Das jüdische Olympia
Die Bedeutung der europäischen Makkabi-Spiele
Ronny Blaschke
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Die Makkabiade ist Sportfest und politisches Forum. 1800 Jahre nach dem Aufstand des Freiheitskämpfers Makkabäus gegen die Römer fanden die ersten Spiele statt. Die Gründer brachten ihren Anspruch auf Palästina zum Ausdruck. Bis heute stellen die Spiele ein Symbol jüdischer Identität dar.
Debora Rosenthal trägt eine Kette mit ihrem Namen in hebräischer Schrift. Es war ein Geschenk zur ihrer Bat Mitzwa, so bezeichnet man den feierlichen Tag, an dem ein Mädchen in die Religionsmündigkeit eintritt, im Alter von zwölf Jahren. Im Sommer 2015 ist Berlin erstmals Gastgeber der Europäischen Makkabi-Spiele, des größten jüdischen Sportfests des Kontinents. Debora Rosenthal, genannt Debby, gehört zu den wichtigen Stützen des deutschen Hockey-Teams. Sie mag spannende Spiele, Teamgeist und Spaß. Trotzdem sei Makkabi etwas ganz besonderes: „Es ist das Ereignis, wo ich das jüdische Gemeinschaftsgefühl am intensivsten spüre.“
Debby Rosenthal hat in Berlin eine jüdische Grundschule besucht, streng religiös aufgewachsen ist sie jedoch nicht. In ihrem Freundeskreis und in ihren Hockeyvereinen spielte die jüdische Kultur keine Rolle. Zweimal war es anders: 2009 und 2013 nahm sie an der Makkabiade in Israel teil, den Weltspielen des Judentums, die dort alle vier Jahre stattfinden. Sie sagt:
ZitatDas größte Gemeinschafts-Ereignis
In Israel ist mir aufgefallen, dass mir die jüdische Kultur ein wenig gefehlt hat, weil ich sie zu Hause wenig praktiziere. Die Makkabiade ist das größte Gemeinschafts-Ereignis, wo das jüdische Leben zu spüren ist. In Israel muss man sich gar keine Gedanken machen, wenn man seinen Davidstern zeigt. Ähnlich habe ich es noch in New York erlebt. Da hatte ich das Gefühl, dass jeder zweite mich auf meine Kette angesprochen hat. Und sich gefreut hat, dass ich jüdisch bin. In Deutschland habe ich zwar keine Angst, den Davidstern zu zeigen, trotzdem denke ich manchmal: Halt dich lieber etwas zurück, ich möchte niemanden damit provozieren. Doch bei den Makkabi-Spielen ist das völlig anders.
Quelle: Debby Rosenthal, Spielerin im jüdischen Hockeyteam aus Deutschland
In Berlin wurden die Spiele als großes jüdisches Klassentreffen geplant: mit Wettbewerben, Bildungsveranstaltungen, Partys. Fast alle 2300 Athleten aus 37 Ländern übernachten in einem Hotel. Wie in einem olympischen Dorf. Viele Athleten stammen laut dem Organisationsteam von Überlebenden des Holocaust ab, auch Debby Rosenthal, die ihren Großvater von Erzählungen ihrer Eltern kennt – und aus dem Fernsehen. Hans Rosenthal, der Moderator der Unterhaltungssendung Dalli Dalli, war eine Ikone der siebziger und achtziger Jahre. Er starb 1987 – und doch wird er in diesem Sommer in den Gedanken seiner Enkelin irgendwie anwesend sein.
Die meisten Wettbewerbe finden im Berliner Olympiapark statt, wo die Nazis jüdische Sportler 1936 von den Wettbewerben ausgeschlossen hatten. Aus diesem Grund sind die Makkabi-Spiele für Debby Rosenthal ein Anlass, um über ihre Wurzeln nachzudenken, auch über das Leid ihres Großvaters:
Mein Großvater wurde im Dritten Reich in einer Laubhüttenkolonie von drei Damen versteckt und konnte überleben. Dadurch, dass er in dieser schrecklichen Zeit auch etwas Gutes erlebt hat, wenn man das sagen darf, hatte er nie einen Hass auf Deutschland. Er wollte in diesem Land bleiben, weil er daran glaubte, dass es hier auch gute Menschen gibt. Wahrscheinlich wurde mir von Anfang an von meinem Vater und meiner Oma beigebracht, keinen Hass auf dieses Land zu haben, sondern diese positive Einstellung beizubehalten.
Debby Rosenthal, geboren 1993, ist in Berlin aufgewachsen, sie hat dort lange für den Steglitzer TK Hockey gespielt. Inzwischen studiert sie in Köln Medien- und Kulturwissenschaften. Ihr aktueller Klub ist der BTHV Bonn, der Bonner Tennis- und Hockey-Verein. Mit Mühe haben sie für die Europäischen Makkabi-Spiele ein komplettes jüdisches Hockeyteam aus Deutschland zusammenbekommen. Das Leistungsgefälle innerhalb der Gruppe ist groß. Ihr Rückhalt ist die ehemalige Nationalspielerin Rebecca Landshut. Auch in anderen der 19 Sportarten, die in Berlin vertreten sind, war es nicht immer leicht, jüdische Mitglieder zu finden, erzählt Debby Rosenthal:
QuellentextWarum schließt Ihr euch aus?
Freunde haben mich öfter gefragt: Ach, das ist ja ganz spannend, aber warum schließt Ihr euch als Juden selber aus? So verwerflich finde ich diese Nachfrage gar nicht. Ich weiß, dass es keine christlichen oder muslimischen Kontinentalspiele gibt – warum brauchen wir also jüdische Spiele? Aber wir haben eine Geschichte, die Christen nicht haben. Und es ist nach dem Holocaust noch nicht wieder alles in Ordnung. Es ist schön, dass wir ein Sportfest haben, dass den Zusammenhalt unserer Religion stärkt.
Quelle: Debby Rosenthal
Die Geschichte des organisierten jüdischen Sports reicht 120 Jahre zurück: Ende des 19. Jahrhunderts sahen die Väter des Zionismus in der jüdischen Tradition, die auf geistige Bildung ausgerichtet war, ein Problem. Auf dem zweiten Zionistenkongress in Basel prägte Max Nordau den Begriff des „Muskeljuden“. Für den Aufbau einer sicheren Heimstätte in Palästina forderte der Arzt in seinen Reden körperliches Training, „um dem schlaffen jüdischen Leib die verlorene Spannkraft wiederzugeben“. Nordau und seine Mitstreiter verlangten Stärke, Widerstandsfähigkeit und Selbstbeherrschung. Achtundvierzig junge Berliner folgen dem Appell: Unter dem Philosophiestudenten Wilhelm Lewy gründeten sie am 22. Oktober 1898 den ersten deutsch-jüdischen Turnverein, benannt nach Bar Kochba, dem legendären Anführer des jüdischen Aufstands gegen die römischen Eroberer.
Die Zionistische Kommission marschiert durch die Strassen von Tel Aviv (Israel), begleitet von Mitgliedern der Makkabi-Vereinigung, April 1918. (@ picture-alliance/United Archives/TopFoto)
1903 schließen sich elf jüdische Vereine mit insgesamt 2000 Mitgliedern zu einem Dachverband zusammen, ihr Sitz: Berlin. Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits jüdische Klubs in Konstantinopel und Philippopel, die sich als Folge von wachsendem Antisemitismus gegründet hatten. Doch zum Fundament der Sportbewegung wurde Berlin, wo auch die „Jüdische Turnzeitung“ mit der Veröffentlichung Mut machender Artikel und Fotos zur wichtigen Inspirationsquelle für neue Vereine wurde. Wenige Jahre später bauten Einwanderer-Familien in Palästina die erste jüdische Stadt auf: Tel Aviv. Einige von ihnen trafen sich zum Sport und gründeten ebenfalls neue Vereine. Auf dem 21. Zionistenkongress im tschechischen Karlsbad (September 1921) hoben Vertreter aus neun Ländern den Makkabi-Weltverband aus der Taufe. In der Namensgebung griffen die Gründer abermals eine 2000 Jahre alte Geschichte auf.
"Der Engel der Makkabaeer". Holzstich nach Zeichnung von Gustave Dore, 1865. Aus der Folge der 230 Bilder zur Bibel, spätere Kolorierung. (@ picture alliance / akg-images)
„Die historische Symbolik spielt eine wichtige Rolle“, sagt der Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem, der sich seit Jahrzehnten auch mit den politischen Hintergründen des Sports beschäftigt. „Wo waren die Juden heldenhaft, muskulös und stark? In der Zeit der Makkabäer.“ Im zweiten Jahrhundert vor Christus hatte der Freiheitskämpfer Judas Makkabäus sein Volk in eine Schlacht gegen die Seleukiden geführt. Diese hatten von den Juden verlangt, ihrer Religion abzuschwören. Judas Makkabäus gewann die Schlacht. „So bleibt er als heldenhafter Feldherr in kollektiver Erinnerung“, sagt Zimmermann. „Diese Symbolik wurde kultiviert und wird auch in der Gegenwart deutlich betont.“
Im Rahmen des Makkabi-Weltkongresses fand in der Nähe von Prag 1929 ein großes Sportfest statt: Die ersten Europäischen Makkabi-Spiele. Die Teilnehmer diskutierten die Idee eines jüdisches Olympias: Die erste Makkabiade fand dann 1932 in Palästina statt, 1800 Jahre nach dem Aufstand von Bar Kochba. 390 Sportler aus 19 Ländern und Regionen nahmen teil, ebenso 20000 Zuschauer.
In Berlin war der Ur-Verein Bar Kochba inzwischen stark gewachsen, von 48 Gründungsmitgliedern auf 2000 Mitglieder. Doch in der Weimarer Republik interessierten sich bei weitem nicht alle Juden auch für jüdische Sportklubs. Im Gegenteil: Viele jüdische Sportler blickten skeptisch auf die zionistischen Leibesübungen. Sie waren integrierte Bürger, die Religion stand für sie nicht im Vordergrund. Das änderte sich 1933: Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten schlossen bürgerliche Sportvereine ihre jüdischen Mitglieder aus. Viele suchten Zuflucht bei Makkabi, wo sie sich unter Gleichgesinnten wohler fühlten. Die Zahl der jüdischen Vereine im Deutschen Reich vervielfachte sich: 1938 waren in 350 jüdischen Sportgruppen etwa 50000 Mitglieder aktiv. Nach der Pogromnacht 1938 wurden auch sie verboten.
Nach dem Krieg gründeten wenige jüdische Überlebende in Deutschland neue Sportvereine, aber diese hatten nicht lange Bestand. Die meisten wanderten nach Israel aus. Erst die sechziger Jahre veränderten das gesellschaftliche Klima: Der Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 und die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt ab 1963 führten zu einer Debatte über deutsche Verbrechen. 1965 nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. Zunehmend ließen sich Juden wieder in Deutschland nieder, einer von ihnen: Gideon Osterer, aufgewachsen in Rumänien. Für ein Wirtschaftsstudium zog Osterer 1965 aus Israel nach Köln. Osterer resümmiert im Interview:
QuellentextSport war kein Hauptthema
Unsere kleine Gemeinschaft bestand aus älteren Leuten, die die Schoah überlebt hatten. Mit der Zeit aber haben wir Jüngeren den Entschluss gefasst, Sport zu treiben und einen jüdischen Verein zu gründen. Wir haben uns bei Makkabi am Anfang ein oder zwei Mal in der Woche getroffen. An einem organisierten Spielbetrieb haben wir nicht teilgenommen, so weit waren wir noch nicht. Weil es immer wieder unsicher war: haben wir überhaupt genug Sportler? Gerade in dieser Zeit ging es für die meisten darum, ein geregeltes Leben aufzubauen: Sport war kein Hauptthema.
Quelle: Gideon Osterer, Sportler bei Makkabi, zog aus Israel nach Köln
Sportler wie Gideon Osterer leisteten Mitte und Ende der sechziger Jahre wichtige Aufbauarbeit: Makkabi erwuchs in Deutschland zu neuem Leben, vor allem in Frankfurt, München, Berlin und Köln. 1969 durfte ein deutsches Team erstmals wieder an der Makkabiade teilnehmen, die alle vier Jahre in Israel stattfindet. Vorher waren sie aus dem Land, in dem der Holocaust geplant wurde, nicht willkommen. Die deutsche Delegation lief bei den Eröffnungsfeiern nicht in den Farben Schwarz-Rot-Gold auf, das war untersagt, sondern in Blau und Weiß. Auch die deutsche Hymne wurde nicht gespielt. Gideon Osterer hat mehrfach an den Makkabi-Spielen teilgenommen, als Basketballspieler, Trainer, Betreuer und Funktionär. Welche Erfahrungen hat er damals in Israel gemacht? „Es war immer ein bisschen schwierig. Persönlich haben wir uns wunderbar verstanden. Aber in dem Moment, wo es hieß: ,Ihr seid die deutsche Mannschaft’, dann war es was ganz anderes. Und dieses Gefühl haben uns nicht nur andere europäische Teams gegeben, sondern auch die großen Delegationen aus den USA, Kanada, Australien. Das hat sich mit der Zeit sehr, sehr gebessert.“
Rasant gewachsen ist die Makkabi-Bewegung in den neunziger Jahren. Aus der ehemaligen Sowjetunion wanderten tausende Juden nach Deutschland ein und Makkabi half ihnen bei der Integration: Sportler begegneten sich, auch ohne Deutsch-Kenntnisse, in Übungseinheiten. Sie organisierten Feste und unterstützten sich gegenseitig, zum Beispiel bei Behördengängen. Heute sind laut Makkabi Deutschland in 37 Ortsvereinen mehr als 4000 Mitglieder aktiv. Sie pflegen die jüdische Kultur, aber religiöse Rituale stehen laut Gideon Osterer nicht im Vordergrund. Auch am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, lassen viele Makkabi-Klubs den Betrieb nicht ruhen. Makkabi ist offen für Christen, Muslime, Atheisten. Sie alle werden immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert, berichtet Osterer. Mit körperlichen Angriffen auf dem Spielfeld, mit Schmierereien an ihren Vereinsheimen, mit Drohungen im Internet. Und mit Vorurteilen. Gemeinsam mit dem Zentralrat der Juden beteiligt sich Makkabi immer wieder an Präventionskampagnen gegen Judenhass, auf lokaler und bundesweiter Ebene. Was erwartet der 72-jährige Gideon Osterer von den Europäischen Makkabi-Spielen?
QuellentextWir fühlen uns Deutsch
Ich war nicht dafür, dass sie in Deutschland stattfindet. Ich denke an meine älteren Makkabi-Kollegen aus anderen Ländern. Viele von ihnen können noch nicht verstehen, dass Juden in Deutschland überhaupt leben, geschweige denn so eine fröhliche Veranstaltung durchführen. Einige von ihnen werden deutschen Boden nicht betreten. Was mich letztendlich überzeugt hat, doch an die Spiele in Berlin zu glauben, ist die jüngere Generation. Ihr Motto ist: Wir glauben, dass Deutschland so weit ist. Wir fühlen uns sehr stark Deutsch.
Quelle: Gideon Osterer
Die junge Generation trifft sich im Juni 2015 in Berlin zu einer Pressekonferenz. Der Historische Saal der Jüdischen Gemeinde an der Oranienburger Straße ist gut gefüllt. Der Fußballkommentator Marcel Reif moderiert die Veranstaltung, er ist offizieller Botschafter der Spiele. Auch die ehemalige Leistungsschwimmerin Sarah Poewe ist gekommen. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen war sie die erste jüdische Sportlerin, die nach 1936 eine Medaille für Deutschland gewann. Nun übernimmt sie die Patenschaft für die Schwimm-Wettbewerbe. Beim Basketball steht der ehemalige deutsche Nationalspieler Pascal Roller Pate, beim Fußball der aktuelle deutsche Nationalspieler Jérôme Boateng. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ist Patin für das Dressurreiten.
In der ersten Reihe des Historischen Saales hat Oren Osterer Platz genommen. Der Sohn von Gideon Osterer ist 34 Jahre alt und leitet 2015 das Organisationsteam der Makkabi-Spiele. Osterer hatte es in der Vorbereitungszeit nicht leicht: Er und sein Team haben alle großen DAX-Unternehmen angeschrieben – bis auf Sachleistungen wollte kein Konzern als Sponsor für die Spiele einsteigen. Der promovierte Historiker erinnert an die letzten Europäischen Makkabi-Spiele 2011 in Wien:
QuellentextDie eigene Identität darstellen
Die Reaktionen auf die Eröffnungsfeier und gerade auf den Inhalt waren geteilt an einer Generationenlinie. Die ältere Generation fand das sehr gut: das erste Mal European Maccabi Games auf dem Boden des ehemaligen Dritten Reiches. Und die jüngere Generation fand das gar nicht so gut. Weil man sicher nicht nach Wien gekommen ist, und auch viele werden nicht nach Berlin kommen, um – ich sage es jetzt mal provokativ –, Holocaust-Gedenkspiele abzuhalten. Es geht darum, als junge Generation, die in Deutschland geboren ist, die eigene Existenz und die eigene Identität als deutsche Juden wieder darstellen zu können.
Quelle: Oren Osterer, leitet das Organisationsteam der Makkabi-Spiele 2015
Wer dem Kern der jüdischen Sportbewegung näher kommen möchte, sollte nach Israel reisen: Das Hauptquartier der Makkabi-Bewegung liegt in Ramat Gan, einem Bürokomplex in der Nähe von Tel Aviv. Im angrenzenden Sportmuseum sind Pokale ausgestellt, Urkunden, vergilbte Fotos. Auf einem Plakat reichen sich Motorradfahrer die Hände. Sie waren Anfang der dreißiger Jahre durch Europa gefahren und luden jüdische Sportler zur ersten Makkabiade ein. Die Organisatoren wollten ihren Anspruch auf Palästina zum Ausdruck bringen. Bei den zweiten Weltspielen 1935 waren auch 134 deutsche Athleten aktiv, gegen den Willen der Nazis. Viele kehrten nicht zurück – und überlebten den Holocaust.
Amir Peled im Sportmuseum Ramat Gan. (@ Ronny Blascjke)
In Ramat Gan ist der Unternehmer Amir Peled gut mit der Geschichte vertraut, er hat viele Aufgaben für Makkabi übernommen. Bei den letzten Weltspielen 2013 leitete er die Organisation. Er sagt im Interview: „Was mich bei Makkabi motiviert, ist der Glaube an Israel als das Zentrum des jüdischen Lebens. Eine Möglichkeit, um diese jüdische Identität weltweit zu pflegen, ist eine Art jüdisches Olympia. Die meisten Sportler, die an der Makkabiade teilnehmen, reisen zum ersten Mal nach Israel. 2013 haben immerhin zwanzig Delegationen ihre Premiere bei den Spielen gefeiert, zum Beispiel Kuba, Montenegro oder Slowenien. Wir haben dafür ein Programm aufgelegt, wir nennen es ,Die Suche nach den verlorenen Gemeinschaften’. Ich weiß, dass die jungen Sportler diese zwei Wochen in ihrem Leben nie vergessen werden.“
Für den Makkabi-Weltverband sind die Spiele noch immer ein zionistisches Ereignis, um die Verbindung von Juden aus der Diaspora mit Israel zu stärken. Heute sind laut dem Weltverband in 450 Vereinen weltweit mehr als 400.000 Mitglieder sportlich aktiv. Zu ihren sechzig Heimatländern auf fünf Kontinenten gehören Simbabwe, Taiwan oder die Marshallinseln. Bei den Weltspielen ist es Tradition, dass der israelische Premierminister oder der Staatspräsident während der Eröffnungsfeier zur jüdischen Einwanderung nach Israel aufruft. Amir Peled berichtet:
QuellentextBeziehung zu Israel stärken
Wir lassen tausende Touren in den Alltag der Sportler einfließen. Dazu gehören Besichtungen von Sehenswürdigkeiten oder Gedenkstätten. Unsere Gäste sollen die Kultur Israels kennenlernen, die Schönheit dieses Landes. Die Erfahrung früherer Spiele hat gezeigt, dass etwa fünf Prozent der Athleten später nach Israel einwandern. Sie nehmen zum Beispiel ein Studium auf. Es wäre schön, wenn es mehr wären. Aber wenn nicht, ist das auch nicht schlimm. Die Makkabiade ist keine Operation, um junge Juden nach Israel zu locken. Der Hauptgrund ist, ihre Beziehung zu Israel zu stärken. Und ihre Beziehungen zu jüdischen Menschen auf der ganzen Welt.
Quelle: Amir Pered
Die Nationalverbände von Makkabi haben ein unterschiedliches Selbstverständnis. Der US-amerikanische Verband appelliert auf seiner Internetseite an seine Mitglieder, sich als „starke und stolze Juden“ zu zeigen. Man solle „die Herzen der jüngeren Generation für das Wunder Israel öffnen“. Der deutsche Verband formuliert es anders. Die Organisatoren der Europäischen Spiele würden die Wettbewerbe gern auch für Sportler nichtjüdischen Glaubens öffnen, um noch stärker auf die deutsche Gesellschaft ausstrahlen zu können, doch das untersagt der Europäische Makkabi-Verband. Stattdessen wird es in Berlin viele Möglichkeiten der Begegnung geben: Die Makkabi-Fußballer spielen in einem Freundschaftsspiel gegen eine Auswahl ehemaliger Nationalspieler, die Basketballer treffen auf Alba Berlin. Von den 15 Mitarbeitern im Organisationsteam sind drei jüdischen Glaubens.
Mit der Gedenktafel an der „Tausend-Freunde-Mauer“, die an die verfolgten und ermordeten jüdischen S04-Vereinsmitglieder erinnert, setzt der FC Schalke 04 ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. (@picture allianc /augenklick/firo Sportphoto)
„Wir wollen uns öffnen“, diesen Satz hört man von jüdischen Gemeindemitgliedern und Sportlern immer wieder. Auch in der Neuen Synagoge im Zentrum von Gelsenkirchen, einem beeindruckenden Bau mit klaren Formen. Die Fensterfront ist breit, der Innenhof hell. Im Betraum gibt Judith Neuwald-Tasbach Führungen, sie ist die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. An diesem Nachmittag haben zwanzig Mitarbeiter des FC Schalke 04 Platz genommen. In der Nacht, als das deutsche Fußball-Nationalteam 2014 Weltmeister wurde, warfen Vermummte die Scheiben der Synagoge mit einem Gullideckel ein. Zudem gab es Drohungen im Internet. Peter Peters, Geschäftsführer des FC Schalke, sicherte Unterstützung zu. Der Klub übernahm die Kosten der neuen Fenster.
Auch in der Gedenkkultur und Prävention gegen Antisemitismus verbinden der Bundesligist und die Jüdische Gemeinde eine intensive Zusammenarbeit. Regelmäßig kommen Schulklassen oder Jugendgruppen in die Synagoge. Judith Neuwald-Tasbach spricht dann auch über Fußball, sie war schon als Kind ins Stadion von Schalke gegangen: „Ich versuche im Gespräch mit jungen Leuten immer wieder Verbindungen zur Gegenwart herzustellen: Julian Draxler ist heute ein toller, junger Spieler bei Schalke. Im Dritten Reich gab es auch tolle, junge Spieler, zum Beispiel Arthur Herz. Eines Tages durfte er nicht mehr mitspielen. Man sollte sich heute mal vorstellen, was passiert, wenn man Julian Draxler aus der Mannschaft entfernt, nur weil er dunkle Haare hat.“
Gelsenkirchen hat etwa 260.000 Einwohner. Die Jüdische Gemeinde ist klein, sie zählt 400 Mitglieder, neunzig Prozent von ihnen stammen aus Osteuropa. Ihr Durchschnittsalter liegt bei 56 Jahren, berichtet Judith Neuwald-Tasbach. Sie hat viele Partner aus Politik und Kultur gewonnen. Die Gemeinde organisiert Ausstellungen, Tanzveranstaltungen, Hebräisch-Kurse, in ihrem Umfeld haben sich Theater- und Musik-Gruppen organisiert. Mehr als 50000 Menschen besuchten die Neue Synagoge seit ihrer Eröffnung 2007. Gemeinsam mit dem FC Schalke hat Judith Neuwald-Tasbach mehrere Veranstaltungen organisiert, sagt sie, der Sport sei dabei wichtig, um junge Menschen zu erreichen:
QuellentextVorurteile und Vorbehalte abbauen
Sport kann wesentlich dazu beitragen, um Vorurteile und Vorbehalte abzubauen, die aus Unkenntnis entstanden sind. Es war für uns eine große Umstellung, so viele Besucher zu haben und so viele Aktivitäten zu planen. Lange war unsere Gemeinde ganz ruhig, wie viele andere Gemeinden in Deutschland. Wir wurden kaum beachtet von der Öffentlichkeit. Aber wir möchten dazu beitragen, dass es in dieser Stadt ein gutes Zusammenleben gibt.
Quelle: Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen
Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland gilt als die am schnellsten wachsende weltweit, auch wenn die Zuwanderung stark zurückgegangen ist. Etwa 200000 Juden leben in Deutschland. Die Hälfte ist laut dem Zentralrat der Juden in 108 jüdischen Gemeinden organisiert. Bundesjustizminister Heiko Maas kommentierte das in der Bundespressekonferenz Mitte Juli so: „Die Zuwachsraten in den letzten Jahren sind kontinuierlich. Dass in Deutschland jüdischen Leben wächst, empfinden wir als eine Art unverdientes Geschenk. Und dass die Makkabi-Games hier eine neue Facette aufmachen, ist außerordentlich positiv.“
Die großen Gemeinden in Berlin, Frankfurt oder München arbeiten schon lange intensiv mit den Sportvereinen und -Verbänden zusammen. Bei den kleineren Gemeinden ist das noch nicht so, es fehlen finanzielle Mittel, Räume und Netzwerke. Gelsenkirchen bildet da eine Ausnahme. Judith Neuwald-Tasbach hofft, dass die Europäischen Makkabi-Spiele daran etwas ändern werden: „Ich bin die Tochter von Holocaust-Überlebenden. Diese Spiele auf dem Olympia-Gelände sind ein später Triumph über Hitler. Hier in Deutschland sind wir eine Minderheit. Aber wenn so viele jüdische Menschen zusammen kommen, ist das ein sehr schönes Gefühl.“
Die Organisatoren betonen: Die Europäischen Makkabi-Spiele haben für den deutschen Sport eine historische Bedeutung. Jüdische Sportler aus ganz Europa möchten sich in Wettbewerben messen, sie wünschen sich Normalität. Dass nun ausgerechnet der Berliner Olympiapark Schauplatz dieser Normalität ist, gilt Mitstreitern der Spiele als wichtigstes Zeichen, nach innen und außen. Die Hockeyspielerin Debora Rosenthal aus Berlin fasst es so zusammen: „Durch Sport können wir zeigen, wie selbstverständlich jüdisches Leben in Deutschland 2015 ist. Dass auf dem Berliner Olympia-Gelände ein fröhliches Sportfest für Juden aus ganz Europa stattfindet, ist ein schönes Zeichen: Niemand muss hier mehr Angst haben.“ Klaus Böger, der Präsident des Landessportbundes Berlin, geht in der Bundespressekonferenz Mitte Juli einen Schritt weiter: „Aus sportlicher Sicht mag das Champions-League-Finale dieses Jahr für Berlin wichtiger gewesen sein, aber gesellschaftspolitisch sind die Makkabi-Spiele noch wichtiger.“
Literatur
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Niewerth, Toni; Jurek, Tomasz; Mattausch, Wolf-Dieter (Red.) (2010): Jüdischer Sport und Jüdische Gesellschaft. Jewish Sport and Jewish Community, Berlin.
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Streppelhoff, Robin (2015): Makkabi Chai. Der jüdische Sport in Deutschland nach 1945, in: DOSB-Presse am 26. Mai 2015, Frankfurt.
Wahlig, Henry (2015): Sport im Abseits. Die Geschichte der jüdischen Sportbewegung im nationalsozialistischen Deutschland, 2015.
Makkabi-Archiv und Sportmuseum in Ramat Gan (The Joseph Yekutieli Maccabi Sport Archive)
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Ronny Blaschke.
Der Journalist und Autor Ronny Blaschke (Jahrgang 1981) lebt und arbeitet in Berlin. Er schreibt vor allem über die politischen Hintergründe des Sports. Er hat schon viele Texte zum Thema Rechtsextremismus und Fußball veröffentlicht, darunter die Bücher "Angriff von Rechtsaußen. Wie Neonazis den Fußball missbrauchen" und "Im Schatten des Spiels". Rassismus und Randale im Fußball.