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"Wir dürfen da noch sehr viel erwarten" | Gentechnik | bpb.de

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"Wir dürfen da noch sehr viel erwarten" Ein Gespräch über medizinische RNA-Forschung und -Therapien

Thomas Thum

/ 8 Minuten zu lesen

Thomas Thum entwickelt eine Therapie gegen Herzschwäche, die über einen Hemmer für microRNAs wirkt. Im Interview spricht er über das RNA-Molekül und sein Potenzial für die Medizin – auch jenseits der mRNA-Technologie hinter den Impfstoffen gegen Covid-19.

Herr Professor Thum, seit zwei Jahren sprechen wir von mRNA-Impfungen – zum Schutz vor Covid-19, mit Blick in die Zukunft aber auch zur Krebsbehandlung. Sie entwickeln eine RNA-Therapie gegen Herzschwäche. Sind RNAs die neuen Wundermittel?

Thomas Thum – Wunder gibt es in der Medizin selten. Doch die Therapie an oder mit RNA-Molekülen wird der Medizin ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Daran forschen wir und andere Wissenschaftler bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten. Der Durchbruch der mRNA-Impfungen hat einen enormen Einfluss auf das gesamte Forschungsfeld. Es gibt ja nicht nur die Corona-Impfungen. Biontech und Moderna haben den Krebs im Visier, und bereits seit einigen Jahren gibt es Therapien gegen sehr seltene Erkrankungen, wie etwa die spinale Muskelatrophie, die an RNA-Molekülen ansetzen. Kaum jemand weiß, dass die erste RNA-Therapie bereits 1999 auf den Markt kam.

Das ist fast 25 Jahre her. Was war das für ein Mittel?

– Der Wirkstoff hieß Fomivirsen und richtete sich gegen das Zytomegalie-Virus, das in den 1990er Jahren vor allem bei immungeschwächten Aids-Patienten zur Erblindung führte. Aber der Wirkmechanismus ist ein ganz anderer als bei den Corona-Impfungen. Bei den Impfungen wird die mRNA als Bauanleitung für ein Protein in den Körper gespritzt, um das Abwehrsystem darauf einzustellen. Im Fall von Fomivirsen werden hingegen mRNAs abgefangen.

Wie muss man sich das vorstellen?

– Stellen Sie sich die DNA, also das Erbgut, das im Kern jeder unserer Zellen vorliegt, als einen riesigen Bauplan für ein Haus vor. Alle Anleitungen zu den Bausteinen, den Proteinen, liegen dort verschlüsselt vor. Damit die Information in Proteine umgesetzt werden kann, braucht es einen Boten, der die Anleitungen kopiert und zu den Proteinmaschinen der Zelle transportiert: die "Messenger"-RNA, kurz mRNA. Wenn man den Code eines Proteins kennt, dann kann die Zelle es nachbauen.

Das ist das Prinzip der mRNA-Impfung, bei der man den Code des Spike-Proteins des Coronavirus spritzt.

– Genau. Der Code bietet aber noch eine andere Besonderheit. Er besteht aus vier chemischen Molekülen, die mit den Buchstaben A, T, C und G abgekürzt werden. Zwei dieser Moleküle passen zueinander: A und T, C und G. Dieses Prinzip macht es möglich, dass die mRNA die DNA ablesen kann. Die DNA liegt doppelsträngig vor – verbunden über A und T und C und G. Die mRNA besteht fast aus den gleichen Bausteinen wie die DNA. Öffnet sich die DNA, kann die mRNA quasi ein Spiegelbild des Codes bilden: Wenn auf der DNA "GCC" steht, übersetzt ihn die mRNA als "CGG". Der Trick, den man nun anwendet, um die mRNA abzufangen: Man baut wiederum einen Gegenstrang, der sich an mRNA bindet. Der blockiert die Herstellung des Proteins. Das macht die Natur übrigens auf etwas komplexere Weise ebenso, wenn sie die Herstellung eines Proteins herunterregulieren will. Wir selbst nutzen dieses Prinzip, um eine Therapie für Herzinsuffizienz zu entwickeln – allerdings mit anderen RNA-Arten.

Was sind das für andere RNA-Arten?

– Äußerlich betrachtet unterscheiden sie sich nur in ihrer Länge von der mRNA. Es sind entweder sehr kurze oder sehr lange RNA-Abschnitte, manchmal bilden sich auch kreisförmige Strukturen. Sie liegen als sogenannte nicht-kodierende Abschnitte auf der DNA. Sie tragen also keine Bauanleitung für Proteine, sondern liegen irgendwo dazwischen. Über viele Jahre, sogar Jahrzehnte, hat man sie schlicht für Müll gehalten.

Aber offensichtlich sind sie kein Müll. Welche Aufgaben haben sie?

– In jeder Zelle liegt DNA, also der gesamte Bauplan des Hauses, vor. Aber nicht jede Zelle braucht all die Bausteine, die dort gespeichert sind. Es muss Architekten dieses Hauses geben, die entscheiden, welcher Baustein benötigt wird und gebildet werden soll. Inzwischen wissen wir, dass diese nicht-kodierenden RNAs zu den Architekten gehören: Sie regulieren, welche Gene abgelesen oder in Proteine umgesetzt werden. Zum Beispiel dadurch, dass sie sich an mRNA binden und die Umsetzung zu Proteinen verhindern. In einem geschädigten Herzen sorgen sie etwa dafür, dass der normale Stoffwechsel entgleist.

Womit wir bei Ihrem eigenen Forschungsgebiet wären. Wodurch entsteht Herzschwäche?

– Das kann unterschiedliche Gründe haben. Klassischerweise ist es ein Herzinfarkt oder chronischer Bluthochdruck. Beim Herzinfarkt stirbt das Herzmuskelgewebe durch einen Gefäßverschluss ab, weil es nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Das heißt, das restliche überlebende Gewebe ist ständig überbeansprucht, weil es nun die Arbeit übernehmen muss. Beim Bluthochdruck wird das Herz durch den permanenten Druck überlastet. Diese Überlastung löst Umbauprozesse aus: Das Herz wird größer und seine Elastizität nimmt ab – und schließlich kann es nicht mehr ausreichend Blut durch den Körper pumpen, um ihn mit Sauerstoff zu versorgen. Das nennt man Herzinsuffizienz, also Herzschwäche. Aber der Begriff verklärt ein wenig, wie fatal das Leiden ist. Denn gegen Herzschwäche haben wir so gut wie nichts in der Hand. Man kann den Prozess mit Medikamenten ein wenig aufhalten, aber die Hälfte aller Menschen mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz wird innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahren sterben.

Und welche Rolle spielen nun die RNAs, die Sie identifiziert haben?

– Das sind sogenannte microRNAs, also sehr kurze RNA-Moleküle, die eben keine Proteine kodieren. Die microRNA 132 spielt eine ganz wichtige Rolle im Herzstoffwechsel. Wir sehen, dass vier Prozesse ungünstig beeinflusst werden, wenn sie verstärkt im Herzen auftritt. Und genau das ist bei der Herzinsuffizienz der Fall. Sie ist also so etwas wie ein schlechter Architekt, der die Bauanleitung nicht verstanden hat.

Welche Prozesse sind das, die ungünstig beeinflusst werden?

– Die microRNA 132 hat zum Beispiel einen direkten Effekt auf die Größe der Herzzellen. Sie fangen krankhaft an zu wachsen. Das liegt daran, dass bestimmte Gene durch diese microRNA eben blockiert oder verstärkt durch mRNA abgelesen werden. Dann hat sie einen Einfluss auf die Vernarbung des Herzens. Wenn ein Gewebe verletzt wird, wächst das Bindegewebe und es bilden sich Narben. Das ist bei der Haut genauso wie auf Organen. Das Gewebe versteift an diesen Stellen – die Elastizität lässt nach. Zudem hat diese microRNA Einfluss auf den Kalziumhaushalt, der wichtig für die Kontraktion des Herzmuskels ist, also für die Pumpkraft. Und schließlich – das haben wir erst kürzlich herausgefunden – wirkt sie auf die Gefäßdichte im Herzen, also auf die Blutversorgung. All das können wir beeinflussen, wenn wir diese microRNA132 blockieren.

Haben Sie bereits Patienten damit behandelt?

– Wir haben eine erste kleine klinische Studie mit 28 Patienten erfolgreich abgeschlossen. Dort wurde vor allem die Sicherheit überprüft, also ob Nebenwirkungen auftreten – und bislang sehen wir tatsächlich keine Nebenwirkungen. Obwohl es in solchen ersten kleinen Studien noch gar nicht um die Wirkung einer Therapie geht, konnten wir schon erste schützende Effekte beobachten.

Was für Effekte sind das?

– Wir haben das Blut der Patienten analysiert und gesehen, dass sich die klassischen Biomarker einer Herzschwäche wieder normalisieren. Genauer gesagt konnten wir finden, dass der typische Herzschwäche-Marker NT-proBNP in den therapierten Patienten um knapp ein Viertel zurückging. Derzeit läuft eine zweite klinische Studie mit 280 Patienten in etwa 60 Zentren in Europa, bei der wir Patienten nach einem Myokardinfarkt und reduzierter Pumpfunktion behandeln und zwölf Monate im Anschluss weiter beobachten. Und wir sind großer Hoffnung, dass wir sehr gute Ergebnisse erzielen werden.

Was macht Sie da so sicher?

– Jede neue Therapie muss, bevor sie in den Menschen geht, an Tiermodellen getestet werden. Und da konnten wir beobachten, dass die Herzinsuffizienz nicht nur langsamer vorangeschritten ist, sondern sich zum größten Teil sogar zurückbildete – und zwar in ganz verschiedenen Tiermodellen. Das ist für die Kardiologie natürlich total spannend.

Sind die Patienten offen für die Behandlung an RNA oder begegnen Ihnen auch Ängste, wie es sie mitunter bei den mRNA-Impfstoffen gab?

– Nein, bislang sind wir nicht auf Skepsis gestoßen. Eher im Gegenteil: Die Patienten sind dankbar, dass es etwas gibt, das ihnen hoffentlich hilft. Die Therapie wird gut angenommen.

Wie sind Sie überhaupt darauf gekommen, dass microRNAs ein Ziel für mögliche Therapien sein können?

– Das ist schon 15 Jahre her. Ich machte nach meiner medizinischen Doktorarbeit gerade noch meinen PhD-Abschluss in London, saß in der Bibliothek des Imperial College und blätterte durch die aktuelle "Nature"-Ausgabe. Da ist mir eine Veröffentlichung von Jan Krützfeld von der Universität Zürich aufgefallen. Er beschrieb dort kleine RNA-Fragmente, die den Leberstoffwechsel regulieren. Da habe ich gedacht, dass wir das auch mal beim Herzen untersuchen sollten. So sind wir auf microRNAs gestoßen.

Wenn bereits 1999 die erste RNA-Therapie auf den Markt kam, warum hat die Entwicklung weiterer Therapien so lange gedauert?

– Die größte Schwierigkeit bei den RNA-Therapien ist es, die Moleküle unbeschadet und in den richtigen Mengen dorthin zu bringen, wo sie wirken sollen. RNAs werden unglaublich schnell abgebaut. Das heißt, sie müssen gut verpackt werden, damit sie überhaupt ihr Ziel erreichen. Es hat Jahre gedauert, bis man solche Technologien entwickelt hatte. Das ist auch der Grund, warum so wenige Wissenschaftler sich mit den Molekülen beschäftigt haben. Zudem sind fremde mRNA-Moleküle für den Körper ein Warnsignal, dass Bakterien oder Viren eingedrungen sein könnten, und lösen eine Abwehrreaktion aus. Eine der wichtigsten Technologien, die RNA-Therapien möglich gemacht haben, war ihre Verpackung, also zum Beispiel die Fettnanopartikel, in denen die mRNA für die Corona-Impfung liegt.

Warum hat das bei dem ersten Mittel keine Rolle gespielt?

– Im Fall von Fomivirsen war beides kein Problem. Das Mittel blockierte eine Virus-mRNA, wurde direkt ins Auge gespritzt. Dass Auge ist ein sehr gut geschütztes Organ. Daher gelangte der Wirkstoff gar nicht erst in die Blutbahn. Aber noch immer gehören die Verabreichung und die Art, wie die Wirkstoffe ihr Ziel erreichen, zu den größten Herausforderungen für künftige RNA-Therapien. Das klappt jetzt gut für das Herz, für die Leber, und auch die Lymphknoten erreicht man mit der Impfung.

Welche anderen Krankheiten, glauben Sie, können künftig mit RNA-Therapien behandelt werden?

– Krebs und seltene Erkrankungen habe ich schon genannt. Natürlich setzen wir in Hannover auf die Herzinsuffizienz. Aber erst kürzlich hat Novartis die Zulassung für einen Cholesterin-Senker erhalten, der über eine RNA-Therapie wirkt. Und beim Pharmakonzern Sanofi läuft derzeit eine klinische Studie der Phase II, in der eine microRNA gegen erbliche Nierenfibrose, dem sogenannten Alport-Syndrom, getestet wird. Und an der Medizinischen Hochschule Hannover haben wir erst kürzlich noch eine andere RNA gefunden, eine sogenannte zirkuläre RNA, von der wir hoffen, dass sie die Herzbelastung durch Chemotherapie senkt. Ich glaube, dass wir da noch sehr viel erwarten dürfen.

Das Interview führte die Wissenschaftsjournalistin Edda Grabar am 7. Juli 2022.

ist Professor und Kardiologe an der Medizinischen Hochschule Hannover, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Experimentelle Medizin und Gründer des Biotech-Startups Cardior.
E-Mail Link: thum.thomas@mh-hannover.de