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Corona-Krise: Wie hängen Pandemie, Umweltzerstörung und Klimawandel zusammen?

Jonas Schmidt-Chanasit

/ 8 Minuten zu lesen

Die Zerstörung intakter Ökosysteme und der Klimawandel spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung neuartiger Viruserkrankungen wie Sars-CoV-2. Ein Interview mit dem Tropenmediziner Jonas Schmidt-Chanasit über den Ursprung des Virus und den Kampf gegen Pandemien.

Corona-Krise: Wie hängen Pandemie, Umweltzerstörung und Klimawandel zusammen?

bpb.de: Geben Sie uns bitte eine kurze Geburtsgeschichte des Coronavirus - wie und wo ist das Virus entstanden?

Jonas Schmidt-Chanasit: Nach allem, was wir wissen, und da müssen wir leider sehr vorsichtig sein, da wir immer noch unterschiedliche Spuren verfolgen, stammt das Virus von einer Fledermaus (Hufeisennasen). Unklar ist, ob das Virus direkt von der Fledermaus auf den Menschen übergesprungen ist oder noch ein Zwischenwirt, zum Beispiel ein Marderhund, dazwischengeschaltet war. Eindeutig ist, das Virus hatte seinen Ursprung in China und die ersten Infektionen sind dort bereits im November letzten Jahres aufgetreten. Viele Analysen weisen darauf hin, dass das Virus nicht schon Monate vorher auf den Menschen übergesprungen ist. Es handelt sich also um einen zoonotischen Erreger. Das sind Erreger, die von Wirbeltieren auf den Menschen übertragen werden.

Der Virologe Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit (© privat)

Und hat sich der Erreger seit der ersten Übertragung auf den Menschen verändert?

Viren verändern sich per se erst einmal immer. Es gibt bestimmte Mutationsraten, die bei den RNA-Viren meist etwas höher als bei den DNA-Viren sind. Ein gut erforschtes DNA-Virus ist das Herpesvirus, das uns quasi ein Leben lang begleitet. RNA-Viren, wie das neue Coronavirus, haben eine höhere Mutationsrate. Was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass sich diese Viren so verändern, dass sie zu schwerwiegenden Krankheiten führen oder leichter übertragbar sind. Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass sich das neue Coronavirus – der korrekte Name ist Sars-Corona-Virus-2 – in dieser Hinsicht verändert hätte. Es gibt weit über 4000 Genomsequenzen dieses neuen Virus in den Datenbanken (z.B. in der GenBank). Jeden Tag kommen neue hinzu. Insofern haben wir in Echtzeit im Blick, wie dieses Virus mutiert.

Worin unterscheiden sich die Erreger SARS-CoV-2, SARS-CoV-1 und MERS-CoV?

Sie gehören alle zur großen Familie der Coronaviren. Unter ihnen existiert eine ganze Reihe von Viren, die sich nur bei Tieren, hauptsächlich Fledermäusen nachweisen lassen. Innerhalb dieser Vielfalt gelingt es einigen Vertretern auf den Menschen überzugehen. Das ist beim Sars-Ausbruch 2002/2003 das letzte Mal passiert und jetzt beim Coronavirus erleben wir es erneut. Auch in Zukunft ist damit zu rechnen, dass es verwandten Coronaviren gelingt, den Menschen als neuen Wirt zu „erobern“, wenn wir die Übertragung nicht verhindern können. Also Abstand halten zu diesen Wildtieren.

Welche anderen Beispiele gibt es für Krankheiten, die auf die Zerstörung des Lebensraums von Wildtieren zurückzuführen sind?

Ein ganz typisches Beispiel - das Ebolavirus. Hier hat der Mensch massiv in den Lebensraum der Wildtiere eingegriffen, ihn vernichtet, in dem er Plantagen angelegt hat oder Massentierhaltung betreibt. Deshalb gelingt es Erregern, die normalerweise in abgeschlossenen Ökosystemen leben, dort auf den Menschen oder auf das Nutztier überzuspringen und somit größere Infektionsketten zu initiieren. Gerade in der letzten Woche sind wieder neue Fälle vom Ebola-Virus in der Demokratischen Republik Kongo aufgetreten.

Es geht also ein virologisches Risiko von der Abholzung der letzten tropischen Urwälder, die ja die letzten großen Wildtierhabitate sind, aus.

Überall dort, wo Wildtiere aus ihren angestammten Habitaten verdrängt werden und in andere Bereiche wechseln, entstehen neue Kontakte, die es vorher nie gegeben hat, und genau das ist das Problem. Es existiert eine Konkurrenz zwischen Mensch und Tier um die knapper werdenden Ressourcen Wir sind Reiseweltmeister, es gibt ja kaum noch unentdeckte Flecken auf dieser Erde, der Warenhandel hat sich intensiviert. Alles keine guten Optionen für uns im Kampf gegen die Viren. Das Vieles wird man nicht wieder in den Ausgangszustand zurückversetzen können, aber wir sind gewarnt, wir müssen anders mit der Natur umgehen und wir müssen uns besser auf Ausbrüche, wie wir sie jetzt erleben vorbereiten. Viren sind nicht zu unterschätzende Gegner.

Ist nicht der Wildtierhandel ein Risikofaktor, den man leicht beseitigen könnte?

Wildtierhandel und Wildtiermärkte sind ein großes Problem, allerdings in manchen Regionen kulturell tief verwurzelt. Beispielsweise greift die traditionelle chinesische Medizin auf viele Wildtierarten zurück. Und in die kulturellen Gepflogenheiten einzugreifen ist ein schwieriges und langwieriges Unterfangen mit ungewissem Ausgang. Bei einem Verbot könnte sich der Wildtierhandel in die Illegalität verschieben und trotzdem stattfinden. Deshalb muss man mit anderen Mitteln gegen die Verbreitung der Erreger vorgehen: beispielsweise durch schnelle Tests, wenn Verdachtsfälle auftreten.

Ist der Klimawandel ein virologischer Risikofaktor in Deutschland?

Das erleben wir ja gerade wieder. Ein sehr warmer Frühling und ein vielleicht noch wärmerer Sommer. Das führt dazu, dass zoonotische Erreger, gerade die, die von Stechmücken übertragen werden, auf dem Vormarsch sind, Regionen erreichen, die sie früher gemieden haben, weil es klimatisch dort zu kalt war. Jetzt ist es bei uns so warm, dass Mückenarten zu finden sind, die früher eher in südlichen Regionen beheimatet waren.

Heißt das, dass bestimmte Krankheiten, die wir zurzeit mit anderen Regionen der Welt verbinden, bald auch in Deutschland vorkommen?

Genau, ein Beispiel ist das Usutu-Virus. In Deutschland registrieren wir eine intensive Zunahme der von Stechmücken übertragenen Viren. Diese invasiven Mücken-Arten werden durch den intensiven Waren- und Reiseverkehr eingeschleppt und verdrängen andere heimische Arten. Durch die Störung bestimmter Lebensräume kann es also zu einer Zunahme von Infektionskrankheiten kommen, indem Wildtiere oder andere Krankheitsüberträger, in dem Fall Insekten, eine Rolle spielen.

Wir sprachen ja bereits über weltweite Dimensionen von Pandemien. Trump hat jetzt im Zuge der Coronakrise auch die Zahlungen für die Interner Link: Weltgesundheitsorganisation (WHO) eingestellt. Wie steht es um die internationale Zusammenarbeit?

Nationale Alleingänge bringen gar nichts bei solchen weltweiten Ausbrüchen. Wenn sich jedes Land auf sich selbst zurückzieht, kann man diese Pandemien nicht besiegen. Im Gegenteil, es ist essentiell die WHO so zu stärken, dass wir weltweit auf ähnliche Ressourcen, gerade was die Diagnostik und die Reaktion auf die Erstinfektionsfälle betrifft, zurückgreifen können. Das Ziel muss eher sein, in Somalia genauso so schnell wie in China reagieren zu können.

Welche Maßnahmen werden konkret ergriffen? Sind Teams der WHO vor Ort?

Teilweise. Die Nationalstaaten werden natürlich auch aktiv. Sie geben ihre Souveränität nicht einfach ab, aber die WHO unterstützt diese Maßnahmen wie Diagnostik, Fallnachverfolgung, Behandlung mit ihrer Expertise. Nehmen wir das Zikavirus als Beispiel. Da kommen Mediziner oder Virologen bei der Bekämpfung alleine nicht weit. Sie brauchen auch Entomologen, Insektenforscher, die genau wissen, wie man gegen die Stechmücken vorgehen muss: Wo und mit welchen Mitteln müssen sie bekämpft werden, ohne das Ökosystem zu beschädigen? Welche Insektizide setzt man ein? Sie sehen schon, wie vielschichtig das ist. Wenn dann noch ein Impfstoff hinzukommt oder gewisse Infrastrukturen des öffentlichen Lebens geschlossen werden müssen, dann ist man ganz schnell an dem Punkt, dass auch Ökonomen mit einbezogen werden müssen, um die Effekte, die dadurch entstehen bewerten zu können und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Denn Pandemie ist nicht gleich Pandemie.

Das ist von Erreger zu Erreger unterschiedlich. Das beste Beispiel ist die aktuelle Coronavirus-Pandemie: Das Virus ist eng verwandt mit dem Sars-Erreger. Dennoch gibt es ganz entscheidende Unterschiede: Expertinnen und Experten sind immer davon ausgegangen, dass das Sars-Virus sich hauptsächlich in Krankenhäusern überträgt. Beim neuen Coronavirus wissen wir jetzt, dass ein Hauptübertragungsweg von prä- oder asymptomatischen Infizierten - Patienten die also nicht oder noch nicht krank sind - außerhalb der Krankenhäuser ausgeht und das erfordert ganz andere Maßnahmen. Hier ist das One Health-Konzept – also ein ganz breiter Ansatz über die Disziplinen der Veterinärmedizin, Anthropologie und Ökonomie hinweg – absolut zielführend.

Der berühmte Epidemiologe Larry Brillant sagte einmal: “Virusausbrüche sind unvermeidlich, Pandemien hingegen lassen sich vermeiden”. Hat er Recht damit?

Ja. Man wird den Übergang von Viren auf den Menschen in unserer heutigen Welt nicht gänzlich verhindern oder vermeiden können. Also, was können wir tun, wenn es zu einer Übertragung kommt? Möglichst zeitnah reagieren: die Infizierten ausfindig zu machen, den Erreger identifizieren, die Erkrankten schnell und gut behandeln, sodass keine Infektionsketten entstehen, die sich nicht mehr nachverfolgen lassen. Passiert das alles nicht, bekommen wir das, was wir jetzt haben, eine Pandemie.

Welche Maßnahmen müssen also getroffen werden um zukünftige Pandemien zu verhindern?

Wir brauchen eine Art Frühwarnsystem wie bei Tsunamis. Bei der Corona-Pandemie ist zu viel Zeit verstrichen, bevor viele Länder gehandelt haben: Es wurden Großveranstaltungen, Karnevals, Fußballspiele und ähnliches nicht abgesagt, obwohl es dringende Hinweise auf dieses Virus gab. Davon abgesehen, muss es uns gelingen weltweit Möglichkeiten zu schaffen, neuartige Erreger zu identifizieren und die Patientinnen und Patienten schnell und gut behandeln zu können. Da spielen die internationalen Organisationen und deren Stärkung eine ganz wichtige Rolle. An erster Stelle die WHO, aber auch beispielsweise die europäische Seuchenschutzbehörde (ECDC), die in den letzten Jahren alles andere als gestärkt wurde. Auch in Europa haben wir gravierende Unterschiede, was die Möglichkeiten der Behandlung und auch der Diagnostik betrifft. Vergleichen Sie nur einmal Deutschlands Gesundheitssystem mit dem in Spanien, Italien oder den USA, da gibt es gewaltige Unterschiede.

Und welche Rolle kann Deutschland dabei spielen?

Deutschland unterstützt die europäische Seuchenschutzbehörde und die WHO. Als Tropenmediziner weiß ich, dass Deutschland sich gerade in den afrikanischen Ländern stark engagiert hat. Es wurden mobile Labore zur Verfügung gestellt, um dort vor Ort schnell diagnostizieren zu können. Für Ebola und jetzt auch für das neue Coronavirus.

Welche Relevanz wird Umwelteinflüssen und dem Klimawandel in der internationalen Seuchenbekämpfung zu gesprochen?

Dieser enge Zusammenhang zwischen der Zerstörung bestimmter Ökosysteme der globalen Erwärmung und dem Ausbruch solcher Pandemien, ist vielen nicht so klar gewesen. Die massive Zerstörung unserer Umwelt ist dabei der wesentliche Punkt. Diese Pandemie ist kein Naturereignis, dass plötzlich über uns hereinbrach. Wenn wir eins aus dieser Katastrophe lernen können, dann ist es ein maßvollerer Umgang mit der Natur. Ich beschäftige mich mit einigen der todbringendsten Viren, mit ihrer Herkunft, ihrer Wirkung und wie man sie in Schach halten kann. Ich weiß, wenn wir unser Verhalten nicht grundlegend ändern, werden wir es über kurz oder lang mit Pandemien eines noch viel schlimmeren Ausmaßes zu tun bekommen.

Das Interview führte Karl-Leontin Beger. Redaktion: Marion Bacher.

Interner Link: Wie verändert die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft? Hier finden Sie alle Beiträge unserer Interview-Reihe zu den gesellschaftspolitischen Folgen der Corona-Krise.

Fussnoten

Fußnoten

  1. RNA-Viren sind aufgrund der höheren Fehlerrate der RNA-Polymerasen wesentlich variabler als DNA-Viren, da ihre RNA-Polymerase meist keine proof-reading-Exonuklease-Funktion aufweist. Die Erreger der überwiegenden Mehrheit der neu auftretenden viralen Infektionskrankheiten der letzten Jahrzehnte sind RNA-Viren.

Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe und Professor an der Universität Hamburg. Am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (Hamburg) leitet er die Abteilung für Arbovirologie und forscht u.a. dazu, wie Epidemien besser vorhergesagt werden können.