Erziehung zum Bild mit Bildern
Audiovisuelle Filmvermittlung in der Praxis
Die verschiedenen Formen audiovisueller Filmvermittlung schließen auch im Unterricht an der Schule und Universität eine didaktische Lücke. Die Filmvermittlerin Stefanie Schlüter über Anwendungsmöglichkeiten in der Praxis.
Sprache und Bild
Am Rande seines Essays "Avantgarde Film" (1955) bemerkt der Schriftsteller, Filmemacher und Maler Peter Weiss treffend, dass jedes Gespräch über Film ein Paradox sei, denn ebenso wenig wie Musik ließe sich die Bilderwelt mit Worten fassen. Dieses Paradox ist in den verschiedenen Bereichen der Filmvermittlung ein ständiger, auch produktiver Begleiter. In der Vermittlungspraxis von Schule und Hochschule spiegelt sich dieses Paradox besonders deutlich wider, fällt hier doch oft ganz unter den Tisch, was sich nicht sprachlich verhandeln lässt. Nicht selten ist vor allem in schulischen Kontexten, wenn von Film die Rede ist, das Bild nicht einmal Thema. Auf diese Leerstelle lässt sich mit audiovisuellen Formen der Filmvermittlung reagieren, die mit dem Bewegtbild arbeiten und davon profitieren, dass sie filmisches Wissen nicht allein auf sprachlichem Wege, sondern auch bildlich weitergeben können. Im Folgenden möchte ich innerhalb des großen Bereichs der audiovisuellen Filmvermittlung einzig auf Filme eingehen und nicht, wie der Begriff auch suggeriert, auf Lern-DVDs mit Filmausschnitten.
Mir scheint, der Vorteil dieser "filmvermittelnden Filme" besteht in dem ästhetischen und argumentativen Zusammenhang, den sie in der Regel stiften. Demgegenüber mangelt es einigen der in Deutschland verfügbaren Ausschnittsammlungen gerade an einer Kontextualisierung der zusammengestellten Filmausschnitte. Filmvermittelnde Filme handeln im Medium Film von Filmen und fördern eine fundierte Auseinandersetzung mit der Frage, was ein Bild ist. Unter Einsatz des Laufbilds wird eine "Erziehung zum Bild" (angelehnt an das Französische "l´éducation à l´image") betrieben. Von Filmen, die Filme vermitteln, lässt sich viel lernen über den Umgang mit, den Zugriff auf, die Analyse und Kommentierung von Filmen. Dabei ist die Gestalt der Filme höchst unterschiedlich – so reicht der Bogen von spielerischen, assoziativen, künstlerisch-poetischen bis hin zu beschreibenden oder argumentativen Formen. Ebenso zahlreich wie ihre Formen und Zugänge sind auch die Einsatzmöglichkeiten in der konkreten Lehr- und Lernsituation.
Einzelbild und Einstellung
Sich dem Kino von kleinen, elementaren filmischen Einheiten zu nähern, ist eine Methode, die sich nicht nur für den Einstieg in die Beschäftigung mit Film eignet. Die genaue Betrachtung eines Einzelbilds kann auch die Reflexion über einen ganzen Film, einen Regisseur oder eine filmgeschichtliche Epoche tragen.Nur wenige "filmvermittelnde Filme" widmen sich ausschließlich der Grundlage des filmischen Bilds, dem Einzelbild. Maßstäbe hat in dieser Hinsicht die TV-Sendereihe "Une minute pour une image" der französischen Regisseurin Agnès Varda gesetzt. Zwar sind hier Fotografien Gegenstand der Vermittlung, jedoch ließe sich Vardas Form der ebenso einfachen wie erkenntnisreichen Kommentierung von Fotografien auch auf das Filmbild übertragen. An Vardas kurzen Filmen lässt sich abschauen, wie eine spontane, affektive Reaktion oder eine subjektive Assoziation bereits eine fruchtbare Auseinandersetzung mit einem Bild darstellen kann, oder wie sich ein Bild, das aus seinem Kontext herausgelöst erscheint, durch Beobachtung und Beschreibung in einen kunsthistorischen Kontext einordnen lässt.
Die Einstellung als kleinste narrative Einheit des Kinos untersucht Alain Bergala in einer Serie von zwölf etwa 10-minütigen Filmen, die unter dem Titel "Le cinéma, une histoire de plans" (Das Kino, eine Frage der Einstellung) erschienen sind. Die Einstellung als filmische Grundeinheit begleitet das Kino von Beginn an: Die ersten Filme der Kinogeschichte, die der Brüder Lumière, bestanden aus nur einer, etwa 50-sekündigen Einstellung. Bis heute ist die Einstellung die praktische Grundlage des Filmens, denn die Arbeit jeder Kamerafrau bzw. jedes Kameramanns setzt bei der Einstellung an: Immer wieder muss neu darüber entschieden werden, wo die Kamera stehen soll, wie der Ausschnitt zu wählen ist, wie die Bewegungen innerhalb der Einstellung zu organisieren sind und wo die Einstellung beginnen und enden soll. Und auch in der Montage wird permanent über Dauer und Abfolge von Einstellungen entschieden. In Bergalas Analysemethode spielt der Schneidetisch als filmanalytisches Instrument eine herausgehobene Rolle; Bergala führt uns die Einstellung so vor Augen, wie man sie früher, in der Zeit vor dem Videorekorder, nur am Schneidetisch hat betrachten können: in Zeitlupe, mit Vor- und Rücklauf. Einzigartig sind diese Einstellungsanalysen auch deshalb, weil das Kino hier im Modus des Entdeckens beschrieben wird. Zwei Sprecherinnen, denen berühmte französische Schauspieler wie Michel Piccoli und Fanny Ardant ihre Stimmen geliehen haben, unterhalten sich über die Einstellung, die wir gleichzeitig stark verlangsamt zu sehen bekommen. Wenn die beiden ihre Beobachtungen und Assoziationen formulieren, wirkt das so spontan und lebendig, als wären wir dabei, wenn die beiden diese Einstellung zum ersten Mal sehen.
Eine solche Form des dialogischen Austauschs über die eigene Filmerfahrung lässt sich in Schule und Universität mit einfachen Mitteln simulieren: Beispielsweise indem Bergalas Filme ohne Ton gezeigt werden, wobei die Schüler/innen oder Student/innen ihre eigenen Beobachtungen formulieren. Oder sie wählen selbst eine Einstellung aus einem Film aus und kommentieren die verlangsamt gezeigte Einstellung zu zweit. Das kann, je nach Zielsetzung, ein spontaner Dialog sein oder ein auf Recherchen basierender, vorformulierter Dialog.