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Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut | Hintergrund aktuell | bpb.de

Internationaler Tag für die Beseitigung der Armut

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Am 17. Oktober ist der internationale Tag für die Beseitigung der Armut. Aufgrund der Corona-Pandemie nahm die Armut weltweit zuletzt rapide zu.

Ein obdachloser Mann liegt morgens am Berliner S-Bahnhof Südkreuz auf einer Bank und schläft, aufgenommen am 04.10.2021. (© picture-alliance, ZB | Matthias Tödt)

Seit langem engagieren sich Organisationen und Staaten gegen die weltweite Armut. Der Aktionstag für die Beseitigung der Armut geht auf den 17. Oktober 1987 zurück, als mehr als 100.000 Menschen in Paris sich öffentlich mit den Betroffenen von Armut solidarisierten. Am 22. Dezember 1992 erklärte die UN-Generalversammlung den 17. Oktober zum internationalen Tag für die Beseitigung der Armut. Der Tag soll die Wichtigkeit der Armutsbekämpfung in den Blick rücken. Das Motto des Aktionstags in diesem Jahr lautet: "Gemeinsam die Zukunft gestalten: Gefestigte Armut beenden, alle Menschen auf unserem Planeten respektieren". Auf zahlreichen Veranstaltungen und im Internet rufen die Vereinten Nationen sowie Nichtregierungsorganisationen dazu auf, Diskriminierungen von armen Menschen abzubauen und ihre Lebensumstände zu verbessern.

Nach Angaben der Vereinten Nationen hat sich im Zuge der Corona-Pandemie die Armut weltweilt massiv verschärft. Laut dem im Juli 2021 veröffentlichten UN-Bericht über die Ziele für nachhaltige Entwicklung fielen rund 120 Millionen Menschen weltweit im vergangenen Jahr in extreme Armut zurück. Die Zahl der Menschen, die bereits vor der Pandemie an Hunger litten, könnte sich laut den Vereinten Nationen um 83 bis 132 Millionen erhöht haben. Die weltweite Quote der extremen Armut ist zum ersten Mal seit 1998 von 8,4 Prozent im Jahr 2019 auf 9,5 Prozent im Jahr 2020 gestiegen. Somit ist fast jeder zehnte Mensch auf der Welt von extremer Armut betroffen.

Absolute und relative Armut

Nach Definition der Weltbank sind Menschen extrem arm, wenn sie weniger als 1,90 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Grundsätzlich unterscheidet die Armutsforschung zwischen absoluter Armut und relativer Armut. Als absolute Armut ist dabei ein Zustand definiert, in dem ein Mensch seine wirtschaftlichen und sozialen Grundbedürfnisse nicht befriedigen kann und unter dem Existenzminimum lebt. Relative Armut beschreibt Armut im Verhältnis zum jeweiligen gesellschaftlichen Wohlstandsniveau eines Landes: Demnach ist jemand relativ arm, wenn das Einkommen deutlich unter dem nationalen Durchschnittseinkommen liegt und dem Menschen dadurch sozioökonomische sowie soziokulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben verwehrt.

Die Schwelle, ab der die Weltbank Menschen als "arm" einordnet, liegt je nach Wohlstand eines Landes bei einem Einkommen zwischen 3,20 und 5,50 US-Dollar pro Tag. Einer Schätzung der Weltbank zufolge könnte die Zahl von Menschen in extremer Armut durch die Corona-Pandemie um bis zu hundert Millionen Menschen gestiegen sein. Neben der an sozio-ökonomischen Ressourcen gemessenen Armut wird mitunter auch ein viel weiter gefasstes Spektrum an Indikatoren zur Armutsdefinition herangezogen, wie etwa die Verfügbarkeit von Bildung, einer ausreichenden Gesundheitsversorgung und adäquatem Wohnraum.

Millionen Arbeitsplätze gehen pandemiebedingt verloren

Aufgrund der Corona-Krise gingen im vergangenen Jahr laut Schätzungen eines Berichts der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 255 Millionen Vollarbeitsplätze verloren. Ein Äquivalent von rund 100 Millionen Vollzeitstellen im Jahr 2021 und 26 Millionen im Jahr 2022 könnten darüber hinaus weggefallen, schätzte die ILO in einer Trendanalyse im Juni dieses Jahres. Die Pandemie habe arme Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Angestellte härter getroffen als Wohlhabende, so die ILO. Im Vergleich zum Jahr 2019 stuft die Weltarbeitsorganisation nun weltweit zusätzlich 108 Millionen Beschäftigte als arm oder extrem arm ein (weniger 3,20 US-Dollar pro Person). Frauen seien überdurchschnittlich von Jobverlusten betroffen als Männer. Sie mussten sich in vielen Ländern während der Pandemie vermehrt um die Care-Arbeit kümmern, was das Risiko einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen verstärke.

Unterernährung

Laut einem UN-Bericht waren 2020 schätzungsweise bis zu 811 Millionen Menschen unterernährt. Dies entspricht in etwa einem Zehntel der Weltbevölkerung. Das UN-Ziel, den Hunger weltweit bis 2030 zu beenden, ist damit in weite Ferne gerückt. Allerdings war der Kampf der UN gegen die Unterernährung bereits vor COVID-19 ins Stocken geraten. Seit Mitte der 2010er-Jahre ist die Zahl der an Hunger leidenden Menschen nach Angaben der Vereinten Nationen kontinuierlich angestiegen.

Mit 418 Millionen leben mehr als die Hälfte der unterernährten Menschen in Asien, mehr als ein Drittel (282 Millionen) in Afrika. Insgesamt hatte laut UN 2020 fast ein Drittel der Weltbevölkerung nicht das ganze Jahr über Zugang zu angemessener Nahrung. 759 Millionen Menschen waren 2019 ohne Strom und hatten keinen Zugang zu sauberen Kochbrennstoffen und Technologien. Zudem machte die Corona-Pandemie die zuvor erzielten Fortschritte im Gesundheitswesen vielerorts zunichte.

Armut in Deutschland

In Deutschland erfasst die sogenannte Armutsgefährdungsquote Interner Link: die Entwicklung von Armut in der Gesellschaft. Diese gibt an, wie hoch der Anteil der armutsgefährdeten Personen an einer Gesamtgruppe ist. Als armutsgefährdet gelten Haushalte, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte in Deutschland beträgt.

Laut Mikrozensus lag im Jahr 2019 der Schwellenwert für Interner Link: Armutsgefährdung in Deutschland für Alleinlebende bei 1.074 Euro pro Monat. Zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren waren armutsgefährdet, wenn sie zusammen und unter Einbeziehung staatlicher Transferleistungen ein Einkommen von weniger als 2.256 Euro pro Monat zur Verfügung hatten. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind unter 14 Jahren lag die Armutsgefährdungsschwelle im Jahr 2019 bei 1.396 Euro, bei zwei Erwachsenen ohne Kinder bei 1.611 Euro.

In Deutschland muss im Regelfall zwar niemand hungern. Die strukturelle Armut hat sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch verfestigt. Laut Mikrozensus lag die Armutsgefährdungsquote im Jahr 2019 bei 15,9 Prozent. In der Tendenz ist die Armutsgefährdungsquote seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts kontinuierlich gestiegen – im Jahr 2006 betrug sie 14 Prozent.

Mit 24,9 Prozent ist der Wert in Bremen bundesweit am höchsten. Auch in Teilen Ostdeutschlands ist die Quote hoch, im Süden der Republik liegt sie dagegen deutlich unter dem Durchschnitt. Besonders hoch war die Armutsgefährdungsquote 2019 mit fast 43 Prozent bei Alleinerziehenden. Auch bei Minderjährigen lag die Quote über dem Durchschnitt. Zudem sind Frauen häufiger von Armut betroffen als Männer. Gestiegen ist in den vergangenen Jahren das Interner Link: Armutsrisiko für Rentnerinnen und Rentner - am höchsten ist es unter Arbeitslosen. In Deutschland lag die Armutsgefährdungsquote unter Beschäftigten zuletzt leicht unter dem EU-Durchschnitt.

Dem aktuellen Externer Link: Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom April dieses Jahres zufolge stieg die Wahrscheinlichkeit, dass ein in Armut lebender Mensch fünf Jahre später noch immer arm ist, seit Ende der 1980er Jahre von 40 auf 70 Prozent. Von den Auswirkungen der Corona-Krise waren insbesondere Geringverdienerinnen und -verdiener betroffen. Sie arbeiteten öfter in besonders betroffenen Branchen wie der Gastronomie und häufiger in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. In einer Befragung für den Bericht gaben vor allem Geringverdienerinnen und -verdiener an, dass ihr Haushaltseinkommen in der Corona-Krise gesunken sei.

Dem Bericht zufolge gelang es, viele wirtschaftliche Härten durch die Corona-Pandemie mit staatlichen Maßnahmen wie dem Kurzarbeitergeld teilweise abzufedern. Nach der Veröffentlichung des Armuts- und Reichtumsberichts sprach sich der Sozialverband VdK für höhere Hartz-IV-Sätze und eine Erhöhung des Mindestlohns aus. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) verweist dagegen auf die bis 2019 zurückgegangene Zahl der Langzeitarbeitslosen sowie darauf, dass das mittlere Einkommen seit 2010 deutlich gestiegen sei.

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