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Religiöse Strömungen und jüdische Feiertage | Jüdisches Leben in Deutschland nach 1945 | bpb.de

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Religiöse Strömungen und jüdische Feiertage

Levi Israel Ufferfilge

/ 11 Minuten zu lesen

Wie unterscheiden sich die unterschiedlichen Strömungen des Judentums? Wie und wo wird der Schabbat gefeiert? Welche weiteren hohen und kleinen Feiertage gibt es im Judentum? Und welche israelischen Feier- und Gedenktage sind in den jüdischen Gemeinden Deutschlands etabliert?

Kantor Jakow Zelewitsch entzündet die Kerzen auf dem Channuka-Fest der jüdischen Gemeinde in Herford 2019. Das Lichterfest erinnert an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem im Jahre 164 v. u. Z. (© Robert B. Fishman)

Religiöse Strömungen

Drei der heute größten jüdischen Strömungen auf der Welt haben ihren Ursprung im Deutschland des 19. Jahrhunderts:

  • das Reformjudentum (auch liberales oder progressives Judentum genannt),

  • das modern-orthodoxe Judentum (seltener als Neo-Orthodoxie bezeichnet) sowie

  • das historisch-positive Judentum (heute hingegen als konservatives oder Masorti-Judentum bekannt).

Diese drei Strömungen sind auch heute noch bzw. wieder in Deutschland vertreten, aber auch andere Strömungen und Gruppierungen kommen mittlerweile in deutschen Städten vor.

Einstellungen der unterschiedlichen Strömungen des Judentums zu verschiedenen Aspekten (© Katharina Hoba / Gesa Löbbecke, Judentum, 5. Aufl., Berlin: Cornelsen Verlag 2006, S. 27 (aktualisiert))

Orthodoxes Judentum

Fast alle jüdischen Gemeinden in Deutschland sind seit der Nachkriegszeit Einheitsgemeinden, die dem orthodoxen Ritus folgen. Eine Einheitsgemeinde soll der Einheit der jüdischen Gemeinschaft eines Ortes dienen, also allen Juden eines Ortes unabhängig von ihrer Strömung und Überzeugung offenstehen. Mit Blick auf die Ausrichtung der G’ttesdienste und die Einstellung eines Rabbiners oder Kantors, also eines gesanglich ausgebildeten Vorbeters, entscheidet sich eine Einheitsgemeinde aber für eine bestimmte jüdische Strömung.

Während vor der Shoah das Reformjudentum die größte Strömung in Deutschland gewesen war, sorgte der Einfluss der meist nur mit der Orthodoxie vertrauten Shoah-Überlebenden aus den DP-Camps, die nach ihrer Befreiung in Westdeutschland geblieben waren, in den deutschen Gemeinden für einen fundamentalen Wechsel von der liberalen zur orthodoxen Strömung.

Die meisten Mitgliedsgemeinden des Zentralrats der Juden in Deutschland halten orthodoxe G’ttesdienste ab und beschäftigen Rabbiner und Kantoren, die einer orthodoxen Gruppierung angehören. Die Ausübung der jüdischen Religion richtet sich in der orthodoxen Strömung nach einem traditionellen Verständnis der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes. Die Halacha beschreibt den von G’tt für sein jüdisches Volk gewollten rechten Lebensweg. Zu diesem gehören unter anderem eine strikte Ruhe am Schabbat ebenso wie die genaue Befolgung der Speisegesetze, unterschiedliche Rollen für Männer und Frauen, Geschlechtertrennung im G’ttesdienst und eine instrumentenlose Liturgie. Die Befähigung zum Rabbiner steht nur heterosexuellen Männern offen; mit dem orthodoxen Rabbinerseminar zu Berlin, besteht dafür gegenwärtig in der Hauptstadt eine Ausbildungsstätte. Die orthodoxen Gemeinderabbiner sind in der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland zusammengeschlossen.

Neben der modernen Orthodoxie mit ihren Wurzeln in Deutschland gibt es hierzulande mittlerweile Jüdinnen und Juden anderer orthodoxer Prägungen. Traditionelle Jüdinnen und Juden vom Balkan, aus dem Iran, Afghanistan, dem Kaukasus, aus Nordafrika oder zum Teil aus Israel, die sich als Sepharden (Nachfahren der Juden, die Ende des 15. Jahrhunderts von der Iberischen Halbinsel vertrieben wurden) oder Misrachim (Juden des Nahen und Mittleren Ostens) begreifen, sind zu verschiedenen Zeiten nach Deutschland gekommen und haben beispielsweise in Hannover und Berlin unabhängige orthodoxe Betergemeinschaften gegründet.

Vereinzelt sind auch charedische ("ultraorthodoxe") Juden litauischer Prägung zum Beispiel als Rabbiner oder Lehrer mit ihren Familien in deutsche Großstädte gezogen. Ungleich prägender für die jüdischen Gemeinden in Deutschland war das Aufkommen des Chabad-Chassidismus in den letzten 30 Jahren. Das chassidische Judentum entstand während des 18. Jahrhunderts in Osteuropa als jüdische Erneuerungsbewegung mit deutlichen mystischen Elementen und brachte als eine von vielen örtlich organisierten Gruppierungen Chabad-Lubavitch hervor.

Chabad-Lubavitch begann Mitte des 20. Jahrhunderts von New York aus mit einem innermissionarischen Programm, das Juden überall auf der Welt zu einem strikten Glauben im Sinne von Chabad bewegen soll. Mit diesem Auftrag kamen auch in 18 deutsche Städte Chabad-Familien, die die örtlichen jüdischen Gemeinden prägen und gerade die Juden aus der ehemaligen Sowjetunion von einem chassidischen Lebensweg überzeugen wollen.

Als Einheitsgemeinde dem orthodoxen Ritus zu folgen lässt allerdings kaum einen Rückschluss über die Selbstidentifikation oder die religiöse Praxis ihrer Mitglieder zu. Nur eine Minderheit in den Einheitsgemeinden lebt strikt nach orthodoxen Regeln. Mehr Juden wiederum bezeichnen sich zwar als orthodox, sind aber kaum oder gar nicht praktizierend. Gründe für diese Selbstverortung können der familiäre Hintergrund, die Sympathie für althergebrachte Traditionen und Werte oder die Abgrenzung zu anderen Strömungen sein.

Liberales Judentum

Neben den vereinzelten Einheitsgemeinden, die sich bei ihrer Wiedergründung oder in späterer Zeit für den liberalen Ritus im G’ttesdienst entschieden hatten, haben sich in den 1990er- und 2000er-Jahren einige explizit liberale Gemeinden gegründet, sei es neben bereits vorhandenen orthodoxen Einheitsgemeinden oder an Orten ohne bestehende jüdische Gemeinde. 26 liberale Gemeinden existieren mittlerweile in Deutschland und sind unter dem Dachverband der Union progressiver Juden zusammengeschlossen. Diese Gemeinden sind zwar im Schnitt deutlich kleiner als die Einheitsgemeinden und repräsentieren nur einen kleinen Teil der Jüdinnen und Juden in Deutschland, doch erfreuen sich einige liberale Gemeinden in den Großstädten steten Zuwachses, während nahezu alle Einheitsgemeinden stetig Mitglieder vor allem wegen Überalterung verlieren.

Mit dem Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam konnten liberale Juden als Erste nach der Shoah in Deutschland wieder eine Ausbildungsstätte für das Rabbinat und Kantorat gründen. Männer und Frauen jedweder geschlechtlicher und sexueller Identität können ein religiöses Amt erlangen, denn Männer und Frauen sind in allen religiösen Belangen im liberalen Judentum gleichberechtigt. Männer und Frauen sitzen im G’ttesdienst gemischt und Frauen dürfen auch das Gebet leiten oder Rituale für andere Gemeindemitglieder ausführen. In den G’ttesdiensten können Musikinstrumente genutzt werden; besonders wichtig war hierbei vor der Shoah die Orgel, die unter anderem noch in der Berliner Synagoge zu hören ist. Hatte sich das liberale Judentum vor der Shoah, etwa bei der Gestaltung des G’ttesdienstes bis hin zur Amtstracht der Rabbiner, oft noch deutlich an protestantischen Kirchen orientiert, tritt das heutige liberale Judentum in Deutschland eigenständiger auf und ist etwa im Vergleich zu liberalen Gemeinden in den USA traditioneller orientiert. Die vorherrschende Sprache des G’ttesdienstes ist Hebräisch mit gewissen Anteilen der Landessprache. Das jüdische Religionsgesetz wird als veränderlich und lediglich als Orientierung betrachtet und dem Individuum wird die Freiheit gelassen zu entscheiden, welche religiösen Pflichten es einhalten möchte.

Kennzeichnend für das liberale Judentum in Deutschland ist die überdurchschnittlich hohe Beteiligung am jüdisch-christlichen Dialog, insbesondere was das Engagement liberaler Rabbinerinnen und Rabbiner im theologischen Diskurs mit christlichen Geistlichen anbelangt.

Konservatives oder Masorti-Judentum

Das konservative oder Masorti-Judentum hat zwar auch seine Wurzeln in Deutschland, institutionalisierte sich aber vor allem in den USA, wo es zeitweise die größte, heute die zweitgrößte Strömung nach dem liberalen Judentum ist. In Deutschland zentriert sich Masorti noch stark auf Berlin mit zwei Synagogengemeinschaften, ansonsten findet sich noch jeweils eine Gemeinde, die sich als konservativ begreift, in Niedersachsen und Bayern. "Konservativ" meint bei dieser Strömung im Wortsinn "bewahrend", was sich auf die Bewahrung der jüdischen Tradition bei gleichzeitigem Leben in und Teilnehmen an einer (post-)modernen Gesellschaft bezieht. "Masorti" wiederum bedeutet auf Hebräisch "traditionell". Damit positioniert sich das konservative Judentum zwischen dem orthodoxen und liberalen Judentum. Wie in der Orthodoxie wird an der Tradition und ihren Gesetzen festgehalten, die Gesetze werden jedoch auch kritisch reflektiert, um etwa Ungerechtigkeiten aufgrund veralteter diskriminierender Annahmen über die Fähigkeiten von Frauen beseitigen zu können. So ist es wie im liberalen Judentum auch im Masorti-Judentum möglich, als Frau Kantorin oder als homosexueller Mann Rabbiner zu werden.

Je nach Land und Gemeinde ähneln konservative Gemeinden stärker orthodoxen oder liberalen Gemeinden. In Deutschland liegen konservative Jüdinnen und Juden mit Blick auf die Einhaltung der Halacha näher an der Orthodoxie, während die Masorti-Rabbinerinnen und -Rabbiner ihrerseits wiederum zusammen mit den liberalen Rabbinerinnen und Rabbinern in der Allgemeinen Rabbinerkonferenz organisiert sind. Auch das konservative Rabbinerseminar, das Zacharias Frankel College in Potsdam, existiert als Schwesterinstitution neben dem liberalen Rabbinerseminar im selben Gebäude.

Weitere Strömungen und über die Strömungen hinaus

Zum weiteren nicht-orthodoxen Spektrum gehört auch das Renewal-Judentum, das als progressive amerikanische Strömung unter anderem deutliche Elemente jüdischer Mystik, Musikalität, Tanz und Meditation aufweist und aus dem Kontext der Gegenkulturbewegungen der 1960er-Jahre wie der Hippie-Bewegung, Bürgerrechts- und Frauenbewegung entstammt. Vertreter dieser Strömung gibt es seit den letzten 20 Jahren beispielsweise in Frankfurt und Berlin.

Viele Jüdinnen und Juden ordnen sich keiner Strömung zu oder sympathisieren mit mehreren. In den vergangenen Jahren sind zudem gerade unter jungen Leuten vermehrt Bestrebungen und Tendenzen zu beobachten, religiöse Veranstaltungen, etwa Sederfeiern an Pessach oder gemeinsames Beten am Schabbat, entweder strömungsübergreifend zu organisieren (transdenominational) oder sie keiner bestimmten Strömung zuzuordnen (non-denominational).

QuellentextStationen im Lebenszyklus

Beschneidung (Brit Mila)

Am achten Tag nach der Geburt werden alle jüdischen Jungen beschnitten, d. h., die Vorhaut des männlichen Gliedes wird entfernt. Durch die Beschneidung tritt der Junge in den Bund (Brit) ein, den Gott mit Abraham geschlossen hat […]. […]

Während der Zeremonie, die von einem speziell geschulten Beschneider (Mohel) vorgenommen wird, bekommt das Kind seinen Namen. Anschließend feiern die Eltern mit Familie und Freunden die Zugehörigkeit ihres Sohnes zur jüdischen Gemeinschaft, die mit der Beschneidung besiegelte wurde.

Mädchen werden nicht beschnitten. Sie erhalten am ersten Schabbat nach der Geburt in der Synagoge ihren Namen.

Bar Mizwa und Bat Mizwa

Die religiöse Volljährigkeit erreicht ein jüdischer Junge im Alter von 13 Jahren. Dieser Lebensabschnitt wird mit der Bar Mizwa-Feier feierlich begangen.

Zum ersten Mal in seinem Leben legt der Junge Gebetsriemen (Tefillin) und Gebetsschal (Tallit) an. In der Synagoge wird er dazu aufgerufen, aus der Tora zu lesen. Er ist jetzt ein vollmündiges Mitglied der Gemeinde, mit allen Rechten und Pflichten, die dazu gehören. Auch wenn es darum geht, die Mindestzahl von zehn jüdischen Männern für die Feier eines Gottesdienstes (Minjan) zu erreichen, wird er nun dazu gezählt. Nach dem Gottesdienst in der Synagoge wird die Bar Mizwa in der Familie groß gefeiert. […]

Auch die Bat Mizwah-Feier findet in der Synagoge statt. Das Mädchen [...] muss und darf [...] von nun an alle religiösen Pflichten der Frau erfüllen. Dazu gehört zum Beispiel das Anzünden der Schabbatkerzen. Eine Ausnahme bildet das Reformjudentum: Hier werden auch Mädchen zur Toralesung in der Synagoge aufgerufen.

Hochzeit (Chatuna)

Eines der bedeutendsten Feste im Leben eines Juden ist die Hochzeit. Daher sind auch die Rabbiner verheiratet. Die Hochzeit ist sogar Voraussetzung für die Übernahme des Rabbineramtes. Auch das Großziehen von Kindern ist religiöse Pflicht. [...] Sexualität gilt im Judentum nicht als frevelhaft, sondern als etwas Positives, von Gott in seiner Schöpfung Vorgesehenes. Sie ist allerdings an den Rahmen der Ehe gebunden. […]

Hochzeiten werden oft unter freiem Himmel in großem Rahmen mit vielen Gästen gefeiert. Vor der Zeremonie unter der Chuppa wird als erstes Zeichen der einzugehenden Ehe vom Bräutigam und zwei Zeugen der Ehevertrag unterschrieben, die Ketubba. In diesem Vertrag legt der Bräutigam unter anderem fest, wie viel Unterhalt seiner Braut im Falle einer Scheidung oder im Falle seines vorzeitigen Todes zusteht. Früher war die Ketubba ein wichtiges Dokument für die Versorgung geschiedener und verwitweter Frauen. Heute hat sie – abgesehen von orthodoxen Kreisen – mehr symbolischen Charakter.

Ist das Brautpaar mit den Eltern unter der Chuppa eingetroffen, spricht der Rabbiner den Segen über einen Becher Wein, aus dem Braut und Bräutigam trinken. Der Bräutigam steckt seiner Braut einen Ring auf den Finger und spricht dabei auf Hebräisch folgenden Satz: "Mit diesem Ring bist Du mir angeheiligt nach den Gesetzen von Moses und Israel." Nur im Reformjudentum ist es üblich, dass auch die Frau dem Mann einen Ring ansteckt. Anschließend wird die Ketubba vorgelesen. Manchmal hält der Rabbiner eine Ansprache. Dann werden sieben Danksprüche vorgetragen oder gesungen, die von der Freude des Paares aneinander handeln, die nur noch von der Freude über das wiedererbaute Jerusalem übertroffen wird.

Am Ende der Trauzeremonie zerbricht der Bräutigam mit einem kräftigen Tritt ein auf dem Boden liegendes Glas. Dies geschieht zum Gedenken an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem, die auch in Augenblicken größter Freude nicht vergessen werden soll.

Mit lauten masal tow-Rufen (Viel Glück!) wird das Paar beglückwünscht. Im Anschluss an die Zeremonie wird mit Musik und Tanz und gutem, reichlichen Essen gefeiert.

Scheidung

Trotz der wichtigen Stellung der Ehe ist im Judentum unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Scheidung möglich und durchaus üblich. So zum Beispiel, wenn die Ehepartner sich nicht verstehen, die Ehe kinderlos bleibt oder die Frau misshandelt wird. Zur Scheidung bedarf es einer schriftlichen Urkunde, die nur von Rabbinern ausgestellt werden kann.

Tod und Trauer

Der Tod gehört für Juden als Selbstverständlichkeit zum Leben. Wenn der Tod eintritt, beten die Angehörigen oder dem Verstorbenen nahe stehende Personen das Schma Israel, in dem sie den Glauben an Gott bekennen, und zünden ein Licht an. Traditionell zerreißen sie zum Zeichen des Schmerzes und der Trauer ein Stück ihrer Kleidung.

Der Tote wird gewaschen, mit einem einfachen weißen Gewand bekleidet und auf die Erde gelegt. Die Beerdigung muss so schnell wie möglich nach dem Tod erfolgen. Am Schabbat und den Feiertagen finden keine Beerdigungen statt. Die Toten werden in schlichten Särgen beerdigt, oder, wie in Israel üblich, in Tüchern gehüllt in das Grab gesenkt. Das soll ausdrücken, dass im Tod alle gleich sind. Tote werden nicht in offenen Särgen aufgebahrt. Für religiöse Juden ist die Einäscherung verboten […]. […]

Das wichtigste Gebet zur Beerdigung ist das Kaddisch, eines der ältesten jüdischen Gebete, das in aramäischer Sprache vorgetragen wird. Es ist ein Gebet zum Lobpreis Gottes und enthält die Bitte um Rettung und Erlösung. Voraussetzung dafür, dass das Kaddisch gesprochen werden kann, ist die Anwesenheit eines Minjans, also von zehn männlichen Erwachsenen.

Nach der Beerdigung sitzen die engsten Familienangehörigen sieben Tage lang Schiwa im Haus des Verstorbenen, das heißt sie gehen nicht aus und verrichten keine Arbeit. [...]Abends und morgens hält man einen Gottesdienst und spricht das Kaddisch, sofern genügend Männer anwesend sind. Nur am Schabbat wird die Schiwa unterbrochen, weil die Freude über den Schabbat stärker ist als der Tod. [...]

Die zweite Phase der Trauer sind die ersten dreißig Tage nach dem Tod des Angehörigen. In dieser Zeit schneidet man sich weiterhin nicht die Haare, feiert nicht und vermeidet es, Musik zu hören. Jeweils am Jahrestag des Todes zünden die Hinterbliebenen ein Licht an, das 24 Stunden lang brennt. Der Sohn des Verstorbenen liest an diesem Tag noch einmal das Kaddisch.

Katharina Hoba / Gesa Löbbecke, Judentum, 6. Aufl., Berlin: Cornelsen Verlag 2005, S. 52 ff.

QuellentextDie Gemeinde

Die zentrale Einrichtung einer jüdischen Gemeinde ist die Synagoge. Sie ist das Zentrum des religiösen und sozialen Lebens und fungiert gleichzeitig als Gebetsstätte, Gemeindehaus und Gerichtssaal. Zu den unbedingt notwendigen Einrichtungen einer Gemeinde gehören zudem die Mikwe (Ritualbad) und der Friedhof. Einige Gemeinden unterhalten auch Schulen.

Ämter und Aufgabenverteilung

Jede Gemeinde hat einen gewählten Vorstand, mit dessen Hilfe sie alle inneren Angelegenheiten in eigener Verantwortung nach dem jüdischen Religionsgesetz regelt.

Daneben gibt es einige wichtige Gemeindeämter:
Der Rabbiner (Raw) erhält sein Amt [...] [durch ein Bewerbungsverfahren]. Seine Befähigung hat er durch ein gründliches Studium der Schriften, in der Regel an einem Rabbinerseminar, erworben. [...] Zu den Aufgaben des Rabbiners gehört es, seine Gemeindemitglieder in religionsgesetzlichen Fragen zu beraten und als eine Art Richter Entscheidungen zu treffen. [Außerdem ist die Seelsorge heutzutage ein zentraler Bestandteil des Rabbinats.]

Auch die Ehefrau des Rabbiners nimmt bestimmte Aufgaben wahr. So kümmert sie sich z. B. um die Frauen, die die Mikwe besuchen und bereitet die Braut vor der Hochzeit in einem Beratungsgespräch auf die Ehe vor.

[Frauen können heute in allen Strömungen jenseits der Orthodoxie ebenfalls Rabbinerin werden, das gilt auch für Schwule/Lesben etc.]

Der Kantor (Chasan) ist der Vorbeter der Gemeinde. In kleineren Gemeinden ohne Kantor kann jedes männliche Gemeindemitglied Vorbeter sein.

Der Synagogendiener (Schamasch) überwacht die täglichen Gottesdienste und ist für die rituellen Gegenstände verantwortlich. Er fungiert oft als Vorleser der Tora oder Stellvertreter des Kantor.

Der Schächter (Schochet) nimmt die koschere Schlachtung der Tiere vor. Hat eine Gemeinde keinen eigenen Schächter, kaufen die Gemeindemitglieder dann ihr koscheres Fleisch in anderen Gemeinden ein.

Der Mohel ist für die Beschneidung der Jungen zuständig. Hierfür hat er eine spezielle medizinische Ausbildung. Meist betreut ein Mohel mehrere Gemeinden gleichzeitig.

In orthodoxen und konservativen Gemeinden sind die genannten Gemeindeämter nur Männern zugänglich. In Reformgemeinden gibt es auch Rabbinerinnen.

Eine zentrale Gemeindeaufgabe ist die Wohlfahrtspflege. Es gibt verschiedene Ausschüsse, die sich um die sozialen Angelegenheiten in einer Gemeinde kümmern. Dazu gehören zum Beispiel die Unterstützung ärmerer Gemeindemitglieder, Hilfe für Alte und Kranke, aber auch die Ausrichtung von Festen. Um einen Teil dieser Aufgaben kümmert sich traditionell die Chewra Kadischa ("heilige Gesellschaft"), eine in allen Gemeinden bestehende Bruderschaft, die vor allem für die Bestattung der Toten und den Erhalt der Friedhöfe zuständig ist ("Beerdigungsbruderschaft").

Katharina Hoba / Gesa Löbbecke, Judentum, 5. Aufl., Berlin: Cornelsen Verlag 2006, S. 31 ff.

QuellentextDie Synagoge

Wahrscheinlich begannen die Israeliten bereits in der Zeit des babylonischen Exils nach der Zerstörung des Ersten Tempels damit, Lehr- und Versammlungshäuser einzurichten, die zu Orten des gemeinsamen Gebetes wurden.

Nachdem durch die Zerstörung des Zweiten Tempels (70 n. Chr.) das religiöse Zentrum in Jerusalem endgültig verloren ging, erlangten diese Synagogen (griech. "Versammlung", hebr. Bet Knesset, "Haus der Versammlung") als Versammlungsort der jüdischen Gemeinden zentrale Bedeutung.

Da es keine festgelegten Regeln für Größe, Grundriss oder Form einer Synagoge gibt, entwickelte sich im Laufe der Geschichte eine vielfältige Synagogenarchitektur. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, kennt nur zwei Vorgaben für den Bau einer Synagoge: sie sollte Fenster haben und nach Jerusalem ausgerichtet sein.

Oft sind die Synagogen mit architektonischen Dekorationselementen, hebräischen Inschriften oder anderen Symbolen farbenprächtig ausgeschmückt. Bilder von Menschen gibt es jedoch nicht, da das zweite der Zehn Gebote lautet: "Du sollst dir kein Bild machen …" (Ex 20, 4). Häufig verwendete Symbole sind die Menora (der siebenarmige Leuchter), die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten und der Davidsstern.

Die Hauptausrichtung einer Synagoge ist der meist erhöht stehende Toraschrein (Aron ha-Kodesch), ein Schrank, in dem die Torarollen aufbewahrt werden. Eine Gemeinde besitzt in der Regel mehrere dieser wertvollen Schriftrollen. Der Toraschrein befindet sich an der Wand der Synagoge, die Richtung Jerusalem zeigt, in europäischen Synagogen also an der Ostwand. Der Schrein selbst ist oft von einem prachtvoll bestickten Toravorhang verhüllt. Vor dem Toraschrein brennt nach den Vorgaben des Stiftszeltes, in dem die Bundeslade aufbewahrt wurde (Lev 24, 2 f), ein ewiges Licht, das Ner Tamid.

Die Torarollen im Schrein sind durch so genannte Toramäntel aus Samt, die mit Brokat und Stickerei verziert sind, geschützt. Zur Ehre der Tora sind die Schriftrollen mit aus Silber getriebenen Aufsätzen in Form von Granatäpfeln (Rimonim) geschmückt, die auf die Holzstäbe, auf denen die Rolle aufgewickelt ist, gesteckt werden. Schon seit biblischer Zeit werden auch Glöckchen als Schmuckelemente verwendet. An bestimmten Festtagen wird der Schriftrolle anstelle der Rimonim die Torakrone (Keter Tora) aufgesetzt, die ein Symbol für die königliche Bedeutung der Lehre darstellt. An silbernen Ketten hängt das Toraschild, das die Rollen markiert und oft Widmungen der Spender der Torarolle zeigt. Zum Lesen der Torarolle in der Synagoge wird der Torazeiger (Jad) verwendet, ein meist silberner Stab, an dessen Ende eine silberne Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger befestigt ist. Der Torazeiger dient als Lesehilfe, damit der heilige Text der Tora nicht berührt werden muss. Wenn die Torarollen durch Gebrauch beschädigt worden sind, werden sie nicht weggeworfen, sondern auf dem Friedhof beerdigt.

An zentraler Stelle in der Synagoge steht die Bima (auch Al-memor oder Teva genannt), ein Podium mit Vorlesepult, von dem aus die Torarollen verlesen werden. Diese fast immer mit einem Geländer umgebene Plattform ist über Stufen an zwei Seiten zu erreichen. Das Pult dient in erster Linie als Ablage für die meist unhandlichen Torarollen.

Einen Altar gibt es in einer Synagoge nicht. […]

Im Vorraum der Synagoge befindet sich ein Waschbecken mit einer Wasserkanne für die symbolische Reinigung der Hände vor dem Gebet.

Seit dem Mittelalter wurden im Hauptraum vieler Synagogen Emporen und Galerien mit separatem Eingang für Frauen eingebaut. Nach und nach wurden sie Bestandteil aller Synagogen. Durch Gitter oder Vorhänge wurden diese Frauenabteile vom Hauptraum abgegrenzt, um zu verhindern, dass die Männer durch den Anblick der Frauen von ihrem Gebet abgelenkt würden. In reformierten Synagogengemeinden wurden im 19. Jh. die Gitter um den Frauenbereich niedriger gestaltet oder ganz abgeschafft. Die Reformer legten großen Wert darauf, das jüdische Familienleben zu fördern, und erlaubten den Frauen, aktiv am Synagogengottesdienst teilzunehmen. In manchen Reformgemeinden, besonders in den USA, wurde die Geschlechtertrennung während des Gottesdienstes ganz aufgehoben. In orthodoxen Synagogen sind Männer und Frauen jedoch auch heute noch streng voneinander getrennt.

Die Funktionen der Synagoge als geistiges Zentrum der Gemeinde sind vielfältig. Sie ist gleichzeitig Bet- und Lehrhaus sowie Versammlungsort. Diese Verbindung von Gottesdienst, Lehre und alltäglichem Leben ist typisch für das Judentum. Die jiddische Bezeichnung für Synagoge, "Schul", verdeutlicht, wie wichtig das Lernen und Studieren ist.

Die Synagoge ist kein Sakralraum als solcher – sie wird es erst durch die Feier des Gottesdienstes. Deshalb ist jeder Ort, an dem sich zehn jüdische Männer (Minjan) zum Gebet zusammenfinden, im weitesten Sinne auch eine Synagoge. […]

Katharina Hoba / Gesa Löbbecke, Judentum, 5. Aufl., Berlin: Cornelsen Verlag 2006, S. 32 ff.

QuellentextDer Hebräische Kalender

Das Judentum hat eine eigene Zeitrechnung, deren Beginn 3761 vor dem Jahr [...] [0] liegt. Diese Festlegung hat [...] Rabbi Hillel II. um 330 n. d. Z. getroffen, in dem er die in der Hebräischen Bibel aufgeführten Jahre seit Erschaffung der Welt zusammenzählte.

Der hebräische Kalender ist lunisolar: d. h., die Monate richten sich nach dem Mond, das ganze Jahr aber nach der Sonne. Damit zählt das Jahr lediglich 354 Tage, elf Tage weniger als das "Sonnenjahr". Um die Abweichung auszugleichen und ein Wandern der Monate durch das Jahr [...] zu vermeiden, wird regelmäßig ein Schaltmonat eingefügt. Die Schaltung folgt einem höchst komplizierten Muster, die den religiösen Vorschriften verschiedener Feiertage geschuldet ist. So darf [...] der 1. Tischri kein Sonntag, Mittwoch oder Freitag sein; das Pessachfest, das immer am 15. Nisan einsetzt, darf weder am Montag noch am Mittwoch oder Freitag beginnen.

[...] [Der Hebräische Kalender] beginnt mit dem Monat [Nisan, der Festekalender mit dem Monat] Tischri (September bis Oktober, 30 Tage); dann folgen Cheschwan (Oktober bis November, 29 bzw. 30 Tage), Kislew (November bis Dezember, 30 bzw. 29 Tage), Tevet (Dezember bis Januar, 29 Tage), Schevat (Januar bis Februar, 30 Tage), Adar (Februar bis März, 29 Tage), Nisan (März bis April, 30 Tage), ljjar (April bis Mai, 29 Tage), Siwan (Mai bis Juni, 30 Tage), Elul (August bis September, 29 Tage).

Nach Inke Brodersen, Judentum. Eine Einführung, Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag 2011, S. 25 ff.

Jüdische Feiertage

Schabbat

Der bedeutendste jüdische Feiertag ist der wöchentliche Schabbat, der von der Abenddämmerung am Freitag bis Nachteinbruch am Samstag Ruhe, Freude und die Beschäftigung mit G’tt verlangt. Der Schabbat wird sowohl Zuhause als auch in der Synagoge gefeiert: Zuhause mit einigen Ritualen wie dem Segnen der Kinder, dem Kiddusch zur Heiligung des Tages und Mahlzeiten mit Wein und Challot, geflochtenen Schabbatbroten. In der Synagoge wird mit einem musikalischen G’ttesdienst am Freitagabend und zwei G’ttesdiensten mit Torahlesung am Samstagmorgen und -nachmittag gefeiert. Wenige Jüdinnen und Juden in Deutschland besuchen alle G’ttesdienste zum Schabbat; einige versuchen, am Freitagabend oder am Samstagmorgen in die Synagoge zu gehen. Einige Familien feiern Schabbat nur Zuhause und halten eine Schabbatruhe ein, indem sie nicht arbeiten, auch nicht kochen, fernsehen oder Zeit im Internet verbringen. Viele Juden feiern Schabbat wiederum gar nicht oder nur manchmal oder haben ein Familienessen mit oder ohne Rituale, aber halten keine besondere Schabbatruhe ein.

Die Hohen Feiertage Rosch haSchana und Jom Kippur

In der Wahrnehmung der meisten Juden nehmen jedoch die Hohen Feiertage Rosch haSchana und Jom Kippur die größte Bedeutung ein. Rosch haSchana ist das zweitägige jüdische Neujahrsfest, an dem einerseits der Schöpfung der Welt gedacht wird und andererseits jeder Jude bzw. jede Jüdin auf die guten und schlechten Taten des zurückliegenden Jahres blicken soll. Ab Rosch haSchana zählt man zehn Tage der Umkehr, an denen man sich mit seinen Mitmenschen versöhnen, gute Taten vollbringen, wohltätig sein und mehr beten soll. Jom Kippur ist der Höhepunkt dieser Tage, ein Tag zur Versöhnung zwischen G’tt und seinem Volk Israel. An Jom Kippur soll man nichts anderes tun als sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen und G’tt für alle Verfehlungen um Vergebung zu bitten. Damit man davon nicht abgelenkt wird, wird strikt gefastet und auf Essen und Trinken, aber auch auf Lederschuhe, Make-up, Parfum, auf Baden und Duschen und körperliche Intimitäten verzichtet. Tatsächlich sind die Synagogen in Deutschland an Rosch haSchana und vor allem an Jom Kippur meist so voll, dass die Betenden in vielen Städten während der langen G‘ttesdienste stehen müssen. Selbst Jüdinnen und Juden, die ansonsten nie in die Synagoge gehen, kommen dann zum Gebet.

Die Schalosch Regalim (dt. Pilgerfeste)

Die drei Pilgerfeste, zu denen man noch bis vor etwa 2000 Jahren zum israelitischen Tempel nach Jerusalem pilgerte, sind Pessach, Schawuot und Sukkot. Ihnen ist gemein, dass sie alle einen Teil der Erzählung des Auszugs aus Ägypten und der anschließenden Wanderung durch die Wüste behandeln und eine Erntefestkomponente haben. Pessach dauert acht Tage (in liberalen Gemeinden sowie in Israel sieben Tage), hat den Sederabend im Zentrum, an dem anhand von symbolischen Speisen, Gebeten und Liedern der Auszug aus Ägypten erzählt wird, und geht mit dem Verbot einher, Gesäuertes zu essen. Pessach erfreut sich als Familienfest in Deutschland großer Beliebtheit und die Teilnahme an Sederabenden, ob in der Familie, bei Freunden oder in der Gemeinde, ist durchaus verbreitet, die Einhaltung der verschärften Speisegesetze während der acht oder sieben Tage hingegen weniger.

Sieben Wochen (hebr.: Schawuot) nach Pessach wird an Schawuot an zwei Tagen (in liberalen Gemeinden an einem Tag) der Erhalt der Torah am Berg Sinai während der Wüstenwanderung mit einer langen Nacht des Torahstudiums, einer mit Pflanzen geschmückten Synagoge und mit Milchspeisen gefeiert.

Sukkot wiederum behandelt die unstete Zeit während der Wanderung durch die Wüste, als die Wandernden in Laubhütten (hebr.: Sukkot) verweilen mussten. Zu diesem acht (bzw. sieben) Tage dauernden Fest werden Laubhütten errichtet, in ihnen wird gegessen und manchmal sogar geschlafen (allerdings von wenigen) und das Morgengebet erfolgt mit einem Strauß aus den Arba Minim, vier bestimmten Pflanzenarten. In Deutschland bauen sich nur wenige Familien und Einzelpersonen eine eigene Sukka; üblicher ist es, die Sukka der Gemeinde zu besuchen. Während es früher ein schwieriges Unterfangen war, die Arba Minim zu erstehen, können sie heute in einigen deutschen Großstädten gekauft oder über den Zentralrat der Juden in Deutschland bestellt werden. Während die Sukkot der Gemeinden durchaus gut besucht werden, ist der Anteil derer, die mit den Arba Minim beten, nur gering. An Sukkot schließen direkt das Abschlussfest Schmini Azeret und das Fest der Torafreude Simchat Tora an, an dem der jährliche Lesezyklus der Tora endet und sofort wieder neu beginnt.

Die kleinen Feiertage

Auch wenn Chanukka und Purim sogenannte kleine Feiertage sind, weil sie nicht in der Torah, sondern erst in späteren Werken erwähnt werden, tut das ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Chanukka wird von so vielen Jüdinnen und Juden in Deutschland gefeiert wie sonst nur noch Jom Kippur. Er ist ein Lichterfest im Winter, an dem Kerzen angezündet, Lieder gesungen und in Öl gebratene Speisen wie Sufganiot (Krapfen) und Latkes (Kartoffelpuffer) gegessen werden. Die zeitliche Nähe zum christlichen Weihnachtsfest verhilft Chanukka ohne Zweifel zu besonderer Aufmerksamkeit. Dabei gibt es durchaus einige Jüdinnen und Juden, die auch Weihnachten feiern, etwa weil sie christliche Partner oder Familienmitglieder haben oder weil sie wie die Mehrheitsgesellschaft eine säkulare Form mit Tannenbaum und Geschenken mögen.

Purim wiederum feiert die Errettung der persischen Jüdinnen und Juden vor etlichen Jahrhunderten durch die von Königin Esther dank Beten und Fasten erwirkte g’ttliche Intervention. Gefeiert wird es karnevalesk in Kostümen, mit Alkohol, Süßspeisen und Theaterdarbietungen. Purim erfreut sich in Deutschland insbesondere bei Kindern und Jugendlichen großer Beliebtheit. Gerade die Jugendzentren der Gemeinden und die jüdischen Schulen verhalfen Purim zu besonderer Popularität unter jungen Menschen. Nicht zuletzt ist auch Tu biSchwat, das Neujahrsfest der Bäume, ein kleiner Feiertag, der sich aufgrund des wachsenden Umweltbewusstseins immer größerer Beliebtheit erfreut und mit Spaziergängen in der Natur, einem Früchte-Seder und der Pflanzung von Bäumen gefeiert werden kann.

Fasttage

Neben Jom Kippur wird auch noch an Tischa beAw, dem jüdischen Volkstrauertag, sehr streng gefastet. An jenem Tag gedenkt man der Zerstörung beider Tempel in Jerusalem. Es gibt zudem auch weitere kleinere Fasttage, die mit der Zerstörung der Tempel zu tun haben, oder Fasttage, die Feiertagen unmittelbar vorausgehen und mit ihnen verknüpft sind wie das Fasten der Erstgeborenen am Vortag von Pessach oder das Estherfasten vor Purim. Die Fasttage werden vor allem von praktizierenden Jüdinnen und Juden der orthodoxen und konservativen Strömungen eingehalten, aber auch einige Angehörige des liberalen Judentums fasten an diesen Tagen.

QuellentextDie Kaschrut – die jüdischen Speisegesetze

Die Kaschrut ist die Summe aller jüdischen Speisegesetze. Die Speisegesetze regeln, was koscher ist und was nicht. Koscher bedeutet auf Deutsch tauglich, also für den Verzehr in Ordnung, erlaubt. Die Speisegesetze betreffen jeden Aspekt des Essens, etwa welche Tiere zum Verzehr überhaupt erlaubt sind und wie erlaubte Tiere gehalten, getötet, zerlegt und zubereitet werden müssen. Hierbei sind die Regeln zu verbotenen Körperteilen und das absolute Verbot von Blutverzehr hervorzuheben. Andere Gesetze regeln den besonderen Status von Wein, Brot oder Milch und welche Dinge bei ihrer Produktion zu beachten sind. Signifikant ist in der Kaschrut auch die Einteilung aller Lebensmittel in milchig, fleischig und parwe (neutral) aufgrund der sehr strikten Trennung von milchigen und fleischigen Speisen bei Aufbewahrung, Zubereitung und Verzehr. Auch für Pflanzen gibt es Speisegesetze, etwa das Verbot von gemischter Saat und Kreuzungen oder während der Pessachtage das Verbot von gesäuerten Getreideprodukten, Hülsenfrüchten und einigen Gewürzen.

Israelische Feier- und Gedenktage

In den jüdischen Gemeinden in Deutschland sind auch einige israelische Feier- und Gedenktage verbreitet. Jom haShoah, der Tag zum Gedenken an die Shoah nach hebräischem Kalender, wird von allen Gemeinden ebenso begangen wie der Jom haAtzma’ut, der israelische Unabhängigkeitstag. Die jüdischen Gemeinden in Deutschland sind mit dem Staat Israel eng verbunden; über Jahrzehnte hinweg war diese besondere Solidarität auch eine Rechtfertigung, im Land der Täter zu leben. Der Zuzug tausender Israelis nach Deutschland hat die Bedeutung des israelischen Unabhängigkeitstags weiter gestärkt. Auch der Gedenktag für die gefallenen israelischen Soldaten und Terroropfer, Jom haSikaron, wird in immer mehr Gemeinden begangen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Autor schreibt aufgrund seiner religiösen Überzeugung G’tt. Diese "vermeidende Schreibweise" entspringt dem Bemühen, den Namen Gottes nicht in eine Form zu bringen, in der er beschmutzt oder zerstört werden kann. Die Schreibweise soll Schreibende und Lesende zudem daran erinnern, Bezeichnungen für G'tt nicht inflationär zu benutzen.

Rabbiner i. A. Levi Israel Ufferfilge, M. A., M. A., hat Jüdische Studien und Jiddistik studiert und ist nach Stationen als jüdischer Religions- und Hebräischlehrer sowie Schulleiter zweier jüdischer Schulen in München und Berlin seit Frühjahr 2021 Rabbiner-Anwärter am Zacharias Frankel College in Potsdam. Er promoviert in Münster und Amsterdam auf dem Gebiet der Halacha (jüd. Religionsgesetz). 2021 ist sein Buch "Nicht ohne meine Kippa!" erschienen, das sich mit jüdischer Sichtbarkeit und Antisemitismus in Deutschland auseinandersetzt.