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Europäischer Gerichtshof

Olaf Leiße

/ 4 Minuten zu lesen

Der Europäische Gerichtshof sorgt für die einheitliche Anwendung von EU-Recht. Er entscheidet über Vertragsverletzungen, Klagen und Streitfälle zwischen Staaten, Institutionen und Bürgern.

Die Hochhaustürme des EuGH (Comenius, Montesquieu und Rocca) auf dem Kirchberg in Luxemburg. (© picture alliance / Joko | Joko)

Die Schaffung eines Gerichtshofs war bereits 1951 im Vertrag zur Gründung der Interner Link: Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vorgesehen. Für die Umsetzung der Gewaltenteilung auf europäischer Ebene war neben Institutionen, die Regeln und Gesetze aufstellen (Interner Link: Legislative) oder sie vollziehen sollten (Interner Link: Exekutive), auch eine Interner Link: Judikative erforderlich: eine Recht sprechende Institution, die das Unionsrecht auslegen und anwenden sollte.

Bedeutung und Zuständigkeit

Seit 1952 stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) sicher, dass das europäische Recht in allen Mitgliedstaaten angewendet wird und ermöglicht die rechtliche Klärung von Streitigkeiten zwischen den europäischen Institutionen, Mitgliedstaaten, Unternehmen und Privatpersonen. Die wachsende Bedeutung des Europäischen Gerichtshofs als „Hüter des Rechts“ zeigt sich auch in der stetig steigenden Zahl bearbeiteter Fälle. Der EuGH entscheidet mittlerweile jährlich etwa 800 Rechtsangelegenheiten. Diese Zunahme ist auf die erweiterte Zuständigkeit der Europäischen Union in vielen Politikbereichen und auf die wachsende Zahl der Mitgliedstaaten zurückzuführen. Durch eine Reihe richtungsweisender Urteile hat er das Unionsrecht konkretisiert und das nationale Recht der Mitgliedstaaten in Einklang mit europäischem Recht gebracht. Seine Fähigkeit zur Durchsetzung des europäischen Rechts gegenüber nationalem Recht haben den Gerichtshof so zu einem wichtigen Akteur europäischer Politik gemacht.

Der Europäische Gerichtshof mit Sitz in Luxemburg ist nicht mit dem Interner Link: Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu verwechseln. Der Gerichtshof für Menschenrechte gehört zum Interner Link: Europarat und befasst sich mit Individualklagen von Bürgerinnen und Bürgern aus den Mitgliedstaaten. Der Europäische Gerichtshof hingegen interpretiert das EU-Recht und bearbeitet Klagen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder von europäischen Institutionen. Er ist für alle Politikbereiche der EU zuständig, hat jedoch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nur sehr begrenzte Befugnisse. Besonders aktiv ist der Gerichtshof in den Bereichen Umwelt- und Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Unternehmens- und Beihilfenrecht.

Zusammensetzung

Der Europäische Gerichtshof setzt sich aus 27 Richtern zusammen, je einem aus jedem Mitgliedstaat der EU. Diese Richter haben herausragende Qualifikationen und sind in der Lage, in ihren Heimatländern höchste Richterpositionen zu übernehmen (Art. 253 AEUV). Sie üben ihr Amt in völliger Unabhängigkeit aus, obwohl sie von ihrem Herkunftsstaat nominiert werden. Nach einer Prüfung durch einen Expertenausschuss (Art. 255 AEUV) werden sie vom Interner Link: Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs einstimmig ernannt. Ihre Amtszeit beträgt sechs Jahre, eine Wiederwahl ist möglich. Alle drei Jahre wird die Hälfte der Richter neu bestimmt. Zusätzlich gibt es Generalanwälte, ein Amt, das es im deutschen Rechtssystem nicht gibt. Der Generalanwalt begleitet das Verfahren und erstellt ein Rechtsgutachten, das die Richter in ihrem Urteil berücksichtigen können, aber nicht zwingend daran gebunden sind (Art. 252 AEUV). Aus dem Kollegium der Richter wird alle drei Jahre ein Präsident gewählt, der den Gerichtshof nach außen vertritt, die internen Sitzungen leitet und den Vorsitz in den Beratungen führt.

Arbeitsweise und Verfahrensarten

Der Gerichtshof tritt nur selten mit allen Richtern zusammen, und zwar meist in besonders wichtigen Fällen, wie etwa bei der Amtsenthebung eines Kommissars. Er tagt in der Großen Kammer mit 15 Richtern, wenn ein Mitgliedstaat oder ein EU-Organ dies beantragt und die Komplexität des Falles dies erfordert. In den meisten Rechtssachen entschieden jedoch Kammern mit drei oder fünf Richtern. Als Verfahrenssprache kann jede Amtssprache in der EU dienen. Bei Klagen der Kommission gegen einen Mitgliedstaat wird in dessen Sprache verhandelt, bei Anfragen aus einem Mitgliedstaat ebenso. Alle Schriftstücke aus den Mitgliedstaaten und von den Prozessbeteiligten müssen in die jeweilige Verfahrenssprache übersetzt und umgekehrt. Zu diesem Zweck verfügt der EuGH über einen umfangreichen Übersetzungsdienst. Mündlichen Verhandlungen werden simultan von Konferenzdolmetschern übersetzt. Die interne Sprache des Gerichts ist Französisch.

Klageberechtigt vor dem EuGH sind alle Organe der EU sowie natürliche und juristische Personen, aber bestimmte Verfahrensarten sind nur an ausgewählte Adressaten gerichtet. Die vier wichtigsten Verfahrensarten sind:

  • Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV): Jedes Gericht eines Mitgliedstaates kann den EuGH um Rat fragen, wenn es unsicher bei der Auslegung oder Gültigkeit einer europäischen Rechtsvorschrift ist. Der EuGH legt das Unionsrecht aus und trifft eine Entscheidung unter Berücksichtigung des gemeinschaftlichen Rechtsbestands. Ziel des Verfahrens ist es, eine einheitliche Anwendung des europäischen Rechts in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Der EuGH gibt mit seiner Vorabentscheidung eine rechtliche Auslegungshilfe an das nationale Gericht, das weiterhin für die Entscheidung des konkreten Falls zuständig bleibt, aber die Vorgaben des EuGH in seinem Urteil berücksichtigen muss.

  • Vertragsverletzungsklagen (Art. 260 AEUV): Die Kommission setzt die Gesetze um, die zuvor vom Europäischen Parlament und dem Rat gemeinsam verabschiedet wurden. Verzögert ein Mitgliedstaat die Umsetzung eines Rechtsakts, kann die Kommission als „Hüterin der Verträge“ ein Verfahren gegen diesen Staat einleiten. Der Gerichtshof prüft die Vorwürfe und wenn er feststellt, dass der betroffene Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist und einen Rechtsakt verspätet oder fehlerhaft umsetzt, dann wird ihm eine entsprechende Frist gesetzt. Zusätzlich kann ein Bußgeld verhängt werden.

  • Nichtigkeitsklagen (Art. 264 AEUV): Der Gerichtshof prüft, ob ein Rechtsakt gegen die Verträge verstößt, wesentliche Formvorschriften verletzt oder eine Einzelperson unmittelbar beeinträchtigt und kann gegebenenfalls den Rechtsakt aufheben.

  • Untätigkeitsklagen (Art. 265 AEUV): Der Gerichtshof prüft aufgrund einer Beschwerde, ob Parlament, Rat und Kommission verpflichtet sind, eine Entscheidung in einem bestimmten Bereich zu treffen. Stellt der Gerichtshof Untätigkeit fest, kann er die Institutionen der EU auffordern, einen Beschluss zu fassen.

Der Europäische Gerichtshof hat mit seinen Urteilen bedeutende Entscheidungen getroffen und die europäische Integration maßgeblich vorangetrieben. Gleichzeitig hat er die verschiedenen Rechtssprachen und Rechtstraditionen innerhalb Europas vereinheitlicht und harmonisiert. Auf diese Weise ist die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Rechtsgemeinschaft geworden, in der europäische Entscheidungen kohärent, einheitlich und allgemein gültig sind und im Verbund mit den Mitgliedstaaten effektiv umgesetzt werden.

LinklisteLinks zu Sicherheit, Justiz und Migration in der Europäischen Union

Externer Link: Frontex (EU-Grenzschutzagentur) – Kontrolle der EU-Außengrenzen
Externer Link: European Union Agency for Asylum (EUAA, vormals EASO) – Asylpolitik der EU
Externer Link: Europol – Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden in der EU

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Apl. Prof. Dr. Olaf Leiße ist Leiter des Arbeitsbereichs Europäische Studien am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist außerplanmäßiger Professor für Europäische Studien und Autor zahlreicher Bücher über die Europäische Union.