Gerettet aber einsam - Elizabeth Melamid

Elizabeth Melamids Vater, Julius Jonas wird 1874 in Itzehoe geboren und lebt seit 1898 in Hamburg-Altona. Er hat ein Jurastudium abgeschlossen und erhält 1902 seine Zulassung beim Amts- und Landgericht in Altona. Zudem arbeitet er als Notar, gründet eine eigene Kanzlei und ist ehrenamtlicher Vorstand der deutschen Anwaltskammer. Als er 1920 die 1895 in Hamburg geborene Julie Oppenheimer heiratet, hat er bereits drei Kinder aus erster Ehe: Annemarie (geb. 1909), Walter (geb. 1910) und Jens Peter (geb. 1914). Zu diesen gesellen sich kurz darauf zwei weitere Töchter: Elisabeth (geb. 1921) und Margarethe (geb. 1922).

Zwischenzeitlich sind bereits seine beiden Söhne emigriert: Walter lebt seit 1933 in Großbritannien und Jens Peter hat sich 1934 entschlossen, in ein Kibbuz nach Palästina zu gehen. Doch die Töchter befinden sich noch in Deutschland, was Julius und Julie Jonas mit wachsender Sorge erfüllt. Annemarie hat geheiratet und ist nach Berlin gezogen. Die beiden Jüngsten haben zwar ihre Ausbildung am Bertha-Lyzeum in Othmarschen begonnen, aber wegen der zunehmenden Anfeindungen die Schule verlassen müssen. Elisabeth besucht daraufhin eine private Oberrealschule am Mittelweg in Hamburg und eine höhere Handelsschule in der Schweiz. Die voranschreitende Entrechtung von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus verhindert jedoch Elisabeths ursprüngliches Ziel, an der Hamburger Universität Medizin zu studieren, so dass sie stattdessen am Schwedischen Institut für Heilgymnastik in Hamburg eine Ausbildung beginnt. Im November 1938 erhält sie die Ausreisegenehmigung, um Deutschland mit dem vom Jüdischen Hilfsverein organisierten "Kindertransport" nach London zu verlassen. Am 1. Dezember 1938 folgt ihre Schwester Margarethe. Auch Annemarie gelingt es, mit ihrem Mann und ihrem Kind nach Peru auszuwandern.
Postkarten von Julie und Julius Jonas an ihre Töchter Elisabeth und Margarethe in England
Das Ehepaar Jonas bemüht sich ebenfalls um die Auswanderung und leitet alle notwendigen Schritte ein. Sie haben bereits die "Judenabgabe" und "Reichsfluchtsteuer" gezahlt, die "Unbedenklichkeitsbescheinigung" erhalten und ihre Besitztümer aufgelöst. Als letztes steht der Verkauf des Hauses in der Walderseestraße 48 an, das Julius Jonas 1912 hatte errichten lassen und seither mit seiner Familie bewohnt hatte. Am Tag vor der Beurkundung des Hausverkaufs begeht das Ehepaar gemeinsam Selbstmord. Julius Jonas stirbt bereits am Abend nach der Einnahme des Schlafmittels am 4. März 1939, Julie Jonas am 6. März 1939. Laut Zeugenaussagen hatten sie sich die Tabletten "aufgespart" und im Nachtschrank aufbewahrt. Ihren Abschiedsbrief an Elisabeth und Margarethe beginnen sie erneut mit den Worten: "Meine geliebten geliebten Kinder".[1]
Bis es ihnen verboten wurde, nichtjüdische Angestellte zu beschäftigen, hatte Elli Junge (geb. Sewalski) dem Ehepaar Jonas als Kindermädchen, Haushälterin und Stütze zur Seite gestanden. Sie ist es nun, die ihren ehemaligen Schützlingen in England die Nachricht vom Tod ihrer Eltern überbringt. Elisabeth wandert später in die USA aus, wo sie George Melamid heiratet und zwei Töchter bekommt. Sie stirbt im August 2015.
Historischer Hintergrund: Der Kindertransport


Der Überfall auf Polen am 1. September 1939 markiert den Beginn des Zweiten Weltkriegs und beendet den "Kindertransport". Deutsche in Großbritannien werden nunmehr zu "enemy aliens" erklärt und in Internierungslager gebracht. Diese Maßnahme betrifft 1940 auch knapp 1.000 Heranwachsende, die mit dem "Kindertransport" ins Land kommen und zwischenzeitlich volljährig werden. Sie werden ebenfalls in Lagern auf der Isle of Man, in Kanada oder Australien inhaftiert. Trotz ihrer Kategorisierung als "enemy aliens" wird ihnen jedoch angeboten, den britischen Streitkräften beizutreten. Viele ergreifen diese Chance, gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Einige Dutzend werden auf Grund ihrer Sprachkenntnisse den "Special Forces" zugeteilt und dienen auch nach 1945 bei den alliierten Streitkräften.
Aktuellen Schätzungen zufolge werden während des Holocaust ungefähr 1,5 Millionen jüdische Kinder ermordet. Mehrere Tausend Kinder verdanken ihr Leben einzig und allein dem "Kindertransport". Die Ausreise bewahrt die Kinder zwar vor der nationalsozialistischen Verfolgung, aber oftmals müssen die Geretteten nach Kriegsende feststellen, dass sie die einzigen Überlebenden ihrer Familien sind. Die eilig und unter Tränen geschriebenen Notizen vor der Abreise oder die in England per Post erhaltenen Briefe und Postkarten sind somit die letzten Lebenszeichen ihrer Liebsten.