Jugendkriminalität - Zahlen und Fakten
Entwicklung von Jugendkriminalität im Hellfeld – registrierte Kriminalität
Auslöser der kriminalpolitischen Diskussion über Jugendkriminalität war und ist vor allem die deutliche Zunahme der Zahl der polizeilich registrierten tatverdächtigen jungen Menschen seit den 1990er-Jahren. Es handelt sich dabei um Straftaten, die der Polizei bekannt geworden sind, zumeist durch Anzeigen, und zu denen auch ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte. Dieses Hellfeld der ermittelten Tatverdächtigen ist ein Ausschnitt aus einem "doppelten" Dunkelfeld – dem der nicht angezeigten Fälle und dem der nicht ermittelten Tatverdächtigen. Die Aufklärungsrate, also der Anteil der Fälle, zu denen ein Tatverdächtiger ermittelt werden konnte, ist deliktspezifisch unterschiedlich. Im Schnitt werden derzeit 55 Prozent der Fälle aufgeklärt.In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird lediglich dieser Ausschnitt abgebildet, also das Hellfeld der bekannt gewordenen Fälle und der ermittelten Tatverdächtigen. Den Daten der PKS zufolge ist die registrierte Kriminalität der (deutschen) Jugendlichen (14 bis unter 18 Jahre), der Heranwachsenden (18 bis unter 21 Jahre) und der Jungerwachsenen (21 bis unter 25 Jahre) nicht nur wesentlich höher als die der Erwachsenen, sondern bis Mitte der 2000er-Jahre auch stärker angestiegen (siehe Schaubild 3). Diese Anstiege registrierter Kriminalität sind seit einigen Jahren durch Rückgänge abgelöst worden. Es wird angenommen, dass die in den vergangenen Jahren verstärkten Präventionsbemühungen Wirkung zeigen. Angesichts der Vielzahl von Bedingungsfaktoren für registrierte Jugendkriminalität gibt es weder eine vollständige Erklärung für den Anstieg der Jugendkriminalität ab 1990 noch für die aktuellen Rückgänge. Gestützt auf die Ergebnisse der Dunkelfeldforschung (vgl. weiter unten, Abschnitt "Entwicklung von Jugendkriminalität im Dunkelfeld"), kann begründet angenommen werden, dass jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil des Anstiegs in den vergangenen beiden Jahrzehnten darauf beruht, dass vermehrt angezeigt und infolgedessen auch polizeilich registriert wurde. Ein kleiner Teil dürfte Folge einer gestiegenen Aufklärungsquote sein. Auch hinsichtlich der Rückgänge dürften verschiedene Faktoren eine Rolle spielen: Schulprojekte zur Gewaltvermeidung, weniger elterliche Gewaltausübung, vermehrte Ächtung von Gewalt und ein Rückgang der Gewaltbereitschaft insgesamt.


Dieser Rückgang polizeilich registrierter Kriminalität zeigt sich auch bei Gewaltdelikten im Sinne der PKS.[4] "Gewaltdelikte" sind eine heterogene Sammelgruppe, in der für die PKS Straftaten beziehungsweise -gruppen unterschiedlichster Schwere zusammengefasst werden sind. Die Bandbreite reicht von vollendetem Mord bis zur "gefährlichen Körperverletzung" (§ 224 Strafgesetzbuch). Die schwersten Fälle, also Tötungsdelikte sowie Vergewaltigungen, machten 5 Prozent aller Gewaltdelikte aus. Die Entwicklung der Zahl der Fälle wird vor allem von der Gruppe "gefährliche Körperverletzung" bestimmt, auf die 2015 70 Prozent aller Gewaltdelikte entfielen. Mit diesem Straftatbestand wird freilich ein breites Handlungsspektrum abgedeckt, das von der folgenlosen gemeinschaftlichen Schlägerei auf dem Schulhof bis zu ernsthaften Verletzungsfolgen reicht. Diese Fallstruktur spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der wegen dieser Delikte registrierten jungen Tatverdächtigen wider. Schaubild 4 zeigt, dass mehr als drei Viertel der wegen Gewaltkriminalität registrierten jungen Menschen wegen gefährlicher/schwerer Körperverletzung ermittelt worden sind. Die Rückgänge der Tatverdächtigenbelastungszahlen – also unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung – erfolgten bei Raub/räuberischer Erpressung schon in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre, bei gefährlicher/schwerer Körperverletzung ab 2008.


Die These, die Zahlen seien zwar rückläufig, im Gegenzug sei es aber zu einer "neuen" Qualität gekommen, also zu einer zunehmenden Brutalisierung, stützt sich auf persönliche Eindrücke von sachbearbeitenden Beamten. Statistisch kann diese These weder durch Hellfeld- noch durch Dunkelfelddaten bestätigt werden.[5] Dem Eindruck entspricht, dass auch aus Schulen von einer Zunahme von Gewalt berichtet wird. Die Daten der Unfallversicherer zeigen aber, dass in den vergangenen 20 Jahren sowohl die Raufunfälle als auch die schweren, mit Bruchverletzungen verbundenen Raufunfälle insgesamt deutlich abgenommen haben, und zwar in allen Schularten.[6]
Polizeilicher Verdacht, staatsanwaltschaftliche Prüfung und gerichtliche Verurteilung
Die Daten der PKS geben das Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen wieder, also die Situation des Verdachts – es handelt sich nicht um Gerichtsurteile. Dieser polizeiliche Verdacht führt im weiteren Fortgang des Verfahrens nur teilweise zu einer Verurteilung. Bei einem erheblichen Teil kann von der Staatsanwaltschaft kein hinreichender Tatverdacht festgestellt werden oder aber das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt, weil der Fall nicht schwer war oder weil bereits die erforderlichen erzieherischen Maßnahmen getroffen worden waren. Dass und wie sehr "ausgefiltert" wird, zeigt das "Trichtermodell" am Beispiel der wegen gefährlicher/schwerer Körperverletzung als tatverdächtig registrierten Jugendlichen (vgl. Schaubild 5).[7] So kamen auf über 18 000 jugendliche Tatverdächtige im Jahr 2015 nur weniger als 7 000 angeklagte Jugendliche. Weniger als 4 200 wurden wegen dieses Delikts tatsächlich verurteilt.
