Dokument 1.10: Appell der in der Sowjetunion lebenden Bürger deutscher Nationalität an die Organisation der Vereinten Nationen, 18. Mai 1973 Zusammen mit einem kurzen historischen Überblick über die Deutschen in Russland und mit der Schlussfolgerung über die Notwendigkeit der Ausreise in die historische Heimat, nach Deutschland.
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An alle Mitglieder des ZK der KPdSU und persönlich:
Dem Generalsekretär des ZK der KPdSU, Genossen L. I. BRESCHNEW,
dem Mitglied des Politbüros des ZK der KPdSU, Genossen M. A. SUSLOW.
Allen Mitgliedern des Präsidiums des Obersten Sowjets und persönlich:
Dem Vorsitzenden des Präsidiums des Obersten Sowjets der
UdSSR und Mitglied des Politbüros, Genossen N. W. PODGORNY.
Allen Mitgliedern des Ministerrates der UdSSR und persönlich:
Dem Vorsitzenden des Ministerrates und Mitglied des Politbüros,
Genossen A. N. KOSSYGIN.
An den Innenminister der UdSSR.
An den Vorsitzenden der beiden Kammern des Obersten Sowjets der UdSSR:
Dem Vorsitzenden des Unionssowjets und dem Vorsitzenden des Nationalitätensowjets.
KOPIE:
An den Generalsekretär der UNO, KURT WALDHEIM
über den Repräsentanten des Komitees zum Schutz der Menschenrechte in der UdSSR
Von den Delegierten der in der UdSSR lebenden Deutschen, welche beauftragt wurden, die Partei und Regierung der Sowjetunion zu ersuchen, die freie Ausreise nach Deutschland (DDR und BRD) aufgrund der Deklaration der Menschenrechte zu gestatten, zum Ziel der Vereinigung mit ihrer Nation und zwecks der Bewahrung ihrer Muttersprache und Kultur.
G E S U C H
Wir bitten, zur Erörterung des Problems der freien Ausreise solcher Deutschen empfangen zu werden, die nach Deutschland aussiedeln und dort einen ständigen Wohnsitz nehmen möchten. Wir fügen bei:
Listen der Ausreisewilligen nach Deutschland (in beide Teile), mit persönlicher Unterschrift jedes Familienoberhauptes.
Kopie des Appells an die Organisation der Vereinten Nationen (UNO).
Kopie der Begründung, warum die in der Sowjetunion lebenden Bürger deutscher Nationalität die Auswanderung anstreben.
MOSKAU, den 18. Mai 1973
Teil 1
UNTERSCHRIFTEN [mit Angabe des Wohnsitzes]:
1. Trenkenschuh, Viktor Paide, Estnische SSR.
2. Fransen [Chromowa], Therese Frunse, Kirgisische SSR.
3. Maser, Andrej Frunse, Kirgisische SSR.
4. Busch, Minna Alamedin, Kirgisische SSR.
5. Sali, Georg, Lebedinowka, Kirgische SSR.
6. Witmaier, Iwan, Kaskelen, [Gebiet] Alma-Ata,
Kasachische SSR.
7. Klink, Viktor Issyk, [Gebiet] Alma-Ata,
Kasachische SSR.
8. Voth, Heinrich Iwanowka, Kirgisische SSR.
9. Fritz, Pius Duschanbe, Tadschikische SSR.
usw. [weitere ca. 7 000 Unterschriften der
Familienoberhäupter]
Teil 2
APPELL
DER IN DER SOWJETUNION LEBENDEN BÜRGER DEUTSCHER
NATIONALITÄT AN DIE ORGANISATION DER VEREINTEN NATIONEN
Kopie: An die Sowjetische Regierung
Wir, die Endunterzeichnenden, in der Sowjetunion lebenden Bürger deutscher Nationalität, wenden uns an die Organisation der Vereinten Nationen und in ihrem Namen an alle Staaten, welche die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte"Schon 31 Jahre seit dem Erscheinen des Erlasses vom 28. August 1941, demzufolge die Deutschen in der Sowjetunion pauschal der Beihilfe und Unterstützung des Faschismus beschuldigt und aus ihren Heimatorten zwangsausgesiedelt worden waren, stellt sich für uns die Frage der nationalen Selbstbestimmung. Bis zum heutigen Tage ist die Sowjetregierung nicht willens, unsere nationale Frage positiv zu lösen, und verurteilt dadurch die Deutschen der Sowjetunion zum unvermeidlichen Untergang als Nation. Eine Reihe von genozidalen Erlassen (aus den Jahren 1941 und 1948) führten zu einem Massensterben von ca. anderthalb Millionen Deutschen vor Hunger und Kälte, vor Drangsalierung in den Arbeitslagern, in Gefängnissen und in den Deportationsgebieten. Das sind 50% der gesamten deutschen Bevölkerung, die auf dem Territorium der Sowjetunion leben.
Die verbliebenen 1,8 Millionen Bürger deutscher Nationalität sind heute mit Absicht über die riesigen Weiten Sibiriens, Mittelasiens,
Wir teilen die Meinung der UNO, dass die Unsterblichkeit eines Volkes in seiner Sprache und Kultur begründet ist, dass jedes Volk nicht nur satt sein, sondern auch "ewig" existieren möchte, dass niemand vom Antlitz dieser Erde spurlos verschwinden möchte ([Tschingis] Aitmatow in der Zeitschrift UNESCO-Kurier, Oktober 1972
Auch wir wollen das nicht!
Die Sprache eines Volkes ist ein Phänomen, eine Kostbarkeit allgemeingültiger Ordnung, an der sich kein anderes Volk und kein Staat vergreifen darf. Jeglicher Anschlag auf die Sprache und Kultur eines kleinen Volkes und seine Vernichtung durch zwangsweise Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Mit dem Statut des Internationalen Militärgerichtshofs wurde ein mutiges Übereinkommen internationaler Rechtsprechung angenommen, welche die Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrifft: der Internationale Militärgerichtshof verurteilt Vertreter des Faschismus wegen ihrer Unmenschlichkeit.
Aber ist denn die Vernichtung von anderthalb Millionen Bürgern deutscher Nationalität in der Sowjetunion und die Verdammung der jetzt lebenden 1,8 Millionen zur Zwangsassimilation, die Zwangsaussiedlung für ewige Zeiten aus ihren angestammten Orten (Erlass vom 26. November 1948), die Vernichtung ihrer Staatlichkeit [d.h. Autonomer Republik] nicht ein ebensolches Verbrechen gegen die Menschlichkeit? Das ist genau solch ein Verbrechen, nur in einer verdeckteren Form und in einem ausgedehnteren Zeitrahmen. Aber jenes Verbrechen hatte der Faschismus begangen – dieses aber macht ein fortschrittliches Land, welches offiziell mehr als alle anderen die Gleichberechtigung aller Völker und Nationen, sowohl der großen als auch der kleinen, verteidigt.
Im Zusammenhang damit, dass die wiederholten Eingaben der Deutschen der UdSSR bei der Sowjetregierung zur Frage der Wiederherstellung ihrer nationalen Autonomie als "Stimme eines Rufenden in der Wüste"
Seit langer Zeit sind die in der Sowjetunion lebenden Deutschen in ihren besten menschlichen Gefühlen, in ihrem nationalen Stolz und Heimatgefühl beeinträchtigt. Die Tatsache, dass die Deutschen ihre nationale Heimat zu finden bestrebt sind, ist vollkommen objektiv und gesetzmäßig. Sie ergibt sich aus den jahrelangen unbegründeten Beschuldigungen und Unterdrückungen.
Obwohl die Deutschen mit ihrer Arbeit einen bestimmten Beitrag zum nationalen Einkommen leisten und obwohl sie an der Schaffung der wirtschaftlichen Basis der UdSSR teilnehmen, sind sie der wirtschaftlichen Möglichkeiten beraubt, ihre nationale Sprache und Kultur aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln. Trotz einer Gesamtzahl von rund zwei Millionen Menschen haben die Deutschen kein einziges nationales Theater,
Die Deutschen in der Sowjetunion genießen zwar, wie alle Menschen auf dieser Welt, die Errungenschaften des allgemeinen kulturellen und technischen Fortschrittes: sie besitzen Radioempfänger, Fernseher, besuchen Kinos, aber all dies hat nichts mit dem nationalen Charakter ihrer Kultur gemein. Heute gibt es keine Voraussetzungen für die Existenz und Entwicklung der Deutschen in der Sowjetunion als Nation. Sie sind der fundamentalen Bedingung beraubt – der nationalen Staatlichkeit [d.h. der Autonomen Republik].
Deswegen sind wir zur Überzeugung gelangt, dass es für den Teil der deutschen Bevölkerung in der Sowjetunion, der unter den Bedingungen zwangsweiser Assimilation […] nicht untergehen möchte, nur einen Ausweg gibt: den Wegzug aus der UdSSR dorthin, wo der Großteil der deutschen Nation lebt, in ihre historische Heimat, nach Deutschland.
Bedauerlicherweise aber verweigert zurzeit die Regierung vielen Deutschen, die eine Einladung von ihren Verwandten besitzen, die Ausreise nach Deutschland. Und mit denen, die solche Verwandten nicht haben, möchten die Behörden nicht einmal sprechen. Dies ist offenkundig mit den Prinzipien der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" nicht zu vereinbaren die auch von der Sowjetunion unterzeichnet wurde.
Wenn die Deutschen den Mut fassen, ihre nationalen und Menschenrechte zu verteidigen, werden sie von den örtlichen Behörden eingeschüchtert, verfolgt und unterdrückt. Es entstehen unerträgliche moralische Bedingungen [d.h. das Arbeitsklima] am Arbeitsplatz, man versucht, sie zu verleumden und gegenüber ihren Landsleuten und gegenüber anderen Völkern zu diffamieren.
Unter Berücksichtigung des Dargelegten bitten wir die Vereinten Nationen inständig um Hilfe bei der Lösung der Frage einer freien Ausreise aller deutschen Antragsteller nach Deutschland, in ihre historische Heimat, in voller Übereinstimmung mit der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte".
Anlage:
1. Einige Erlasse des Präsidiums des Obersten Sowjets, die die Deutschen betreffen
TEIL 3
KURZGEFASSTER HISTORISCHER ÜBERBLICK ÜBER DAS
LEBEN DER DEUTSCHEN IN RUSSLAND MIT DER
SCHLUSSFOLGERUNG VON DER NOTWENDIGKEIT
DER RÜCKWANDERUNG IN DIE HISTORISCHE
HEIMAT – DEUTSCHLAND
"Das Sein bestimmt das Bewusstsein"
Karl Marx
[Teil 3.4]
VON DEM GEDANKEN ÜBER DIE WIEDERHERSTELLUNG DER ASSR
DER WOLGADEUTSCHEN BIS ZUM GEDANKEN ÜBER DIE
EMIGRATION
Auf Grund des Erlasses vom 28. August 1941 wurden die Wolgadeutschen und Deutsche aus anderen Gebieten aus ihren angestammten Siedlungsorten verbannt, ihr gemeinschaftliches und persönliches Eigentum konfisziert und ihnen das Recht auf Verteidigung des Vaterlandes aberkannt. Wem aber das Recht, seine Heimat zu verteidigen, genommen ist, dem ist damit gleichzeitig auch seine Heimat genommen.
Am jenen Morgen des 30. Augusts 1941 haben die Mitarbeiter der Zeitungsredaktion "Nachrichten" zum ersten Mal von diesem, einem Genozid gleichbedeutenden Erlass aus dem Munde ihrer [verantwortlichen] Redakteurin, Fadejewa,
Und schon 24 Stunden
Das grauenhafte Bild der hinterlassenen Siedlungen mit großen Getreidehäufen und dem verwahrlost umherirrenden Vieh, wird für immer den verbannten Deutschen im Gedächtnis bleiben.
Die in aller Eile in Koffern mitgebrachten Sachen wurden in Verbannungsorten im Laufe des Winters notgedrungen für eine Schüssel Kartoffeln oder ein Stück Brot ausgetauscht, und im Frühjahr begann unter den hungrigen und aufgeschwollenen Menschen ein Sterben. Im Januar 1942 wurden die männlichen Personen in die Arbeitsarmee [auch: Trudarmija, d.h. Zwangsarbeitslager] genommen,
[…]
Der Krieg ging zu Ende. Die am Leben gebliebenen Deutschen hofften auf die Rückführung nach Hause. Aber anstatt dessen, erhielten sie den Erlass vom 26 November 1948, in dem die Sowjetregierung die Verbannung auf ewige Zeiten und zwanzig Jahre Zuchthausstrafe jedem Deutschen älter als 14 Jahre anordnete, der sich wagen sollte, ohne Erlaubnis des Kommandanten die Grenze seines Wohnortes zu verlassen. Und dies geschah in jener Zeit wo schon jegliche Notwendigkeit einer Kommandanturaufsicht sich erübrigte, denn der Krieg war schon zu Ende, und zu jener Zeit, wo die Vollversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" verabschiedete!
Die Kinder der deutschen Bürger hatten keine Möglichkeit zu lernen, denn sie hatten nicht mal das Recht, im Nachbarsdorf eine Siebenjahrschule zu besuchen, von einer Mittel- oder Hochschulbildung ganz zu schweigen. Nicht von ungefähr ist der Anteil der Deutschen mit Hochschul- und Fachoberschulbildung bis zum heutigen Tag viel geringer im Vergleich zu anderen Nationalitäten der UdSSR.
Die ältere Generation unserer deutschen Intelligenz liegt bereits in den Gräbern der Zwangsarbeitslager, und die wenigen Überlebenden sind meist disqualifiziert oder arbeitsunfähig. Seit diesen Zeiten vermeidet und schämt man sich, auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen und sogar in der eigenen Familie deutsch zu sprechen.
Schweigend und geduldig warteten die Menschen auf die Erlösung von der rohen Willkür der Kommandantur, deren Aufsicht auf Jung und Alt lastete. Die Menschen warteten ein Jahr, zwei Jahre, Jahr für Jahr, aber die Erlasse von 1941 und 1948 bedrückten die Deutschen in der UdSSR immer weiter.
Am 13. Dezember 1955 wurde endlich die sie entehrende Kommandanturaufsicht aufgehoben. Jedoch verbot dieser Erlass die Rückkehr zu den Heimatorten, wovon sie zwangsausgesiedelt waren, und somit legte er die Verbannung aufs Neue fest. Zu jener Zeit war auf Beschluss der Sowjetregierung die nationale Autonomie vieler Völker, die früher ebenfalls verbannt waren, wieder errichtet worden, so die der Balkaren, Inguschen, Kalmücken, Karatschajen, [Tschetschenen].
Im Bewusstsein einiger Deutschen reifte der Gedanke darüber, dass sie die Heimat nur in Deutschland finden können. In ihrer Mehrheit waren es Menschen, die nach dem Kriege aus Deutschland repatriiert waren.
Die meisten jedoch, die zwangsausgesiedelten Deutschen, hofften weiter auf die Stunde der Befreiung und Rehabilitierung, auf die gerechte Wiederherstellung ihrer nationalen Rechte. Es bedurfte weiterer neun Jahre qualvoller Erwartungen, bevor sich die Sowjetregierung gnädig bereitgefunden hat, den Erlass vom 29. August 1964 (nach 23 Jahren der Verbannung!) herauszubringen,
Aber o weh! Die Sowjetregierung behauptete gleichzeitig unbegründet, dass "… die deutsche Bevölkerung auf ihren neuen Wohnorten festen Fuß gefasst hat."
[…]
Der heuchlerische Erlass von 1964 zerriss den letzten Faden der Geduld bei den Deutschen in der UdSSR. Die langjährige Geduld ging zu Ende. Die Menschen verstanden, dass die Zeit gekommen ist, nicht mehr zu warten, sondern für sich und für ihre unschuldigen Nachkommen um die Wiederherstellung der ASSRdWD und um die vollständige Rehabilitierung nachzusuchen. Lenin hat sich doch im Jahre 1918 für die Gründung der Autonomie der Wolgadeutschen eingesetzt,
Die Deutschen sandten eine Delegation nach Moskau, um die Wiederherstellung ihrer Staatseinheit [d.h. der Autonomie] und vollständige Rehabilitierung zu ersuchen.
Nach einem halben Jahr bekam eine neue Delegation wieder die Absage.
In den Ortschaften, aus denen die Abgesandten stammten, entfaltete man gegen sie Repressalien und Verfolgungen, psychische Angriffe, Verurteilungen in den Arbeitskollektiven, man beschuldigte sie des Nationalismus und aller möglichen Dingen, man verfälschte ihre Arbeitszeugnisse, entließ einige von ihren Arbeitsplätzen und schuf ihnen unerträgliche Arbeitsbedingungen.
1967 fährt wieder eine Delegation nach Moskau. Wieder Absage! Die Delegierten wurden im Verlaufe von 24 Stunden aus Moskau abgeschoben.
Die deutsche Bevölkerung der UdSSR, die bisher noch geglaubt hatte, dass die Wiederherstellung der Autonomie uns auch unsere aussterbende Sprache zum Leben verhilft, unsere nationale Gleichberechtigung mit allen anderen Nationen und Volksgruppen wiederherstellt und dass schließlich die Sowjetregierung Mitgefühl an unserem, in nationaler und politischer Hinsicht unterdrückten deutschen Volk, zeigen wird, hat aufgehört an all dem zu glauben. […]. Uns zwingt man gewaltsam die russische Sprache als Muttersprache auf und unser nationales Selbstbewusstsein qualifiziert man als Nationalismus.
Dies alles führte dazu, dass sich im Bewusstsein der unschuldigen, aber bestraften Deutschen, die Frage stellt: SEIN ODER NICHT SEIN [hervorgehoben im Original]?! Welchen Ausweg gibt es um zu sagen: SEIN? Antwort bleibt nur eine: EMIGRATION.
Wir sind Deutsche und wollen Deutsche bleiben, wollen unter den Deutschen leben, wollen, dass unsere Nachkommen Deutsche bleiben. Der Gedanke über die Emigration ist keine Einzel- oder Zufallserscheinung, sondern eine logische Folge erniedrigender Bedingungen, in denen die Deutschen in der UdSSR im Verlauf von mehr als 30 Jahren durch die Sowjetregierung gestellt worden sind. Zuerst war der Glaube an das sowjetische Gesetz. Dann folgten Beleidigungen und Unterdrückungen im Namen des sowjetischen Gesetzes. Danach verschwand endgültig der Glaube an die Gerechtigkeit des sowjetischen Gesetzes.
Die Entwicklung des Gedanken über eigene Ausweglosigkeit [in Bezug auf Existenz als eigenständiges sowjetisches Volk mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur] durchlief viele Stufen. Das wurde nicht im Laufe einer Nacht erkannt, sondern es war das Ergebnis eines quälenden, mehr als 30 Jahre andauernden Prozesses, der in den Seelen der Menschen abspiegelte. Dieser Gedanke geht auf die erlebte Vergangenheit und eine ungewisse Zukunft unseres Volkes zurück. Alle im Laufe der 31. Jahre veröffentlichten und geheimen Erlasse bedingten diesen Gedankengang und führten zum Bewusstsein dessen, dass SEIN bedeutet EMIGRATION, fern all den Schrecken, die uns beherrschen.
So bestimmt das Dasein der Sowjetdeutschen ihr Bewusstsein.
[Autoren: Therese Chromowa-Schilke, Maria Steinbach,
Leo Eichhorn und Andreas Maser,
Frunse, Kirgisische SSR, April-Mai 1973]