Die durch US-amerikanische Lokalregierungen eingeführten sogenannten sanctuary policies (Politiken zum Schutz von Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis vor dem Zugriff durch Bundesbehörden
Die politische Beurteilung solcher Schutzpolitiken hängt dabei zunächst davon ab, wie man das gegenwärtige Maß der Durchsetzung von Einwanderungsbestimmungen bewertet (ob man es also für angemessen, unzureichend oder zu hoch ansieht) und welche Rolle man den Bundesstaaten und Lokalregierungen bei der Abschiebung von Ausländerinnen und Ausländern beimisst. Ob die entsprechenden Regelungen für legitim gehalten werden, ist zudem davon abhängig, welches Maß an Machtverteilung zwischen der Bundesebene und untergeordneten Ebenen wie Bundesstaaten und Kommunen man für angemessen hält.
Seit Mitte der 2000er Jahre gab es vonseiten der Bundesebene und Regierungen einzelner Bundesstaaten mehrere Versuche, lokale Schutzpolitiken zu untergraben. So rückte vor allem Präsident Interner Link: Donald Trump sanctuary policies in den Mittelpunkt seiner Interner Link: Strategie zur Durchsetzung der nationalen Einwanderungspolitik. Er machte solche Politiken verantwortlich für steigende Kriminalität und bezeichnete sie als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit.
Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Rechtmäßigkeit von Sanctuary Cities vor dem Hintergrund dieser aktuellen Entwicklungen. Dabei werden drei grundlegende Fragen in den Mittelpunkt gestellt: 1) Was sind sanctuary policies? 2) Inwieweit sind sie rechtmäßig und wie sind die gegenwärtigen Versuche, sie auszuhöhlen, verlaufen? 3) Welche Perspektive gibt es für die Zukunft von Zufluchtsstädten in den USA?
Die Debatte über lokale Schutzpolitiken für Eingewanderte ohne Aufenthaltsrecht muss vor dem Hintergrund des Interner Link: US-Föderalismus, insbesondere dem sogenannten Einwanderungsföderalismus, verstanden werden. Dieser bestimmt die Zuständigkeiten und den Spielraum von bundesstaatlichen und kommunalen Regierungen hinsichtlich einwanderungsbezogener Maßnahmen.
Im Rahmen dieser Machtverteilung beschreiben viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Gerichte Einwanderung häufig als ein nationales Anliegen, dessen Regelung ausschließlich der US-Regierung vorbehalten sei.
In dieser ausgedehnten Phase der Untätigkeit der Legislative und im Zuge der weitreichenden Einmischung des Präsidentenamts in die Einwanderungspolitik haben ihrerseits Bundesstaaten und Lokalregierungen angefangen, bestimmte Aspekte der Einwanderung zu regeln. Staaten und Lokalregierungen können Gesetze erlassen, die das Leben von Migrantinnen und Migranten betreffen, solange sie keine eigenen Kriterien zur Aufnahme oder Ausweisung von ausländischen Staatsangehörigen entwickeln oder eigene Rechtsvorschriften zur Durchsetzung des Einwanderungsrechts verabschieden.
Die sogenannten sanctuary policies bilden dabei den zentralen Konfliktpunkt in Debatten über die bundesstaatliche und lokale Beteiligung an der Einwanderungspolitik. Der Begriff sanctuary ist dabei allerdings rechtlich nicht hinreichend definiert. Tatsächlich hat er seinen Ursprung nicht in der Regierungspolitik, sondern geht auf eine kirchliche Bewegung zurück, welche in den 1980er Jahren versuchte, Migranten und Migrantinnen aus Zentralamerika und der Karibik physischen Schutz vor den konsequenten Abschiebungsbemühungen der Reagan-Regierung zu bieten.
Von Sanctuary Cities oder Zufluchtsstädten ist dann die Rede, wenn sich lokale Behörden durch Rechtsverordnungen oder Vollzugspraktiken der Vollstreckung geltenden Einwanderungsrechts zu entziehen versuchen bzw. die Zusammenarbeit mit Bundesbehörden verweigern. Hierbei handelt es sich um recht unterschiedliche Politiken. Dieses reichen von symbolischen Willkommensbekundungen bis zum Versprechen, keine Informationen mit den nationalen Einwanderungsbehörden zu teilen, dem Verbot der Erfassung des Aufenthaltsstatus durch die lokalen Polizeiapparate sowie Gesetze, die lokale Polizeieinheiten dazu anhalten, Aufforderungen der nationalen Einwanderungsbehörden, Migranten und Migrantinnen in lokalen Gefängnissen zu inhaftieren, nicht zu befolgen. Solche Politiken können auch auf Ebene einzelner Bundestaaten verabschiedet werden. Ein Beispiel sind mehrere kalifornische Gesetze, die darauf abzielen, den gesamten Bundesstaat Kalifornien zum "Zufluchtsstaat" (sanctuary state) zu erklären. Höhepunkt dieser Entwicklung war der 2017 verabschiedete "California Values Act", ein Gesetz, das es staatlichen und lokalen Vollzugsbehörden (bis auf Ausnahmen) untersagt, ihre Ressourcen einzusetzen, um nationale Behörden bei der Durchsetzung von Abschiebungen zu unterstützen.
Letztlich aber können Sanctuary Cities keine Immunität oder vollständigen Schutz vor den nationalen Einwanderungsbehörden bieten. Die Stadt oder die lokale Polizeibehörde sicherstellen, dass lokale Beamtinnen und Beamte oder örtliche Einrichtungen den Bundesbehörden nicht helfen. Auch im Rahmen solcher Gesetzgebungen bleiben Mitarbeitende der Bundesbehörden allerdings befugt, Einwanderungsrecht eigenständig umzusetzen. Deswegen sprechen Beobachter und Beobachterinnen auch eher von einer Strategie der "Nicht-Kooperation", anstelle des großzügigen und potenziell irreführenden Labels sanctuary.
Trotz dieser Einschränkungen zeigen lokale Nicht-Kooperationspolitiken große Wirkung, da die nationalen Einwanderungsbehörden in den vergangenen Jahrzehnten hochgradig abhängig von der Hilfe lokaler Behörden geworden sind. So erfahren zum Beispiel Beamtinnen und Beamte der US-Einwanderungsbehörde die Namen und Aufenthaltsorte von nicht-aufenthaltsberichtigten Personen in erster Linie über zentrale Datenbanken, die ihrerseits durch lokale Polizeiangestellte gepflegt werden. Und auch wenn es um die physische Festsetzung ausreisepflichtiger Personen geht, werden zunächst lokale Beamtinnen und Beamte aufgefordert, diese in örtlichen Gefängnissen unterzubringen und dann in Bundeshaft zu überstellen. Indem nun den Bundesbehörden dieser Zugriff auf Informationen und Arbeitskraft genommen wird, zwingen zufluchtsorientierte Politiken die US-Regierung dazu, die Kosten ihrer Einwanderungspolitik und deren Durchsetzung selbst zu tragen. Auch wenn sanctuary policies keinen verlässlichen Schutz vor Abschiebungen bieten können, verringern sie in der Praxis doch oftmals die Wahrscheinlichkeit, dass Bundesbeamte den Status oder Aufenthaltsort von ausländischen Staatsangehörigen ohne Aufenthaltserlaubnis erfahren.
Seit einigen Jahren stehen Zufluchtsstädte allerdings unter zunehmendem Druck durch unterschiedliche US-Regierungen, welche sie zwingen will, diese Schutzpraktiken aufzugeben.
Interner Link: Präsident Trump dagegen warb im Wahlkampf vor der Interner Link: US-Wahl 2016 explizit für die restriktive Durchsetzung des Einwanderungsrechts und versprach, lokale Schutzpraktiken zu unterbinden. Seit seinem Amtsantritt geht er aggressiver gegen Zufluchtsstädte vor als seine Vorgänger. So wies er Bundesbeamtinnen und -beamte an, juristisch gegen nicht-kooperative Rechtsprechungen vorzugehen und den entsprechenden Bundesstaaten und Kommunen Bundesmittel vorzuenthalten, sollten sie nicht vollständig an nationalen Bemühungen zur Durchsetzung des Einwanderungsrechts mitwirken.
Die Versuche der US-Regierung, gegen Sanctuary Cities vorzugehen, scheiterten jedoch weitgehend, da die Verfassung der USA die Befugnisse der Bundesbehörden gegenüber subnationalen Regierungen stark einschränkt. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entschied das oberste Bundesgericht in den USA, der Supreme Court, in mehreren einschlägigen Fällen, dass die Verfassung im Sinne eines "Gebots des Nicht-Befehlens" (anti-commandeering principle) auszulegen sei. Dieses föderale Prinzip untersagt es der Bundesregierung, Regierungen, die unterhalb der Bundesebene angesiedelt sind, zur Verwaltung von Bundesgesetzen zu drängen oder zu zwingen.
Scheinbar als Antwort auf diese Situation lässt sich in den USA eine neue Entwicklung auf dem Feld der sanctuary politics beobachten: In einigen Bundesstaaten mit gewählten Amtsträgern und Amtsträgerinnen, die die rigide Umsetzung des nationalen Einwanderungsrechts unterstützen – wie zum Beispiel in Texas und Florida – werden Gesetze verabschiedet, die sich gegen lokale Schutzpolitiken und -praxen wenden.
Anders als wenn sich eine Stadt den Forderungen der Bundesregierung entzieht, bietet die Verfassung der USA keine Grundlage, sich den Anweisungen der Regierung des Bundesstaats zu widersetzen. Denn während die Verfassung nationalstaatliche Versuche des Zugriffs auf die örtliche Polizei sogar verbietet, gibt es auf Ebene der Bundesstaaten keine analoge Bestimmung, die der staatlichen Ebene den Zugriff auf lokale Polizeieinheiten zur Durchsetzung von im Bundesstaat geltenden Gesetzen untersagt. Im Gegenteil: Traditionell werden Kommunen so verstanden, dass sie ihre Existenz und ihre Regierungsgewalt vom jeweiligen Bundesstaat ableiten und damit auch bundesstaatlichen Standards unterliegen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Einwanderungsföderalismus in den USA – also der Spielraum für die Politikgestaltung auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene in Bezug auf Nicht-Staatsbürger und die Durchsetzung der Einwanderungsbestimmungen – hochgradig umstritten ist. Besonders kontrovers ist die Frage der Schutzpolitiken (sanctuary policies). Diese Praktiken werden in der Regel durch die in der Verfassung festgelegten Regelungen zur Machtverteilung zwischen der US-Regierung und subnationalen Regierungen gegenüber Aushöhlungsversuchen seitens der Bundesregierung geschützt. So gibt es in den Vereinigten Staaten nach wie vor mehrere hundert Rechtsprechungen im Sinne der Sanctuary Cities – meist in linksgerichteten Regionen und Großstädten, die in der Regel einen hohen Anteil an Eingewanderten aufweisen. In jüngster Zeit haben sich jedoch einige Bundesstaaten wie Texas und Florida dazu entschieden, auf staatlicher Ebene Regelungen zu erlassen, die sich gegen lokale Schutzpolitiken wenden. Amtsträgerinnen und -träger in diesen Staaten teilen die auf den strengen Vollzug der Einwanderungsgesetze zielende Strategie der US-Regierung. Aufgrund der rechtlichen Beziehung zwischen Staaten und Städten sind diese bundesstaatlichen Maßnahmen in der Lage, lokale Schutzpolitiken auszuhebeln oder einzuschränken. In Staaten wie Kalifornien, New York und Illinois gewinnen sanctuary policies hingegen sowohl auf städtischer als auch auf bundesstaatlicher Ebene an Bedeutung. Bis der Kongress eine grundlegende Einwanderungsreform verabschiedet – eine Aufgabe, der sich die unterschiedlichen US-Regierungen seit einem Vierteljahrhundert entziehen – wird dieser Flickenteppich lokaler Widerstände gegen nationale Einwanderungspolitiken mit großer Wahrscheinlichkeit weiter bestehen.
Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Anne Lisa Carstensen
Dieser Artikel ist Teil des Interner Link: Kurzdossiers "Kommunale Migrations- und Flüchtlingspolitik".