Rushhour des Lebens
"Rushhour des Lebens" – ursprünglich ein Begriff aus der Familienforschung – wird zurzeit vielfach in der öffentlichen Debatte diskutiert. Dabei handelt es sich um zwei unterschiedliche Phänomene in der mittleren Lebensphase zwischen 25 und 45 Jahren: Die "Rushhour von Lebensentscheidungen" betrifft vor allem Akademiker, die eine Ballung an Entscheidungen zu Beruf, Partnerwahl und Kinder erleben – und diese nahezu gleichzeitig. Dagegen trifft die "Rushhour im Familienzyklus" besonders Eltern von Kleinkindern, bei denen Beruf und Familie eine sehr hohe Arbeitsbelastung mit sich bringen. Der Politikwissenschaftler Martin Bujard und die Soziologin Ralina Panova skizzieren eingehend diese Lebensphasen und erklären die gesellschaftlichen Mechanismen.
Es gibt Phasen im Leben, in denen die Arbeitsbelastung durch die Kombination von Beruf und Familie dauerhaft besonders hoch ist und solche Phasen, die entspannter sind und mehr Freizeit ermöglichen. Auch gibt es Phasen, in denen gehäuft zentrale Lebensentscheidungen getroffen werden müssen. Derartige Phasen kennt fast jeder aus seinem eigenen Leben. Dabei hat die Forschung eine Phase im Lebensverlauf – nämlich das Alter zwischen etwa 25 und 40 Jahren – identifiziert, in der für viele Menschen eine exorbitante Arbeitsbelastung und eine Häufung wichtiger Entscheidungen zu Beruf, Wohnort, Partnerwahl, Heirat oder Kindern auftreten. Als "Rushhour des Lebens" wird diese Phase im mittleren Lebensalter beschrieben.
Die Metapher Rushhour im Kontext von Lebensphasen ist griffig und ein Stück weit selbsterklärend. Sie wurde durch den Siebten Familienbericht (2006) popularisiert und hat sich in der Familienpolitik ebenso wie in der Familienforschung Deutschlands etabliert. In der internationalen Literatur wurde der Begriff "Rush Hour" erstmals von Michael Bittman und Judy Wajcman (2000) aufgegriffen, allerdings nur in der Überschrift eines Artikels und mit einer etwas anderen Bedeutung. Der Begriff Rushhour des Lebens wird im deutschen Kontext bislang häufig implizit unterschiedlich verwendet. Dabei lassen sich zwei Varianten der Rushhour identifizieren, die unterschiedliche Gruppen, Lebensphasen und Überlastungsmechanismen betreffen. Daher schlagen wir eine Differenzierung zwischen zwei Phänomenen vor:
- die Rushhour von Lebensentscheidungen und
- die Rushhour im Familienzyklus.
Dieses Phänomen betrifft vor allem Akademiker. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne von fünf bis sieben Jahren erfolgen oft gleichzeitig Entscheidungen zu Berufseinstieg und Karriereaufbau sowie zu gemeinsamem Haushalt, Ehe und Familiengründung. Diese Ballung biografischer Ereignisse betrifft besonders tertiär gebildete Menschen. Tertiäre Bildungsabschlüsse umfassen sowohl Fachschulabschlüsse und den Meisterbrief als auch Hochschul- und Fachhochschulabschlüsse. Bei diesen Personen verschiebt sich aufgrund von Qualifikations- und Studienzeit, Auslandsaufenthalten, Praktika und einem längeren Prozess des Berufseinstiegs und der Karriereetablierung die Familienplanung in das Alter zwischen etwa 27 und 35 Jahre. Die Familienplanung bekommt im Lebenslauf erst später eine Priorität als bei Menschen, die bereits mit Anfang 20 ihre ökonomische Selbstständigkeit erreichen. Hinzu kommt, dass Frauen wie auch Männer mit zunehmendem Alter die biologische Grenze ihrer Fruchtbarkeit erreichen: Das Zeitfenster für Nachwuchs wird kleiner.
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Rushhour von Lebensentscheidungen
In der Familienphase mit kleinen Kindern ist die Belastung durch Berufs- und Familienarbeit besonders intensiv. Dies zeigt sich quantitativ in der beruflichen und familialen Arbeitszeit sowie in persönlichen Konflikten, beiden Lebensbereichen gerecht zu werden. Die gesamte Arbeitsbelastung lässt sich erfassen, indem man die beruflichen Arbeitsstunden sowie die Zeit für Hausarbeit und Kinderfürsorge addiert. Zeitbudgetstudien zeigen, dass diese Gesamtarbeitszeit pro Woche bei Müttern von Kindern unter drei Jahren im Durchschnitt bei 57 Stunden liegt (Deutscher Bundestag 2006). Entgegen mancher These in Massenmedien, die die Doppelbelastung ausschließlich bei den Müttern sehen, sind Väter, die mit kleinen Kindern zusammen im Haushalt leben, genauso davon betroffen. Ihre Gesamtarbeitszeit von Beruf und Haushalt liegt in Deutschland mit 58 Stunden sogar eine Stunde höher, wobei sich die Aufteilung zwischen Berufs- und Familienarbeit bei Müttern und Vätern unterscheidet. Diese Arbeitsintensität nimmt mit zunehmendem Alter der Kinder ab, bleibt aber höher als bei Haushalten ohne Kinder.