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Von A wie "Adenin" bis Z wie "Züchtung" | Gentechnik | bpb.de

Gentechnik Editorial Von A wie "Adenin" bis Z wie "Züchtung". Eine Einführung in die Gentechnologie Am Anfang war die Erbse. Kleine Geschichte der Gentechnik und ihrer Rezeption "Wir dürfen da noch sehr viel erwarten". Ein Gespräch über medizinische RNA-Forschung und -Therapien. Ende des Schicksals? Genomeditierung in der Medizin Recht vs. Naturwissenschaften? Die Debatte zur Regulierung grüner Gentechnik in der EU Die große Verunsicherung. Zur Resonanz grüner Gentechnik in der deutschen Bevölkerung

Von A wie "Adenin" bis Z wie "Züchtung" Eine Einführung in die Gentechnologie

Juliette Irmer

/ 17 Minuten zu lesen

Durch die "Genschere" CRISPR/Cas9 ist der Mensch heute mehr denn je in der Lage, gezielt in das Erbgut aller Organismen einzugreifen, auch in sein eigenes. Vielen Menschen ist das nicht geheuer. Dabei wird Gentechnologie in vielen Bereichen seit Jahrzehnten angewendet.

1953 wurde die wohl bedeutsamste Entdeckung der Biologie des 20. Jahrhunderts gemacht: Zwei jungen Wissenschaftlern, James Watson und Francis Crick, gelang es, die dreidimensionale Struktur der Erbsubstanz zu entschlüsseln: der DNA (desoxyribonucleic acid). Die Tragweite dieser Entdeckung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: Die DNA speichert die genetische Information der gesamten Biodiversität des Planeten. Das Molekül sorgt dafür, dass aus einem Tomatensamen eine Tomatenpflanze wächst und aus einem Hühnerei Küken schlüpfen – und das konstant: Tomaten wandeln sich nicht in Gurken und Hühner nicht in Adler. Das gilt für über 5000 Säugetier-, 10000 Vogel-, 400000 Pflanzen- und eine Million Insektenarten. Erst der Aufbau dieses einzigartigen Moleküls offenbarte, wie das gelingt, und seine Entschlüsselung legte auch den Grundstein für die Gentechnologie.

Davor hatten sich Wissenschaftler weltweit jahrzehntelang bemüht, den Genen auf die Spur zu kommen. Lange Zeit hatte man angenommen, dass Proteine die genetische Information speichern: In jeder Zelle eines Lebewesens befinden sich Tausende verschiedene Proteine, die unzählige biochemische Prozesse steuern. Die enorme Strukturvielfalt der Proteine schien am ehesten der Vielfalt an Arten und Merkmalen zu entsprechen. Nukleinsäuren hingegen, die aus Zucker, Phosphat und den vier Basen Adenin und Thymin, Cytosin und Guanin bestehen, schienen viel zu simpel aufgebaut, um die Unterschiede des Lebens auf Erden erklären zu können.

Zwar wurde schon um 1930 bewiesen, dass nur Nukleinsäuren die Träger der Erbinformation sein können, aber erst der Aufbau der DNA erklärte, wie diese Information gespeichert wird, nämlich in der unregelmäßigen Abfolge der vier Basen. Die Informationsmenge, die auf diese Weise gespeichert werden kann, ist unvorstellbar groß: Für einen DNA-Abschnitt aus n Nukleotiden, den Grundbausteinen der DNA bestehend aus einer Base, Zucker und einem Phosphatrest, ergeben sich rund 4n Möglichkeiten. Betrachtet man ein Stück von 1000 Basenpaaren Länge, ergeben sich bereits 41000 Möglichkeiten. Die DNA der meisten Organismen besteht jedoch aus mindestens einer Million Basenpaaren. Selbst wenn wir heute wissen, dass nur ein kleiner Teil des Genoms wirklich aus Genen besteht, also aus jenen DNA-Abschnitten, die in Proteine übersetzt werden, macht das Zahlenbeispiel die Dimension der Speicherkapazität klar.

Die üppige Vielfalt der Organismen findet sich im Inneren der Zellen so nicht wieder. Auf molekularer Ebene gleichen sich alle Lebewesen: Sie nutzen dieselben Moleküle wie eben DNA, und Proteine sind vom Bakterium bis zum Menschen aus denselben 20 Aminosäuren aufgebaut. Auch die "Bauanleitung", der sogenannte genetische Code, der die Übersetzung der genetischen Information in Proteine regelt, ist bis auf wenige Ausnahmen universell.

Diese Tatsache zeigt, dass alle Lebewesen einen gemeinsamen Ursprung haben. Sie ist außerdem die Grundlage der Gentechnologie: Ein menschliches Gen lässt sich in eine Maus oder eine Bakterienzelle übertragen, weil alle Lebewesen eine ähnliche "molekulare Sprache" sprechen.

Meilensteine der Gentechnologie

Die Genetik als Wissenschaft begründete Gregor Johann Mendel 1865, als er mit seinen ausdauernden Kreuzungsversuchen mit gelben und grünen Erbsen den Genen und ihren Vererbungsmustern auf die Spur kam. Rund 100 Jahre später entwickelte sich aus dem Forschungsfeld unter anderem die Gentechnologie, also eine Reihe unterschiedlicher Methoden, die zur Isolierung, Analyse und zur gezielten Veränderung der Erbsubstanz genutzt werden.

Nachdem die Struktur der DNA Mitte des 20. Jahrhunderts aufgeklärt worden war, folgten weitere Meilensteine: Wesentlich waren Ende der 1960er Jahre die Entdeckung der Restriktionsenzyme und der DNA-Ligasen, mit denen sich DNA an bestimmten Stellen schneiden und wieder verbinden ließ. 1973 gelang es Wissenschaftlern dann erstmalig, ein Stück Fremd-DNA in Bakterien zu übertragen und auf diese Weise stark zu vermehren – eine ganz wesentliche Voraussetzung, um DNA untersuchen zu können. Die sogenannte Klonierung wurde zu einer der gängigsten Methoden der Gentechnologie. Später folgte die PCR (polymerase chain reaction), mit der sich DNA in vitro, also ohne den Umweg über Wirtszellen wie Bakterien, vervielfältigen lässt.

Den Beginn einer neuen Ära markierte die Entschlüsselung der Basenabfolge der DNA, was lange Zeit als unmöglich galt. Heute ist die Sequenzierung von DNA Routine geworden, was auch den enormen Fortschritten in der Bioinformatik zu verdanken ist. Mithilfe des Next-Generation-Sequencings, ein Hochdurchsatzverfahren, können Genome mittlerweile in Tagen entschlüsselt werden, und das zu einem Bruchteil der Kosten. Zum Vergleich: Das Human Genome Project, die vollständige Sequenzierung des ersten menschlichen Genoms, dauerte 13 Jahre (1990–2003) und kostete drei Milliarden Euro.

Den nächsten gewaltigen Schub erhielt die Gentechnologie 2012 mit der Entdeckung von CRISPR/Cas9, einem präzisen Genomeditierungsverfahren, besser bekannt als "Genschere". Die Methode wird heute in allen Laboren rund um die Welt genutzt und hat die Biowissenschaften regelrecht revolutioniert. Die Entdeckerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna wurden 2020 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. CRISPR steht für clustered regularly interspaced short palindromic repeats, eine Art bakterielles Anti-Virus-Programm. Das im Labor genutzte Verfahren besteht aus zwei miteinander gekoppelten Komponenten: einer sogenannten Guide-RNA, die spezifisch den vorgegebenen Ort im Erbgut ansteuert, und dem Enzym Cas9, das die DNA an jenem Ort schneidet. Die Präzision der DNA-Veränderung ist ein wesentlicher Unterschied zur klassischen Gentechnik, bei der neue Gene in Organismen eingebracht werden, allerdings ohne vorher bestimmen zu können, wo genau. Das birgt das Risiko, dass bestehende Gene zerstört werden, was unerwünschte Effekte mit teils verheerenden Folgen hervorrufen kann, vor allem in der Medizin. In der Landwirtschaft müssen gentechnisch veränderte Organismen auch deswegen ein aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen, das ihre Sicherheit prüft.

In Europa steht ein großer Teil der Bevölkerung der Gentechnologie kritisch gegenüber. Vor allem die Erzeugung gentechnisch veränderter Lebensmittel stößt auf Ablehnung. Dabei ist Gentechnologie heute allgegenwärtig und wird in vielen Bereichen bereits seit Jahrzehnten eingesetzt. Die unterschiedlichen Anwendungsfelder werden den Farben Weiß, Rot und Grün zugeordnet.

Weiße Gentechnologie

Als "weiße" Gentechnologie bezeichnet man die Verwendung gentechnisch veränderter Mikroorganismen in der Industrie, um zahlreiche Substanzen etwa für Medikamente, Wasch- und Lebensmittel herzustellen.

Davon abzugrenzen sind klassische biotechnologische Verfahren, bei denen natürlich vorkommende Mikroorganismen oder Enzyme eingesetzt werden, die zum Teil seit Jahrhunderten im Dienste des Menschen stehen: etwa der Einsatz von Hefen in der Brot-, Bier- und Weinproduktion oder von Schimmelpilzen und Bakterien bei der Herstellung von Käse. Die Gentechnik hat die wirtschaftliche Verwendung von Mikroorganismen allerdings enorm befördert: Bakterien, Pilze und Hefen lassen sich gentechnisch gut optimieren, sodass ein Großteil der heute eingesetzten Organismen an industrielle Produktionsprozesse angepasst wurde. So kann man Mikroorganismen entweder ein gewünschtes Gen aus einem Spenderorganismus übertragen, oder man verändert ihren Stoffwechsel gentechnisch so, dass sie eine gewünschte Substanz in viel größeren Mengen produzieren, als sie es natürlicherweise tun würden.

Weiße Gentechnologie erlaubt mit Blick auf den Verbrauch von Rohstoffen, Material und Energie eine kostengünstigere Herstellung vieler Produkte und ist im Vergleich zu Techniken der chemisch-synthetischen Herstellung umweltverträglicher. Beispiele für Produkte, die aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen werden, sind etwa Aminosäuren, die Futtermitteln zugesetzt werden und sich in Geschmacksverstärkern und anderen Zusatzstoffen wie Glutamat in Fertigsuppen oder Cystein in Backwaren finden; Vitamin B12, dessen Ausbeute in einem gentechnisch veränderten Stamm E.coli-Bakterien um das 250-Fache gesteigert werden kann; oder auch Hormone wie beispielsweise Humaninsulin zur Behandlung von Diabetes. Bis Anfang der 1980er Jahre das menschliche Insulin-Gen in Bakterien übertragen werden konnte, um es im großen Maßstab zu produzieren, wurde therapeutisches Insulin aus Bauchspeicheldrüsen von Schweinen und Rindern gewonnen.

Auch Biotreibstoffe können mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen gewonnen werden. Während Bioethanol üblicherweise aus Mais oder Zuckerrüben hergestellt wird und daher angesichts des Hungers in der Welt umstritten ist, können mittlerweile auch Pflanzenabfälle wie Stroh oder Holzreste eingesetzt werden. Dazu haben Forscher Hefen gentechnisch so verändert, dass sie neben der üblichen Glucose auch den Holzzucker Xylose vergären können. Aufgrund des jahrelang niedrigen Ölpreises konnte sich die Technologie bislang nicht durchsetzen.

Etwa die Hälfte der rund 400 zugelassenen Enzyme in der EU wird mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen hergestellt. Enzyme steuern den größten Teil der biochemischen Reaktionen, von der Verdauung über den Energiestoffwechsel der Zellen bis hin zum Kopieren der Erbinformation. Sie wirken als biologische Katalysatoren, das heißt, sie beschleunigen chemische Reaktionen, und das alles unter lebensfreundlichen Bedingungen, also ohne hohe Temperaturen, Druck oder aggressive Chemikalien. Enzyme sind in vielen Alltagsprodukten enthalten, etwa in Waschmitteln, um Stärke, Fette und Eiweiße auch bei niedrigeren Waschtemperaturen abzubauen, in Zahnpasta oder Kosmetika. Sie bauen Milchzucker und Gluten für lactose- und glutenfreie Lebensmittel ab oder sorgen in Backwaren für Volumen und eine stabile Brotkrume.

Die mithilfe der weißen Gentechnologie gebildeten Zusatzstoffe fallen nach den EU-weit geltenden Rechtsvorschriften nicht unter die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel.

Rote Gentechnologie

Als "rote" Gentechnologie bezeichnet man den Einsatz der Gentechnologie in der Medizin. Die Anwendungsfelder reichen von der Herstellung von Medikamenten und Impfstoffen über diagnostische Methoden bis hin zur Gentherapie. Auch die biomedizinische Grundlagenforschung profitiert stark von den Fortschritten der Gentechnologie. So lassen sich etwa an transgenen Tieren wie Fruchtfliegen, Zebrafischen und vor allem Mäusen, in deren Erbgut entweder artfremde Gene eingebracht oder Gene ausgeschaltet werden, die Funktion von Genen untersuchen.

In Deutschland sind derzeit 343 gentechnisch hergestellte Arzneimittel und Impfstoffe mit 303 Wirkstoffen zugelassen. Dabei handelt es sich um unterschiedlichste Medikamente: Humaninsuline, Gerinnungshemmer, Enzyme und monoklonale Antikörper. Auch alle fünf in Deutschland zugelassenen Covid-19-Impfstoffe werden gentechnisch hergestellt.

In der Diagnostik kommt Gentechnologie zum Einsatz, um ein Gen oder einen Teil davon nachzuweisen. So können viele Erreger von Infektionskrankheiten mittels PCR nachgewiesen werden, indem ein spezifischer Genabschnitt des Erregers vervielfältigt wird. Das gelingt sowohl bei Viren wie SARS-CoV-2 und HIV als auch bei Bakterien wie Salmonellen oder Borrelien und spart Zeit, da die langwierige Anzüchtung der Erreger wegfällt.

Im Fall von Erbkrankheiten können mithilfe von Genanalysen monogene Erkrankungen nachgewiesen werden, die durch Mutationen, also kleine DNA-Veränderungen, in einem einzelnen Gen ausgelöst werden. Schon eine kleine Mutation kann zum Funktionsverlust des entsprechenden Proteins führen. Auch bei erblichen Tumorerkrankungen kommen Genanalysen bei der Diagnose zum Einsatz, aber auch in der Prävention. Frauen, die beispielsweise Mutationen im BRCA1- oder BRCA2-Gen (Breast Cancer Gene) aufweisen, haben ein stark erhöhtes Risiko an Brust- und/oder Eierstockkrebs zu erkranken, weil die entsprechenden Proteine eine wichtige Funktion bei der Reparatur von Zellschäden spielen. Beim Vorliegen einer solchen Mutation kann daher die Entfernung des Brustdrüsengewebes sowie der Eierstöcke angeraten sein, um eine Erkrankung zu verhindern. Im Idealfall führt eine entsprechende Diagnose zu einer Behandlungsstrategie, die Chancen auf Heilung oder zumindest Linderung bietet. In der Realität existiert aber eine zunehmend größer werdende Kluft zwischen immer mehr nachweisbaren Erkrankungen und fehlenden Therapien. Besonders umstritten ist die Pränataldiagnostik, bei der das ungeborene Kind auf genetisch nachweisbare Krankheiten untersucht wird.

Ferner können Erbgutanalysen im Bereich der personalisierten Medizin bei einigen Erkrankungen, vor allem bestimmten Krebsarten, zur Wahl der geeigneten Therapie herangezogen werden. In manchen Fällen kann so vorhergesagt werden, ob eine Person von der Therapie profitiert oder nicht, sodass ihr wirkungslose Therapien und Nebenwirkungen erspart werden können.

Beim gentechnologischen Anwendungsfeld der Gentherapie ist die zugrundeliegende Idee bestechend einfach: Vielen Krankheiten liegt ein Genfehler zugrunde, der das entsprechende Protein funktionslos macht. Bei der klassischen Gentherapie versucht man, das fehlerhafte Gen durch ein intaktes zu ersetzen, sodass die Zelle wieder in der Lage ist, das Protein korrekt zu produzieren. Das Spektrum möglicher Anwendungen reicht heute von der Therapie seltener Erbkrankheiten bis zur Behandlung bestimmter Krebsarten (CAR-T-Zelltherapie). In der EU sind bislang elf sogenannte somatische Gentherapien zugelassen. Das heißt, sie betreffen nur das Individuum. Davon zu unterscheiden ist die umstrittene und in Deutschland bislang verbotene Keimbahntherapie, bei der auch Ei- und Spermienzellen verändert werden, sodass die Veränderung an Nachkommen weitergegeben wird.

Seit einigen Jahren greifen Forscher auf die Methoden der Genomeditierung zurück, insbesondere auf die Genschere CRISPR/Cas9, die noch präzisere Eingriffe ermöglichen soll, indem Erbgutdefekte direkt vor Ort in der Zelle repariert werden. Die Weltgesundheitsorganisation listet in ihrer Human Genome Editing Registry 139 klinische Studien auf. In den vergangenen Jahren wurden auf diese Weise einige Fortschritte erzielt: Mehrere Patienten mit β-Thalassämie und Sichelzellanämie wurden erfolgreich behandelt. Bedeutend sind auch zwei Studien zur Anwendung der Genschere direkt in Patienten, um eine Augenerkrankung und ein Leberleiden zu lindern. Die Zwischenergebnisse stimmen weitgehend optimistisch. Experten betonen aber, dass man die möglichen Spätfolgen einer solchen Gentherapie, etwa Off-target-Effekte, also Fehlschnitte der Genschere, noch nicht beurteilen kann.

Eine der größten Hürden auch der CRISPR-Gentherapie bleibt der Transport der fehlerfreien Ersatzgene oder der Reparaturwerkzeuge in die Zellen. Denn um einen Gendefekt zu korrigieren, müssen Millionen Zellen erreicht werden. In der Regel nutzen Forscher dazu harmlose gentechnisch veränderte Viren als Transporter, doch diese werden vom Immunsystem häufig abgefangen. Viele Organe können deswegen noch nicht angesteuert werden, das heißt, viele Erkrankungen noch nicht therapiert werden.

Die zunehmenden Fortschritte rufen vielfältige ethische Fragen hervor, auch solche der Finanzierbarkeit. Vergleichbare Therapien können bis zu zwei Millionen US-Dollar kosten, was die Möglichkeiten solidarisch finanzierter Gesundheitssysteme sprengt. Und spätestens seit Ende 2018 die Nachricht um die Welt ging, dass ein Wissenschaftler in China Embryonen mit CRISPR/Cas9 verändert hat und dies zur Geburt von zwei Mädchen führte, fallen Eingriffe in die menschliche Keimbahn nicht länger ins Reich der Science-Fiction.

Tatsächlich entfällt das grundsätzliche Transportproblem weitgehend, wenn man Embryonen im Frühstadium behandelt: Die Reparaturwerkzeuge müssen dann nicht in Millionen Zellen eingeschleust werden, sondern nur in eine Handvoll. Gendefekte ließen sich so leichter korrigieren, sie wären dann aber vererbbar. In vielen Ländern sind solche Eingriffe verboten. Neben grundsätzlichen ethischen Bedenken existieren auch handfeste medizinische, da die Verfahren unausgereift und die Langzeitfolgen nicht absehbar sind. Dennoch ist eine Grenzverschiebung auszumachen: Die internationale Kommission zum klinischen Einsatz von Genomeditierung in der Keimbahntherapie und auch der Deutsche Ethikrat schließen einen Keimbahneingriff – Sicherheit und Wirksamkeit vorausgesetzt – bei schweren Gendefekten in Zukunft nicht mehr kategorisch aus.

Grüne Gentechnologie

Als "grüne" Gentechnologie bezeichnet man den Einsatz der Gentechnologie in der Landwirtschaft. Mittlerweile muss man auch hier zwischen klassischer Gentechnik und Genomeditierung unterscheiden. Bei der klassischen Gentechnik werden ein oder mehrere Gene aus einem artfremden Organismus in eine Nutzpflanze eingeschleust, etwa ein bakterielles Gen für Herbizidtoleranz. Wo sich das oder die Gene in das Erbgut einfügen, kann nicht vorherbestimmt werden. Die betreffende Pflanze wird als "transgen" bezeichnet oder als "gentechnisch veränderter Organismus" (GVO). Mithilfe der Genomeditierung, vor allem mit CRISPR/Cas9, lässt sich das Erbgut von Nutzpflanzen direkt und punktgenau verändern: Es können einzelne Basen ausgetauscht werden, größere Abschnitte verändert oder auch ganze Gene eingefügt werden.

Die erste gentechnisch veränderte Frucht kam 1994 in den USA auf den Markt: die Anti-Matsch-Tomate. Inzwischen werden transgene Nutzpflanzen weltweit in 29 Ländern auf rund 190 Millionen Hektar angebaut, was etwa der fünffachen Fläche Deutschlands und zwölf Prozent der weltweiten Anbaufläche entspricht (Stand 2019). Hauptanbaugebiete sind die USA, Brasilien, Argentinien, Indien und Kanada. Auf sie entfallen 91 Prozent des globalen Anbaus. Hauptsächlich werden herbizidtolerante und/oder insektenresistente Sorten wie Mais, Baumwolle, Soja und Raps angebaut, außerdem einige andere Pflanzenarten wie Zuckerrüben, Papaya, Zucchini und Auberginen.

Das Aufkommen der grünen Gentechnik wurde von einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über mögliche Risiken für Umwelt und Gesundheit begleitet. In Deutschland wurde 1990 ein Gesetz zur Regelung der Gentechnik erlassen, um Menschen, Tiere und Umwelt vor möglichen schädlichen Auswirkungen der Gentechnik zu schützen und einen rechtlichen Rahmen für ihre Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung zu schaffen. Mittlerweile gibt es rund 30 Jahre Erfahrung mit dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen, in denen Hunderte Studien zu möglichen negativen Auswirkungen vorgelegt wurden. Die Schlussfolgerung über zahlreiche Studien hinweg lautet: Von gentechnisch veränderten Pflanzen geht kein höheres Risiko aus als von Pflanzen, die durch konventionelle Züchtungstechniken erzeugt wurden.

So ist etwa das Allergierisiko beim Konsum transgener Pflanzen nicht höher als bei konventionell gezüchteten neuen Sorten. Richtig ist, dass der Anbau transgener Pflanzen zu Resistenzproblemen führen kann, also zu Unkräutern, die eine Widerstandsfähigkeit gegen das gespritzte Herbizid entwickeln, oder zu Schadinsekten, denen das von der Pflanze produzierte Insektizid nichts mehr anhaben kann. Das ist jedoch vor allem auf die Art und Weise zurückzuführen, wie Landwirtschaft betrieben wird: Setzt man große Mengen des gleichen Herbizids ein, fördert das die Entwicklung resistenter Unkräuter, so wie der Einsatz großer Mengen Antibiotika die Entstehung resistenter Bakterien fördert. So kämpft auch die Landwirtschaft in Deutschland mit herbizidresistenten Unkräutern, obwohl hierzulande keine transgenen Pflanzen angebaut werden. Und mit Blick auf den Anbau insektenresistenter Pflanzen zeigen zahlreiche Studien, dass sich gängige Insektizide stärker auf die Artenzusammensetzung und -dichte auswirken. In vielen Fällen können mit gentechnisch veränderten Pflanzen Pflanzenschutzmittel eingespart werden, und der Ertrag ist höher.

In Europa hat die grüne Gentechnik dennoch einen schweren Stand. Nur Spanien und Portugal bauen die insektenresistente Maissorte MON810 an – die einzige gentechnisch veränderte Pflanze, die in der EU angebaut werden darf. Ihre Zulassung stammt aus dem Jahr 1998. Das bedeutet nicht, dass keine transgenen Pflanzen in der EU verwendet werden: Aktuell sind 89 unterschiedliche gentechnisch veränderte Pflanzensorten (Mais, Soja, Baumwolle, Raps und Zuckerrüben) zur Einfuhr in die EU zugelassen und dürfen als Lebens- und Futtermittel vermarktet werden. So hat die EU von 2013 bis 2015 im Jahresdurchschnitt rund 36 Millionen Tonnen Soja importiert, hauptsächlich aus den GVO-Hauptanbaugebieten USA, Brasilien und Kanada. Genutzt wird Soja unter anderem, um Kühe, Schweine oder Hühner zu füttern. Deren Milch, Fleisch oder Eier fallen anschließend nicht unter die übliche Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel.

Neu angefacht wurde die Debatte um die grüne Gentechnik in Deutschland und Europa durch die neuen Methoden der Genomeditierung, allen voran CRISPR/Cas9. Das Potenzial für die Pflanzenzucht ist groß, denn die Genomeditierung ist so präzise und vorhersagbar wie noch keine Methode zuvor. Die Ziele der Pflanzenzucht sind seit gut 10000 Jahren die gleichen: Nutzpflanzen sollen einen hohen Ertrag bringen und Schädlingen und Krankheiten trotzen – mit CRISPR/Cas9 kommt man nur schneller und günstiger ans Ziel, denn es lassen sich einzelne Mutationen zielgerichtet einbringen. So hoffen Wissenschaftler und Pflanzenzüchter, mithilfe der Genomeditierung klimaresilientere und robustere Pflanzen zu züchten, die beispielsweise Dürre besser aushalten und weniger Pflanzenschutzmittel benötigen. Die konventionelle Pflanzenzucht und auch die klassische Gentechnik stoßen bei so komplexen Merkmalen wie etwa Dürretoleranz, die von vielen Genen gesteuert werden, an Grenzen. Auch CRISPR/Cas9 ist kein Wunderwerkzeug, mit dem sich flugs solche Eigenschaften in Pflanzen einbauen lassen, aber deutlich versatiler.

Der Streit entbrennt an der Frage, wie genomeditierte Nutzpflanzen eingeordnet werden sollen. Wissenschaftliche Institutionen plädieren für eine Gleichsetzung mit Produkten der klassischen Züchtung – solange es sich um kleine Veränderungen handelt, die nur einzelne Gene betreffen und natürlicherweise hätten entstehen können. Tatsächlich sind solche Mutationen der Motor der Evolution, sie entstehen natürlicherweise fortlaufend in allen Organismen. Genomeditierte Pflanzen, bei denen größere Erbgutabschnitte verändert wurden, oder solche, die ein Fremdgen tragen, sollen weiterhin als GVO klassifiziert werden. Um die Forderung einordnen zu können, muss man sich die Methoden der traditionellen Pflanzenzucht vor Augen führen, die sogenannte ungerichtete Mutagenese: Dabei werden Keime mit Chemikalien und ionisierender Strahlung behandelt, um Hunderte Mutationen auszulösen. Das Gros dieser Mutationen ist unbedeutend, einige führen zu negativen Eigenschaften und einige zu positiven. Mithilfe der ungerichteten Mutagenese sind in Jahrzehnten über 2000 Obst- und Gemüsesorten entstanden, etwa die hübschen rosafarbenen Grapefruits.

Der Europäische Gerichtshof entschied im Juli 2018, dass alle genomeditierten Pflanzen unter das EU-Gentechnikgesetz fallen, also auch jene minimal veränderten ohne fremde Erbinformation. Formal betrifft das auch Pflanzen, die durch Verfahren der ungerichteten Mutagenese erzeugt wurden. Hier jedoch macht das Gericht eine Ausnahme und erklärt solche altbewährten Methoden für sicher. Dabei gibt es keine wissenschaftlichen Hinweise darauf, dass die Methoden der Genomeditierung mit spezifischen Risiken verbunden sind, wie auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften 2019 in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Regulierung genomeditierter Pflanzen betont haben.

Derweil schlagen viele Länder einen anderen Weg ein: In den USA, Kanada, Australien, Japan, Brasilien, Argentinien, Israel und neuerdings auch Indien gelten einfach genomeditierte Nutzpflanzen, die keine fremde Erbinformation tragen und unter natürlichen Bedingungen durch zufällige Mutation hätten entstehen können, nicht als gentechnisch verändert: Sie sind konventionell gezüchteten Pflanzen gleichgesetzt. Die langwierigen und mit hohen Kosten verbundenen Sicherheitsprüfungen für transgene Pflanzen entfallen. Auch Großbritannien, die Schweiz und China haben angekündigt, den Umgang mit einfach genomeditierten Nutzpflanzen zu erleichtern.

Die meisten dieser Länder bewerten die Risiken des Endprodukts. In Europa hingegen steht das Verfahren im Vordergrund, also der Entstehungsprozess einer Pflanze. Das könnte sich ändern: Nachdem auch die in der EU für die Lebensmittelsicherheit zuständige Behörde EFSA 2021 zu dem Schluss gekommen ist, dass mit der Anwendung der Genomeditierung keine neuartigen Risiken verbunden sind, hat die EU verkündet, das Gentechnikgesetz "an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt anpassen" zu wollen. Mitte 2023 wird die EU-Kommission einen ersten Vorschlag dazu vorlegen.

Ausblick

Mehr denn je ist der Mensch heute in der Lage, gezielt in das Erbgut von Organismen einzugreifen, von Mikroorganismen über Pflanzen und Tiere bis zu sich selbst. Vielen Menschen ist das nicht geheuer, so lehnen gerade in Europa große Teile der Bevölkerung den Einsatz von Gentechnologie ab, vor allem wenn es um die Erzeugung von Lebensmitteln geht. Aber auch die Covid-19-Impfstoffe wurden teils als "experimentelle Gentherapie" verunglimpft. Gleichzeitig zeigt die Meinungsforschung, dass ein großes Informationsdefizit rund um das Thema Biotechnologie existiert.

Die enormen methodischen Fortschritte innerhalb des Forschungsfelds lassen allerdings nur eine Schlussfolgerung zu: Die Gentechnologie wird weiter an Bedeutung gewinnen. Gerade in der Landwirtschaft könnte die Genomeditierung eine schnellere Anpassung der Nutzpflanzen an den Klimawandel ermöglichen und so zur Ernährungssicherheit der nächsten Generationen beitragen. Voraussetzung dafür ist die gesellschaftliche Akzeptanz der neuen Technologien. Umso wichtiger ist es, die Öffentlichkeit sachlich über die Chancen und Risiken dieser potenten Technologie in den unterschiedlichen Anwendungsbereichen zu informieren.

ist Diplom-Biologin und Wissenschaftsjournalistin.
Externer Link: http://www.julietteirmer.de