Die zweite Generation der RAF (1975-1981)
Mit ihrer "Offensive '77" brachte die zweite RAF-Generation eine neue Qualität des Terrorismus nach Deutschland. Die Ermordung "Unbeteiligter" nahm sie billigend in Kauf.Bereits ab Mitte 1973 hatte sich um Helmut Pohl und Margrit Schiller eine neue RAF-Gruppe gebildet, die allerdings schon am 4. Februar 1974 zerschlagen wurde (Verhaftung von Christa Eckes, Helmut Pohl, Ilse Stachowiak, Eberhard Becker, Wolfgang Beer und Margrit Schiller) – und seither als Gruppe 4. 2. bezeichnet wird. Interessant ist, dass die Gruppe 4. 2. offenbar in Rotterdam mit Palästinensern der Fatah die Entführung eines israelischen Flugzeugs geplant hatte, um inhaftierte Genossen freizupressen.
Aufgrund des Oktober-Krieges im Nahen Osten wurde die Aktion jedoch abgesagt. Die Pläne zeigen, dass schon kurz nach der Verhaftungswelle 1972 eine stärkere operative Zusammenarbeit zwischen RAF und palästinensischen Gruppen vereinbart und eine strategische Umorientierung auf das Ziel der Gefangenenbefreiung vorgenommen wurde. Man könnte die Gruppe 4. 2. deshalb bereits zur zweiten Generation der RAF zählen, die den Kampf gegen den Staat dramatisch verschärfte.
Mit der Besetzung der deutschen Botschaft in Stockholm im April 1975 begann eine neue Qualität des Terrorismus in Deutschland, insofern rücksichtsloser, brutaler und internationaler vorgegangen wurde als je zuvor. Gleichzeitig verübte die RAF gezielte Mordanschläge gegen führende Persönlichkeiten in Staat und Wirtschaft, so gegen Generalbundesanwalt Siegfried Buback (7. April 1977) und den Vorstandsvorsitzenden der Dresdner Bank Jürgen Ponto (30. Juli 1977). Als am 5. September 1977 Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer mit dem Ziel entführt wurde, die Inhaftierten in Stammheim freizupressen und am 13. Oktober palästinensische Terroristen zur Unterstützung die Lufthansa-Maschine "Landshut" entführten, eskalierte die Situation. Der Verlauf der Ereignisse ist vielfach geschildert worden:

Die Ereignisse des Deutschen Herbst kosteten die RAF einen Großteil noch vorhandener Sympathien in der linken Unterstützerszene. Für die RAF folgte eine längere Zeit, um die Folgen dieser Niederlage zu verkraften und einen strategischen Neuanfang zu beginnen. Banküberfälle im Frühjahr 1979 deuteten neue Aktivitäten an, die am 25. Juni 1979 in einen Anschlag auf den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig mündeten, der dem Attentat aber knapp entkam. Am 31. August 1981 folgte ein Bombenanschlag auf den Stützpunkt der amerikanischen Luftstreitkräfte in Ramstein und am 15. September ein Raketenanschlag auf US-General Frederick Kroesen, der sein Ziel nur knapp verfehlte.
Programmatik: Haftbedingungen und Gefangenenbefreiung
Bei der zweiten Generation der RAF fällt zunächst auf, dass sie die Programmatik der RAF nicht weiterentwickelte. Solange die intellektuellen Wortführer der Bewegung, Baader, Ensslin und Meinhof, am Leben waren, bestimmten sie den Kurs der RAF und beteiligten sich aus dem Gefängnis heraus an der politischen Diskussion. Die wichtigsten Papiere der RAF waren in dieser Zeit die "Erklärung zur Sache" der Stammheimer Gefangenen vom 13. Januar 1976 und ihre diversen Erklärungen zu ihren Hungerstreiks. Der RAF gelang dadurch zwar die Mobilisierung einer breiten Öffentlichkeit, die sich zunehmend gegen die scharfen Haftbedingungen wandte, vernachlässigte darüber aber die internationalen Belange, für die sie ursprünglich angetreten war.Auch nach den Selbstmorden von Stammheim verfasste die zweite Generation keine eigenen Strategiepapiere, sondern begnügte sich mit relativ kurzen Bekennerschreiben, in denen sie ihre Anschläge mit dürrer Phraseologie in den weltgeschichtlichen Zusammenhang stellte. In einer Erklärung zum Anschlag auf General Kroesen in Heidelberg hieß es zum Beispiel: "Der Kampf in der Metropole jetzt sind die realen Schritte der Revolution im Zentrum selbst, die hier nur eine permanente Umwälzung im Prozeß der Entwicklung des revolutionären Widerstands sein kann."
In dem Maße, in dem sich das Ziel von der Herstellung revolutionärer Verhältnisse zur Befreiung der inhaftierten Genossen verschob, verlor die RAF das internationalistische Selbstbewusstsein der ersten Generation, Teil eines weltweiten Klassenkampfes zu sein. Die RAF wurde zunehmend selbstreferentiell. Erst nach dem Scheitern der "big Raushole" und dem Tod der Insassen von Stammheim kehrte die RAF langsam zu einer internationalistischen Programmatik zurück.