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Pflegebedürftigkeit als soziales Risiko | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Pflegebedürftigkeit als soziales Risiko

Thomas Gerlinger

/ 9 Minuten zu lesen

Eine langzeitpflegebedürftige Frau, die zuhause betreut wird. (© picture alliance / ZB )

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten bekanntlich stark gewachsen und wird auch in den kommenden etwa drei Jahrzehnten weiter zunehmen. Die künftige Entwicklung der Pflegebedürftigkeit zählt zu den wichtigsten Themen der Sozialpolitik und findet in der Öffentlichkeit eine große Beachtung. Im Zentrum steht dabei die Frage, wie die Pflege sichergestellt werden kann und welche Kosten sie in den kommenden Jahrzehnten mit sich bringen wird.

Der Begriff der Pflegebedürftigkeit bezieht sich auf den Personenkreis, der langfristig oder dauerhaft pflegebedürftig ist. Für diesen Tatbestand findet der international verwendete Begriff der „Langzeitpflege“ auch in Deutschland allmählich Verbreitung. Die Langzeitpflege wird von der Krankenpflege unterschieden, die sich auf diejenigen Personen bezieht, die im Rahmen der Behandlung einer Krankheit vorübergehend pflegebedürftig sind. Wenn im Folgenden von „Pflegebedürftigkeit“ die Rede ist, so ist also stets die „Langzeitpflegebedürftigkeit“ gemeint.

Das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit hängt vor allem von der zahlenmäßigen Besetzung der einzelnen Altersgruppen ab. Zwar gibt es Pflegebedürftige in allen Altersgruppen, jedoch spielen sie im Alter von unter 60 Jahren nur eine geringe Rolle. Die Quote der Pflegebedürftigen, also der Anteil der Pflegebedürftigen an allen Personen einer Altersgruppe, nimmt ab dem siebten Lebensjahrzehnt deutlich zu (siehe Tabelle zu Pflegebedürftigen in der sozialen und privaten Pflegeversicherung und zur Pflegequote weiter unten).

Ende 2019 waren nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (StBA) unter den 70-75-Jährigen knapp 8 Prozent der Personen pflegebedürftig, hingegen unter den 90-Jährigen und Älteren über 75 Prozent. Frauen sind häufiger pflegebedürftig als Männer. Dies liegt nicht allein an der höheren Lebenserwartung von Frauen, sondern auch an der höheren Pflegequote von Frauen in den jeweiligen Altersgruppen, also dem Anteil der Pflegebedürftigen an allen Personen des jeweiligen Geschlechts in einer bestimmten Altersgruppe. In den Altersgruppen ab 75 Jahren liegt er über derjenigen der Männer und wächst der Abstand gegenüber den Männern mit fortschreitendem Alter deutlich. Ende 2019 waren in der Altersgruppe der 85- bis 90-Jährigen 55,1 Prozent der Frauen pflegebedürftig, hingegen „nur“ 39,6 Prozent der Männer. Auch bei den Personen im Alter von 90 Jahren und mehr überstieg die Pflegebedürftigkeit unter den Frauen mit 80,9 Prozent die der Männer mit 63,9 Prozent deutlich


Die Gründe für diese Unterschiede lassen sich nicht eindeutig bestimmen: Vermutlich spielen neben Unterschieden im Gesundheitszustand auch soziale Einflussfaktoren eine Rolle. So wohnen Frauen wegen ihrer höheren Lebenserwartung im Alter öfter als Männer allein und sind daher eher auf Hilfe angewiesen. Bei Männern übernimmt hingegen häufiger die noch lebende Ehefrau die Pflege und wird dann vermutlich auch seltener ein Antrag auf die Feststellung einer Pflegebedürftigkeit gestellt (Statistische Ämter des Bundes und Länder 2010: 25).

Die Verbreitung von Pflegebedürftigkeit lässt sich vor allem an der Zahl der Empfängerinnen und Empfänger von Pflegeleistungen ablesen. Sie belief sich zu Beginn der 2020er Jahre – soziale und private Pflegeversicherung sowie Pflegebedürftige in Einrichtungen der Eingliederungshilfe zusammengenommen – auf rund 4,6 Millionen Personen (BMG 2022a). In den letzten Jahren ist diese Zahl primär als Folge des demographischen Wandels kontinuierlich gestiegen: Ende 1999 hatten nur 2,02 Millionen Personen Leistungen aus der Pflegeversicherung bezogen (StBA 2001: 6f.). Mit der 2017 in Kraft getretenen Erweiterung des Leistungsrechts der Pflegeversicherung erhöhte sich die Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger kräftig. Diese Reform stellte den Pflegebedürftigkeitsbegriff auf eine neue Grundlage (s. Artikel „Interner Link: Die Leistungen der Pflegeversicherung“). Auch Personen, die einen hohen Betreuungsaufwand erfordern, ohne bei der Verrichtung von Aktivitäten des täglichen Lebens (Nahrungsaufnahme, Körperpflege etc.) umfassend Hilfe zu benötigen, haben seitdem Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Dies betrifft vor allem Personen, die an Demenzerkrankungen leiden.

Mit den genannten Zahlen ist das gesamte Ausmaß der Pflegebedürftigkeit aber noch nicht erfasst. Hinzuzurechnen sind noch jene Personen, bei denen im Begutachtungsverfahren zwar eine Pflegebedürftigkeit festgestellt wird, deren Grad aber unterhalb des Niveaus liegt, das einen Leistungsanspruch auslöst. Dies ist der Fall, wenn der Betreuungsbedarf nicht groß genug ist und aller Voraussicht nach nicht länger als sechs Monate andauert. Ferner ist zu beachten, dass auch nicht alle Betroffenen trotz vorhandener Pflegebedürftigkeit einen Antrag auf Gewährung von Pflegeversicherungsleistungen stellen.

Gründe für Pflegebedürftigkeit

Die häufigsten Gründe für Pflegebedürftigkeit liegen im Verlust der Selbständigkeit in Folge der weit verbreiteten chronischen Krankheiten. Dazu zählen:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen, z.B. Einschränkungen in Folge eines Herzinfarkts oder eines Schlaganfalls;

  • Langzeitfolgen von Krebserkrankungen;

  • körperliche Behinderungen, die als Folge bestimmter chronischer Erkrankungen auftreten können (z.B. Rheuma oder Arthrose);

  • psychische und Verhaltensstörungen, z.B. die Alzheimer-Krankheit oder die Parkinsonsche Krankheit.

Derartige Krankheiten treten bei Personen mit niedrigem sozialökonomischem Status, zumeist gemessen an den Kriterien Einkommen, höchster Bildungsabschluss und Stellung im Beruf, häufiger und im Lebensverlauf durchschnittlich deutlich früher auf als in der Gesamtgesellschaft (Lampert & Hoebel 2019). Damit ist auch das Risiko einer (vorzeitigen) Pflegebedürftigkeit für diese Gruppen erhöht. Sie haben nicht nur eine insgesamt deutlich geringere Lebenserwartung als Personen mit einem hohen sozialökonomischen Status, sondern auch eine geringere gesunde Lebenserwartung, also die Zahl der Jahre, die sie ohne schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen verbringen.

Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Pflegebedürftigkeit

Die Entwicklung der Pflegebedürftigkeit hängt selbstverständlich stark mit dem Alter zusammen, wird aber auch von einer Vielzahl weiterer Faktoren beeinflusst. Vor allem die nachfolgend genannten Aspekte sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung.

  • In den letzten Jahren (vor der Erweiterung des Kreises der Leistungsberechtigten im Jahr 2017) war die altersgruppenspezifische Pflegequote leicht rückläufig. Dies bedeutet: In den einzelnen Altersgruppen ist der Anteil der Pflegebedürftigen an allen Personen dieser Altersgruppe gesunken. Wenn sich die Altersstruktur der Gesellschaft nicht verändert hätte, wäre also die Zahl der Pflegebedürftigen zurückgegangen. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, so würde dies bedeuten, dass die Zahl der Pflegebedürftigen nicht in gleichem Maße wächst wie die Zahl alter und hochbetagter Menschen. Allerdings ist nicht damit zu rechnen, dass der Rückgang der altersgruppenspezifischen Pflegewahrscheinlichkeit so stark ausfällt, dass er die absolute Zunahme der Zahl alter Menschen ausgleichen würde.

  • Pflegebedürftigkeit ist häufig eine Folge der Belastungen, denen die Menschen im Lebensverlauf ausgesetzt waren. Weil bei Personen mit einem niedrigen sozialökonomischen Status Belastungen häufig besonders hoch und Fähigkeiten (Ressourcen) zum gesundheitsgerechten Umgang mit diesen Belastungen oft eher niedrig sind, steht Pflegebedürftigkeit, wie erwähnt, in einem engen Zusammenhang mit der sozialen Lage. Eine verbesserte Prävention, die sich vor allem auf die Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen richtet, könnte den Pflegebedarf mittel- und langfristig vermutlich in erheblichem Umfang senken. Jedenfalls ist ein Altern mit später eintretenden und insgesamt geringeren gesundheitlichen Beeinträchtigungen grundsätzlich möglich.

  • Die Zahl der Leistungsberechtigten in der Pflegeversicherung hängt auch davon ab, wie der Gesetzgeber diesen Kreis definiert. So weitete der Gesetzgeber mit dem Pflegestärkungsgesetz II den Kreis der Leistungsberechtigten von 2017 an erheblich aus (s. Artikel „Interner Link: Die Leistungen der Pflegeversicherung“).

Prognosen zur Entwicklung von Pflegebedürftigkeit

Die künftige Entwicklung der Pflegebedürftigkeit beschäftigen Politik und Öffentlichkeit sehr, weil sie Hinweise gibt auf den Bedarf an Pflegepersonen und -Einrichtungen sowie auf die Kosten der Pflege. Wegen des Zusammenhangs von Alter und Pflegequote nehmen Prognosen zur Debatte um die künftige Entwicklung der Pflegebedürftigkeit in erster Linie Bezug auf die gesellschaftliche Alterung. Die Zahl alter Menschen in Deutschland wird in den nächsten Jahrzehnten bekanntlich weiter wachsen, vor allem, weil die geburtenstarken Jahrgänge allmählich in das höhere Lebensalter vorrücken, aber auch, weil mit einer weiteren Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung zu rechnen ist. Prognosen über die künftige Entwicklung der Zahl alter Menschen sind mit einigen Unsicherheiten behaftet, weil sie auf unterschiedlichen Annahmen zur Entwicklung von Geburtenrate, Lebenserwartung und Migration beruhen. Ihre wohl wichtigste Grundlage sind die Bevölkerungsvorausberechnungen des Statistischen Bundesamtes (StBA). Dieses legt darin stets mehrere Varianten vor, die sich in ihren Grundannahmen unterscheiden.

In seiner 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (2019) geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass die Zahl der Personen im Alter von 65 und mehr bis zum Jahre 2060 auf bis zu 24,8 Millionen (2018: 17,8 Millionen) ansteigen könnte (StBA 2019: 53-61). Damit würde sich ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung von 21,5 Prozent in 2018 auf bis zu 32,9 Prozent im Jahr 2060 erhöhen (StBA 2019: 53-61). Insbesondere der Anteil von Personen im Alter von 80 Jahren und mehr dürfte dabei erheblich zunehmen, von gegenwärtig rund 6 Prozent im Jahr 2018 auf 9 Prozent (Variante einer relativ jungen Bevölkerung) oder sogar 13 Prozent (relativ alte Bevölkerung) im Jahr 2060 (StBA 2019: 26).

Damit wird aller Voraussicht nach auch die Zahl der Pflegebedürftigen bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts weiter kräftig ansteigen. Für die Antwort auf die Frage nach der Entwicklung der Pflegebedürftigkeit ist neben den genannten Merkmalen der Bevölkerungsentwicklung (Geburtenrate, Lebenserwartung, Migration) die Entwicklung der Pflegewahrscheinlichkeiten bedeutsam, also des Anteils der Pflegebedürftigen in den einzelnen Altersgruppen. Unterschiedliche Annahmen zur Überlebensdauer bei Pflegebedürftigkeit erhöhen die Unsicherheit der Prognosen zusätzlich. Daher ist das Spektrum der Prognosen reicht breit. Aber immerhin herrscht Übereinstimmung darüber, dass die Zahl der Pflegebedürftigen in den nächsten Jahrzehnten weiter deutlich steigen wird. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geht davon aus, dass im Jahr 2050 etwa 6,5 Millionen Menschen Leistungen der sozialen Pflegeversicherung empfangen werden (BMG 2022a).

Folgen der Pflegebedürftigkeit

Pflegebedürftigkeit hat gravierende Folgen sowohl für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen als auch für die Gesellschaft insgesamt. Für die Pflegebedürftigen gehen mit der Pflegebedürftigkeit oftmals erhebliche Einschränkungen der Selbständigkeit und damit der Lebensqualität einher, die eben einen kontinuierlichen Betreuungsbedarf begründen. Da die Pflegeversicherung nur einen Teil der Pflegekosten trägt und die Eigenanteile insbesondere bei stationärer Pflege sehr hoch ausfallen (s. Artikel „Interner Link: Organisation und Finanzierung“ sowie „Interner Link: Aktuelle Probleme“), können die finanziellen Belastungen erheblich sein. Dies betrifft nicht allein die Pflegebedürftigen selbst, sondern potenziell auch deren Kinder, die in erheblichem Umfang an den Pflegekosten beteiligt werden können, wenn die Pflegebedürftigen damit überfordert sind. Die Eigenbeteiligung an den Pflegekosten kann zu erheblichen Wohlstandsverlusten bis hin zur Armut führen.

Angehörige können aber nicht nur in ihrer Eigenschaft als Kostenträger betroffen sein, sondern auch als Pflegende. Die große Mehrheit der Pflegebedürftigen, nämlich rund 80 Prozent, wird im häuslichen Umfeld versorgt (StBA 2020: 9, 18). Mehr als zwei Drittel dieser häuslich versorgten Personen betreuen die Angehörigen (oder andere Ehrenamtliche) allein, die übrigen werden von professionellen Pflegediensten oder in Zusammenarbeit von Angehörigen und Pflegediensten betreut (StBA 2020: 9, 18).

Immerhin 85 Prozent der pflegenden Angehörigen betreuen die pflegebedürftige Person täglich, die Hälfte von ihnen länger als zwölf Stunden (Rothgang & Müller 2018: 123-124). Für die Angehörigen gehen damit in sehr vielen Fällen erhebliche Belastungen einher. Dazu zählen die oft direkten körperlichen und psychischen Auswirkungen der Pflegearbeit. Die Sorge um die Pflegebedürftigen und die wachsenden Schwierigkeiten, eigenen Bedürfnissen nachzugehen und soziale Kontakte zu pflegen, begünstigen die Entstehung von psychischen Erkrankungen. So sind u.a. depressive Symptome unter pflegenden Angehörigen weit verbreitet (Wetzstein et al. 2015; Wilz & Pfeiffer 2019). Für viele pflegende Angehörige stellt vor allem die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ein erhebliches Problem dar. Häufig lässt sich die Pflege von Familienangehörigen nur dann durchführen, wenn die Pflegepersonen im Beruf zurückstecken – mit der Folge von Einkommensverlusten und geringeren Aufstiegschancen. Mehr als ein Viertel der Hauptpflegepersonen haben aufgrund der Pflege ihre Arbeitszeit reduziert (Rothgang & Müller 2018: 116).

Für die Gesellschaft stellt sich die Frage, wie und durch wen die Pflegebedürftigen versorgt werden sollen. Im Kern geht es dabei vor allem darum, ob die Pflege von Angehörigen und Ehrenamtlichen („informelle Pflege“) oder von Fachkräften in Pflegeheimen und durch ambulante Pflegedienste durchgeführt werden soll. In jedem Fall bringt Pflegebedürftigkeit erhebliche Kosten mit sich. Die Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung beliefen sich im Jahr 2021 auf mehr als 54 Milliarden Euro (BMG 2022b). Hinzu kommen die Ausgaben der privaten Pflegeversicherung sowie die staatlichen Ausgaben für Hilfe zur Pflege (als Teil der Sozialhilfe) sowie im Rahmen der Beihilfe für Beamtinnen und Beamten. Auch die Wohlfahrts- und Wachstumsverluste, die durch den Verzicht der pflegenden Angehörigen auf eine Erwerbsarbeit entstehen, zählen zu diesen Kosten.

Zugleich ist die Langzeitpflege aber auch ein wichtiger Wirtschafts- und Beschäftigungszweig. Im Jahr 2019 waren mehr als 1,2 Millionen Personen in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen beschäftigt (StBA 2020: 26, 38). Zugleich ermöglicht die Pflege durch Pflegefachkräfte den Angehörigen, einer Berufstätigkeit nachzugehen.

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Richtige Antwort: In hohem Alter ist die Pflegequote bei Frauen höher als bei Männern.
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Richtige Antwort: Die Zahl der verfügbaren Plätze in Pflegeheimen. Das ist kein Faktor, der die Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger in der Pflegeversicherung beeinflusst.
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Richtige Antwort: Etwa 4,6 Millionen Personen erhalten zu Beginn der 2020er Jahre Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegepflichtversicherung.
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In hohem Alter ist die Pflegequote (der Anteil der Pflegebedürftigen am jeweiligen Geschlecht in der betreffenden Altersgruppe)

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Richtige Antwort: In hohem Alter ist die Pflegequote bei Frauen höher als bei Männern.

Die Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger in der Pflegeversicherung wird durch eine Reihe von Faktoren beeinflusst. Welcher dieser Faktoren gehört nicht dazu?

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Richtige Antwort: Die Zahl der verfügbaren Plätze in Pflegeheimen. Das ist kein Faktor, der die Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger in der Pflegeversicherung beeinflusst.

Wie viele Personen erhalten zu Beginn der 2020er Jahre Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegepflichtversicherung?

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Richtige Antwort: Etwa 4,6 Millionen Personen erhalten zu Beginn der 2020er Jahre Leistungen der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegepflichtversicherung.

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ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und leitet dort die Arbeitsgruppe "Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie". E-Mail Link: thomas.gerlinger@uni-bielefeld.de