Mütter heute: Leitbilder, Lebensrealitäten und Wünsche
Wodurch zeichnet sich eine "gute Mutter" aus?
Viele Menschen haben eine konkrete Vorstellung, wie sich eine "gute Mutter" normalerweise zu verhalten hat. Das jedoch, was die einen als "normal" betrachten, lehnen andere wiederum ab: Während beispielsweise ein Teil der Bevölkerung eine Vollzeit-Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern selbstverständlich und auch positiv findet, bewerten es andere als Zumutung für die Mütter selbst und als schädlich für die Entwicklung des Kindes.In der Studie "Familienleitbilder" (FLB 2012, Gründler et al. 2013) werden Vorstellungen davon, wie ein normales Familienleben aussehen sollte, z. B. auch wie eine "gute Mutter" idealweise zu sein hat, von jungen Deutschen im Alter von 20 bis 30 Jahren untersucht. Besonders zum Leben in der Familie existieren solche konkreten Normalitätsvorstellungen: Beispielsweise dass sich eine Mutter Gedanken über eine optimale Entwicklung und Förderung ihres Kindes machen sollte. Es geht dabei um eine gesellschaftliche Bewertung des Mutterleitbildes, die nichts damit zu tun hat, wer denn nun "wirklich eine gute Mutter" ist oder nicht. Es geht vielmehr um abstrakte Vorstellung von dem Ideal.
Unter anderem wurde in dieser Studie die Zustimmung zu der Aussage erfragt, ob Mütter nachmittags Zeit haben sollten, um ihren Kindern beim Lernen zu helfen. Es wurde sowohl nach der persönlichen Meinung der Befragten gefragt als auch danach, was die Allgemeinheit in Deutschland dazu denkt. Mit der "Allgemeinheit" gemeint ist die vorherrschende Meinung in Deutschland, also was man im Alltag durch die Medien oder durch den Kontakt mit anderen Menschen besonders oft wahrnimmt. Eine große Mehrheit der Befragten stimmt dieser Aussage persönlich "eher" oder sogar "voll und ganz" zu (77%). In der Gesellschaft nehmen die Befragten dies mit 87% sehr deutlich wahr. Demnach gehört die regelmäßige Hausaufgabenbetreuung nach dem Mutterleitbild der Deutschen zu den selbstverständlichen mütterlichen Pflichten. Da dies allenfalls mit einer Teilzeitbeschäftigung vereinbar ist, entspricht der Befund dem Bild der Mutter als Hausfrau oder "Hinzuverdienerin". Bestandteil dieses Mutterleitbildes ist die Sorge, eine ganztägige Erwerbstätigkeit von Müttern sei schädlich für die kindliche Entwicklung. Dem gegenüber steht aber auch eine starke Zustimmung für Muttererwerbstätigkeit (79%), die auch etwas abgeschwächt in der Allgemeinheit wahrgenommen wird (65%). Gleichzeitig jedoch sind rund ein Drittel der Befragten der Ansicht (29%), dass die Allgemeinheit in Deutschland von Müttern erwartet, dass sie möglichst überhaupt nicht erwerbstätig sein sollten. Auf persönlicher Ebene stimmen dem lediglich 5% zu.
Herausforderung
Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit für Mütter zu verringern, ist eine der zentralen Herausforderungen, nicht nur für die Sozial- und Familienpolitik sowie für die Gesellschaft und Arbeitswelt, sondern auch für Partnerschaften und natürlich für Männer und Frauen selbst. Und sie stellt Männer heutzutage vor die Frage, wie sie ihre (zukünftige) Vaterschaft gestalten möchten und wie die Familien- und Erwerbsarbeit innerhalb der Partnerschaft gerecht verteilt werden kann. Familienarbeit ist auch von Männern immer stärker gewünscht: 64% der 20- bis 39-jährigen (FLB 2012) sind der Ansicht, dass Väter für ihre Kinder beruflich kürzer treten sollten. Junge Männer wünschen sich dies sogar signifikant häufiger als Frauen. Ein Teil der Lösung liegt daher sicherlich auch darin, wie sich das Selbstverständnis von Männern mit Kinderwunsch und Vätern entwickelt und wie sie ihr Bedürfnis nach aktiver Vaterschaft durchsetzen können. Und das nicht nur gegenüber den Interessen und Anforderungen von Arbeitgebern und der Gesellschaft insgesamt, sondern auch gegenüber den Müttern. Hinzu kommt, dass durch die bessere Bezahlung von Männern im Vergleich zu Frauen (gender pay gap) eine Erwerbsunterbrechung für Väter häufig nicht möglich ist, weil das Einkommen der Mutter oftmals nicht zur finanziellen Absicherung der Familie reicht. Außerdem ist neben dem Kindeswohl auch eine Diskussion über die des Elternwohls (Mutter und Vater) gewinnbringend. Der Qualitätsanspruch an Eltern, in der Erziehung ihrer Kinder "alles richtig" zu machen, führt zu einer Pädagogisierung und Hochstilisierung der elterlichen Rollen, zur "Professionalisierung von Elternschaft", besonders von Mutterschaft: Junge Frauen und Mütter sind heutzutage zwischen den tradierten und heutigen Vorstellungen hin- und hergerissen sind (Henry-Huthmacher 2008: 10). Darüber hinaus scheint es eine weit verbreitete Vorstellung von Mutterschaft zu geben, die aufgrund ihrer Widersprüchlichkeit und Komplexität von Teilen der Gesellschaft als "überfrachtet" wahrgenommen wird (Diabaté 2015).Die zu Beginn gestellte Frage, wie eine "gute Mutter" eigentlich sein soll, ist letztlich eine individuelle Frage. Jedoch scheint sie stark beeinflusst zu sein von den Vorstellungen, wie Mutterschaft in der Gesellschaft bewertet wird. Sie ist, so zeigt die Forschung, gesellschaftlich stark mit widersprüchlichen Vorstellungen und mit einer Idealisierung verbunden.
Es stellt sich daher die Frage, inwieweit der Staat bestimmte Modelle der Familie und damit auch der Mutterschaft fördern soll bzw. kann oder nicht. Und inwieweit Politik den Druck auf Eltern, besonders auf Mütter, relativieren helfen kann. Darüber hinaus ist überlegenswert, inwiefern die Gesellschaft durch ihre normativen Wertvorstellungen und Leitbilder zum Wohl von Familien, und damit zum Wohl von Kindern einerseits, andererseits aber auch von Müttern und Vätern, beitragen könnte. Denn letztlich sind Kindeswohl und Elternwohl schwer voneinander trennbar.