Sichere Einreise: Deutschlands Aufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge 2013-2015 und ihre Folgen für Asylpolitik und Flüchtlingszuwanderung
Die meisten Menschen, die derzeit in Deutschland Schutz suchen, fliehen vor dem syrischen Bürgerkrieg. Die Lage in Syrien ist verheerend. Ein Großteil der Syrer, die seit Beginn des Krieges 2011 aus ihrem Heimatland geflohen sind, hat Zuflucht in den Nachbarländern gesucht. Im Februar 2016 beherbergten jene 4,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Um diese Staaten zu entlasten, hat die Bundesregierung bereits 2013 und 2014 Programme zur temporären humanitären Aufnahme syrischer Schutzbedürftiger eingerichtet. Wie sehen die Programme aus und welche Auswirkungen haben sie auf die Asylpolitik in und die Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland?
Die Aufnahmeprogramme
Die Bundesregierung kann ergänzend zum regulären Asylverfahren entscheiden, bestimmten Ausländergruppen gemäß § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz Schutz zu gewähren. Auf dieser Grundlage ordnete sie 2013/14 die "vorübergehende Aufnahme von Schutzbedürftigen aus Syrien" an.[1] Die drei Aufnahmeanordnungen legten jeweils einen Aufnahmezeitraum und eine Höchstzahl an aufzunehmenden Personen fest:- Erste Aufnahmeanordnung, 30.05.2013: 5.000 syrische Flüchtlinge im Jahr 2013
- Zweite Aufnahmeanordnung, 23.12.2013: 5.000 syrische Flüchtlinge in den Jahren 2013-2014
- Dritte Aufnahmeanordnung, 18.07.2014: 10.000 syrische Flüchtlinge in den Jahren 2014-2015
Die Programme sollten eine sichere und legale Einreise nach Deutschland ermöglichen. Flüchtlinge wurden dabei auf der Basis verschiedener Kriterien (siehe unten) für die Aufnahme ausgewählt. In den Bundesprogrammen traf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Aufnahmeentscheidung, im Falle der Länderprogramme waren es die jeweiligen kommunalen Ausländerbehörden. Danach musste ein Visumverfahren samt Sicherheitsprüfung durchlaufen werden, wobei jedoch von der Passpflicht abgesehen und auch andere Dokumente als Identitätsnachweise akzeptiert werden konnten.
Im Rahmen der ersten Aufnahmeanordnung des Bundes konnten Syrer aufgenommen werden, die mindestens einen der folgenden Punkte erfüllten:
- Humanitäre Kriterien (besonderer Schutzbedarf, z.B. Kinder, Kranke, Frauen in prekären Lebenssituationen, spezifisch religiös Verfolgte);
- Bezüge zu Deutschland (familiäre Bindungen, Voraufenthalte, Sprachkenntnisse, aufnahmebereite Institutionen syrischer religiöser Minderheiten);
- Fähigkeit, nach Konfliktende einen besonderen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes zu leisten (Möglichkeit, vorhandene Qualifikationen in Deutschland zu erhalten und auszubauen).
Auch die zweite und dritte Aufnahmeanordnung des Bundes betonten familiäre Bindungen stärker und bevorzugten Personen, für die eine Verpflichtungserklärung abgegeben wurde. Zusätzlich wurde die Reihenfolge der aus der ersten Aufnahmeanordnung bekannten Kriterien (siehe oben) geändert. Die Bezüge zu Deutschland rückten in der Prioritätenliste nunmehr vor die humanitären Kriterien.
Insgesamt wurden im Rahmen der Aufnahmeprogramme im Zeitraum von Mitte 2013 bis Mitte 2015 etwa 35.000 Visa erteilt; nachweislich etwas mehr als 26.000 Schutzsuchende reisten tatsächlich nach Deutschland ein.[2] Sie erhielten in der Regel eine zunächst auf zwei Jahre befristete und im Anschluss verlängerbare Aufenthaltserlaubnis, waren zur Ausübung einer Arbeit berechtigt und hatten im Rahmen der Bundesprogramme vollen bzw. in den Länderprogrammen eingeschränkten Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen.
Auswirkungen auf Asylpolitik und Flüchtlingszuwanderung
Die humanitären Aufnahmeprogramme reihen sich in einen vor allem im globalen Norden beobachtbaren Trend flüchtlingspolitischer Maßnahmen ein, die "mehr Labels aber weniger Flüchtlinge" schaffen.[3] Geflüchtete erhalten zwar Schutz; kritisch aber ist, dass schutzbedürftige Syrer, die über die humanitären Programme in Deutschland aufgenommen wurden, gegenüber nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Flüchtlingen rechtlich schlechter gestellt sind: Sie erhalten weder erhöhten Abschiebeschutz, erleichterten Familiennachzug, noch Anspruch auf unbefristeten Aufenthalt nach drei Jahren.Ihre Aufnahme erfolgt nur temporär. Dies ermöglicht es dem deutschen Staat, über die Programme aufgenommene Syrer nach Ende des syrischen Bürgerkriegs – welches im Frühjahr 2016 allerdings noch in weiter Ferne zu liegen scheint – zügig in ihr Herkunftsland zurückzuführen.
Für die aufgenommenen Geflüchteten bedeutet es aber, mit der Unsicherheit eines befristeten Aufenthaltstitels konfrontiert zu sein, was ihre Zukunftsplanung und das Einleben im Aufnahmeland erschwert. Das Festhalten an temporären Lösungen erschwert die Entwicklung nachhaltiger Maßnahmen, die den langfristigen und ggf. dauerhaften Aufenthalt der Geflüchteten berücksichtigen. Jene schließen Initiativen zur gesellschaftlichen Integration, zum Ausbau der Infrastruktur (z.B. Schulen, Krankenhäuser) und zur politischen Partizipation ein.
Trotz der Kritik an der temporären Aufnahme und rechtlichen Schlechterstellung gegenüber nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Flüchtlingen, wurden die humanitären Aufnahmeprogramme des Bundes und der Länder unter anderem vom UN-Flüchtlingshilfswerk, aber auch von Wissenschaftlern gelobt und als Vorbild genannt, da sie vielen Flüchtlingen einen legalen Einreiseweg nach Deutschland ermöglichten sowie in ihrem Fokus auf familiäre Beziehungen die Nutzung bestehender Migrationsnetzwerke explizit berücksichtigten. Bereits vor Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges lebte die europaweit größte syrische Diaspora-Gemeinschaft in Deutschland.[4] So bot sich die Möglichkeit, über die Programme zu nahen Verwandten zu ziehen, die bei Ankunft und Orientierung im Aufnahmeland Unterstützung bieten konnten. Allerdings wirkten die Programme auch selektiv, da vor allem Schutzsuchende, die entsprechende Kontakte zu Deutschland hatten, von einer Aufnahme profitierten. Zudem stellten die Verpflichtungserklärungen eine erhebliche finanzielle Hürde dar, was dazu führte, dass sich viele den Schutz nicht leisten konnten.
Auch nach Beendigung der Programme setzt sich der Netzwerkeffekt weiter fort: Gerade weil in Deutschland immer mehr Syrer leben, kommen syrische Schutzsuchende in die Bundesrepublik um hier – und nicht etwa in einem anderen europäischen Land – einen Asylantrag zu stellen. Im Jahr 2015 waren dies rund 428.500 Syrer. Die meisten von ihnen konnten dabei aber nicht auf eine sichere und legale Möglichkeit der Einreise zurückgreifen.