Stille Helden
Auch während der Zeit des Nationalsozialismus gab es Handlungsalternativen. Sie waren zwar riskant, verlangten aber nicht von vornherein todesbereiten Widerstand. Welche Möglichkeiten hatten Helfer und Verfolgte der NS-Dikatur?
Einleitung
Erst in den vergangenen Jahren ist das öffentliche Interesse an Lebensgeschichten von Menschen gewachsen, die während der nationalsozialistischen Diktatur verfolgten Juden halfen. Auch die wissenschaftliche Erforschung dieses Themas begann spät: Zwischen 1997 und 2002 gab es am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin ein Forschungsprojekt zur "Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933 - 1945".[1] Kurz darauf setzte um den Freiburger Militärhistoriker Wolfram Wette die Erforschung einzelner Rettungsaktionen von Wehrmachtsangehörigen und anderen Deutschen in den besetzten Ländern ein.Die Frage nach der Rettung ist untrennbar mit der Dimension der Vernichtung verbunden. Um das Phänomen von Hilfe und Rettung in seiner historischen Bedeutung rekonstruieren zu können, bedurfte es der Holocaustforschung, die erst in den 1980er Jahren zu einer historischen Teildisziplin wurde. Erst die Forschung der vergangenen Jahre vermittelt ein vollständigeres Bild von den Deportationen aus Deutschland,[2] eine deutlichere Vorstellung von der Wahrnehmung der Deportationen in der deutschen Bevölkerung und ihren Reaktionen, vom Wissen über den Genozid. Diese Bereiche der NS- und Holocaustforschung stehen in engem Zusammenhang mit der Frage, ob und wie sich die Gruppe der Helfer von der Bevölkerungsmehrheit unterschied und was die spezifische Qualität ihres Handelns ausmacht.
Die Forschung über die Rettung von Juden kann sich nicht auf das Verhalten der deutschen Bevölkerung bzw. der Gruppe der Helfer beschränken, sondern muss die Deutung des Geschehens durch die Betroffenen einbeziehen. Die 164 000 als Juden Verfolgten, die Anfang Oktober 1941 noch in Deutschland lebten, waren eine isolierte und statistisch gesehen verarmte und überalterte Gruppe; ein großer Teil stand im Zwangsarbeitseinsatz.[3] Als am 15. Oktober 1941 die "Evakuierungen" begannen, waren deren tödliche Folgen für die Betroffenen nicht absehbar. Dass sich viele schon im Herbst und Winter 1941 verzweifelt bemühten, der Deportation zu entkommen, zeigen zahlreiche Versuche, über bezahlte "Mittler" die Zurückstellung von der "Evakuierung" zu erreichen.[4] Im Folgenden wird die Darstellung der Hilfeleistungen für Juden auf den Zeitraum vom Oktober 1941 bis 1945 fokussiert.