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Politischer Zionismus und Kulturzionismus | Israel | bpb.de

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Politischer Zionismus und Kulturzionismus

Michael Brenner

/ 8 Minuten zu lesen

Wenn man dem Zionismus als politische Bewegung eine Geburtsstunde zuschreiben will, so war dies das Erscheinen von Theodor Herzls Schrift mit dem Titel "Der Judenstaat" im Jahr 1896.

"Der Judenstaat" von Theodor Herzl erschien 1896. (© Public Domain)

Wenn man dem Zionismus als politische Bewegung eine Geburtsstunde zuschreiben will, so war dies das Erscheinen von Theodor Herzls Schrift mit dem Titel "Der Judenstaat" im Jahr 1896. Bei genauem Hinsehen unterscheiden sich Herzls Forderungen gar nicht wesentlich von denen eines Moses Heß oder eines Leon Pinsker. Seine Wirkung war aber eine völlig andere. Noch mehr als seine Vorgänger war Herzl in der Gesellschaft seiner Umgebung kulturell integriert. Er war ein angesehener Journalist für die Wiener "Neue Freie Presse" und schrieb Theaterstücke, von denen manche einen bescheidenen Erfolg auf den Wiener Bühnen erlebten. 1860 in Budapest geboren und im Alter von 18 Jahren nach Wien umgezogen, war er ein Kind der Habsburgermonarchie. Auch deren Antisemitismus hatte er erlebt, zunächst als Schüler in Budapest, intensiver dann als Student in Wien. Er wurde zwar noch in der Burschenschaft "Albia" geduldet, doch wenig später entschloss diese sich, keine Juden mehr aufzunehmen. 1895 wurde der erklärte Antisemit Karl Lueger von den Wienern zu ihrem Bürgermeister gewählt, und nach einigem Zögern zwei Jahre später von Kaiser Franz Joseph in diesem Amt bestätigt. Den entscheidenden Schock jedoch erlebte Herzl als Korrespondent seiner Zeitung in Paris, wo er Zeuge des Skandals um den französisch-jüdischen Offizier Alfred Dreyfus wurde. Dieser war nach dem Vorwurf des Hochverrats öffentlich degradiert und dem Zorn der Massen ausgesetzt worden. Wie Herzl in seinen Berichten aus Paris vermittelte, beschränkte sich der Mob auf der Straße nicht auf persönliche Angriffe gegen die Person Dreyfus', sondern grölte "Mort aux juifs" (Tod den Juden). Mit Dreyfus war, wie sich später herausstellte, ein jüdischer Sündenbock für die Verbrechen Anderer gefunden worden. Nach jahrelangen Auseinandersetzungen, die die französische Gesellschaft in Dreyfusianer und Anti-Dreyfusianer spaltete, wurde Dreyfus' Unschuld erwiesen und dieser rehabilitiert. Bis dahin freilich hatte Herzl realisiert, dass der Antisemitismus selbst im Mutterland der Emanzipation Fuß gefasst hatte.

Theodor Herzl und seine Schrift der "Judenstaat"

All dies war der Hintergrund seiner Schrift "Der Judenstaat". Er selbst bringt seine Enttäuschung über die gescheiterte Emanzipation zum Ausdruck: "Wir haben überall ehrlich versucht, in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren", schreibt er im Judenstaat. "Man lässt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwängliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut wie unsere Mitbürger, vergebens bemühen wir uns den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrieen... Wenn man uns in Ruhe ließe... Aber ich glaube, man wird uns nicht in Ruhe lassen." Zunächst sah Herzl in einer Massentaufe aller Wiener Juden, die er sich in seinen Tagebüchern bis ins kleinste Detail ausmalte, ein Heilmittel gegen den Antisemitismus. Als er jedoch realisierte, dass die Konversion gegen einen rassisch motivierten Antisemitismus erfolglos blieb, griff er zu radikaleren Schritten.

Reaktionen auf Herzls Schrift

Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Herzls Judenstaat eine äußerst pragmatische Schrift, in der es weniger um die ideologischen Grundlagen als um die praktische Umsetzung des von ihm "Society of Jews" genannten Gemeinwesens ging. Kapitelüberschriften wie "Immobiliengeschäft", "Landkauf", "Arbeiterwohnungen", "Arbeitshilfe" und "Industrielle Ansiedlungen" sprechen für sich. Wo der Judenstaat sein soll, ob in Palästina oder Argentinien, ließ auch er vorerst noch offen: "Die Society wird nehmen, was man ihr gibt und wofür sich die öffentliche Meinung des Judenvolkes erklärt."

Als nächsten Schritt machte sich Herzl an die Durchführung eines Zionistischen Kongresses, der seine Ziele einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen sollten. Wie bereits im Vorfeld seiner Schrift "Der Judenstaat", so musste er auch jetzt wieder Ablehnung aus der jüdischen Gesellschaft erfahren. Er hatte gehofft, dass jüdische Philanthropen wie der in Paris lebende Maurice de Hirsch, der für die verfolgten osteuropäischen Juden mit seiner "Jewish Colonization Association" landwirtschaftliche Ansiedlungen in Südamerika erworben hatte oder die Rothschilds, die ähnliche Projekte in Palästina finanzierten, seine Ideen unterstützen würden. Doch distanzierten diese sich von Anfang an von seinem politischen Vorhaben. Die beiden jüdischen Herausgeber seiner Zeitung, der Neuen Freien Presse, weigerten sich, über seine Pläne zu berichten, und der Wiener Oberrabbiner Max Güdemann publizierte eine Schrift gegen Herzls Zionismus.

Der Widerstand der Rabbiner wurde noch deutlicher, als Herzl seinen ersten Zionistenkongress im Sommer 1897 in München plante. Die Rabbiner lehnten ein solches Treffen ebenso wie die Israelitische Kultusgemeinde München ab, da sie darin zum einen die messianischen Pläne untergraben sahen, denen zufolge erst der Messias den Judenstaat wieder errichten kann, zum anderen aber ihren Status als deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens gefährdet sahen. Sie fürchteten, den Antisemiten unnötige Munition einer doppelten Loyalität zu liefern. Der Wiener Kritiker Karl Kraus hat dies sarkastisch formuliert, als er den Zionisten vorwarf, den antisemitischen Schlachtruf, "Hinaus mit Euch, Juden!" mit der Antwort, "Jawohl, hinaus mit uns Juden!" zu erwidern. Darüber hinaus, so Kraus, wolle Herzl die europäischen Juden aus ihrer Verwurzelung in ihren jeweiligen Heimatländern herauslösen. Er widersprach heftig, was er als Herzls Theorie karikierte, nämlich, "dass die Juden nur zur Hebung des Fremdenverkehrs sich zeitweise in Europa aufhalten" und stellte Herzls Theorie des einen jüdischen Volkes in Abrede: "Welches gemeinsame Band soll jedoch die Interessen der deutschen, englischen, französischen, slavischen und türkischen Juden zu einem Staatsganzen zusammenhalten?"

Aber nicht alle Juden dachten so. In Osteuropa hatte sich die Situation der Juden nach einer Reihe von Pogromwellen und der fortschreitenden wirtschaftlichen Verarmung weiter verschlechtert. Insbesondere die Jüngeren sahen keine Zukunft mehr in Russland oder Rumänien. Über zwei Millionen Juden verließen zwischen 1881 und 1914 Osteuropa. Der Großteil ging in die Vereinigten Staaten, das begehrteste Einwandererland für alle Europäer jener Tage. Andere zog es in die Staaten Südamerikas, die aktiv an einer Einwanderung interessiert waren. In Palästina waren die Bedingungen für eine Masseneinwanderung weder politisch noch wirtschaftlich ideal. Das Osmanische Reich stand dieser kritisch gegenüber, die arabische Bevölkerung beäugte die europäischen Zuwanderer skeptisch. Die Voraussetzungen für die landwirtschaftliche Arbeit unterschieden sich grundsätzlich von den in Europa bekannten Gegebenheiten. Städte gab es kaum, und die es gab mussten den Einwanderern selbst aus wenig entwickelten Regionen Osteuropas provinziell und rückständig anmuten.

Einwanderung nach Palästina

Dennoch wanderten im Gefolge der Pogrome immer mehr Juden aus Osteuropa nach Palästina aus. Hinzu kamen Zuwanderer aus anderen von wirtschaftlicher Not und Verfolgungen geplagten jüdischen Gemeinden, so etwa aus dem Jemen. Am Anfang des 19. Jahrhunderts hatten höchstens 10.000 Juden (unter etwa 200.000 Arabern) in Palästina gelebt, und um 1880 war ihre Zahl nur geringfügig auf etwa 17.000 angewachsen. 1904 gab es bereits etwa 50.000 Juden im Lande. Hatten viele der älteren Familien von der Wohltätigkeit der Juden Europas gelebt, so widmete man sich nun zunehmend der landwirtschaftlichen Tätigkeit und versuchte, wirtschaftlich autark zu sein.

Der erste Zionistenkongress

Die Juden Osteuropas, die zur Auswanderung getrieben wurden, bildeten die natürliche Anhängerschaft Herzls. Als Herzl im Sommer 1897 tatsächlich seinen ersten Zionistischen Kongress in Basel (das sich als einfacherer Kongressort als München erwies) eröffnen konnte, kam die größte Delegation aus dem Zarenreich. Zusätzlich waren viele der westeuropäischen und amerikanischen Delegierten osteuropäischer Herkunft. Es gab keine Rothschilds und Hirschs. So sprach Herzl, nicht ohne einen gewissen Stolz, von einer "Armee von Schnorrern", die er versammelt habe. Freilich waren hier keine Bettler versammelt, sondern Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten, Schriftsteller und elf Rabbiner aus zwanzig Ländern von Algerien bis zu den Vereinigten Staaten.

Herzl sollte prophetischen Weitblick erweisen, als er kurz nach Ende des Zionistenkongresses in sein Tagebuch notierte: "Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universelles Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es Jeder einsehen." Er notierte diese Sätze am 3. September 1897. Bis zur Gründung des Staates Israel sollten noch genau fünfzig ein halb Jahre vergehen.

Herzl selbst sollte die Gründung des Staates Israel nicht mehr erleben. Er starb im Alter von nun 44 Jahren im Jahr 1904, aufgerieben von seiner politischen Tätigkeit, die ihn mit Staatsmännern in aller Welt zusammenbrachte, um sein Ziel zu realisieren. Kurz vor seinem Tod veröffentlichte er seinen utopischen Roman "Altneuland". In ihm malte sich Herzl das Bild des "Judenstaats" in 25 Jahren aus, eine idealisierte Gesellschaft, in der Juden und Araber friedlich miteinander lebten, es kaum politische Konflikte gab - kurz, eine Gesellschaft, die das beste aus allen europäischen Ländern herausschöpfte: englische Internate, französische Opernhäuser und natürlich österreichischen Kaffee und Salzstangerln.

Achad Ha‘am und der Kulturzionismus

Herzls Vision eines "Judenstaats" blieb unter den Zionisten nicht unumstritten. Sein wichtigster Gegenpol innerhalb der zionistischen Bewegung war der in Odessa wirkende Ascher Ginsberg, besser bekannt unter seinem Pseudonym Achad Ha´am ("Einer aus dem Volke"). Er war Zionist, lange bevor Herzl Zion entdeckte. Sein Zionismus war jedoch anderer Natur. Die Gegensätze zwischen Herzl und Achad Ha´am lassen sich verkürzt auf folgenden Nenner bringen: Herzl wollte einen Judenstaat, Achad Ha´am einen jüdischen Staat. Beide stimmten überein, dass dies kein religiöser Staat werden sollte, aber während Achad Ha´am eine neubelebte hebräische Kultur als Zentrum der neuen jüdischen Gesellschaft anstrebte, ging es Herzl um die Rettung der Juden vor physischer Bedrohung. Wollte Herzl die Juden retten, so zielte Achad Ha´am auf die Rettung des Judentums. Für ihn bedeutete Herzls Plan Assimilation auf kollektiver Grundlage. Während für Herzl das Scheitern der Assimilation die größte Enttäuschung darstellte, lag für Achad Ha´am im möglichen Erfolg der Assimilation und der dadurch bedingten Auflösungstendenzen des Judentums die entscheidende Gefahr. Die Juden würden einen Staat wie alle anderen Nationen errichten. In seiner Kritik an Herzls "Altneuland" kritisierte Achad Ha´am daher: "Hier ... findet man nur mechanisches Nachäffen ohne jegliche nationale Eigenheit..." Dagegen propagierte er als notwendige Vorstufe ein geistiges Zentrum in Palästina, von dem aus die Erneuerung jüdischer Kultur in der Diaspora ausgehen sollte. Sein Zionismus wird häufig als "Kulturzionismus" bezeichnet.

Herzls Judenstaat hatte in der Tat wenig Jüdisches, außer seinen Bewohnern. Es sollte ein moderner Sozialstaat sein, in dem Frauen gleichberechtigt sind, inklusive des damals in Europa für sie noch unbekannten aktiven und passiven Wahlrechts. Die von Herzl gezeichnete Fahne zierten sieben Sterne, die den Sieben-Stunden-Arbeitstag symbolisieren sollten. An den Palmen hingen, auch dies für die Jahrhundertwende eine revolutionäre Neuerung, "elektrische Straßenlampen... wie große gläserne Früchte." Daß die einheimische arabische Bevölkerung sich vor diesem politisch und sozial perfekten System nicht verschließen würde, bedurfte in Herzls Vorstellungswelt keiner besonderen Erklärung mehr. Achad Ha´am hatte hier kritischeren Weitblick an den Tag gelegt. Er sah Konflikte mit der arabischen Bevölkerung voraus und warnte vor einem allzu naiven Fortschrittsglauben, der die arabische Bevölkerung mit den jüdischen Siedlern aus Europa verbinden würde.

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