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Von der EG zur EU

Horst Pötzsch

/ 12 Minuten zu lesen

1993 trat der Maastrichter Vertrag in Kraft. Mit ihm sollte die Europäische Gemeinschaft zu einer politischen Union zusammenwachsen und der gemeinsame Binnenmarkt zu einer Wirtschafts- und Währungsunion werden.

Der neu ernannte EU-Präsident Herman Van Rompuy auf der Tagungen des Europäischen Rates in Brüssel. (© AP)

Vertrag von Maastricht

Der Prozess der europäischen Integration hat durch den 1992 in Maastricht geschlossenen Vertrag über die Europäische Union, der 1993 nach Ratifizierung in allen Mitgliedsstaaten in Kraft getreten ist, ein neues Stadium erreicht. Die Europäische Gemeinschaft sollte zu einer politischen Union zusammenwachsen und der gemeinsame Binnenmarkt zu einer Wirtschafts- und Währungsunion werden.

Folgende Vereinbarungen dienen diesen Zielen:

  • Eine Unionsbürgerschaft gewährleistet völlige Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Europäischen Union. Bürger der EU haben das Recht, sich an ihrem Wohnsitz an Kommunal- und Europawahlen zu beteiligen.

  • Das Europäische Parlament erhält mehr Kompetenzen. Verordnungen werden künftig vom Ministerrat und vom Parlament beschlossen. Das Parlament kann eine Verordnung in bestimmten Bereichen mit absoluter Mehrheit ablehnen. Die Ernennung der Mitglieder der Kommission wird erst nach der Bestätigung durch das Parlament wirksam. Die Amtsperioden von Parlament und Kommission sind künftig gleich.

  • Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik soll schrittweise erarbeitet und verwirklicht werden.

  • Eine Zusammenarbeit in der Innen- und Justizpolitik wird für folgende Gebiete vereinbart: Asylpolitik, Grenzkontrollen, Einwanderungspolitik, Drogenbekämpfung, internationale Kriminalität, Terrorismusbekämpfung.

Wirtschafts- und Währungsunion

Seit dem 1. Januar 2002 ist der Euro das alleinige gesetzliche Zahlungsmittel in der Bundesrepublik Deutschland. Er löste die D-Mark ab. (© AP)

Für die Wirtschafts- und Währungsunion wurden ein Zeitplan und genaue Vorschriften festgelegt:

1998 wurde die Europäische Zentralbank mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet. Sie ist unabhängig und dem Ziel der Geldwertstabilität verpflichtet. Die Geldpolitik in den Staaten der Wirtschafts- und Währungsunion liegt in deren Verantwortung.

Der Wirtschafts- und Währungsunion können nur Staaten beitreten, die folgende Voraussetzungen erfüllen: jährliche Neuverschuldung höchstens 3 Prozent, Gesamtverschuldung höchstens 60 Prozent des Bruttosozialprodukts; Inflationsrate höchstens 1,5 Punkte über dem Durchschnitt der drei Länder mit der niedrigsten Inflationsrate; langjährige Zinsen höchstens 2 Prozent über dem Durchschnitt der drei Länder mit der niedrigsten Inflationsrate; mindestens zwei Jahre ohne größere Schwankung des Wechselkurses der nationalen Währung.

Auch nach dem Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion müssen die Mitgliedsstaaten Haushaltsdisziplin wahren. Überschreitet ihre Neuverschuldung die Obergrenze von 3Prozent des Bruttosozialprodukts, können Geldbußen verhängt werden; diese können bis zu einem halben Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen.

1997 erfüllten elf Staaten die genannten Voraussetzungen und erklärten ihren Beitritt: Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien.

1999 trat die Wirtschafts- und Währungsunion in Kraft. Die gemeinsame Währung Euro wurde im bargeldlosen Zahlungsverkehr eingeführt (Buchgeld). Die Umrechnungskurse der nationalen Währungen zum Euro traten in Kraft (1 Euro = 1,95583 DM).

Seit dem 1. Januar 2002 ist der Euro das alleinige gesetzliche Zahlungsmittel in derzeit 16 Ländern (siehe Karte auf der nächsten Seite) .

Vertrag von Amsterdam

Der Vertrag von Maastricht sah vor, dass eine Regierungskonferenz 1996 eine Bewertung und gegebenenfalls eine Abänderung des EU-Vertrages vornehmen sollte. Die Überprüfung mündete in einer Reihe von Änderungsvorschlägen, die 1997 vom Europäischen Rat erörtert wurden. Eine Kompromisslösung wurde als "Vertrag von Amsterdam" verabschiedet. Er trat 1999 in Kraft.

Themengrafik Mitgliedsstaaten der EU: Weder im Europäischen Parlament noch im Rat der Europäischen Union sind die Mitgliedsländer direkt proportional zu ihrer Einwohnerzahl vertreten. Zum Öffnen der PDF-Version (324 KB) klicken Sie bitten auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Der Vertrag sieht vor, dass weitere Elemente der Innen- und Justizpolitik ("dritte Säule"), vor allem die Einwanderungs-, Asyl- und Visapolitik, vergemeinschaftet werden und die Zusammenarbeit von Polizei- und Justizbehörden intensiviert wird. In der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik/GASP ("zweite Säule") wurde zwar das neue Amt eines Hohen Vertreters für die GASP (Generalsekretär) geschaffen, substanzielle Fortschritte wurden jedoch nicht erzielt. Entscheidendes Hindernis bleibt die Einstimmigkeitsklausel, die auf ein Vetorecht jedes einzelnen EU-Mitgliedsstaates hinausläuft.

Gewinner der Amsterdamer Beschlüsse ist das Europäische Parlament. Es kann Entscheidungen gleichberechtigt mit dem Europäischen Rat treffen. Bei unterschiedlichen Auffassungen kann das Parlament eine Entscheidung verhindern. Das Parlament hat das Recht, den neu ernannten Präsidenten der Europäischen Kommission zu bestätigen oder abzulehnen, ebenso das Kollegium der Kommissionsmitglieder.

Die Position des Kommissionspräsidenten ist gestärkt worden; er verfügt jetzt über eine Art "Richtlinienkompetenz" wie der deutsche Bundeskanzler. Zudem hat er ein Mitspracherecht bei der Auswahl der EU-Kommissare bis hin zur Möglichkeit ihrer Ablehnung.

Vertrag von Nizza


Die Staaten der EU – anfangs für sechs Mitgliedsstaaten konzipiert – stießen schon mit 15 Mitgliedern an die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit. Auf dem Europäischen Gipfel in Nizza 2000 wurde eine Reform der Institutionen beschlossen. In wichtigen Politikfeldern wird im Ministerrat statt der bisherigen Einstimmigkeit die Entscheidung mit qualifizierten Mehrheiten eingeführt. Die Stimmen der einzelnen Länder werden neu gewichtet von 3 (Malta) bis 29 (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien). Bei einer Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit müssen drei Kriterien erfüllt sein:

  • Die Mehrheit der gewichteten Stimmen muss erreicht werden, das sind gegenwärtig 72,3 Prozent.

  • Die Mehrheit der Mitgliedsstaaten muss zustimmen.

  • Die Mehrheit muss 62 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Organe und Funktionen

Die Kommission vertritt die gemeinsamen Interessen der EU. Sie plant die Gemeinschaftspolitik, schlägt dem Ministerrat Verordnungen vor und führt die Entscheidungen aus. Als "Hüterin der Verträge" überwacht sie die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts. Die Kommission besteht aus Mitgliedern, die alle Beschlüsse gemeinsam fassen.

Der Ministerrat ist das "Gesetzgebungsorgan" der EU. Er besteht aus den Ministern der Mitgliedsstaaten; die Regierungen entsenden zu den Beratungen jeweils den zuständigen Fachminister. Damit ist sichergestellt, dass im Gesetzgebungs-(Verordnungs-) verfahren die Rechte der Einzelstaaten gewahrt werden. Sitz von Kommission und Ministerrat ist Brüssel.

Themengrafik Europaparlament: Die Kompetenzen und Befugnisse des Europäischen Parlaments gliedern sich in die drei Kompetenzbereiche: Gesetzgebung, Haushalt und Kontrollbefugnisse. Zum Öffnen der PDF-Version (138 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Das Europäische Parlament wirkt an der Gesetzgebung mit. In den meisten Politikfeldern wird das Mitentscheidungsverfahren angewendet. Gesetze, die bisher nur der Ministerrat einbringen kann, müssen von Rat und Parlament gemeinsam verabschiedet werden. Bei Nichteinigung kann ein Vermittlungsausschuss angerufen werden. Parlament und Rat verabschieden gemeinsam den Haushalt und kontrollieren die Ausgaben. Das Parlament stimmt der Benennung der Kommissionsmitglieder zu und kann den Rücktritt der Kommissare durch ein Misstrauensvotum erzwingen. Seit 1979 dürfen die Bürger der EU ihr Parlament direkt wählen. Eine Wahlperiode dauert fünf Jahre. Die letzte Wahl zum Europäischen Parlament fand in den 27 Mitgliedsstaaten am 7. Juni 2009 statt. Es wurden 736 Abgeordneten gewählt, die übernationale Fraktionen gleicher politischer Ausrichtung bilden. Die Sitze sind grundsätzlich im Verhältnis zur Bevölkerung eines jeden Landes verteilt. Deutschland stellt mit 99 Abgeordneten die größte Gruppe, gefolgt von Frankreich, Italien und Großbritannien (je 78 Sitze). Malta entsendet mit 5 Abgeordneten die kleinste Gruppe. Die Plenarsitzungen werden in Straßburg abgehalten.

Als Europäischer Rat treten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union jährlich mindestens zweimal zusammen, um die Entwicklung der Union voranzutreiben und die politischen Ziele und Leitlinien dieser Entwicklung festzulegen. Der Europäische Rat ist rechtlich kein Organ der EU, tatsächlich trifft er die wesentlichen Grundsatzentscheidungen.

Der Europäische Gerichtshof sorgt für die Einhaltung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Er schlichtet Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern und entscheidet über Klagen gegen Vertragsverletzungen. Jeder Mitgliedsstaat entsendet einen Richter. Der Sitz ist Luxemburg.

Grundgesetz und Europäische Union

Die Schaffung der Europäischen Union mit umfassenden rechtlichen Zuständigkeiten in der Wirtschafts- und Währungspolitik, künftig auch in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie in der Innen- und Rechtspolitik hat tief greifende Auswirkungen auf die Verfassungsordnung der Bundesrepublik. So musste Art. 24 GG, der die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen erlaubt, konkretisiert werden. Der 1992 neu eingeführte Art. 23 stellt den europäischen Integrationsprozess auf eine eigene verfassungsrechtliche Grundlage.

Artikel 23
(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.
(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.


Dieser Artikel schafft ein System des Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der europäischen Integration. Die Europapolitik liegt nicht mehr in der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes, sondern wird gemeinsam durch Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat bestimmt. Damit werden vor allem die Befürchtungen der Bundesländer ausgeräumt, dass die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union ihre Kompetenzen immer mehr aushöhlen könnte.

Themengrafik Deutschland in der EU: Die EU-Politik spielt eine wichtige Rolle bei Gesetzen und Rechtsakten. An deren Entstehung wirken Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten mit. Zum Öffnen der PDF-Version (261 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Art. 23 legt in Abs. 4–6 fest, dass künftig jedwede Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Die Beteiligung des Bundesrates ist genau festgelegt. Sie richtet sich abgestuft nach den Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern im Grundgesetz. Sofern der Bund ausschließlich zuständig ist, hat die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates lediglich zu berücksichtigen. Wenn ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der Länder betroffen sind, werden – als stärkste Mitwirkung – die Rechte der Bundesrepublik Deutschland von einem Vertreter der Länder wahrgenommen. Die Mitwirkung des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union wird durch Art. 23 Abs. 3 geregelt. Die Bundesregierung hat den Bundestag – ebenso wie den Bundesrat – umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, die sie bei den Verhandlungen zu berücksichtigen hat. Insgesamt ist durch die Verfassungsänderung im Zusammenhang mit der Gründung der Europäischen Union eine wesentliche Stärkung des bundesstaatlichen Elements erfolgt.

Begleitgesetze, die noch während der 16. Legislaturperiode infolge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 zum Vertrag von Lissabon verabschiedet wurden, konkretisieren die künftige Zusammenarbeit von Parlament und Bundesregierung und stärken die Mitwirkungsrechte von Bundestag und Bundesrat in europäischen Angelegenheiten.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit


Eine Ergänzung des Artikels 24 GG sieht vor, dass Bundesländer Hoheitsbefugnisse auf "grenznachbarschaftliche" Einrichtungen übertragen können. Eine solche Zusammenarbeit wird schon seit Langem auf vielfältige Weise praktiziert, so von Nordrhein-Westfalen mit den benachbarten niederländischen Grenzregionen seit 1965 ("Euregio") und von Rheinland-Pfalz mit Belgien (Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Wallonien), Luxemburg und Frankreich (Elsass, Lothringen).

Der Vertrag von Maastricht über die Europäische Union sieht die Einrichtung eines Ausschusses der Regionen mit beratenden Befugnissen vor. Dieser nahm 1994 seine Tätigkeit auf.

Perspektiven für die Zukunft

EU-Haushaltsplan 2008. (© Europäische Kommission)

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts steht die Europäische Union vor großen Herausforderungen. Die Zahl der Mitglieder hat sich auf 27 erhöht, die Zahl ihrer Einwohner ist auf 500 Millionen gestiegen. Anders als bei den bisherigen Erweiterungsrunden liegen die 2004 und 2007 beigetretenen Länder in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zum Teil weit hinter dem bisherigen EU-Durchschnitt zurück. Die Angleichung des Lebensstandards wird Jahrzehnte dauern und enorme Summen erfordern. Die bisherige Agrarmarktordnung und die Strukturpolitik zur Verringerung des Wohlstandsgefälles zwischen reicheren und ärmeren Regionen, die die Hälfte bzw. ein Drittel des EU-Haushaltes ausmachen, waren schon für die Union der 15 nicht mehr finanzierbar.

Eine solch große Erweitung macht es erforderlich, die Zusammensetzung und die Funktionsweise der europäischen Institutionen so zu verändern, dass die Handlungsfähigkeit gesichert bleibt. Es lag nahe, die Gelegenheit zu nutzen, die bisherigen Verträge, den EG-Vertrag und den EU-Vertrag, mit ihren zahlreichen komplizierten Bestimmungen, Protokollen und Erklärungen in einem einzigen Vertrag zusammenzufassen. So arbeitete ein von den europäischen Staats- und Regierungschefs eingesetzter Konvent einen "Vertrag über eine Verfassung für Europa" aus, mit dem Ziel, die bisherigen Zuständigkeiten, Verfahren und Entscheidungsabläufe demokratischer, transparenter und effizienter zu gestalten. Er wurde 2004 in Rom unterzeichnet.

Der Europäische Rat sollte laut Verfassungsvertrag einen von den Ratsmitgliedern auf zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten erhalten. Dadurch sollte im Vergleich zu dem bisher halbjährlichen Wechsel in der Ratspräsidentschaft für größere Kontinuität gesorgt werden. Bei Entscheidungen im Europäischen Rat sollte zukünftig statt Einstimmigkeit eine qualifizierte Mehrheit erforderlich sein: Einem Beschluss müssen mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten zustimmen, die zugleich 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren ("Doppelte Mehrheit").

Die Zahl der Europäischen Kommissare wurde im Vertrag begrenzt. Zuvor war jeder Mitgliedsstaat in der Kommission vertreten. Ab 2014 waren nur noch 18 statt bisher 27 Kommissare vorgesehen.

Das Europäische Parlament sollte gestärkt und seine Kompetenzen ausgeweitet werden. Es sollte über das Recht der Mitbestimmung in 92 statt bisher 35 Politikbereichen verfügen. Auch sah der Verfassungsvertrag die Mitentscheidung des Parlaments über alle Ausgaben der Union vor, anders als zuvor auch für den Agrarsektor. Schließlich sollte es den Präsidenten der Europäischen Kommission wählen, allerdings auf Vorschlag des Europäischen Rates.

Des Weiteren wurde im Verfassungsvertrag eine klarere Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen EU und Mitgliedsstaaten festgelegt. Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sollte gestärkt und das Amt eines Europäischen Außenministers geschaffen werden. Außerdem war die Aufnahme der Charta der Grundrechte in die Verfassung und die Einführung eines europäischen Bürgerbegehrens vorgesehen.

Der "Vertrag über eine Verfassung für Europa" wurde bis 2005 von der Mehrheit der Mitgliedsstaaten ratifiziert. In Frankreich fand eine Volksabstimmung statt, bei der 54,8 Prozent der Abstimmenden gegen die Verfassung votierten. Eine Volksabstimmung in den Niederlanden ergab sogar 61,6 Prozent Neinstimmen. Damit war das Verfassungsprojekt gescheitert.

Vertrag von Lissabon

Ein neuer Anfang wurde mit dem Vertrag von Lissabon unternommen. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel im Juni 2007 einigten sich die EU-Mitglieder auf einen neuen Vertragsrahmen. Der Begriff der Verfassung wurde dabei aufgegeben. Stattdessen soll die Gemeinschaft wie bisher auf den beiden gültigen Verträgen beruhen, dem EU-Vertrag und dem EG-Vertrag, der in "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" umbenannt wurde. In die beiden Verträge wurde die Substanz des abgelehnten Verfassungsvertrages eingearbeitet.

Das Ziel des Lissabonner Vertrages ist es, die EU demokratischer, transparenter und effizienter zu machen. Zum Öffnen der PDF-Version (167 KB) klicken Sie bitte auf das Bild. Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Um bei allen Mitgliedstaaten Zustimmung zu finden, wurden für den neuen Vertragstext einige Kompromisse gefunden:

  • Auf Drängen Polens wird der Abstimmungsmodus im Europäischen Rat nach doppelter Mehrheit erst ab 2014 eingeführt; selbst danach kann noch bis 2017 eine Abstimmung nach den Regeln von Nizza eingefordert werden, um eine Niederlage zu verhindern.

  • Die Charta der Grundrechte ist selbst nicht Teil des Vertrages, sie erhält laut Vertrag aber volle Rechtsverbindlichkeit und primärrechtlichen Rang. Für die Rechtskraft der Charta in Großbritannien, Tschechien und Polen wurden Ausnahmeregelungen getroffen.

  • Auf Wunsch Großbritanniens wird es außerdem keinen EU-Außenminister geben. Der Spitzendiplomat, der die Posten des bisherigen EU-Außenbeauftragten und des bisherigen Außenkommissars in einer Person bündeln wird, heißt zufünftig "Hoher Vertreter der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik".

  • Schließlich wird im Vertrag von Lissabon darauf verzichtet, europäische Symbole wie Flagge und Hymne zu bestimmen.

Der Vertrag von Lissabon tritt erst in Kraft, wenn alle 27 Mitgliedsstaaten ihn ratifiziert haben. Ursprünglich sollte dies bereits zum 1. Januar 2009 der Fall gewesen sein. Durch ein negatives Referendum in Irland im Juni 2008 sowie durch Verfahren vor Verfassungsgerichten einiger Länder kam es jedoch zu Verzögerungen. Nach der Unterzeichnung des Vertrages durch den tschechischen Präsidenten, Václav Klaus, im November 2009 kann der Vertrag zum 1. Dezember 2009 in Kraft treten.

Es gilt als sicher, dass der Vertrag von Lissabon von den Bürgern einer Reihe europäischer Staaten, nicht zuletzt Deutschland, abgelehnt worden wäre, hätten sie nur die Möglichkeit gehabt, ihre Meinung in einer Abstimmung zu äußern so wie es beim ersten Referendum 2008 in Irland geschah. Das heißt keineswegs, dass die Völker Europas gegen Europa eingestellt wären. Das "Eurobarometer", die in regelmäßigen Abständen wiederholte Meinungsumfrage zur Einschätzung der EU, weist im Frühjahr 2008 aus, dass 48 Prozent der Europäer ein positives Bild von Europa haben (Deutschland 44 Prozent). Nur 15 Prozent der Voten sind negativ, 35 Prozent sind "neutral", also weder positiv noch negativ. Ausgerechnet in Irland haben 65 Prozent eine positive Meinung, die zweithöchste Zustimmungsrate nach Rumänien mit 67 Prozent.

Die EU wird jedoch von weiten Teilen der Bevölkerung, nicht zuletzt von überzeugten Europaanhängern, als die übermächtige und unkontrollierte Bürokratie in Brüssel wahrgenommen, die immer mehr Kompetenzen an sich zieht, ohne das Prinzip der Subsidiarität zu beachten. Das wird als "schleichender Souveränitätsverlust" (Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder) erfahren, denn 84 Prozent der deutschen Rechtsakte kommen inzwischen aus Brüssel. Das Europäische Parlament verfügt nicht über wirkliche Kontrollkompetenzen. Alt-Bundespräsident Roman Herzog, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, stellte 2007 fest: "Die institutionellen Strukturen der EU leiden in Besorgnis erregender Weise unter einem Demokratiedefizit und einer faktischen Aufhebung der Gewaltenteilung."

Auch die immer weitere Ausdehnung der EU stößt an die Grenzen der Akzeptanz der Bevölkerung. 2005 sind Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und der Türkei aufgenommen worden. Mazedonien hat den Status eines Beitrittskandidaten. Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro und Albanien haben eine prinzipielle Beitrittszusage. Vor allem der Beitritt der Türkei wird kontrovers diskutiert.

Aus: Pötzsch, Horst: Die Deutsche Demokratie. 5. überarbeitete und aktualisierte Auflage, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2009, S. 154-163.

Fussnoten

Der Historiker und Politologe Horst Pötzsch war bis 1992 Leiter der Abteilung "Politische Bildung in der Schule" der Bundeszentrale für politische Bildung.