Zurück auf Los!? – Abschiebungen als Teil der europäischen Migrationskontrollpolitik in Afrika
Deutschland und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union schieben abgelehnte AsylbewerberInnen verstärkt in ihre Herkunftsländer ab. Auf Druck der EU tun Drittstaaten dies ebenfalls. Für den afrikanischen Kontinent bedeutet das einen starken Anstieg innerafrikanischer Abschiebungen aus den Transitländern des Maghreb.
Höhere Abschiebezahlen als politische Maßnahme
Das Thema Abschiebungen hat in Deutschland seit der sogenannten "Flüchtlingskrise" stark an Bedeutung gewonnen. Von staatlicher Seite wurden die erzwungenen Rückführungen von MigrantInnen ohne Aufenthaltserlaubnis und abgelehnten AsylbewerberInnen in die Herkunftsländer lange Zeit eher im Verborgenen gehalten: Staatliche Akteure sprachen in Medien und Öffentlichkeit selten über diesen, als notwendig betrachteten, administrativen Akt. Dies sollte unter anderem substanzielle zivilgesellschaftliche Proteste vermeiden, die sich regelmäßig am Thema Abschiebung entzünden. Neuerdings werden Abschiebungen allerdings zunehmend als erfolgreiche Strategie deklariert, um Handlungsfähigkeit im Blick auf den Aufenthalt unerwünschter MigrantInnen zu demonstrieren und die Grenzen von Nationalstaat und Europäischer Union zu kontrollieren – nicht zuletzt als eine Sicherheitsstrategie im Namen der Terrorismusbekämpfung. So sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn 2017 von einer "nationalen Kraftanstrengung" für die Durchsetzung von Abschiebungen, denn "wer kein Aufenthaltsrecht hat, muss zurückgeführt werden".[1] Ebenso verteidigt Bundesinnenminister Thomas De Maizière die Abschiebung afghanischer "Straftäter, Gefährder und hartnäckige[r] Mitwirkungsverweigerer" immer wieder gegen harsche Kritik, die aufgrund der angespannten Sicherheitslage in Afghanistan an solchen Abschiebungen geübt wird.[2]Abschiebungen manifestieren dominante Vorstellungen von Souveränität und Staatsbürgerschaft.[3] Deutschland steht dabei nicht allein. Seit 2001 hat sich die Zahl der Abschiebungen aus vielen (westlichen) Industrienationen im Vergleich zu den 1990er Jahren zeitweise mehr als verdoppelt.[4] Ein Beispiel sind die USA, wo unter der Obama-Administration in den Jahren 2012 und 2013 416.324 bzw. 434.015 Menschen zwangsweise zurückgeführt wurden. 2001 waren es lediglich 189.026 gewesen, Anfang der 1990er Jahre 33.189. In Deutschland verfünffachte sich die Zahl der Rückführungen zwischen 2008 (14.295) und 2016 (75.815); dies hat neben der Verschärfung der Abschiebungspolitik auch damit zu tun, dass 2016 deutlich mehr Asylbewerber nach Deutschland kamen (und damit auch abgelehnt werden konnten) als 2008.[5]
Diese Entwicklung wird in der Wissenschaft als "Deportation Turn"[6] bezeichnet. Der Begriff "Deportation Gap" verweist wiederum auf die Diskrepanz zwischen der Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer und der Zahl der tatsächlich Abgeschobenen, v.a. in Deutschland und der EU. Diese Abweichung kommt u.a. dadurch zustande, dass aufgrund administrativer Hürden und Unregelmäßigkeiten im Asylverfahren sowie häufig wegen anhaltender gewaltsamer Konflikte in den Herkunftsländern viele Menschen faktisch nicht abgeschoben werden können.[7] Zu den administrativen Hürden zählen z.B. fehlende Papiere, die Nicht-Existenz von Rückübernahmeabkommen oder spezifischen Migrationsvereinbarungen mit dem betreffenden Herkunftsland, die Weigerung des Herkunftslandes, bestimmte Staatsbürger wieder aufzunehmen, sowie eine fehlende Abschiebeerlaubnis wegen Krankheit, psychischer Probleme oder Bedrohung im Herkunftsland. Verfahrensunregelmäßigkeiten führen beispielsweise dazu, dass die Rechtmäßigkeit der Asylablehnung häufig von den Ausreisepflichtigen oder zivilgesellschaftlichen Unterstützergruppen vor Gericht angefochten wird. Trotzdem verließen im Jahr 2017 mehr abgelehnte AsylbewerberInnen Deutschland, als in derselben Zeit ausreisepflichtig geworden sind, womit sich eine Kritik am "Vollzugsdefizit" aktuell als unbegründet erweist.[8]
Innerafrikanische Abschiebungen als Teil von EU-Externalisierungsbestrebungen
Bereits seit Beginn der 2000er Jahre sind Abschiebungen in die Türkei, die Länder des Balkans und Zentralasiens sowie Nord- und zunehmend Sub-Sahara-Afrikas grundlegendes Element der Externalisierung von Migrations- und Grenzkontrollen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Drittstaaten werden dabei aufgefordert, Menschen, die unter dem Verdacht stehen, nach Europa migrieren zu wollen, zu identifizieren und ggf. wieder in ihre Herkunfts- oder Transitländer zurück zu schicken. Für den afrikanischen Kontinent bedeutete das einen starken Anstieg innerafrikanischer Abschiebungen aus den Transitländern des Maghreb (v.a. Marokko, Algerien, Libyen sowie Mauretanien). Diese erfolgen zumeist im Rahmen eines bi- oder multilateralen Abkommens mit der EU und/oder ihren Mitgliedstaaten. Diese Abkommen knüpfen, vereinfacht gesagt, die Zahlung von Entwicklungsgeldern an die Bedingung, dass die Vertragsstaaten irreguläre Migration in Richtung Europa verhindern, u.a. durch Rückübernahme unerwünschter MigrantInnen und Geflüchteter der eigenen Staatsangehörigkeit; unter bestimmten Bedingungen auch von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen.[9]”
Zu Europäischen Migrations- und Rücküberahmevereinbarungen
Neue "Migrations-Partnerschaften"[4] insbesondere mit den Prioritätsländern Niger, Mali, Nigeria, Senegal und Äthiopien sollen Migration noch effektiver steuern; parallel betrifft das Nordafrika, v.a. Libyen, sowie Asien. Konkret bedeutet das v.a. die Zusammenarbeit im Grenzschutz, den Kampf gegen Menschenhandel und -schmuggel sowie im Rahmen der Rückkehr und Wideraufnahme irregulärer MigrantInnen eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.
In Bezug auf Rückübernahmeabkommen verfolgen die EU und ihre Mitgliedstaaten dabei einen zunehmend flexiblen Ansatz unterschiedlicher Rahmenverträge und Absichtserklärungen. Diese fordern weniger Verbindlichkeit von Kooperationspartnern und werden so den vielseitigen Interessen (auch in Bezug auf Widersprüche zwischen den Hoheitsrechten der EU sowie einzelner Mitgliedstaaten) gerecht. Gegebenenfalls sind sie leichter umzusetzen als formelle Abkommen.[5] Abgesehen davon geht es bei Rückübernahmeabkommen häufig um Verhandlungsmasse bei umfassenderen Vereinbarungen, beispielsweise zu Energiesicherheit, Terrorismusbekämpfung, Grenz- oder Polizeikooperation. In den letzten Jahren ist so weltweit ein dichtes Netzwerk unterschiedlicher Rückübernahmevereinbarungen entstanden, die eine neue Dimension internationaler Zusammenarbeit zur erzwungenen Rückkehrmigration bedeuten.
Der EU Emergency Trust Fund for Africa[6] ergänzt die Europäische Agenda für Migration durch Maßnahmen für Arbeit, Bildung sowie humanitären Schutz für MigrantInnen sowie Maßnahmen zum Grenzschutz und zur Rückkehr und Reintegration von MigrantInnen im Herkunftsland. Mehr als bisher ist die europäische Agenda zudem an einen umfassenden externen Europäischen Investitionsplan (v.a. mit dem Ziel der "Bekämpfung" von Fluchtursachen) geknüpft.[7] Ähnliche Investitionsmaßnahmen haben bislang aber kaum positive Auswirkungen in Herkunfts- und Transitländern von MigrantInnen erzielen können.
Fußnoten
- Siehe https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/international-affairs/global-approach-to-migration_en (Zugriff: 21.12.2017).
- Siehe https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration_en (Zugriff: 21.12.2017).
- Konkret ist hier der Bereich Asylpolitik gemeint, die innerhalb der EU weiter harmonisiert werden soll, sowie die Entwicklung einer neuen Einwanderungs- und Arbeitsmigrationspolitik, z. B. durch die Anerkennung von in Drittstaaten erworbenen Berufsqualifikationen.
- Siehe http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-2072_en.htm (Zugriff: 21.12.2017).
- Vgl. Cassarino, Jean-Pierre; Guiffré, Mariagiulia, Finding its Place in Africa: Why the EU opted for flexible arrangements on readmission? FMU Policy Brief Nr. 01/2017 (1. Dezember 2017). http://www.nottingham.ac.uk/hrlc/documents/pb-1-finding-its-place-in-africa.pdf (Zugriff: 21.12.2017).
- Siehe https://ec.europa.eu/europeaid/regions/africa/eu-emergency-trust-fund-africa_en (Zugriff: 21.12.2017).
- https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/factsheet_migration_partnership_framework_update13_12_2016.pdf (Zugriff: 21.12.2017).
Lediglich ein vergleichsweise kleiner Teil afrikanischer MigrantInnen kommt nach Europa: Nur etwa 10 Prozent der afrikanischen MigrantInnen verteilen sich auf Europa, die USA, Kanada und zunehmend auch Asien [11]. Mangels legaler Einreisemöglichkeiten müssen viele von ihnen gefährliche Land- und Seewege Richtung Europa nutzen. Menschen können damit bereits weit außerhalb des EU-Territoriums der irregulären Einreise verdächtigt, möglicherweise festgenommen und zurückgeschoben werden. (Lokale) Menschrechts- und internationale Organisationen haben viele Fälle dokumentiert, in denen MigrantInnen in afrikanischen Transitstaaten misshandelt oder in der Wüste ausgesetzt wurden. Die meisten Menschenrechtsverletzungen geschehen jedoch verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit. So sind etwa der "Sklavenhandel" mit afrikanischen MigrantInnen sowie die desaströsen Zustände in libyschen Gefängnissen, die beim Gipfel der Afrikanischen Union und der EU in Abidjan Ende November 2017 für Verstörung sorgten, bisher einfach nicht in entsprechendem Maße an die Öffentlichkeit geraten.
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Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Migration
Fußnoten
- Für Westafrika siehe http://westafrica.regionalmms.org/index.php (Zugriff: 21.12.2017). Für Ostafrika und Jemen siehe http://regionalmms.org/index.php (Zugriff: 21.12.2017). Wissenschaftliche Aufarbeitung u.a. von: Trauner, F./Deimel, S., The Impact of EU Migration Policies on African Countries – the Case of Mali; in: International Migration, 51 (4), August 2013, S. 20-32. Der italienische Journalist Fabrizio Gatti beschrieb in "Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa" basierend auf seinen Reisen bereits 2005/06 die unmenschlichen Zustände auf den Migrationsrouten durch die Sahara.
Die öffentliche, mediale, politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit für Abschiebungen reicht oft nur bis an die Landesgrenze. Wenig ist bislang darüber bekannt, wie die Abgeschobenen in ihren Herkunftsländern mit der Erfahrung der Abschiebung umgehen, wie sie nach der Abschiebung leben und was mit den Gesellschaften geschieht, in die diese Menschen abgeschoben werden.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Innerafrikanische Migrationen.