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Die große Welt der vielen Kleinen | Open Source | bpb.de

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Die große Welt der vielen Kleinen

Rishab Aiyer Ghosh

/ 9 Minuten zu lesen

Open Source-Projekte brauchen weder großes Geld noch große Zeitbudgets, meint Rishab Aiyer Ghosh. Sie brauchen Aufgaben und Anreize, die gerade groß genug sind, um für viele interessant und machbar zu sein.

In einem Satz: Was ist Open Source?

Open Source-Software ist Software, bei der jeder die Freiheit hat, sie für jeden Zweck zu nutzen, zu untersuchen, zu verändern, und mit anderen zu teilen. Will man den Begriff über Software hinaus ausweiten, muss man jeweils definieren, was es bedeutet, eine Sache zu nutzen, zu untersuchen, zu verändern und zu teilen.

Könnten Sie Beispiele für solche anderen "Open-Source-Dinge" geben?

Wenn man sich zum Beispiel ein Textbuch anschaut, würde die Nutzungsfreiheit die Freiheit bedeuten, es für jeden Zweck zu benutzen – was kommerzielle und nichtkommerzielle Zwecke einschließt –, es also für den Unterricht zu verwenden ebenso wie für ein Kunstprojekt.

Die Freiheit, es zu untersuchen – nun, das Untersuchen ist für viele Dinge nicht das gleiche Problem, wie es bei Software eines ist. Bei Software bedeutet es, den Quellcode hinter dem laufenden Programm einsehen zu können. Aber wenn es um ein Textbuch geht, sind Benutzen und Untersuchen mehr oder weniger das gleiche: Man liest, um es zu benutzen, und man liest, um es zu untersuchen, studieren.

Die Freiheit, es zu verändern – die ist interessant, denn um ein Textbuch zu verändern, muss man das Recht dazu haben. Anders als bei Software kann jeder Veränderungen an einem Textbuch vornehmen, im ganz praktischen Sinne, dass man es einfach tut. Es geht mehr um das Recht, das einen davon abhält. Wenn es sich also um ein Textbuch unter einer Creative-Commons-Lizenz handelt, die besagt: "Du hast die rechtliche Erlaubnis, hier Änderungen vorzunehmen", dann hat man die Freiheit, das Textbuch zu verändern. Und die Freiheit, zu teilen ist natürlich die Möglichkeit, das Textbuch an jeden anderen zu verbreiten.

Wenn man sich die Produzenten von Open Source-Software anschaut: Was treibt sie an, etwas kostenlos wegzugeben? Was ziehen sie daraus?

Für Software-Entwickler ist die häufigste Motivation, zu lernen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Denn die Entwickler freier Software lernen durchs Tun, und die meisten Entwickler schreiben gar nicht viel Code. Sie schreiben kleine Mengen und nehmen Veränderungen vor, statt neue Sache zu schreiben. Für sie geht es also ums Lernen. Sie untersuchen etwas, verändern es, und geben es dann wieder zurück. Andere kommentieren das, geben ihre Kritik, und sie lernen noch mehr.

Für andere, die größere Dinge schaffen, gibt es viele verschiedene Gründe, darunter Bekanntheit, einen Job zu bekommen, oder ein Problem zu lösen, das sich anders nicht lösen lässt. Und es gibt auch viele Unternehmen, die ebenfalls freie Software herausbringen, und die haben ganz und gar wirtschaftliche Motive; es ist für das eigene Geschäft oft besser, wenn man Software frei veröffentlicht und dann für Serviceleistungen Geld nimmt, als wenn man versucht, für die Software selbst Geld zu verlangen.

Open Source bedeutet auch, dass man kostenlos Software verwenden kann, die von anderen hergestellt wurde. Man schafft freie Software, die auf freier Software aufbaut. Auch das hilft, die Notwendigkeit eines "großen" Motivs zu verringern.

In den späten 1990ern haben sie ein ökonomisches Modell entwickelt, das erklärt, warum Menschen davon profitieren, an Open-Source-Projekten teilzunehmen.

Ich nenne es das "Kochtopfmodell". Der Grund dafür ist, dass es einen hypothetischen Stammes-Kochtopf zum Vorbild nimmt: Wenn ich Fische habe und du hast Kartoffeln, erkennen wir beide, dass wir beide mehr Wert erhalten, wenn wir Fisch und Kartoffeln in einen gemeinsamen Kochtopf tun und einen Eintopf machen.

Der Grund, warum das bei realen Stammes-Kochtöpfen nicht so häufig geschieht, ist, dass wir anschließend immer noch entscheiden müssen, wie wir den Eintopf aufteilen. Hast du mehr hineingetan? Habe ich mehr hineingetan? Wenn du zum Beispiel immer mehr hineintust als ich, aber wir beide immer gleich viel herausnehmen, scheint das unfair.

All diese Probleme verschwinden jedoch, wenn man sich Informationen und Wissensgüter ansieht, so wie Software im Internet oder Textbücher. Denn hier kann der ganze Topf für jeden kopiert werden. Wir müssen ihn nicht aufteilen: Ich bekomme den ganzen Topf, und du bekommst den ganzen Topf. Und das erlaubt jedem, das Gefühl zu haben, dass er mehr herausholt, als er hineingibt. Ich tue nur Fisch hinein, aber ich bekomme Fisch und Kartoffeln, und du tust nur Kartoffeln hinein, aber du bekommst auch Fisch und Kartoffeln. Und du bekommst exakt genau so viel Fisch und Kartoffeln wie ich.

Warum sollte ich als Konsument auf ein Open-Source-Produkt umsteigen, wenn ich proprietäre Produkte habe, mit denen ich gut arbeite?

Als reiner Konsument ist man nur am Produkt interessiert; so etwas wie eine Wahl zwischen freier und proprietärer Software gibt es da einfach nicht. Man wählt lediglich zwischen einem Produkt und einem anderen. Genau so, wie man einen Apple Macintosh oder einen Windows PC wählen kann, kann man OpenOffice wählen.

Einer der Hauptgründe für viele Endnutzer ist natürlich der Preis. Obwohl sich das Wort "frei" hier auf "Freiheit" bezieht, ist es doch so, das freie Software auch mehr oder weniger ohne jede Zahlung erhältlich ist. Man kann die Software also für wesentlich weniger Geld bekommen.

Noch wichtiger ist vielleicht die Freiheit von irgendeiner Kontrolle. Bei proprietärrer Software besitzt man das, was man mit deer Software herstellt, nicht wirklich, denn die Firma, die die Software herstellt, wird darauf bestehen, dass man damit "Softwarepiraterie" begeht, und dann muss man noch mehr Geld bezahlen. Oder sie ändern die Art, wie Dokumente abgespeichert werden. Wenn man ein Dokument öffnen will, das man von zehn Jahren mit einer proprietären Textverarbeitung abgespeichert hat, hat man womöglich große Schwierigkeiten, es wieder zu öffnen. Während freie Software immer weiter unterstützt wird, weil es keine einzelne Firma gibt, die sie kontrolliert.

Das ist enorm wichtig für Konsumenten, die Organisationen sind. Für individuelle Endnutzer macht das nicht so viel aus. Aber Organisationen, insbesondere Regierungen, Schulen und öffentliche Einrichtungen müssen ihre Unabhängigkeit von einzelnen Unternehmen bewahren. Sie werden in der Lage sein wollen, ihre Software frei zu wählen. Wenn man proprietäre Software verwendet, hat man diese Wahl nicht mehr. Denn sobald man anfängt, sie zu benutzen, wird es sehr schwer, zu wechseln, da man sicherstellen muss, dass alle eigenen Gewohnheiten und Praktiken gut mit der neuen Software funktionieren.

Als großes Unternehmen ist es also eine große Veränderung, von proprietären Software-Plattformen auf freie umzusteigen, aber dieser Wandel muss nur einmal geschehen. Und sobald man das einmal getan hat, ist man wirklich frei von der Kontrolle der lizensierenden Unternehmen.

Sie sprachen schon von Textbüchern als einem anderen Open-Source-Modell. Derzeit wird es ausschließlich für Software und Kulturgüter verwendet. Lässt es sich auch auf andere Güter und Dienstleistungen ausweiten? Wo wäre die Grenze?

Ich sehe zwei Grenzen. Die eine ist eine Art "harter" Grenze, die mit der Natur der Güter und Dienstleistungen zu tun hat. Die andere ist eine "weiche" Grenze, die sich verändert und mit der Nachhaltigkeit der Anreize zu tun hat. Die harte Grenze ist möglicherweise der materielle Aspekt. Das ganze Modell der Freiheit und freien Produktion beruht auf der Tatsache, dass man den ganzen Topf kopieren kann. Für Autos wird es also nich funktionieren. Ich kann niemals eine Auto in meiner eigenen Garage herstellen; selbst wenn ich es könnte, wird es immer noch sehr viel Geld kosten, ich stelle nur ein Auto her, und ein weiteres Auto herzustellen, wird mehr kosten, als ein Auto herzustellen. Zehn Artikel, zehn Kopien desselben Artikels dagegen kosten nicht mehr als neun Kopien. Das wird also eine Grenze sein.

Nichtsdestotrotz kann es natürlich Open-Source-Blaupausen für Autos geben, bei denen Menschen ihre Auto-Entwürfe austauschen, und das gibt es bereits in bestimmten Bereichn der Sportausrüstung, wo Intensiv-Nutzer Veränderungen an ihrer Ausrüstung vornehmen – etwa im Surfen, Rollschuhfahren oder Skifahren. Es gibt eine Open Hardware-Bewegung, die versucht, Blaupausen für Computer zu veröffentlichen. Aber es gibt eine Grenze, an der das alles nicht länger offen ist, weil man den Gegenstand am Ende eben tatsächlich herstellen muss.

Die zweite Grenze hängt mehr mit Anreizen und deren Nachhaltigkeit zusammen. 1999 schien es noch, dass Open Source in technischen Bereichen eher funktionierte, wo Intensivnutzer und Entwickler die gleichen Menschen waren, und weniger in Bereichen, wo die Konsumenten sich sehr von den Entwicklern unterschieden. Aber das Spektrum der Anreize hat sich ausgeweitet, und so gibt es heute "OpenOffice", das genau so gut funktioniert wie "Microsoft Office". Es richtet sich ausschliesslich an Endnutzer – Entwickler erstellen nicht ständig grosse Dokumente oder Präsentationen, es gibt also nicht sehr viele Überschneidungen. Aber es funktioniert, weil es jetzt eine andere Infrastruktur gibt: es gibt Unternehmen die dafür bezahlen. Und es gibt Menchen, die diese Software nur deshalb entwickeln, um bekannt zu warden.

Es gibt also viele verschiedene Anreize, und ich denke, die Anreize unterscheiden sich von Fall zu Fall. In der Kunst hängt es davon ab, von welcher Kunstform man spricht. In der Musik gibt es ein altes Modell, das immer schon existierte und der Idee "Verbreite die Software kostenlos und mache Geld mit den Dienstleistungen" sehr ähnelt: "Verbreite die Musik kostenlos und mache Geld mit Auftritten". Und das ist tatsächlich immer noch der Hauptweg, auf dem Menschen mit Musik Geld verdienen.

In meiner Zeitschrift "First Monday" haben wir vor einigen Jahren einen Aufsatz veröffentlicht, der herausfand, dass es in Deutschland weniger als 1.500 Menschen gibt, die ihren Lebensunterhalt mit den Lizenzgebühren ihrer Musik verdienen, die mit dem Verkauf ihrer Musik mehr als 15.000 Euro im Jahr verdienen. Jeder andere Musiker muss sich seinen Lebensunterhalt entweder mit etwas anderem verdienen, oder mit Auftritten.

Vor zehn Jahren erschien ein sehr gut geschriebener Aufsatz über die Ökonomie der Musik von Courtney Love, der Partnerin von Kurt Cobain von "Nirvana", der besagte, dass sogar sie ihr Geld nicht mit den Platten verdienen, sondern mit den Auftritten, sodas es für sie Sinn machen würde, ihre Platten kostenlos zu verteilen, so dass mehr Leute kommen würden, um ihren Auftritten zuzuhören.

Ich weiss nicht, ob dieselben Anreize für andere Dinge wie etwa Malerei funktionieren. Bei Textbüchern können diese Anreize funktionieren, denn dort sind es Lehrer, die am besten in der Lage sind, Inhalte zu produzieren und verändern, und es gibt wirklich keinen Grund, warum Lehrer das nicht tun sollten. Dass ein ehemaliger Lehrer ein Textbuch schreibt, mit dem dann ein Verlag viel Geld verdient – dafür gibt es heute keinen wirklichen Grund mehr. Es ist absolut machbar, dass Tausende, Zehntausende Lehrer in ihren Klassenzimmern zusammenarbeiten, ihr Material untereinander austauschen und so verändern, wie es für ihr Klassenzimmer am besten passt.

Können Menschen mit Open-Source-Produkten tatsächlich ihren Lebensunterhalt verdienen? Wird das Modell nicht immer auf eine klassische Marktwirtschaft im Hintergrund angewiesen bleiben, oder auf öffentliche Fördergelder?

Nun, Menschen warden immer essen müssen und Geld benötigen, um es für Dinge auszugeben. Es gibt hier zwei Fragen: Wie viel Geld brauchen sie? Und wie viel von diesem Geld müssen sie mit freier und Open-Source-Software verdienen?

Im Software-Bereich trägt sich das Open-Source-Modell mittlerweile ökonomisch selbst. Es erhält kaum öffentliche Fördergelder. Die Leute arbeiten oft in Tagesjobs, aber fast die Hälfte der Entwickler von freier Software verdient ihr Geld heute mit der Arbeit an freier Software. Und das gilt insbesondere für den kleinen Anteil, der den Grossteil seiner Arbeitszeit auf freie Software verwendet.

Denn es ist so, dass die meisten Leute bei dieser Art von Zusammenarbeit gar nicht viel beitragen. Bei freier Software steuern die meisten weniger als zwei Stunden Arbeit pro Woche bei. Für zwei Stunden in der Woche muss man nicht viel Geld verdienen. Noch braucht man besonders starke Motive, um etwas zwei Stunden in der Woche zu tun.

Wenn man sich ein typisches Freie-Software-Projekt anschaut, wird etwa 70 Prozent der Software von einer kleinen Gruppe von Leuten geschrieben, die 30 bis 40 Stunden in der Woche mitarbeiten, und diese Leute haben in der Regel sehr gute Gründe. Sei es, dass sie Studierende an einer Universität sind – dann müssen sie sich keine Gedanken übers Geldverdienen machen, sie machen das als Lernerfahrung, oder um Erfahrung für ihre spätere Arbeit zu sammeln, denn es hilft einem, einen Job zu finden, wenn man nachweisen kann, dass man an Open-Source-Projekten mitgewirkt hat. Sei es, dass sie in Unternehmen sitzen und [mit ihrer Teinlahme] am Geschäft ihres Unternehmens arbeiten, sei es, dass sie unabhängige Berater sind, oder was auch immer.

Aber diese 70 Prozent sind noch nicht das Endprodukt. Um erfolgreich zu sein, braucht man die anderen 90 Prozent der Menschen in der Community, um die übrigen kleinen Softwareteile zu schreiben. Und die werden von Menschen geschrieben, die nur sehr kleine Mengen an Zeit beitragen.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen: Sebastian Deterding

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Lizenziert unter der Creative Commons-Lizenz Externer Link: by-nc-nd/2.0/de.

Fussnoten

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Rishab Aiyer Ghosh ist Gründungs-Herausgeber des Internet-Journals "First Monday" und Senior Researcher des Maastricht Economic Research Institute on Innovation and Technology an der UN-Universität Maastricht. 2005 erschien das von ihm herausgegebene Buch "CODE: Collaborative Ownership and the Digital Economy".