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Zurück auf Los!? – Abschiebungen als Teil der europäischen Migrationskontrollpolitik in Afrika | Innerafrikanische Migrationen | bpb.de

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Zurück auf Los!? – Abschiebungen als Teil der europäischen Migrationskontrollpolitik in Afrika

Susanne U. Schultz

/ 6 Minuten zu lesen

Deutschland und andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union schieben abgelehnte AsylbewerberInnen verstärkt in ihre Herkunftsländer ab. Auf Druck der EU tun Drittstaaten dies ebenfalls. Für den afrikanischen Kontinent bedeutet das einen starken Anstieg innerafrikanischer Abschiebungen aus den Transitländern des Maghreb.

Geflüchtete demonstrieren am 20. Dezember 2017 vor einer Einrichtung für abgelehnte Asylbewerber in Deggendorf. (© dpa)

Höhere Abschiebezahlen als politische Maßnahme

Das Thema Abschiebungen hat in Deutschland seit der sogenannten "Flüchtlingskrise" stark an Bedeutung gewonnen. Von staatlicher Seite wurden die erzwungenen Rückführungen von MigrantInnen ohne Aufenthaltserlaubnis und abgelehnten AsylbewerberInnen in die Herkunftsländer lange Zeit eher im Verborgenen gehalten: Staatliche Akteure sprachen in Medien und Öffentlichkeit selten über diesen, als notwendig betrachteten, administrativen Akt. Dies sollte unter anderem Interner Link: substanzielle zivilgesellschaftliche Proteste vermeiden, die sich regelmäßig am Thema Abschiebung entzünden. Neuerdings werden Abschiebungen allerdings zunehmend als erfolgreiche Strategie deklariert, um Handlungsfähigkeit im Blick auf den Aufenthalt unerwünschter MigrantInnen zu demonstrieren und die Grenzen von Nationalstaat und Europäischer Union zu kontrollieren – nicht zuletzt als eine Sicherheitsstrategie im Namen der Terrorismusbekämpfung. So sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn 2017 von einer "nationalen Kraftanstrengung" für die Durchsetzung von Abschiebungen, denn "wer kein Aufenthaltsrecht hat, muss zurückgeführt werden". Ebenso verteidigt Bundesinnenminister Thomas De Maizière die Abschiebung afghanischer "Straftäter, Gefährder und hartnäckige[r] Mitwirkungsverweigerer" immer wieder gegen harsche Kritik, die aufgrund der Interner Link: angespannten Sicherheitslage in Afghanistan an solchen Abschiebungen geübt wird.

Abschiebungen manifestieren dominante Vorstellungen von Souveränität und Staatsbürgerschaft. Deutschland steht dabei nicht allein. Seit 2001 hat sich die Zahl der Abschiebungen aus vielen (westlichen) Industrienationen im Vergleich zu den 1990er Jahren zeitweise mehr als verdoppelt. Ein Beispiel sind die Interner Link: USA, wo unter der Obama-Administration in den Jahren 2012 und 2013 416.324 bzw. 434.015 Menschen zwangsweise zurückgeführt wurden. 2001 waren es lediglich 189.026 gewesen, Anfang der 1990er Jahre 33.189. In Deutschland verfünffachte sich die Zahl der Rückführungen zwischen 2008 (14.295) und 2016 (75.815); dies hat neben der Verschärfung der Abschiebungspolitik auch damit zu tun, dass 2016 deutlich mehr Asylbewerber nach Deutschland kamen (und damit auch abgelehnt werden konnten) als 2008.

Diese Entwicklung wird in der Wissenschaft als "Deportation Turn" bezeichnet. Der Begriff "Deportation Gap" verweist wiederum auf die Diskrepanz zwischen der Zahl der ausreisepflichtigen Ausländer und der Zahl der tatsächlich Abgeschobenen, v.a. in Deutschland und der EU. Diese Abweichung kommt u.a. dadurch zustande, dass aufgrund administrativer Hürden und Unregelmäßigkeiten im Asylverfahren sowie häufig wegen anhaltender gewaltsamer Konflikte in den Herkunftsländern viele Menschen faktisch nicht abgeschoben werden können. Zu den administrativen Hürden zählen z.B. fehlende Papiere, die Nicht-Existenz von Rückübernahmeabkommen oder spezifischen Migrationsvereinbarungen mit dem betreffenden Herkunftsland, die Weigerung des Herkunftslandes, bestimmte Staatsbürger wieder aufzunehmen, sowie eine fehlende Abschiebeerlaubnis wegen Krankheit, psychischer Probleme oder Bedrohung im Herkunftsland. Verfahrensunregelmäßigkeiten führen beispielsweise dazu, dass die Rechtmäßigkeit der Asylablehnung häufig von den Ausreisepflichtigen oder zivilgesellschaftlichen Unterstützergruppen vor Gericht angefochten wird. Trotzdem verließen im Jahr 2017 mehr abgelehnte AsylbewerberInnen Deutschland, als in derselben Zeit ausreisepflichtig geworden sind, womit sich eine Kritik am "Vollzugsdefizit" aktuell als unbegründet erweist.

Innerafrikanische Abschiebungen als Teil von EU-Externalisierungsbestrebungen

Bereits seit Beginn der 2000er Jahre sind Abschiebungen in die Türkei, die Länder des Balkans und Zentralasiens sowie Nord- und zunehmend Sub-Sahara-Afrikas grundlegendes Element der Externalisierung von Migrations- und Grenzkontrollen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Drittstaaten werden dabei aufgefordert, Menschen, die unter dem Verdacht stehen, nach Europa migrieren zu wollen, zu identifizieren und ggf. wieder in ihre Herkunfts- oder Transitländer zurück zu schicken. Für den afrikanischen Kontinent bedeutete das einen starken Anstieg innerafrikanischer Abschiebungen aus den Transitländern des Maghreb (v.a. Interner Link: Marokko, Algerien, Interner Link: Libyen sowie Mauretanien). Diese erfolgen zumeist im Rahmen eines bi- oder multilateralen Abkommens mit der EU und/oder ihren Mitgliedstaaten. Diese Abkommen knüpfen, vereinfacht gesagt, die Zahlung von Entwicklungsgeldern an die Bedingung, dass die Vertragsstaaten irreguläre Migration in Richtung Europa verhindern, u.a. durch Rückübernahme unerwünschter MigrantInnen und Geflüchteter der eigenen Staatsangehörigkeit; unter bestimmten Bedingungen auch von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen.

QuellentextZu Europäischen Migrations- und Rücküberahmevereinbarungen

Seit dem Vertrag von Amsterdam 1999 ist die EU mit den rechtlichen Kompetenzen ausgestattet, Migrations- sowie Rückübernahmeabkommen mit Drittstaaten zu schließen. Von Beginn an wurde dabei Migrationsmanagement an Handel und Entwicklungshilfe geknüpft und Migrations- sowie Rückkehrpolitik zunehmender Bestandteil der EU-Außenbeziehungen. Das politische Vorzeigeprojekt "Global Approach to Migration and Mobility (GAMM)" legte seit 2005 einen geographischen Schwerpunkt auf Afrika und den Mittelmeerraum, um Migration aus diesen Regionen besser zu steuern.
Im Rahmen des Rabat- und des Karthum-Prozesses wurden (nicht-bindende) "Mobilitätsparterschaften" und "gemeinsame Absichtserklärungen" unterzeichnet, die einerseits eine restriktive Agenda legaler Einreisemöglichkeiten und andererseits v.a. die Rückkehr und Wiederaufnahme sogenannter irregulärer MigrantInnen umsetzen sollten. Die angesichts der "Flüchtlingskrise" entwickelte "Europäische Agenda für Migration" verbindet seit Mai 2015 noch stärker EU-Migrationsinnen- mit Außenpolitik.
Neue "Migrations-Partnerschaften" insbesondere mit den Prioritätsländern Niger, Mali, Nigeria, Senegal und Äthiopien sollen Migration noch effektiver steuern; parallel betrifft das Nordafrika, v.a. Libyen, sowie Asien. Konkret bedeutet das v.a. die Zusammenarbeit im Grenzschutz, den Kampf gegen Menschenhandel und -schmuggel sowie im Rahmen der Rückkehr und Wideraufnahme irregulärer MigrantInnen eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Interner Link: Internationalen Organisation für Migration (IOM) und dem UN-Flüchtlingshilfswerk Interner Link: UNHCR.
In Bezug auf Rückübernahmeabkommen verfolgen die EU und ihre Mitgliedstaaten dabei einen zunehmend flexiblen Ansatz unterschiedlicher Rahmenverträge und Absichtserklärungen. Diese fordern weniger Verbindlichkeit von Kooperationspartnern und werden so den vielseitigen Interessen (auch in Bezug auf Widersprüche zwischen den Hoheitsrechten der EU sowie einzelner Mitgliedstaaten) gerecht. Gegebenenfalls sind sie leichter umzusetzen als formelle Abkommen. Abgesehen davon geht es bei Rückübernahmeabkommen häufig um Verhandlungsmasse bei umfassenderen Vereinbarungen, beispielsweise zu Energiesicherheit, Terrorismusbekämpfung, Grenz- oder Polizeikooperation. In den letzten Jahren ist so weltweit ein dichtes Netzwerk unterschiedlicher Rückübernahmevereinbarungen entstanden, die eine neue Dimension internationaler Zusammenarbeit zur erzwungenen Rückkehrmigration bedeuten.

Der EU Emergency Trust Fund for Africa ergänzt die Europäische Agenda für Migration durch Maßnahmen für Arbeit, Bildung sowie humanitären Schutz für MigrantInnen sowie Maßnahmen zum Grenzschutz und zur Rückkehr und Reintegration von MigrantInnen im Herkunftsland. Mehr als bisher ist die europäische Agenda zudem an einen umfassenden externen Europäischen Investitionsplan (v.a. mit dem Ziel der "Bekämpfung" von Fluchtursachen) geknüpft. Ähnliche Investitionsmaßnahmen haben bislang aber kaum positive Auswirkungen in Herkunfts- und Transitländern von MigrantInnen erzielen können.

Fußnoten

  1. Siehe Externer Link: https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/international-affairs/global-approach-to-migration_en (Zugriff: 21.12.2017).

  2. Siehe Externer Link: https://ec.europa.eu/home-affairs/what-we-do/policies/european-agenda-migration_en (Zugriff: 21.12.2017).

  3. Konkret ist hier der Bereich Asylpolitik gemeint, die innerhalb der EU weiter harmonisiert werden soll, sowie die Entwicklung einer neuen Einwanderungs- und Arbeitsmigrationspolitik, z. B. durch die Anerkennung von in Drittstaaten erworbenen Berufsqualifikationen.

  4. Siehe Externer Link: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-2072_en.htm (Zugriff: 21.12.2017).

  5. Vgl. Cassarino, Jean-Pierre; Guiffré, Mariagiulia, Finding its Place in Africa: Why the EU opted for flexible arrangements on readmission? FMU Policy Brief Nr. 01/2017 (1. Dezember 2017). Externer Link: http://www.nottingham.ac.uk/hrlc/documents/pb-1-finding-its-place-in-africa.pdf (Zugriff: 21.12.2017).

  6. Siehe Externer Link: https://ec.europa.eu/europeaid/regions/africa/eu-emergency-trust-fund-africa_en (Zugriff: 21.12.2017).

  7. Externer Link: https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/factsheet_migration_partnership_framework_update13_12_2016.pdf (Zugriff: 21.12.2017).

Seit der europäischen "Interner Link: Flüchtlingskrise" ist eine Intensivierung der Externalisierungsbestrebungen, also der verstärkten Einbindung von Drittstaaten in das Grenzregime der EU, zu beobachten. So wurden seit 2015 zum Teil sehr umstrittene Vereinbarungen u.a. mit Niger, Ägypten und zuletzt mit Interner Link: Libyen geschlossen. Abkommen der EU mit Gambia sowie Äthiopien zur Rückführung tausender nicht-anerkannter Asylsuchender sind in Vorbereitung.

Lediglich ein Interner Link: vergleichsweise kleiner Teil afrikanischer MigrantInnen kommt nach Europa: Nur etwa 10 Prozent der afrikanischen MigrantInnen verteilen sich auf Europa, die USA, Kanada und zunehmend auch Asien . Mangels legaler Einreisemöglichkeiten müssen viele von ihnen Interner Link: gefährliche Land- und Seewege Richtung Europa nutzen. Menschen können damit bereits weit außerhalb des EU-Territoriums der irregulären Einreise verdächtigt, möglicherweise festgenommen und zurückgeschoben werden. (Lokale) Menschrechts- und internationale Organisationen haben viele Fälle dokumentiert, in denen MigrantInnen in afrikanischen Transitstaaten misshandelt oder in der Wüste ausgesetzt wurden. Die meisten Menschenrechtsverletzungen geschehen jedoch verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit. So sind etwa der "Sklavenhandel" mit afrikanischen MigrantInnen sowie die desaströsen Zustände in libyschen Gefängnissen, die beim Gipfel der Afrikanischen Union und der EU in Abidjan Ende November 2017 für Verstörung sorgten, bisher einfach nicht in entsprechendem Maße an die Öffentlichkeit geraten.

QuellentextDokumentation von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Migration

Während lokale Menschenrechtsorganisationen und JournalistInnen seit Jahren Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Kontext von Migration dokumentieren und publizieren, tun dies internationale (Regierungs-)Organisationen erst seit kurzem. Seit 2016 erstellt das International Centre for Migration and Policy Development (ICMPD) die "Externer Link: Interactive Map on Migration" (i-Map) , um Migration, v.a. in Richtung Europa, aufzuzeichnen und damit Informationen zur Politikentwicklung zu generieren.Seit 2011 dokumentieren die "Regional Mixed Migration Secretariats" unter der Ägide des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration, dem Dänischen Refugee Council, Save the Children und dem UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) die Migrationsrouten Richtung Europa in Ost-, West- und Nordafrika.

Fußnoten

  1. Für Westafrika siehe Externer Link: http://westafrica.regionalmms.org/index.php (Zugriff: 21.12.2017). Für Ostafrika und Jemen siehe Externer Link: http://regionalmms.org/index.php (Zugriff: 21.12.2017). Wissenschaftliche Aufarbeitung u.a. von: Trauner, F./Deimel, S., The Impact of EU Migration Policies on African Countries – the Case of Mali; in: International Migration, 51 (4), August 2013, S. 20-32. Der italienische Journalist Fabrizio Gatti beschrieb in "Bilal. Als Illegaler auf dem Weg nach Europa" basierend auf seinen Reisen bereits 2005/06 die unmenschlichen Zustände auf den Migrationsrouten durch die Sahara.

Auch afrikanische Staaten, wie Angola, Gabun, Äquatorial-Guinea oder Nigeria, die nur indirekt unter dem Einfluss der EU-Externalisierungspraktiken stehen, tragen substanziell zu den massiven Abschiebungen in den letzten zwei Jahrzehnten bei, die seit der Unabhängigkeit dieser Länder stattfinden. Statistiken der Generaldelegation für Malier im Ausland beispielsweise schätzen, dass 91,8 Prozent aller Abschiebungen von Maliern zwischen 2002 und 2014 aus anderen afrikanischen Staaten erfolgten, verglichen mit 6,6 Prozent aus Europa.

Die öffentliche, mediale, politische und wissenschaftliche Aufmerksamkeit für Abschiebungen reicht oft nur bis an die Landesgrenze. Wenig ist bislang darüber bekannt, Interner Link: wie die Abgeschobenen in ihren Herkunftsländern mit der Erfahrung der Abschiebung umgehen, wie sie nach der Abschiebung leben und was mit den Gesellschaften geschieht, in die diese Menschen abgeschoben werden.

Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Innerafrikanische Migrationen.

Weitere Inhalte

Susanne U. Schultz studierte Sozial- und Kulturwissenschaften, arbeitete 2009-2013 für die Internationale Organisation für Migration und ist Mitglied im Netzwerk kritische Migrations- und Grenzregimeforschung sowie bei Afrique-Europe-Interact. Aktuell promoviert sie an der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS). In ihrem Dissertationsprojekt nimmt sie unfreiwillige Rückkehr und Migrationsdynamiken in Westafrika vor dem Hintergrund der Auslagerung der EU-Migrationspolitik in den Blick und analysiert insbesondere die sozialen Auswirkungen von Abschiebungen in Mali.