Themen Mediathek Shop Lernen Veranstaltungen kurz&knapp Die bpb Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen Mehr Artikel im

Israel und Palästina: Gaza-Krieg schmälert Friedenschancen | Israel | bpb.de

Israel Von der Idee zum Staat Was ist Zionismus? Politischer und Kulturzionismus Zionismus nach Herzl Theodor Herzl Berühmte Zionisten Briten im Heiligen Land Arabische Frage Shoah und Einwanderung Gesellschaft Palästinas Staatsgründung Gründung des Staates Israel Interview Benny Morris Interview Sari Nusseibeh Deutschland - Israel Die israelische Perspektive DDR - Israel Der Staat Israel Das politische System Parteien Zahal - die Armee Außenpolitik Nahostkonflikt Suezkrieg Sechs-Tage-Krieg Jom-Kippur- bis Libanon-Krieg Intifada und Oslo Zweite Intifada Von Gaza zum Libanon nach Oslo Gesellschaft und Wirtschaft Gesellschaft Wirtschaft Staat und Religion Bedeutung der Shoah Russische Juden Kibbutzim Film Zukunft Israels Interviews Gila Lustiger Ella Milch-Sheriff Etgar Keret Sami Berdugo Nava Semel Iftach Shevach Judith Mortkovitch Ilana Tsur Yariv Mozer Israel aktuell 2010: Ein Jahr Regierung Netanjahu Parlamentswahl 2013 Karten Glossar Quellen Literatur Links zu Israel Impressum

Israel und Palästina: Gaza-Krieg schmälert Friedenschancen

Amos Harel

/ 13 Minuten zu lesen

Der Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 und darauf folgende Krieg in Gaza hat laut Meinung des Autors weitreichende Folgen für das israelisch-palästinensische Verhältnis. Ein Friedensprozess ist nicht in Sicht, auch die Zweistaatenlösung ist in weite Ferne gerückt.

Israelische Panzer (Bildmitte hinten) patrouillieren am 24. September 2025 in Gaza-Stadt im Viertel Tel al-Hawa. (© picture alliance / Anadolu | Saeed M. M. T. Jaras)

Auch 20 Monate nach dem von der Hamas am 7. Oktober 2023 verübten Massaker schwebt dessen dunkler Schatten über den israelisch-palästinensischen Beziehungen. Der lange Krieg im Gazastreifen dauert an. Ein Teil der israelischen Geiseln befindet sich immer noch in Gefangenschaft, und die meisten Bewohner*innen des Gazastreifens wurden in die Flucht getrieben. Das öffentliche Vertrauen in die Zweistaatenlösung ist sowohl auf israelischer als auch auf palästinensischer Seite auf einem Tiefpunkt angelangt, und eine politische Lösung ist nicht in Sicht. Das Massaker in israelischen Ortschaften an der Grenze zu Gaza sowie beim Nova-Musikfestival gehört zu den tödlichsten Terrorangriffen der westlichen Geschichte. Es wird als ein Wendepunkt in dem anhaltenden Konflikt in Erinnerung bleiben. Das gilt auch für Israels harte Vergeltung. Diese hat die meisten Gebäude im Gazastreifen unbewohnbar gemacht.

Während des Angriffs am 7. Oktober wurden mehr als 1200 israelische und ausländische Bürger*innen ermordet. 251 Menschen wurden als Geiseln nach Gaza verschleppt. Seitdem wurden rund 600 weitere Israelis im Krieg und bei Terrorangriffen im Gazastreifen, im Westjordanland, innerhalb Israels und im Libanon getötet. Ende Mai 2025 lag die Zahl der getöteten Palästinenser*innen in Gaza bei mehr als 54 000 laut Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums. Diese Zahlen gelten als relativ zuverlässig, obwohl das Ministerium nicht zwischen Zivilpersonen und Kämpfern unterscheidet. Israelische Schätzungen besagen, rund 20 000 Tote seien Mitglieder der Hamas oder des Palästinensischen Islamischen Dschihads gewesen. Das ist die tödlichste gewaltsame Auseinandersetzung in der Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts. Zudem hat die Dauer des Gaza-Krieges diejenige des israelischen Unabhängigkeitskriegs von 1948/49 überschritten.

Wie konnte es dazu kommen? Israels katastrophale Unfähigkeit, den Terrorangriff der Hamas aus dem Gazastreifen am 7. Oktober vorherzusehen und zu verhindern, ist einer der unverständlichsten und folgenträchtigsten strategischen Fehler unserer Zeit. Im Rückblick war das israelische Versagen auf drei miteinander verbundene Ursachen zurückzuführen. Erstens handelte es sich um Israels Strategie im Verhältnis zu den Palästinenser*innen, insbesondere seine Haltung gegenüber der Hamas-Herrschaft im Gazastreifen im Laufe der letzten 15 Jahre. Der zweite Grund was der Charakter von Benjamin Netanjahu, Israels nahezu ewigem Ministerpräsidenten, und die Krise, die er mit seinem Versuch einer Umgestaltung des israelischen Justizsystems ausgelöst hat. Schließlich ist das vollständige Unvermögen des Militärs und der Nachrichtendienste zu nennen, die von der Hamas getroffene Entscheidung zum Angriff und die im Vorfeld getroffenen Vorbereitungen rechtzeitig zu erkennen und richtig zu interpretieren.

Auf der strategischen Ebene verfolgte Netanjahu nie das Ziel, den israelisch-palästinensischen Konflikt zu lösen. Vielmehr versuchte er jahrelang, ihn ohne größere Änderungen zu verwalten. Er glaubte nicht an die Zweistaatenlösung, obwohl der massive Druck des damaligen US-Präsidenten Barack Obama 2009 Netanjahu bei seiner Rede an der Bar-Ilan-Universität ein Lippenbekenntnis dazu abgerungen hatte. Während all seiner Jahre im Amt war Netanjahus oberstes Ziel die Erhaltung der israelischen Siedlungen im Westjordanland und die Verhinderung eines palästinensischen Staates bei gleichzeitiger Teile-und-Herrscher-Politik gegenüber der Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland und der Hamas in Gaza. Im Rahmen dieser Politik erlaubte er sogar im Laufe von fünf Jahren den Transfer von anderthalb Milliarden Dollar aus Katar an die Hamas, zum Teil buchstäblich in bargeldgefüllten Koffern, um vorübergehende Ruhe in Gaza zu erkaufen.

Der zweite Faktor ist Netanjahus persönliche Geschichte: die Geschichte eines führenden Politikers, der vom Weg abgekommen ist. Nach mehr als 17 Jahren im Amt, die meisten davon in ununterbrochener Folge, war der Ministerpräsident davon überzeugt, Israels unersetzlicher Beschützer zu sein. Im Laufe der Jahre umgab er sich mit einem Kreis unfähiger Wegbegleiter*innen. Später geriet er in den Verdacht von Straftaten. Als Anklage gegen ihn erhoben wurde, geriet er in Panik und versuchte, die Judikative umzugestalten, um das gegen ihn wegen drei Korruptionsfällen geführte Gerichtsverfahren einstellen zu lassen. Mit sich selbst und seinem politischen Überlebenskampf beschäftigt, spielte Netanjahu aufkommende Bedrohungen – insbesondere aus Gaza – herunter.

Als Teil seiner Überlebenstaktik vergab er bei seiner Rückkehr ins Ministerpräsidentenamt im Dezember 2022, nach 18 Monaten in der Opposition, wichtige Regierungsposten an radikale Rechtsnationalist*innen, einige von ihnen vorbestraft. Die Gesetzesvorhaben von Netanjahu und seinen Verbündeten, die auf eine Umgestaltung der Justiz abzielten und die Einstellung seines Strafverfahrens ermöglichen sollten, verursachten über beinahe ein Jahr hinweg eine tiefe gesellschaftliche Spaltung in Israel. Hunderttausende Demonstrant*innen gingen jedes Wochenende auf die Straße, um diese antidemokratischen Pläne zu vereiteln. Tausende von Reservist*innen, darunter viele in Schlüsselpositionen der Luftwaffe, des Militärnachrichtendienstes und der Sonderkräfte, drohten für den Fall einer Verabschiedung dieser Gesetze mit Dienstverweigerung. Im Laufe des Jahres 2023 verweigerten Hunderte von ihnen denn auch tatsächlich den Reservedienst.

Diese Entwicklungen blieben natürlich auch Israels Feind*innen, darunter dem Hamas-Führer Yahya Sinwar, nicht verborgen. Sinwar gab den Befehl zum Angriff: der überrumpelnden Besetzung israelischen Territoriums entlang der Grenze zu Gaza. An dieser Stelle kommt der dritte Faktor ins Spiel: das komplette Versagen von Israels Militär und Nachrichtendiensten. In den frühen Stunden des 7. Oktober wurden Tausende von Hamas-Terroristen aus ihren Häusern in Bunker und Tunnel beordert und erhielten den Befehl, Kibbuzim und Armeestützpunkte im Gaza-Umland einzunehmen. Zum Teil fanden die Vorbereitungen dafür nur einen Kilometer von der Grenze entfernt statt. Das Gros der israelischen Armee schlief tief und fest, inklusive der ohnehin unzureichenden Einheiten an der Gaza-Grenze. Im Rückblick betrachtet hatte es zahlreiche Warnzeichen gegeben, aber die politische Führung und die Spitze der Militär- und Sicherheitskräfte taten die Hamas als einen schwachen Gegner ab und trauten ihr die Durchführung eines so ehrgeizigen Plans nicht zu.

Aus israelischer Perspektive war das Ergebnis in doppelter Hinsicht erschütternd. Erstens zerschlug es den Glauben daran, die Armee würde israelischen Zivilpersonen, die in Gefahr sind, immer zu Hilfe kommen. Das von von jeher ein grundlegendes Ideal des drei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges aus der Asche des Holocausts geborenen jüdischen Staates. Dieses Ideal wurde denn auch realisiert: während des Sechstagekrieges, bei der Operation Entebbe (der erfolgreichen israelischen Kommandooperation in Uganda zur Befreiung von Passagier*innen eines Flugzeugs, das auf dem Weg nach Israel entführt worden war) sowie bei zahllosen anderen Angriffen und Vorfällen an den Grenzen und innerhalb Israels. Dieses Mal aber tippten Eltern und Kinder, in Schutzräumen ihrer Häuser in den Kibbuzim versteckt, mit blutigen Fingern verzweifelte Hilferufe an die israelische Armee – doch niemand kam, um sie zu retten. Als Armeeeinheiten acht Stunden nach Beginn des Überfalls endlich die Kibbuzim erreichten, waren viele Opfer schon ermordet, vergewaltigt, gefoltert oder entführt worden. Das führte zu einem tiefen Bruch in der israelischen Gesellschaft.

Es gibt aber noch eine weitere Dimension. An jenem Morgen handelte Sinwar auf eigene Faust. Zwar hatte die Hamas vor dem Überfall Gespräche mit ihren radikalen Partnern – dem Iran und der Hisbollah – geführt, doch traute Sinwar ihnen nicht. Aus Furcht, Israel könnte die geplante Operation aufdecken, wenn ihr Zeitplan dem Iran und der Hisbollah übermittelt würde, befahl Sinwar den Überraschungsangriff im Alleingang. Er nahm an, die Hisbollah würde sich dem Kampf anschließen, sobald der operative Erfolg der Hamas bekannt würde. Als der Iran und die libanesischen Schiiten jedoch sahen, was geschehen war, zögerten sie. Letztendlich begnügte sich die Hisbollah mit Angriffen aus der Ferne: Raketenbeschuss ohne Bodenangriff. Hätte sich die Hisbollah an jenem Morgen dem Überfall angeschlossen, würde der vorliegende Beitrag vielleicht fast wie ein Nachruf auf Israel klingen. Die traurige Wahrheit ist nämlich, dass die israelischen Streitkräfte im Norden ebenfalls unvorbereitet waren. Ein abgestimmter Überraschungsangriff an beiden Fronten hätte deshalb zu einer noch schwereren israelischen Niederlage führen können.

Der alle Erwartungen übertreffende Erfolg der Hamas machte dem Iran jedoch Appetit. Schon viele Jahre zuvor war auf einem zentralen Platz in Teheran eine Uhr aufgestellt worden, die einen Countdown bis zu Israels Vernichtung anzeigte. Laut der Uhr waren 2023 noch 15 Jahre bis dahin verblieben. Nach dem 7. Oktober begann das Regime aber zu prüfen, wie dieses Szenario beschleunigt werden könnte. Der strategische Plan, Israel zu zerstören – bis zu diesem Zeitpunkt eine vornehmlich theoretische und ideologische Debatte – wurde aktualisiert. Gleichzeitig übte der Iran Druck auf die Hisbollah aus, die Angriffe auf Israel zu verstärken, während israelische Truppen im Kampf gegen die Hamas in Gaza vorrückten.

Israels lang anhaltender Kampfeinsatz in Gaza zerstörte den Großteil der militärischen Kapazitäten der Hamas und hatte verheerende Folgen für die palästinensische Bevölkerung des Landstrichs. Rund 80 Prozent der Bewohner*innen wurden zu Binnenflüchtlingen. Ab September 2024 führte Israel nach langer Eskalation vernichtende Schläge gegen die Hisbollah. Dabei wurde die Führungsspitze der Organisation inklusive ihres Generalsekretärs, Hassan Nasrallah, getötet und ihre Feuerkraft eliminiert. Ende November wurden der Iran und die Hisbollah zu einem demütigenden Waffenstillstand im Libanon gezwungen. Damit wurde die Hisbollah vom Gaza-Krieg abgekoppelt. Die USA erhielten Befugnisse zur Kontrolle der Aktivitäten der libanesischen Armee, inklusive Maßnahmen, die Hisbollah unter ihre Kontrolle zu bringen. Gegen Ende Mai 2025 schien der Erfolg der US-amerikanischen Bemühungen, eine Vereinbarung zur Freilassung der Geiseln zu vermitteln, wieder möglich zu sein.

Bisher wurden fast 80 Prozent der am 7. Oktober gefangengenommenen Geiseln nach Israel zurückgebracht, hauptsächlich im Rahmen von Vereinbarungen zwischen der Hamas und Israel, die durch die Vermittlung Katars und Ägyptens zustande gekommen waren. Die meisten dieser Geiseln waren am Leben, doch erhielt Israel auch Dutzende von Leichen: Opfer, deren Leichname nach dem Überfall nach Gaza verbracht worden waren, sowie Geiseln, die von der Hamas in der Gefangenschaft ermordet oder bei israelischen Bombenangriffen irrtümlich getötet worden waren.

Im November 2023 und Januar 2025 fanden zwei Austauschaktionen zwischen Israel und der Hamas statt, doch der Krieg ging damit nicht zu Ende. Vielmehr wurden die Kämpfe wieder aufgenommen, nachdem die Verhandlungen über eine umfassende Regelung ins Stocken geraten waren. Die jüngste Kampfrunde wurde von Israel am 18. März 2025 eingeleitet. Am Haupthindernis für eine dauerhafte Vereinbarung hat sich seit Langem nichts geändert: Die Hamas verlangt im Austausch für alle Geiseln, lebende wie tote, eine Beendigung des Krieges und einen vollständigen israelischen Truppenabzug aus Gaza. Demgegenüber wünscht Netanjahu nur eine Teilvereinbarung, bei der lediglich zehn Menschen – und damit ungefähr die Hälfte der noch lebenden Geiseln – freikämen sowie einige Leichname an Israel übergeben würden. Das bot die US-Regierung über Steve Witkoff, den Sondergesandten und engen Vertrauten von US-Präsident Donald Trump, der Hamas an. Diese Verhandlungsposition hat politischen Hintergrund. Rechtsextreme Partner*innen in Netanjahus Regierungskoalition widersetzen sich einer Vereinbarung zur Einstellung der Kämpfe. Ohne diese Parteien würde die Regierung jedoch ihre parlamentarische Mehrheit verlieren.

Seit der Wiederaufnahme der Kämpfe gegen die Hamas vor zweieinhalb Monaten wurden in Gaza mehr als 4000 Palästinenser*innen bei Angriffen der israelischen Streitkräfte getötet, hauptsächlich bei Luftangriffen. Israel setzte auch drei Infanterie- und Panzerdivisionen ein, um 40 Prozent des Gazastreifens wieder einzunehmen: im Norden, in der Mitte und vor allem im Süden. Die Hamas musste weiter schwere Schläge hinnehmen. Mitte Mai ging Israel davon aus, Mohammad Sinwar getötet zu haben, den Bruder von Yahya, der bereits im Oktober 2024 in Rafah ums Leben gekommen war. Mohammad Sinwar war das letzte noch verbliebene Führungsmitglied des militärischen Arms der Hamas aus der Zeit vor Beginn des Krieges – und einer der fünf Hauptplaner des Massakers. Die meisten Feldkommandeure der Terrororganisation wurden während des Krieges getötet oder verletzt. In den unteren Rängen sind viele Nachrücker Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren, die nur eine kurze militärische Ausbildung erhalten, bevor sie in den Kampf gegen israelische Truppen geschickt werden.

Der israelische Druck hat humanitäre Hilfslieferungen in den Gazastreifen vor große Hindernisse gestellt und Warnungen vor einer Hungersnot ausgelöst. Im Mai 2025 nahm die internationale Kritik an Israels Vorgehen zu. Unter ausdrücklichem Druck von Präsident Trump erlaubte Israel die Verteilung von Lebensmittelpaketen an die Bevölkerung durch US-amerikanische Unternehmen. Das menschliche Leid im Gazastreifen ist enorm. Es herrscht ein gravierender Mangel an Versorgungsgütern, und die Infrastruktur ist schwer beschädigt. Das Gesundheitssystem erlitt ebenfalls schwere Schäden. Die meisten Krankenhäuser wurden von Bomben getroffen, als Israel versuchte, dorthin geflüchtete Hamas-Kommandeure zu liquidieren.

Die Lage im Gazastreifen verschlechterte sich Ende Juli 2025 weiter. Der amerikanischen Hilfsorganisation Gaza Humanitarian Foundation (GHF) gelang es nicht, die humanitäre Not der Bevölkerung zu lindern. Israels Forderung, die Hilfsaktion abzusichern, verschärfte die Krise zusätzlich. Vor diesem Hintergrund verstärkte sich die internationale Kritik an Israel, und der Druck auf Netanjahu, den Krieg zu beenden, nahm zu. Die endgültige Entscheidung über das weitere Vorgehen liegt jedoch weiterhin bei Trump.

Trumps Position gegenüber Netanjahu wurde durch den Krieg mit dem Iran gestärkt, den Israel nach einer längeren Eskalationsphase am 13. Juli 2025 eröffnete. Der israelische Ministerpräsident hatte beim US-Präsidenten intensiv um grünes Licht für den Angriff geworben, und Trump gab schließlich wenige Tage vor Beginn der Kampfhandlungen seine Zustimmung.

Die israelischen Angriffe verursachten große Schäden an iranischen Atomanlagen, Produktionsstätten für ballistische Raketen und Raketendepots. Dabei wurden auch zahlreiche hochrangige Regimevertreter getötet – ebenso wie Atomwissenschaftler, die am iranischen Programm zur Entwicklung von Kernwaffen beteiligt waren.

Dieses von Maxar Technologies zur Verfügung gestellte Satellitenbild zeigt die Schäden an der Anreicherungsanlage Fordo im Iran nach den US-Angriffen am Sonntag, 22. Juni 2025. (© picture-alliance/AP)

Allerdings konnte Israel seine Kriegsziele nicht allein erreichen. Entscheidend war nämlich auch die Bombardierung der strategisch wichtigen Nuklearanlage in Fordo durch die USA. Israel verfügte selbst nicht über die Bomber und Bomben, die zur Zerstörung der tief unterirdisch gebauten Anlage notwendig waren. Für viele überraschend willigte Trump ein: Am 22. Juni bombardierten amerikanische B‑2-Bomber die Anlage in Fordow und richteten dort erhebliche Schäden an. Dieses Eingreifen, das zugleich zur Beendigung des Krieges führte, bezeichnete Trump als durchschlagenden Erfolg.

Das Ausmaß der Schäden an den Nuklearanlagen ist unter Experten nach wie vor umstritten, ebenso wie die Fähigkeit des Iran, seine Bemühungen zur Herstellung von Atomwaffen wieder aufzunehmen. Indessen bietet sich Trump jetzt eine neue politische Gelegenheit: Netanjahu hat eine Dankesschuld ihm gegenüber. Ein Schlag gegen das iranische Atomprogramm war Netanjahus oberstes Ziel. Nachdem der US-Präsident ihm zu Hilfe gekommen ist, kann er mehr Druck auf den israelischen Regierungschef ausüben, um dessen Zustimmung zur Beendigung des Gazakrieges zu erlangen – eines Krieges, in dessen Fortsetzung weder Trump noch die meisten Staats- und Regierungschefs der Welt einen Sinn sehen. Dennoch zeichnet sich nicht ab, dass Trump Netanjahu deswegen direkt konfrontieren will.

Eine weitere Frage betrifft das Kräfteverhältnis in der Region nach dem Krieg mit dem Iran. Israel ging aus der zwölftägigen Konfrontation eindeutig gestärkt hervor, auch wenn die Führung in Teheran versucht, das anders darzustellen. Innenpolitisch ist dieser Erfolg vor dem Hintergrund des unsagbaren Versagens Netanjahus, der Nachrichtendienste und der Armee beim Massaker vom 7. Oktober relevant. Diesmal konnte sich die israelische Bevölkerung nämlich davon überzeugen, dass die Armee Sicherheitsherausforderungen eindrucksvoll begegnen kann, wenn sie angemessen vorbereitet ist. Allerdings hat dieser Erfolg zu Netanjahus Überraschung seine politische Lage im Lande bislang nicht bedeutend verbessert. Zwar spricht der Ministerpräsident seit fast dreißig Jahren von der Notwendigkeit, das iranische Atomprogramm zunichte zu machen. Dennoch zeigen Umfragen, dass der Erfolg in Teheran in den Augen der Wählenden die Schmach vom 7. Oktober nicht auslöschen kann.

Außen- und sicherheitspolitisch hat der Angriff auf den Iran zwei wichtige Auswirkungen. Erstens sendet Israel damit ein Signal an die internationale Gemeinschaft und die Staaten der Region – erst recht nach seinen vorangegangenen militärischen Erfolgen im Libanon und in Syrien. Israel, so die Botschaft, ist eine starke und entschlossene Militärmacht und ist in der Lage, Sicherheitsgefahren zu beseitigen. Mehr noch: Es ist zu präventiven Schritten bereit, ohne sich übermäßig um die Reaktion der Welt zu kümmern, wenn es dies für notwendig hält.

Zweitens war der Iran – zusammen mit Katar – der wichtigste Geldgeber des Hamas-Regimes im Gazastreifen. Mit diesem Geld wurden auch Terroranschläge gegen Israel finanziert. Nach dem Rückschlag, den das Regime in Teheran erlitten hat, ist es fraglich, ob es in naher Zukunft noch über die Ressourcen verfügt, um den Kampf der Hamas gegen Israel zu finanzieren. Dadurch wurde das Fundament, auf dem die Hamas steht, geschwächt.

Das Westjordanland und die Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde

Die Palästinensische Autonomiebehörde, die die Städte im Westjordanland kontrolliert, bleibt eine Unbekannte in der Gleichung. Es ist unklar, welche Rolle sie bei einer künftigen Konfliktlösung spielen kann. Im Laufe des letzten Jahres haben palästinensische Schusswaffenangriffe auf israelische Siedler*innen sowie Soldat*innen im Westjordanland zugenommen. Gleichzeitig führte Israel umfassende Operationen in Flüchtlingslagern der kleinen Region durch, vor allem in deren Norden.

Ungeachtet der andauernden Katastrophe in Gaza blieb ein Massenaufstand oder eine dritte „Intifada“ aus. Das dürfte mehrere Gründe haben, unter anderem die jahrzehntelange physische Trennung von Gaza. Sie hat bei der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland zu einer gewissen emotionalen Entfernung geführt. Ein weiterer Einflussfaktor ist die Befürchtung, Israel würde im Westjordanland wie in Gaza reagieren, sollten palästinensische Terrororganisationen versuchen, ein ähnliches Massaker in jüdischen Siedlungen im Westjordanland anzurichten. Die Spannungen zwischen palästinensischen Bewohner*innen sowie israelischen Siedler*innen haben seit Beginn des Krieges in Gaza massiv zugenommen. Letztere haben sich wiederholt palästinensisches Land im Westjordanland angeeignet, auch unter Vertreibung der dort lebenden Bewohner*innen, während die israelische Armee größtenteils weg schaute.

Die Palästinensische Autonomiebehörde unter Führung von Mahmoud Abbas hat bereits seit 19 Jahren keine Wahlen abgehalten. Die meisten Palästinenser*innen betrachten sie als illegitim, vom Volk entfremdet und ihres Vertrauens nicht würdig. Dennoch gibt es keine reelle Alternative zu ihr. Die Palästinensische Autonomiebehörde muss nicht nur weiterhin im Westjordanland regieren. Vielmehr wird von der internationalen Gemeinschaft auch als Teil einer Notstandsregierung in Gaza benötigt, wenn der Krieg, hoffentlich bald, endet. Staaten der arabischen Welt, die Truppen und Gelder zur Verfügung in Gaza schicken wollen, sind dazu nur in Koordination mit einer anerkannten palästinensischen Vertretung bereit.

Da Israel der Hamas keine Regierungsbefugnisse zugestehen will und die Hamas zudem 2007, zwei Jahre nach Israels Rückzug, der Palästinensischen Autonomiebehörde die Macht in Gaza mit Gewalt entrissen hat, erscheint eine Regierungsrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde Gazastreifen als unabdingbar. Zwei entgegensetzte Szenarien zeichnen sich ab. Eines von ihnen geht von einem palästinensischen Versuch aus, im Westjordanland ein Massaker nach dem Muster des Hamas-Überfalls auf das Gaza-Umland am 7. Oktober 2023 zu verüben. Das andere sieht die Bildung einer technokratischen Regierung in Gaza unter dem Schutzschirm arabischer und anderer Staaten und unter Beteiligung von Vertreter*innen der Palästinensischen Autonomiebehörde vor.

Das erste Szenario könnte in eine noch schlimmere Katastrophe für Palästinenser*innen wie auch für Israel münden. Das zweite bietet zumindest einen schwachen Hoffnungsschimmer. Die Zweistaatenlösung – Israel und Palästina – ist derzeit nicht in Sicht. Das Misstrauen der israelischen Öffentlichkeit gegenüber den Palästinenser*innen ist seit dem Massaker noch weiter gestiegen. Das gilt auch umgekehrt. Eine Wiederaufnahme des Friedensprozesses wäre erst nach einer langen Ruhephase möglich.

Fussnoten

Weitere Inhalte

ist Militärkorrespondent der israelischen Tageszeitung Haaretz