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Krieg in der Ukraine Editorial Redaktionelle Anmerkung 24. Februar 2022: Ein Jahr danach Von erwartbaren und überraschenden Entwicklungen Fünf Lehren aus der russischen Invasion Aus Krisen lernen Wie lässt sich der Krieg in der Ukraine beenden? Frieden schaffen. Europas Verantwortung für eine gemeinsame Sicherheit Ende der Ostpolitik? Zur historischen Dimension der "Zeitenwende" Erfolg und Grenzen der Sanktionspolitik gegen Russland Wiederaufbau der Ukraine. Dimensionen, Status quo und innerukrainische Voraussetzungen Reden über den Krieg. Einige Anmerkungen zu Kontinuitäten im Sprechen über Krisen, Kriege und Aufrüstung

Erfolg und Grenzen der Sanktionspolitik gegen Russland

Julia Grauvogel Christian von Soest

/ 13 Minuten zu lesen

Westliche Staaten haben bemerkenswert schnell mit harten Sanktionen auf die Invasion Russlands in die Ukraine reagiert. Nach einem Jahr zeigen sich erste Wirkungen der Zwangsmaßnahmen, die Erwartungen an dieses Instrument sollten aber realistisch bleiben.

Sanktionen sind ein zentraler Baustein der westlichen Reaktion auf Russlands eklatante Verstöße gegen das Völkerrecht. Schon 2014 haben die Europäische Union und die USA im Zuge der Krim-Annexion Sanktionen gegen das Putin-Regime beschlossen. Seit Russlands Anerkennung der Separatistengebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten am 21. Februar 2022 und dem darauffolgenden Einmarsch in die Ukraine sind zahlreiche neue Sanktionen hinzugekommen. Diese heben sich deutlich von den Krim-Sanktionen ab: Bemerkenswert ist zum einen das Tempo, mit dem sich die EU-Mitgliedstaaten auf die Maßnahmen geeinigt haben. Innerhalb von nur fünf Tagen – zwischen dem 23. und dem 28. Februar 2022 – hat die EU die ersten drei ihrer bisher neun Sanktionspakete verabschiedet. Zum anderen sind die Maßnahmen deutlich umfassender als die eher symbolischen Vorgängersanktionen. Die massiven Beschränkungen in den Bereichen Finanzen, Transport, Handel und Energie sind zwar keine Zeitenwende in der Sanktionspolitik, beschleunigen aber das Revival umfassender Sanktionen, von denen sich die Weltgemeinschaft nach den gravierenden humanitären Folgen des Irak-Embargos der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre zunächst verabschiedet hatte. Zudem werden die europäischen und amerikanischen Sanktionen von einer breiten internationalen Allianz unterstützt. Die traditionell bei EU-Sanktionen neutrale Schweiz hat sich dem Großteil der Maßnahmen ebenso angeschlossen wie beispielsweise Singapur, das als wichtiges Finanzzentrum die Sanktionen gegen russische Banken mitträgt.

Doch trotz der schnellen, umfassenden und von einer breiten Koalition getragenen Sanktionen haben diese auch ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs – wenig überraschend – kein Einlenken Wladimir Putins bewirkt. Die EU verknüpft die Sanktionen mit der Forderung, dass "Russland seine militärischen Handlungen unverzüglich einstellt" und "alle Streitkräfte und Militärausrüstung bedingungslos aus dem gesamten Hoheitsgebiet der Ukraine abzieht." Die Aussichten, mit Sanktionen einen sofortigen Rückzug der russischen Armee herbeizuführen, waren jedoch von Anfang an minimal. Allerdings zielen sie darauf ab, die russische Fähigkeit zur (technischen) Kriegsführung und zur Finanzierung der Invasion massiv zu schwächen. Außerdem signalisieren die Sanktionen, dass der Völkerrechtsbruch durch Russland nicht folgenlos bleibt und mit erheblichen Kosten einhergeht.

Die dem Instrument der Sanktionen mit Verweis auf ein Ausbleiben einer russischen Verhaltensänderung mitunter attestierte Wirkungslosigkeit ist aber noch aus einem anderen Grund falsch. Russland ist als weltweit elftgrößte Volkswirtschaft, als wichtiger Exporteur von Öl und Gas und als ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat keineswegs repräsentativ für das Gros der in der Vergangenheit sanktionierten Staaten: Mehr als die Hälfte aller EU- und UN-Sanktionen seit dem Ende des Kalten Krieges richteten sich gegen kleinere Länder auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahen Osten, die deutlich anfälliger sind für externen Druck. Insgesamt sind auferlegte Sanktionen immerhin in etwa einem Drittel der Fälle erfolgreich.

Revival umfangreicher Zwangsmaßnahmen

Die EU hat bereits neun Sanktionspakete in Kraft gesetzt, das bisher letzte im Dezember 2022 (Abbildung 1). Ein zehntes ist in Vorbereitung. Die von Europa verhängten Maßnahmen umfassen dabei ein breites Spektrum von Individualsanktionen bis hin zu sektoralen Wirtschaftsbeschränkungen. Darüber hinaus spielen Maßnahmen zur "Aufrechterhaltung und Anpassung" (so der Name des sechsten Sanktionspakets) zunehmend eine größere Rolle. Damit will die EU mögliche Versuche unterbinden, die Sanktionen zu umgehen. So wurden beispielsweise im April 2022 Geldflüsse in Kryptowährungen verboten, um Schlupflöcher bei den Finanzsanktionen zu schließen.

Die Russland-Sanktionen spiegeln den internationalen Trend zu "kostspieligeren" Sanktionsmaßnahmen wider, die nicht nur die (politischen) Eliten eines Landes, sondern – trotz humanitärer Ausnahmen wie im Falle Irans oder Syriens – auch breite Teile der Bevölkerung treffen. Drei weitere Aspekte der Russland-Sanktionen stehen ebenfalls exemplarisch für die neuesten Entwicklungen dieses Instruments: Erstens verhängt der Westen zunehmend Finanzsanktionen. Mit dem Ausschluss von Banken aus dem Kommunikations- und Zahlungssystem SWIFT macht der Westen, mit den USA an der Spitze, globale finanzielle Verflechtungen zu einer "Waffe", indem Geldinstitute der sanktionierten Staaten vom zentralen internationalen Bankentransfersystem abgeschnitten werden. Bereits vor zehn Jahren wurde der Iran zum ersten Mal aus dem SWIFT-System ausgeschlossen, was aus Sicht vieler entscheidend dazu beitrug, dass Teheran drei Jahre später das Atomabkommen mit den USA, Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Deutschland, Russland und China unterzeichnete. Der aktuelle Fall Russland zeigt aber auch, dass sanktionierte Staaten nicht wehrlos sind: So gab es bereits vor dem Krieg gegen die Ukraine erste Versuche des Kremls, sich zugunsten der chinesischen Währung Yuan von einem Teil der staatseigenen Devisenreserven in US-Dollar zu trennen, um sie möglichen Finanzsanktionen zu entziehen.

Zweitens setzen die Europäer und die USA zunehmend auf themenspezifische Sanktionen – sogenannte horizontale Sanktionsregime –, um eine noch schnellere Reaktion auf unerwünschtes Verhalten zu ermöglichen. Mit der "globalen Sanktionsregelung im Bereich der Menschenrechte" hat die EU, angelehnt an den US-amerikanischen Global Magnitsky Act, im Jahr 2020 einen rechtlichen Rahmen für restriktive Maßnahmen in diesem Politikfeld geschaffen. Gleiches gilt für das Cybersanktionsregime aus dem Jahr 2019 und die restriktiven Maßnahmen beim Einsatz von Chemiewaffen von 2018.

Drittens ist die Popularität von gezielten Sanktionen gegen Individuen und Organisationen in Form von Reisebeschränkungen und Kontensperrungen ungebrochen. Die EU, das Vereinigte Königreich und die USA haben bisher jeweils mehr als tausend russische Staatsangehörige auf ihre Sanktionslisten gesetzt. Die Maßnahmen richten sich unter anderem gegen Abgeordnete der Duma, Angehörige des nationalen Sicherheitsrates, aber auch gegen zahlreiche Oligarchen und tragen so zur Individualisierung der Verantwortung bei der Verletzung zentraler völker- oder menschenrechtlicher Normen bei. Zum Teil stockte die EU im Rahmen eines Sanktionspakets sogar mehrfach die Anzahl der gelisteten Personen auf (Abbildung 2).

Inhaltlich und zeitlich haben sich EU und USA bei ihren Russland-Sanktionen eng abgestimmt. Dies trug in einigen Bereichen, wie den Finanz- und Energiesanktionen, Früchte. Trotz unterschiedlicher Prozesse für die jeweiligen Sanktionsbeschlüsse ist die Liste der betroffenen russischen Banken weitgehend deckungsgleich. Auch bei der Preisobergrenze für Rohöl und Erdöl auf 60 US-Dollar pro Barrel demonstrierten Europäer und Amerikaner transatlantische Einigkeit. Eine einheitliche Sanktionspolitik gerät in vielen Bereichen aber auch an Grenzen. Wen die Individualsanktionen Europas, des Vereinigten Königreichs und der USA treffen, unterscheidet sich erheblich. Von den 20 reichsten Russen war am 30. März 2022 lediglich eine Person auf allen drei Sanktionslisten, weitere sieben waren auf immerhin zwei von drei "schwarzen Listen" verzeichnet.

Unterschiedliche Ziele

In ihrer Begründung der Sanktionen setzt die EU angesichts des unverändert rücksichtslos geführten Angriffskrieges auf kontinuierlichen Druck und reagiert gleichzeitig auf besonders verwerfliche Ereignisse. Das fünfte Sanktionspaket wurde unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Massaker in Butscha Anfang April 2022 verabschiedet. Das achte Sanktionspaket wiederum wurde unter Verweis auf die rechtswidrige Annexion der ukrainischen Regionen Donezk, Luhansk, Saporischschja und Cherson durch Russland beschlossen.

Auch wenn eine solche Begründung nahelegt, dass mit den Sanktionen eine Verhaltensänderung des Putin-Regimes erzwungen werden soll (Englisch: coerce), war dies keine realistische Erwartung an die Maßnahmen. Vielmehr verfolgt die internationale Gemeinschaft mit ihren Sanktionen zwei weitere in der Forschung als zentral identifizierte Ziele: Erstens sollen die Maßnahmen Russlands Fähigkeit einschränken (constrain), den Krieg zu finanzieren und auf dem technisch neuesten Stand zu führen. Zweitens signalisieren (signal) die Sanktionen, dass die eklatante Verletzung zentraler Normen durch Russland geahndet wird. Die Bereitschaft der europäischen Länder, dabei gravierende eigene wirtschaftliche Nachteile bei der Energieversorgung in Kauf zu nehmen, macht dieses Signal glaubwürdig.

Sanktionen dienen also als Strafe für einen Völkerrechtsbruch, die auch potenzielle NachahmerInnen abschrecken soll. Gleichzeitig sind insbesondere die für Russland ökonomisch besonders schmerzhaften Maßnahmen auch Verhandlungsmasse in Gesprächen zwischen zentralen politischen Akteuren des Krieges. Dafür müssen Sanktionierende jedoch eine mögliche schrittweise Aufhebung der Maßnahmen an konkrete Verhaltensänderungen Russlands knüpfen. Einer solchen Funktion des Instruments stehen Aussagen wie jene von US-Präsident Joe Biden während seiner Warschau-Reise Ende März 2022 entgegen, mit den Sanktionen Russland und Putin direkt schwächen zu wollen.

Wirkung der Russland-Sanktionen

Für eine Bewertung der Sanktionen gegen Russland muss zwischen wirtschaftlichen und politischen Wirkungen unterschieden und daran erinnert werden, dass Sanktionen nur einen Teil der westlichen Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ausmachen. Nach über einem Jahr beschränken die Zwangsmaßnahmen den Handlungsspielraum des Putin-Regimes erheblich, wirken also vor allem über die Constraining-Logik. Sowohl die Regierung als auch russische Firmen oder Banken wie die Sberbank, das größte russische Geldinstitut, finden kaum noch Zugang zum internationalen Finanzmarkt. Sie können keine Anleihen mehr platzieren und sind neben der Abkopplung von SWIFT oft auch direkt sanktioniert – Personen und Unternehmen im Westen dürfen nicht einmal einen Bleistift an sie liefern. In einem beispiellosen Akt setzten westliche Staaten zudem gleich nach Beginn des Angriffskrieges Russlands Auslandsreserven im Wert von ungefähr 300 Milliarden US-Dollar fest. Die russische Zentralbank verhängte sofort strikte Kapitalmarktkontrollen und verhinderte damit den von einigen AnalystInnen vorhergesagten Zusammenbruch des Finanzsystems in Russland. Außerdem zahlten die europäischen Abnehmer seit Beginn des Angriffs weitere Milliarden für Öl- und Gaslieferungen – Geld, das auch den russischen Angriffskrieg finanzierte. Diese Quelle trocknet jedoch langsam aus: Im Juni 2022 hatte die EU beschlossen, schrittweise die Einfuhr von russischem Erdöl mit Tankschiffen und später auch durch Pipelines zu verbieten. Da das meiste Öl auf dem Seeweg in die EU gelangt, stoppten die europäischen Staaten damit bis Ende des Jahres 2022 bereits 90 Prozent ihrer Erdöleinfuhren aus Russland. Weder andere Abnehmer wie Indien und China noch der Schmuggel von Öl und Gas können in der nächsten Zeit diese Verluste vollständig ausgleichen. Zudem scheint der über die Versicherung von Tankladungen und Beschränkungen von Reedereien erzwungene internationale Preisdeckel für russisches Öl zunehmend zu wirken.

Darüber hinaus treffen Exportverbote für Hochtechnologie (Computerchips, Halbleiter und Software), Dual-Use-Güter, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke genutzt werden können, sowie für Ersatzteile für Flugzeuge die international eingebundene russische Wirtschaft unmittelbar. Die Bänder des Lada-Herstellers Avtovaz standen monatelang still, heute produzieren dessen Werke Autos ohne Airbags, Antiblockiersysteme und weitere Teile, die auf westliche Zulieferungen angewiesen sind. Der Chipmangel behindert offensichtlich auch die Produktion von Präzisionsmunition und den Bau moderner Panzer. Russland kann diese High-Tech-Bauteile nicht einfach selbst herstellen und Importe damit substituieren. Zwar sorgte der anfangs ungebremste Öl- und Gasexport in den Westen dafür, dass der Kreml das Schrumpfen der heimischen Wirtschaft im Jahr 2022 auf ungefähr drei Prozent abbremsen konnte – durch die Drosselung der durch Pipelines gelieferten Gasmenge schlug Russland zunächst sogar selbst zurück. Mittlerweile sind seine ökonomischen Zukunftsaussichten jedoch angesichts der zunehmend greifenden Technologie- und Energiesanktionen äußerst düster. Schon jetzt sind die Kosten der Sanktionen für Russland weit höher als für Deutschland und Europa, obwohl diese mit Energieknappheit und hoher Inflation umgehen müssen.

Nach der grundlegenden Sanktionslogik soll der durch Sanktionen ausgelöste wirtschaftliche Schmerz zu einem politischen Kurswechsel im Zielland führen. Dies ist in Russland bislang nicht der Fall. Präsident Putin und seine Regierung haben sich als kostenunempfindlich gezeigt und wiederholt die Leidensfähigkeit Russlands betont. Zudem haben die Sanktionen bislang offensichtlich keinen Keil zwischen Putin und den Elitezirkel um ihn herum getrieben. Die öffentliche Kritik der Oligarchen Oleg Tinkow und Oleg Deripaska am Krieg blieb die große Ausnahme; es kam auch nicht zu Ministerrücktritten, die auf eine Spaltung der Elite hindeuten. Aufgrund der staatlichen Repression blieben Massenproteste zudem aus. Die Zwangsmaßnahmen der Regierung haben jedoch auch keinen Popularitätsschub für die russische Führung gebracht. Ein solcher Wagenburg-Effekt (rally ’round the flag effect) tritt ein, wenn die sanktionierte Regierung den äußeren Druck als einen Angriff auf das ganze Land darstellen und erfolgreich an die Solidarität der eigenen Bevölkerung appellieren kann. Bereits die Forschung zu den nach der Krim-Besetzung 2014 auferlegten Sanktionen zeigt aber, dass Präsident Putins Zustimmungswerte damals wegen der Annexion selbst und nicht aufgrund der folgenden Zwangsmaßnahmen des Westens in die Höhe schossen.

Fehlende Erfolgsvoraussetzungen

Allerdings sind wichtige von der Wissenschaft identifizierte Erfolgsbedingungen für Sanktionen im Falle Russlands nicht gegeben. Diese betreffen vor allem die mit den Sanktionen verbundenen Forderungen, die politische und wirtschaftliche Verfasstheit des sanktionierten Landes sowie seine Beziehung zu den Sanktionierenden.

Grundsätzlich gilt schon die Androhung von Sanktionen als besonders erfolgversprechend, weil sich das Gegenüber in diesem Stadium noch weitgehend ohne Gesichtsverlust zurückziehen kann. Über diese Sanktionsdrohungen hat sich Putin mit dem Angriff am 24. Februar 2022 im Handstreich hinweggesetzt. Zudem beeinflusst Druck von außen Demokratien in der Regel leichter als Diktaturen, da BürgerInnen demokratisch gewählte Regierungen bei Wahlen abstrafen können, wenn Sanktionen zu einem wirtschaftlichen Abschwung führen. Freie und faire Wahlen, die zu einer solchen Reaktion führen könnten, gibt es in Russland aber schon lange nicht mehr. Begrenzte Forderungen – wie beispielsweise die nach einer unabhängigen Untersuchung eines Massakers – machen es einer sanktionierten Regierung darüber hinaus leichter, nachzugeben. Die Forderung nach umfassender Demokratisierung gefährdet hingegen unmittelbar den Machterhalt eines autoritären Regimes. Durch das vorgebliche Ziel einer "Entnazifizierung" hat die russische Führung die Invasion in die Ukraine zusätzlich ideologisch enorm aufgeladen. Schließlich wissen wir empirisch, dass Sanktionen gegen befreundete Staaten, mit denen ein enger wirtschaftlicher Austausch und starke politische Einigkeit besteht, größere Aussichten auf Erfolg haben. Das Gleiche gilt, wenn der Druck von einer möglichst großen Staatenkoalition oder sogar von einer internationalen Organisation wie den Vereinten Nationen ausgeht. Die Legitimität dieser Maßnahmen ist dann grundsätzlich höher, während die Schlupflöcher kleiner sind. Zudem geben wirtschaftlich "schwache" Zielstaaten eher nach.

Viele dieser Faktoren sind im Falle Russlands strukturell nicht gegeben: Nicht nur nimmt der größte Flächenstaat der Erde als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats und Atommacht eine enorme Machtposition ein, sondern er verfügt auch über eine hinreichend große Wirtschaftsleistung, die ihn vor kurzfristigem Sanktionsdruck schützt. Lediglich die derzeit breite Sanktionsallianz von mehr als 30 Staaten erhöht tatsächlich die Erfolgswahrscheinlichkeit der Sanktionen, zumal sich darüber hinaus eine vergleichsweise große Anzahl von Staaten gegen Russlands Angriff gestellt hat und auch Großmächte wie Indien und China Präsident Putin bislang nicht offen unterstützen.

Bei der Bewertung sollte allerdings nicht übersehen werden, dass die Wirkung der Sanktionen weit über die eigentlich verhängten Maßnahmen hinausgeht. Über tausend internationale Unternehmen haben sich mittlerweile vom russischen Markt zurückgezogen, verbliebene stehen in westlichen Staaten, vor allem den USA, am Pranger der Öffentlichkeit. Für die russische Mittelschicht sind der Rückzug von populären westlichen Unternehmen wie McDonalds oder Ikea und die Schwierigkeiten beim Bezahlen mit Kreditkarten direkt spürbar. In der Regel erzwingen die verhängten Sanktionen nicht direkt den Rückzug internationaler Unternehmen, sie verschlechtern aber die Geschäftsaussichten in Russland deutlich und beeinflussen damit Investitionsentscheidungen. Die umfassenden und langandauernden Sanktionen gegen Iran, Syrien, Afghanistan und Venezuela zeigen zudem, dass autoritäre Regierungen – trotz der Zwangsmaßnahmen – häufig fest im Sattel sitzen, während die Bevölkerung trotz weitverbreiteter humanitärer Ausnahmen bei den Sanktionen unter den wirtschaftlichen Beschränkungen zu leiden hat. Auch wenn es angesichts des fortgesetzten brutalen Vorgehens der russischen Armee in der Ukraine verfrüht erscheint, wird sich irgendwann auch im Falle Russlands die Frage nach den humanitären Schäden der äußerst umfassenden Sanktionspolitik stellen.

Sanktionen als Verhandlungsmittel

Die Russland-Sanktionen machen die Möglichkeiten und Grenzen dieses Mittels der Außenpolitik deutlich, das irgendwo zwischen einfachen Worten des Beistands und der direkten Beteiligung an einem Krieg angesiedelt ist. Grundsätzlich sind Sanktionen allein ungeeignet, Kriege sofort zu stoppen – zumal, wenn sie gegen eine Großmacht mit erheblichen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Machtressourcen verhängt werden. Sanktionen wirken aber ohnehin nicht isoliert, sondern im Verbund mit weiteren wirtschaftlichen, humanitären und militärischen Hilfen für die Ukraine. In Russland hingegen drohen der durch die Sanktionen erzeugte wirtschaftliche Druck und die ausbleibenden militärischen Erfolge Präsident Putin die Legitimationsgrundlage zu entziehen. Langfristig ist durchaus denkbar, dass Sanktionen damit zur Erosion seiner personalistischen Herrschaft beitragen. Die direkten politischen Auswirkungen von Zwangsmaßnahmen auf ein autoritäres Regime wie Russland sollten aber nicht überschätzt werden.

In der zugespitzten öffentlichen Debatte in Deutschland geht gelegentlich unter, dass die Verhängung von Sanktionen keineswegs bedeuten muss, dass Kriegsparteien und westliche Staaten nicht mehr miteinander verhandeln. Im Gegenteil: Wirtschaftliche Beschränkungen und Verhandlungen laufen in der Regel parallel. Durch ihre wirtschaftlichen Kosten steigern Sanktionen unter Umständen sogar die Verhandlungsbereitschaft des Sanktionsadressaten und können damit als eine Voraussetzung für Verhandlungen gesehen werden.

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs hat die EU ihr mittlerweile neuntes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen. Weitere Zwangsmaßnahmen sind möglich, entscheidend wird aber sein, die Umsetzung und Kontrolle der auferlegten Beschränkungen zu verbessern. Hier gibt es noch viel zu tun. Mit ihrem zweiten "Sanktionsdurchsetzungsgesetz" und der Ernennung eines Sanktionsbeauftragten zeigen die Bundesregierung und die EU-Kommission, dass sie Schlupflöcher schließen und den Maßnahmen noch mehr Biss geben wollen.

ist Senior Research Fellow am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) und Sprecherin des Forschungsteams "Interventionen und Sicherheit".
E-Mail Link: julia.grauvogel@giga-hamburg.de

ist Leiter des Forschungsschwerpunkts "Frieden und Sicherheit" am German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg.
E-Mail Link: christian.vonsoest@giga-hamburg.de