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Kommentar: Die internationale Dimension des Ukraine-Konflikts | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Kommentar: Die internationale Dimension des Ukraine-Konflikts Worum es eigentlich geht

Heiko Pleines

/ 7 Minuten zu lesen

Versucht Russland, mit seinem aggressiven Nationalismus vergangenen Weltmachstatus zu kompensieren? Die Situation der Ostukraine muss in einem größeren Weltkontext betrachtet werden.

(© picture-alliance/dpa)

Einleitung

Im Zusammenhang mit der aktuellen Ukraine-Krise wird viel und oft sehr emotional darüber diskutiert, inwieweit die russische Armee an den Kämpfen in der Ost-Ukraine beteiligt ist bzw. war. Dabei gerät aus meiner Sicht die dahinter stehende grundlegende Frage nach der Position Russlands in der internationalen Politik zu oft aus dem Blick.

1. Russland hält die Separatisten für legitim

Rhetorisch werden die Separatisten vom russischen Präsidenten Wladimir Putin als legitime Verhandlungspartner anerkannt und die Schuld an einer "humanitären Katastrophe" in der Ost-Ukraine wird den Truppen der ukrainischen Regierung angelastet, so z. B. in einer offiziellen Stellungnahme vom 29. August 2014 (http://eng.kremlin.ru/news/22863).

Gleichzeitig unterstützen viele russische Staatsbürger als Kämpfer in der Ost-Ukraine die Separatisten und hatten dabei auch führende Positionen bei den Separatisten inne. Unterstützung für die Separatisten wurde in russischen Großstädten an Ständen offen angeworben. Ein russischer Soldat, der nach offizieller Darstellung während seines Urlaubs an der Seite der Separatisten kämpfte und dabei getötet wurde, wurde im russischen Staatsfernsehen als Held dargestellt, der "seinem Herzen" gefolgt sei. (1. Kanal, Programm Vremja, 4.9.2014, 21:00, 9. Beitrag, http://www.1tv.ru/newsvideoarchive/pd=04.09.2014)

Während z. B. die polnische Regierung erklärt hat, dass polnischen Staatsbürgern, die in der Ukraine kämpfen (vermutlich eher auf der ukrainischen Seite), bis zu fünf Jahre Haft drohen (Stellungnahme des Außenministeriums vom 16.8.2014, http://www.msz.gov.pl/en/news/press_office/corrections/mfa_statement_on_dpa_dispatch_based_on_media_speculations__published_on_16_august_2014_;jsessionid=ABDBF6F2B0AB95453FF24C3130B22ED8.cmsap5p), lässt Russland trotz massiver Truppenpräsenz an der Grenze zur Ukraine nicht nur zu, dass die Separatisten über die Grenze Nachschub erhalten, sondern stellt die Kämpfer auf Seiten der Separatisten als Helden dar.

Zusätzlich verlieh das russische Parlament dem Präsidenten von Anfang März bis Ende Juni 2014 das Recht, militärisch in der Ukraine zu intervenieren. Russland selber hielt also eine militärische Intervention in der Ukraine nicht grundsätzlich für falsch.

Unabhängig von der Frage der tatsächlichen militärischen Unterstützung für die Separatisten kann also festgehalten werden, dass Russland die Separatisten als legitime Kraft darstellt und eine militärische Intervention zu ihrer Unterstützung nicht grundsätzlich ablehnt.

2. Russland hat doppelte Standards

Die entscheidende Frage ist damit, ob eine Unterstützung der Separatisten legitim ist oder nicht. Hier fällt auf, dass die russische Regierung keine einheitliche Position bezüglich der Legitimität von Separatismus hat. Bezogen auf die Ukraine ergeben sich vier Unstimmigkeiten:

  1. Russland hat im Budapester Memorandum explizit die Garantie für die territoriale Integrität der Ukraine übernommen. Dieses Memorandum wurde mit der Annexion der Krim offensichtlich verletzt.

  2. Auf die Unabhängigkeitsbestrebungen Tschetscheniens reagierte Russland zweimal mit dem Einsatz der Armee, das zweite Mal unter Putin mit einer "Anti-Terror-Operation", die nicht nur dem Namen nach, sondern auch bezüglich der Betonung des Prinzips der territorialen Integrität und bezüglich der verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung an die ukrainische Reaktion auf die Separatisten im Donbas erinnert. Interessanterweise war auch in Russland der Hinweis auf ausländische Kämpfer in Tschetschenien ein zentraler Bestandteil der Delegitimierung des Gegners.

  3. Ebenso hat Russland scharf gegen die westliche Unterstützung für die Unabhängigkeit des Kosovo protestiert und den Hinweis der NATO auf die "humanitäre Katastrophe" im Kosovo nicht als Grund für die Unabhängigkeit des Kosovo akzeptiert. Wenn Russland behauptet, auf der Krim und in der Ost-Ukraine das Selbstbestimmungsrecht der Völker für ethnische Minderheiten zu akzeptieren, dann müsste Russland konsequenterweise auch die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen.

  4. Putin hat die ukrainische Regierung als illegitim bezeichnet, weil sie nicht durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen sei, und sie "Junta" genannt (Medien-Forum in St. Petersburg, 24. April 2014, Externer Link: http://eng.kremlin.ru/news/7075). Die Vertreter der Separatisten in der Ost-Ukraine haben sich alle selber ernannt, ohne je allgemeine Wahlen durchzuführen, ohne dass Russland ihnen deshalb die Legitimation abspricht. Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass die Unabhängigkeitsreferenden auf der Krim und in der Ost-Ukraine demokratischen Standards nicht gerecht wurden (Zu den Referenden siehe Ukraine-Analysen Nr. 132, S. 23–26).

Begründete Vorwürfe von doppelten Standards sind – so bedauerlich das auch sein mag – in der internationalen Politik eher die Regel als die Ausnahme. Prominente Beispiele sind die angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak, die unter Führung der USA und Großbritanniens als Rechtfertigung für die Besetzung des Landes genommen wurden, oder auch der NATO-Einsatz gegen Jugoslawien im Kontext der Kosovo-Krise, der durch die UNO nicht legitimiert war, oder die Taktik der USA im NSA-Skandal, auch bezogen auf die Bespitzelung ausländischer Politiker, alles zu leugnen, was nicht bereits bewiesen wurde.

Die dazu passende Interpretation, die von vielen Experten vertreten wird, besagt, dass Russland dieselbe Außenpolitik betreibt wie alle anderen Großmächte: pragmatisch, geopolitisch begründet und auf Einflusssphären orientiert, um die eigene Machtposition – im Fall Russlands gegen den Westen – zu behaupten. Die Ironie der Ukraine-Krise ist dann, wie der Economist schrieb (20.9.2014), dass die Russen die Europäische Nachbarschaftspolitik (und damit die Assoziierung u. a. der Ukraine an die EU) bei weitem ernster genommen haben, als die EU selber es je getan hat.

Weil mein Eindruck ist, dass im Westen insbesondere diejenigen, die der globalen Rolle der USA kritisch gegenüberstehen, Verständnis für die russische Position äußern, muss zumindest festgehalten werden, dass die russische Außenpolitik im moralischen Sinne nicht besser ist als die der USA, sondern dass sie (mit begrenzteren Mitteln) dieselbe Art pragmatischer (und damit gegenüber moralischen Prinzipien immuner) Großmachtpolitik verfolgt.

3. Russland begründet seine Politik nationalistisch

Tatsächlich sehe ich aber bezogen auf internationale Interventionen zwei zentrale Unterschiede zwischen Russland und den USA. Der erste ist innenpolitisch. In den USA gibt es eine kontroverse öffentliche Debatte und kritische Medienberichte sowohl im Vorfeld als auch begleitend zu Interventionen. Die Fragwürdigkeit der Behauptung, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze, wurde so im Westen selbst intensiv diskutiert und führte u. a. dazu, dass sich Deutschland und Frankreich nicht an der Invasion beteiligten. Auch über den NSA-Skandal wurde von führenden amerikanischen Medien kritisch berichtet. In Russland hingegen findet eine kontroverse Diskussion der Außenpolitik des Landes nicht wirklich statt.

Der zweite – hier relevante – Unterschied bezieht sich auf die Legitimation der internationalen Intervention. Die USA und die NATO haben Interventionen im Ausland immer mit einer Krise im Zielland begründet und die Intervention darauf ausgerichtet, die Machtverhältnisse im Land zu verändern. Es dürfte mittlerweile offensichtlich geworden sein, dass diese Art der Intervention – ganz unabhängig von moralischen Fragen – nur sehr begrenzt erfolgreich ist. Zentral für die hier vorgenommene Argumentation ist aber, dass es um die Verhinderung einer (eindeutig selbst-definierten) "Katastrophe" geht und deshalb zwar eine Intervention, aber keine Annexion angestrebt wird. Dies ist bei Russland anders.

Putin hat die Annexion der Krim explizit mit nationalistischen Argumenten gerechtfertigt. Die Rückkehr der Krim zu Russland sei die Anerkennung der "historischen Wahrheit". (Rede bei den Siegesfeierlichkeiten in Sewastopol am 9.5.2014, http://eng.kremlin.ru/tran scripts/7158) Bei seiner Ansprache aus Anlass der Aufnahme der Krim in die Russische Föderation erklärte Putin: "In den Herzen und Köpfen der Menschen war die Krim immer ein untrennbarer Teil Russlands. Diese feste Überzeugung basiert auf Wahrheit und Gerechtigkeit und wurde über die Zeit und unter allen Umständen und trotz der dramatischen Veränderungen, durch die unser Land während des ganzen 20. Jahrhunderts gegangen ist, von Generation zu Generation weitergegeben." (Externer Link: http://eng.kremlin.ru/news/6889) In der populären im Fernsehen übertragenen Fragerunde des Präsidenten mit Anrufern aus dem ganzen Land erklärte Putin im April, dass die Diskriminierung der ethnischen Russen in der Ukraine Russland zum Handeln gezwungen habe und deshalb die Annexion der Krim erfolgt sei. (Externer Link: http://eng.kremlin.ru/news/7034)

Putin hat auch erklärt, dass die Teile der Ukraine, die in Russland zunehmend als "Neu-Russland" bezeichnet werden und die in Putins Aufzählung fünf ukrainische Regionen bis hin zur ukrainischen Westgrenze umfassen, eigentlich nicht zur Ukraine, sondern zu Russland gehören. In der oben genannten Fragerunde sagt er: "Diese Gebiete wurden in den 1920er Jahren von der sowjetischen Regierung an die Ukraine gegeben. Warum? Wer weiß. Sie wurden von Potemkin und Katharina der Großen in einer Reihe bekannter Kriege gewonnen. Das Zentrum dieser Region war Novorossiisk, deshalb wurde die Region Novorossija ["Neu-Russland"] genannt. Russland hat diese Gebiete aus verschiedenen Gründen verloren, aber die Menschen sind dort geblieben" (Externer Link: http://eng.kremlin.ru/news/7034).

4. Ausblick

Die Behauptung einer "historischen Wahrheit" in Bezug auf nationale Grenzen und mit ethnischer Zugehörigkeit begründete Interventionen in anderen Ländern kann – wie nicht nur zwei Weltkriege gezeigt haben – fatale Folgen haben. Verständnis für die russische Position im Sinne einer impliziten Zustimmung erscheint mir in diesem Zusammenhang mehr als schwierig.

Russland hat sich durch emotional aufgeladene Rechtfertigungen in eine Lage manövriert, die zwar die Akzeptanz einer friedlichen Lösung des Konflikts in der Ost-Ukraine erlaubt, aber keine Absage an die nationalistische Begründung für Interventionen im Ausland. Damit stellt sich Russland außerhalb der Prinzipien der derzeitigen Weltordnung (wie auch die Verurteilung der Krim-Annexion durch die UN-Vollversammlung gezeigt hat) und schafft – sollte es erfolgreich sein – gleichzeitig einen Präzedenzfall für Grenzstreitigkeiten in vielen Teilen der Welt.

Wer die moralische Autorität und die angemessenen Mittel hat, gegenüber Russland (und nicht nur gegenüber Russland) auf einer Einhaltung der internationalen Regeln bezüglich territorialer Integrität zu bestehen, ist eine andere Frage.

Fussnoten

Dr. Heiko Pleines leitet die Abteilung Politik und Wirtschaft der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.