätsansatz"

Nairobi Expressway in Kenia

Der Nairobi Expressway, eine 27 Kilometer lange Schnellstraße, die die kenianische Hauptstadt mit ihrem wichtigsten Flughafen verbindet, steht für die veränderte Zielsetzung, die sich in BRI-Projekten zurzeit zeigt. Durch die Fahrzeitverkürzung von zwei Stunden auf 20 Minuten ist die Schnellstraße für lokale Pendler ein echter Fortschritt. Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten der BRI wurde der Bau nicht über einen chinesischen Kredit finanziert.

China ist seit den 1960er Jahren an Infrastrukturprojekten auf dem afrikanischen Kontinent beteiligt und in den meisten afrikanischen Ländern wirtschaftlich sehr präsent. Der Handel zwischen China und den Staaten Afrikas stieg von 9,86 Milliarden US-Dollar im Jahr 2002 auf 175,91 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020. Zwischen 2000 und 2019 haben chinesische Geldgeber Darlehen in Höhe von 153 Milliarden US-Dollar an öffentliche Kreditnehmer vergeben.

Doch in den vergangenen Jahren sind die BRI-Kredite drastisch zurückgegangen; 2020 wurden nur 1,9 Milliarden US-Dollar vergeben. Das spiegelt einen allgemeinen Trend wider, der auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen ist, darunter auch ein Umdenken, was Beijings Risikofreude bei der Kreditvergabe angeht. Dazu kommt eine wachsende Anzahl von Ländern, die Projekte aufgrund der Sorge vor einer Verschuldung abgesagt oder verschoben haben. Generell kann man jedoch sagen, dass die chinesische Führung die treibende Kraft hinter dieser Neuausrichtung ist und stärker darauf achtet, ob Projekte verantwortbar finanziert werden können.

Beijing präsentiert diesen Wandel als Qualitätsförderung. Im innenpolitischen chinesischen Kontext ist "qualitativ hochwertige Entwicklung" ein nebulöses Konzept, das eine allgemeine Verbesserung in der chinesischen Wirtschaft impliziert. Beim zweiten Forum zur BRI 2019 wurde die Forderung nach "hoher Qualität" erneut hervorgehoben. Sie bedeutet in diesem Zusammenhang eine stärkere Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und unter anderem die Betonung grüner und digitaler Aspekte. Zum Teil ist das ein rhetorischer Schachzug, der durch die nationale und internationale Kritik an der mangelnden Transparenz und Nachhaltigkeit der Projekte motiviert ist. Dahinter steht aber auch die Notwendigkeit, die Qualität der Projekte tatsächlich zu verbessern und gleichzeitig ihre Kosten zu senken.

Auf dem Papier rückt die BRI mit ihrer verstärkten Betonung der Nachhaltigkeit näher an westliche Normen bei der Finanzierung von Entwicklungs- und Infrastrukturprojekten. Ähnlich verhält es sich beim Einsatz privaten Kapitals. Westliche Reaktionen auf die BRI wie die "Global Gateway"-Initiative der EU erklären in ihren Richtlinien, den Privatsektor zu nutzen, um die globale Nachfrage nach Infrastruktur zu befriedigen, und auch der neue "Qualitätsansatz" der BRI nennt innovativere Finanzierungsmethoden. Chinesische Offizielle sprechen im Zusammenhang mit Projekten zunehmend von Private Public Partnership (PPP).

Tatsächlich wurde der Nairobi Expressway nicht über Kredite finanziert, sondern über PPP. CRBC hat den Bau der Schnellstraße vorfinanziert, wird sie 27 Jahre lang betreiben und die Mautgebühren erhalten, bevor die Straße an den kenianischen Staat übergeht. Da die CRBC ein staatliches Unternehmen ist, ist das Projekt nicht direkt privatwirtschaftlich finanziert. Dennoch steht es für eine Veränderung bei der BRI-Finanzierung. Im Gegensatz zu einem anderen Projekt in Kenia, der Standard Gauge Railway (SGR), die Nairobi mit der Hafenstadt Mombasa verbindet, liegt die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg des Vorhabens nicht bei der kenianischen Regierung.

Aufgrund der Verluste der SGR lief die kenianische Regierung Gefahr, den Kredit in Höhe von 3,2 Milliarden US-Dollar nicht mehr bedienen zu können, den sie bei einer staatlichen chinesischen Bank für den Bau des Projekts aufgenommen hatte. Die Rentabilität des Nairobi Expressway ist mit ähnlichen Fragezeichen versehen. Da die Straße nicht über einen Kredit finanziert wurde, liegt die Verantwortung für den wirtschaftlichen Erfolg jedoch bei der CRBC.

Der Einsatz alternativer Finanzierungsmechanismen ist nur ein Aspekt der Qualitätsoffensive. Er verdeutlicht jedoch, dass sich chinesische und westliche Entwicklungskonzepte annähern und die BRI anpassungsfähig ist.

Digitale Seidenstraße

Huawei in Indonesien

Im August 2022 wählte der chinesische Telekommunikationsriese Huawei zehn indonesische Studenten für die Teilnahme an einem Programm zur Talentförderung in Bangkok aus, das Huawei "Seeds for the Future" nennt. Ein leitender Angestellter von Huawei Indonesien erklärte dazu: "Seeds for the Future ist Teil des anhaltenden Engagements von Huawei in Indonesien (…). Wir haben uns verpflichtet, bis 2025 mindestens 100000 digitale Nachwuchskräfte auszubilden. Bis heute haben wir bereits 64000 gefördert und damit über die Hälfte unserer Zielsetzung erreicht."

In Südostasien finden sich viele der bekanntesten BRI-Infrastrukturprojekte, darunter der Tiefseehafen Kyaukphyu in Myanmar und die Hochgeschwindigkeitsstrecke Jakarta-Bandung in Indonesien. Doch bei der BRI geht es um mehr als um die physische Infrastruktur. Mittlerweile steht die "Informations-Seidenstraße", später in "digitale Seidenstraße" umbenannt und neu vermarktet, im Vordergrund. Denn Beijing wendet sich zunehmend von Infrastrukturdarlehen in großer Höhe ab und konzentriert sich stattdessen auf Hightech- und digitale Branchen.

Die digitale Seidenstraße wurde 2015 vorgestellt. Beim zweiten Forum zur BRI 2019 setzte Staatspräsident Xi Jinping die Kooperation in der digitalen Wirtschaft und eine innovationsgetriebene Entwicklung als neue Priorität. Der Vorsprung von Huawei gegenüber den Vereinigten Staaten beim weltweiten Übergang zur 5G-Technologie sorgte für besonders viele Schlagzeilen, doch die digitale Seidenstraße umfasst auch "Smart Citys", den E-Commerce, Künstliche Intelligenz und andere Anwendungen im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft. Wie bei der BRI im Ganzen gibt es keine konkrete Route, keine Blaupause oder Definition, was ein Projekt der digitalen Seidenstraße ausmacht. Vielmehr umschreibt diese Bezeichnung die Bereiche der BRI, die Digitalität und Innovationen betreffen.

China ist seit 2009 der wichtigste Handelspartner des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN). Obwohl die Volksrepublik noch nicht der größte Investor in Südostasien ist, stiegen die chinesischen Investitionen zwischen 2005 und 2019 um das 20-fache, wobei vor allem nach dem Start der BRI 2013 ein rapider Zuwachs zu beobachten war. Als einer der wichtigsten Projektpartner der BRI und als großes Land mit einer erheblichen digitalen Präsenz und einem starken E-Commerce-Markt ist Indonesien zu einem wichtigen Standort für die chinesischen Bemühungen geworden, bei der Digitalisierung eine führende Rolle zu übernehmen.

Anders als in anderen Bereichen der BRI stehen private chinesische Unternehmen wie Huawei, Alibaba, JD.com und Tencent bei diesem Vorstoß in vorderster Reihe. Huawei war aktiv am Ausbau der digitalen Infrastruktur Indonesiens beteiligt, unterstützte aber auch verschiedene Ausbildungsinitiativen und Schulungsprogramme. Die Ausbildung der Einheimischen verschafft Unternehmen wie Huawei nicht nur Kunden und Sympathien, sondern fördert auch die Akzeptanz chinesischer Technologie, eines der wichtigsten Ziele Beijings.

Alibaba und Tencent haben Milliarden in indonesische E-Commerce-Anwendungen und -Unternehmen investiert. Chinesische Investitionen halfen auch, Gojek auf den Weg zu bringen, ein indonesisches Start-up für Finanztechnologie mit einem Geschäftsmodell, das dem von Alibaba und Tencent ähnelt. Gojek fusionierte später mit seinem Konkurrenten Tokopedia, einem weiteren Technologie-Start-up, in das Alibaba Hunderte Millionen Dollar investiert hatte.

Die Durchdringungsrate des E-Commerce in der Region ist mit 38 Prozent nur gut halb so hoch wie in China, womit reichlich Raum für Wachstum bleibt. 2025 wird die digitale Ökonomie Südostasiens bei über 240 Milliarden US-Dollar liegen. Man kann daher davon ausgehen, dass die Digitale Seidenstraße im Verhältnis zur allgemeinen BRI in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnt.

Grüne Seidenstraße

Cauchari Solarpark und Lithium-Abbau in Argentinien

Kurz vor der Grenze zu Chile, im Nordwesten des argentinischen Departamentos Susques, befindet sich auf einer Höhe von 4000 Metern ein riesiges Feld mit Solarmodulen auf über 800 Hektar trockenem Land. Das ist der Cauchari-Solarpark, die zweitgrößte Solarenergieanlage in Lateinamerika und der höchst gelegene Solarpark der Welt.

Die Exim-Bank streckte 331 Millionen US-Dollar für das Projekt vor und ermöglichte so den Kauf von 960000 in Shanghai gefertigten Solarmodulen. China ist jedoch nicht nur an der Herstellung des fertigen Produkts beteiligt, sondern befindet sich auch am Anfang der Lieferkette.

Wenn man auf der chilenischen Seite weiter nach Süden fährt, erreicht man eines der bedeutendsten Lithium-Vorkommen der Welt, den Salzsee Tres Quebradas. Er befindet sich im Lithium-Dreieck, einem Gebiet, das sich über Teile von Argentinien, Bolivien und Chile erstreckt. Man nimmt an, dass sich dort etwa die Hälfte der weltweiten Lithium-Vorkommen befindet – ein Mineral, das in fast allen modernen Energietechnologien zum Einsatz kommt. Am 8. Oktober 2021 wurde bekannt gegeben, dass die Zijin Mining Group Co. Ltd. die kanadische Neo Lithium Corporation für 737 Millionen US-Dollar übernommen und sich somit Zugang zu diesen Vorkommen verschafft hat. Der Kauf ist nur eine von mehreren großen Investitionen, die chinesische Unternehmen getätigt haben, um sich Lithium-Vorkommen in der Region zu sichern.

Zur Qualitätsoffensive Beijings im Rahmen der BRI gehört auch die Förderung einer "grünen Seidenstraße". Spätestens seit 2016 hat sich Beijing zumindest rhetorisch dazu verpflichtet, BRI-Projekte "grüner" zu gestalten. China hat außerdem eine Reihe grüner Finanzierungsinitiativen ins Leben gerufen und grüne BRI-Richtlinien erlassen. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass es sich dabei um ein symbolisches "Greenwashing" handeln könnte.

Einige Versprechen sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung, etwa Xi Jinpings Versprechen, die chinesische Finanzierung von Kohlekraftprojekten im Ausland zu beenden. Abgesehen vom Jahr 2020 ging es bei den BRI-Investitionen seit 2013 größtenteils um Öl-, Gas- oder Kohleprojekte. 2021 machten Gasprojekte 39,5 Prozent der Investitionssumme aus, Öl lag bei 30,95 Prozent und Solar- und Windenergie bei nur 13,58 Prozent.

Die Versuche, die BRI "grüner" zu gestalten, lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Die erste Kategorie umfasst chinesische Investitionen in neue und kohlenstoffärmere Technologien, die zweite das Bemühen, die umweltschädlichen Aspekte der Infrastrukturprojekte zu reduzieren. Beide Ansätze signalisieren, dass China ein globaler Player ist, der den Umweltschutz ernst nimmt. Damit will Beijing an internationaler Glaubwürdigkeit und Soft Power gewinnen. Investitionen in grüne Technologien haben zudem den willkommenen Nebeneffekt, dass China auch in diesem Bereich einen Fuß in in die Tür bekommt. Mit der Verschärfung der Klimakrise und dem weltweiten Trend, Energiequellen zu diversifizieren und auf fossile Brennstoffe zu verzichten, wird der Wettbewerb zwischen China und dem Westen auch in diesem Bereich immer härter werden. Beijing wird die Finanzierung von BRI-Projekten dazu nutzen, um auf den Märkten für erneuerbare Technologien in den Ländern des Globalen Südens Fuß zu fassen. Gleichzeitig, und oft in denselben Ländern, wird die Initiative dazu dienen, chinesischen Unternehmen den Zugang zu wichtigen Rohstoffen zu sichern.

Schluss

Die verschiedenen Projekte und Schwerpunkte haben verdeutlicht, welcher Dynamik die BRI in ihrer Entwicklung unterliegt. Die BRI beschränkt sich mittlerweile nicht mehr nur auf die chinesische Finanzierung von (physischen) Infrastrukturprojekten. Stattdessen greift China zunehmend auf alternative Finanzierungsmechanismen zurück und setzt neue Schwerpunkte wie die grüne oder die digitale Seidenstraße. Mit Blick auf die "Qualitätsoffensive" und die grüne Seidenstraße bleibt dabei abzuwarten, wie ernst Chinas Verlautbarungen zu nehmen sind, BRI-Projekte nachhaltiger zu gestalten. Fest steht jedoch bereits jetzt, dass sich chinesische und westliche Entwicklungskonzepte zunehmend annähern und die BRI durchaus anpassungsfähig ist.

Aus dem Englischen von Heike Schlatterer.

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin.
E-Mail Link: j.mardell.associate@merics.de