Hinter den Kulissen des X. Festivals
Maßnahmen der Nachrichtendienste
Die Festivalveranstalter sorgten nicht nur für eine theoretische Vorbereitung der jungen DDR-Bürger auf den Kontakt mit der westdeutschen Delegation, sie bereiteten auch praktische Maßnahmen vor, um "kritische Situationen", welche medienwirksam für die westlichen Journalisten sein konnten, gar nicht erst entstehen zu lassen. [16]Das MfS verhinderte bis zum 28. Juni 1973 die Reise von 2 720 sogenannter "negativer Personen" nach Ost-Berlin. Gegen 2 073 Personen wurde Haftbefehl erlassen, insgesamt 800 Menschen mussten die "Hauptstadt der DDR" verlassen oder hatten eine Aufenthaltsbeschränkung erhalten. [17]
Die Behörde Erich Mielkes nahm während der als Aktion "Banner" bezeichneten, nachrichtendienstlichen Festivalarbeit entscheidenden Einfluss auf die Kandidatenauswahl. Personen, die nach Ansicht der Staatsschützer nicht Gewähr dafür boten, die Republik "würdig" zu vertreten, wurden abgelehnt. Zu den Gründen für eine Absage gehörten kriminelle Delikte, "mangelnde politische Zuverlässigkeit", "dekadentes Auftreten" und "unmoralisches oder rowdyhaftes Verhalten". [18]
Zur "Sicherstellung" der Überlegenheit der ostdeutschen Jugendlichen bei kontroversen Diskussionen wurden als FDJler verkleidete Mitarbeiter des MfS eingeschleust, die bei kritischen Situationen "konsequent" die Politik der Partei und der Regierung der DDR zu vertreten hatten. [19] Sie sollten gefährliche Flugblätter einsammeln, dokumentieren und regelmäßig detaillierte Berichte über ihre Arbeit abliefern.
Die Veranstalter vetraten die Einschätzung, dass die vermeintlich von dem SPD-Parteivorstand gelenkten "sozialdemokratischen Kräfte" die westdeutsche Festivaldelegation in den Griff bekommen wollten und sie im Sinne ihrer sozialdemokratischen Politik zum Nachteil der "marxistisch-leninistischen Kräfte" in der Bundesrepublik zu instrumentalisieren beabsichtigten. [20] Daraus wurde eine andere praktische Maßnahme abgeleitet. Ungefähr 400 politisch erfahrene Funktionäre der SDAJ, des MSB Spartakus und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) bekamen eine gesonderte Einladung zur Teilnahme an den Festspielen in einer so genannten "Touristendelegation", die nicht zur westdeutschen Delegation gehörte. [21] Sie waren als "politische Reserve" [22] gedacht und sollten in "notwendigen Situationen" als "natürliches Gegengewicht" zu Jugendgruppen aus West-Berlin und der Bundesrepublik zum Einsatz gebracht werden. [23]