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Zukunft der Europäischen Union

Olaf Leiße

/ 6 Minuten zu lesen

Reformen haken und Erwartungen bleiben oft größer als die Ergebnisse. Wie könnte sich die EU weiterentwickeln: Verstärkte Zusammenarbeit, Bundesstaat oder doch Rückbau?

Screenshot aus dem "Weißbuch zur Zukunft Europas" der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2017. Darin hatte die Kommission einige Szenarien zur Entwicklung der EU entworfen. (© Europäische Union, 2017)

Die Europäische Union wurde seit ihrer Gründung beständig reformiert und an neue Herausforderungen und veränderte Ansprüche angepasst. Sie besitzt keine finale Form und Zuständigkeit. Vielmehr sind Dynamik und Veränderung Kern ihres Wesens. Forderungen nach einer echten europäischen Föderation, einer starken Europäischen Union mit eng integrierten Mitgliedstaaten werden von Befürwortern der europäischen Einigung regelmäßig erhoben. Und auch wenn die tatsächlichen Reformen oft hinter diesen Forderungen und Erwartungen zurückbleiben, so wird die EU doch permanent an die politischen Gegebenheiten angepasst. Meilensteine, wie der Interner Link: Vertrag von Maastricht, sind dagegen eher selten, vielmehr gibt es oft kleine Reformschritte in ausgewählten Politikbereichen.

Reforminitiativen und politische Impulse

Der Anstoß für Reformen kommt von den Mitgliedstaaten oder den Institutionen der Europäischen Union. In jedem Jahr gibt die Interner Link: Kommissionspräsidentin ihren Bericht zur Lage der Union. Darin werden häufig weitergehende Integrationsschritte benannt. Diese können entweder das Zusammenspiel der Institutionen betreffen, aber auch einzelne Politikfelder. Während der Finanzkrise in den 2010er Jahren hat die Bundesregierung häufig die Initiative zur Stabilisierung des Euros ergriffen. Andere Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, lancierten eigene Überlegungen zur Funktionsfähigkeit des Euro-Rettungsschirms. In diesem Zusammenhang veröffentlichten Ende 2012 Ratspräsident Interner Link: Herman van Rompuy zusammen mit Kommissionspräsident Barroso, dem Präsidenten der Eurogruppe Interner Link: Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Interner Link: Mario Draghi ein Strategiepapier zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion. Kaum war Interner Link: Emmanuel Macron 2017 zum französischen Staatspräsidenten gewählt worden, forderte er eine „Neugründung Europas“ und sprach sich für ein souveränes, vereinigtes Europa aus. Die EU-Außenminister gaben mehrfach Empfehlungen für Reformen und natürlich spricht sich auch das Europäische Parlament regelmäßig für eine Stärkung der EU aus. Die Interner Link: Kommission legte im selben Jahr ein Weißbuch zur Zukunft Europas vor, in der sie ihre Vorstellungen präzisierte.

Die verschiedenen Versuche, jenseits einzelner Politikbereiche eine grundsätzliche Reform der EU anzustoßen, mündeten schließlich in die Einberufung einer Konferenz zur Zukunft Europas. Wesentlich auf französischen Druck hin wurde diese Konferenz nach dem Vorbild des Verfassungskonvents (2002/2003) eingesetzt. Sie tagte ein Jahr lang, vom Mai 2021 bis zum Mai 2022. In ihrer Zusammensetzung sollte sie die EU-Institutionen und die europäische Zivilgesellschaft wiederspiegeln. Die Mitglieder kamen daher aus dem Europäischen Parlaments, den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission, den nationalen Parlamenten, dem Wirtschafts- und Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen. Auch ausgewählte Bürgerinnen und Bürger nahmen teil. Aufgrund der Corona-Krise erreichte die Konferenz keine große Breitenwirkung, trotzdem konnte ein Abschlussbericht verabschiedet werden. In diesem schlugen die Teilnehmer der Konferenz unter anderem vor, wieder einen größeren Europäischen Konvent einzuberufen, dessen Reformvorschläge in einen neuen Vertrag einfließen sollen. Das Europäische Parlament befürwortet dieses Vorgehen, doch die Mitgliedstaaten haben die Entscheidung bislang aufgeschoben. Vermutlich ist die Sorge vor einem langwierigen Verfahren oder einem Misserfolg zu groß.

Reformthemen im Überblick

Die Themenpalette, auf die sich die Reformvorschläge beziehen, ist außergewöhnlich groß. In institutioneller Hinsicht werden ein gemeinsamer Haushalt für die Eurozone und ein gemeinsamer Finanzminister ins Spiel gebracht. Das Europäische Parlament debattiert seit längerer Zeit über transnationale Wahllisten, um den europäischen Charakter des Parlaments zu stärken. Darüber hinaus müssen die Institutionen auch vorbereitet sein auf den Beitritt neuer Mitglieder in Ost- und Südosteuropa. Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik wird schon lange über eine Interner Link: EU-Finanztransaktionssteuer nachgedacht. Auch eine europäische Entsprechung nationaler Agenturen wird ins Auge gefasst, so beispielsweise eine EU-Arbeitslosenversicherung, EU-Arbeitsagentur und Innovationsagentur.

Innenpolitische Reformen beziehen sich auf den Ausbau der EU-Staatsanwaltschaft, die Einführung einer Europäischen Handelsstaatsanwalt, den Ausbau des EU-Terrorabwehrzentrums (ECTC) und der Europäischen Cybersicherheitsagentur (ENISA). Außenpolitische Reformen wiederum beschäftigen sich mit der Migrationsfrage, dem gemeinsamen EU-Außengrenzschutz und dem Mandat der Interner Link: Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex). Angesichts des Krieges in der Ukraine und der Abhängigkeit der Europäer von den Vereinigten Staaten stellt sich auch die Frage nach einem gemeinsamen Militär wieder drängender. Die Gründung einer Europäischen Armee liegt in weiter Ferne, aber der Ausbau gemeinsamer militärischer Kapazitäten macht durchaus Fortschritte. Der Aufbau von militärischen Fähigkeiten zur gemeinschaftlichen Nutzung (in Fachkreisen „pooling and sharing“ genannt) scheint ein gangbarer Weg für die Mitgliedstaaten zu sein.

Neben diesen Themen muss die Europäische Union sich ständig neuen Entwicklungen stellen. Dazu zählen die Klima- und Umweltpolitik, die Herbeiführung einer ausgewogenen wirtschaftlichen Gestaltung der Post-Corona-Zeit, der digitale Wandel, die nachhaltige Lösung der Schuldenkrise der Mitgliedschaft, demographischer Wandel, Gesundheitspolitik und die Fähigkeit zu einem gemeinsamen globalen Handeln angesichts des Aufstiegs neuer Mächte. Diesen und weiteren Herausforderungen muss sich die Union in den kommenden Jahren stellen und innovative, kreative Lösungen finden. Keine leichte Aufgabe.

Weißbuch zur Zukunft der EU

Die Europäische Union ist eine Gemeinschaft im Werden und ihre Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. Die Finalität der europäischen Integration, also die Frage, wie die Europäische Union endgültig beschaffen sein sollte, ist weiterhin offen. Die Kommission hat in ihrem Weißbuch zur Zukunft der Europäischen Union 2017 einige Szenarien entworfen. Nicht alle davon sind überzeugend, dennoch fokussiert sich die Zukunftsdebatte allmählich auf wesentliche Leitbilder.

Modell 1: Ökonomische Integration

Hier liegt der Schwerpunkt auf der Harmonisierung und gemeinsamen Förderung der Wirtschaft. Dazu zählen insbesondere die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Initiierung von Wachstum und Investitionen. Der Gemeinsame Markt soll um einen digitalen Binnenmarkt, eine Energieunion und fortschrittliche Handelspolitik ergänzt werden. Dieses Szenario geht von einer Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion aus; andere Bereich sind demgegenüber untergeordnet.

Modell 2: Verstärkte Zusammenarbeit

Hierbei geht eine Gruppe von Mitgliedstaaten, welche in bestimmten Politikbereichen enger kooperieren wollen, voran. Alle Beschlüsse in diesem Bereich sind rechtlich nur für diese Gruppe verbindlich. Seit dem Amsterdamer Vertrag ist diese Möglichkeit in den Verträgen verankert. Die Voraussetzung ist, dass mindestens neun Mitgliedstaaten enger kooperieren wollen, die Materie im Kompetenzbereich der EU liegen muss und nicht im Widerspruch mit dem Unionsrecht oder den Zielen der EU stehen darf. Allen übrigen Mitgliedstaaten steht der Beitritt zu der voranschreitenden Gruppe jederzeit offen. Zu diesem Szenario zählen auch Ideen von einem Kerneuropa, bei dem eine feste Anzahl von Mitgliedstaaten die Integration vorantreibt, während andere eher außen vor bleiben. Umgekehrt gibt es aber auch Vorstellungen eines Europas der variablen Geometrie, bei der jeder Mitgliedstaat individuell entscheidet, an welchen Integrationsformen er teilnehmen möchte.

Modell 3: Staatenbund (Konföderation)

Hier stehen die Mitgliedstaaten im Vordergrund. In diesem Szenario behalten die Mitgliedstaaten weitreichende Souveränität und die Gestaltungskompetenz in vielen Politikbereichen. Gemeinsames Handeln findet lediglich in ausgewählten Gebieten statt und die Mitglieder behalten ihre volle Gesetzgebungshoheit. Dieses Modell erfordert einen hohen Koordinationsaufwand zwischen den Mitgliedstaaten. Das gemeinsame Handeln ist begrenzt, und insbesondere in der Außenpolitik findet kaum eine Vergemeinschaftung statt.

Modell 4: Bundesstaat (Föderation)

In diesem Szenario gibt es gemeinsames Handeln auf allen Gebieten. Die Mitgliedstaaten geben Teile ihrer Souveränität auf oder teilen diese mit einer gestärkten europäischen Ebene, bestehend aus mächtigen Gemeinschaftsinstitutionen. Eine eng integrierte Wirtschafts-, Finanz-, Fiskalunion ermöglicht eine schnelle Beschlussfassung. Die Union kann auf allen Gebieten tätig werden. Insbesondere auf der internationalen Bühne kann als globaler Akteur mit einer eigenständigen Außenpolitik wahrgenommen werden. In diesem Modell ist die Europäische Union einem Staat vergleichbar.

Ein weiteres Modell: Rückbau der Europäischen Union

Die Reformvorschläge der beiden rechten Fraktionen im Europäischen Parlament, Patrioten für Europa und Europa Souveräner Nationen, zielen in eine ganz andere Richtung. Ihnen geht es in erster Linie darum, die Souveränität der Mitgliedstaaten zu erhalten. Daher sollten die Staaten keine weiteren Kompetenzen an die EU übertragen, sondern umgekehrt sollten die „zentralistischen EU-Strukturen“ zurückgebaut werden. Beide Fraktionen sprechen sich gegen den Green Deal und weitere Klimaschutzmaßnahmen aus, die als wirtschaftlich nachteilig betrachtet werden. Im Hinblick auf die Migration wird eine volle Kontrolle der Mitgliedstaaten gefordert und ein strenger Schutz der EU-Außengrenzen. Notfalls sollten die Mitgliedstaaten auch das Recht bekommen, aus gemeinsamen Migrationsregeln auszusteigen, wenn diese zu liberal sind. In den Modellen rechter Parteien in Europa spielt die EU nur eine untergeordnete Rolle und dient in erster Linie der Umsetzung nationalstaatlicher Politik.

Die vorgestellten Modelle sind nur Idealtypen einer zukünftigen Entwicklung. Sie sind eher Leitbilder, an denen sich gegenwärtige Forderungen und Visionen für die Zukunft orientieren als realistische Abbilder einer zukünftigen Europäischen Union. Sie zeigen jedoch, dass sich die Zuständigkeiten der Europäischen Union jederzeit verändern können und die vielfältigen Aufgaben und Kompetenzen zu ihrer Wahrnehmung einem permanenten Wandel unterliegen. Der Ausbau der Europäischen Union wird auch in den kommenden Jahrzehnten weitergehen und vielleicht nie an sein Ende gelangen.

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Apl. Prof. Dr. Olaf Leiße ist Leiter des Arbeitsbereichs Europäische Studien am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist außerplanmäßiger Professor für Europäische Studien und Autor zahlreicher Bücher über die Europäische Union.