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Eine deutsche Geschichte: Über das Leben des Yehya E. | Gangsterläufer | bpb.de

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Eine deutsche Geschichte: Über das Leben des Yehya E.

Hadija Haruna

/ 11 Minuten zu lesen

Vom Flüchtlingslager im Libanon in die Zelle einer Berliner Jugendstrafanstalt. Der Dokumentarfilm "Gangsterläufer" handelt von Yehya, der zum Intensivstraftäter wird. Der Film erzählt seine Geschichte und die seiner Familie und kann als Plädoyer für eine neue Asylpolitik in Deutschland interpretiert werden.

Yehya kommt als Säugling mit seiner Familie nach Deutschland. Die Eltern waren vor dem Krieg im Libanon geflüchtet, der nicht enden wollte. In Deutschland bleiben sie Geduldete. (© Gangsterläufer - H&U Film Produktion)

Wer ist Yehya? Ein Sohn palästinensischer Kriegsflüchtlinge. Einer dieser coolen, laut lachenden jungen Männer mit festem Blick, kräftigen Oberarmen und großem Geltungsdrang. Frech und intelligent, zärtlich zu seinen kleinen Geschwistern. Wütend. Ein Junge, der immer der Beste sein will und von einem Leben mit viel Geld und ohne Sorgen träumt. Sein Status: geduldet. Was bedeutet, dass sein Aufenthalt in Deutschland unrechtmäßig ist, seine Abschiebung jedoch ausgesetzt wird.

Yehya wird 1990 im palästinensischen Flüchtlingslager Schatila im Libanon geboren. Zu dieser Zeit tobt dort der Bürgerkrieg, sodass seine Familie wenige Wochen nach Yehyas Geburt nach Deutschland flieht. Nachdem ihr Asylantrag abgelehnt wird, gelten sie als "staatenlose" Flüchtlinge, die nicht abgeschoben werden können, da es ihre Heimat, den Staat Palästina offiziell nicht gibt. Die Familie hat es schwer, in ihrer neuen Heimat anzukommen. Wie lange ihre Duldung dauert, weiß sie nicht. Monat um Monat, manchmal nach einem halben Jahr oder Jahr muss sie zur Ausländerbehörde. Sie sind sogenannte Kettengeduldete: Menschen, die ihre Zukunft in Deutschland nicht kennen, aber einen großen Teil ihres Lebens dort verbringen. Die Familie lebt in einem sozialen Vakuum. Politisch ist dieser Zustand nicht gewollt, aber seit Jahren gängige Praxis. Laut Ausländerzentralregister lebten Ende 2014 113 221 Geduldete in Deutschland. Fast jeder Fünfte war bereits über zehn Jahre im Land.

"Da wurden Söhne zu Vätern und Väter zu Söhnen"

Yehyas Vater. Ein hagerer Mann mit eingefallenem Gesicht. Kettenraucher. In Kuwait leitete er einmal eine eigene Baufirma. In Deutschland erhält er als Geduldeter zunächst ein jahrelanges Arbeitsverbot. Außerdem ist der Zugang zum Arbeitsmarkt kompliziert und wird durch eine sogenannte Vorrangprüfung geregelt. An erster Stelle stehen deutsche, EU-Bürger oder entsprechend rechtlich gleichgestellte Ausländer und erst, wenn kein anderer den Job will oder dafür geeignet ist, darf ein Geduldeter ihn übernehmen. Die meisten Arbeitgeber stellen sie jedoch gar nicht erst ein, weil ihnen ihr Status zu unsicher ist. Diese Vorrangprüfung entfällt seit Anfang diesen Jahres: Bei bestimmten Fachkräften und Hochschulabsolventen beziehungswiese für Geduldete, die seit 15 Monaten ununterbrochen in Deutschland sind.

Irgendwann entgleitet Yehya seinen Eltern. Liebe mischt sich mit Ohnmacht. (© Gangsterläufer - H&U Film Produktion)

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich Migration und Männlichkeit, die zeigen, dass es vielen Vätern in ihrer benachteiligten Lebenslage schwer gelingt, ihrer Funktion in der Familie gerecht zu werden. Krieg in der Heimat und das deutsche Asylrecht haben viele zu gebrochenen Männern gemacht. Es sind Männer, die in der neuen Heimat nie richtig angekommen sind, die schwierige soziale Situation ihrer Familien nicht verbessern konnten und für ihre Kinder keine Vorbilder darstellen. In der Forschung sind die Auswirkungen des Flüchtlingsstatus auf das Eltern-Kind-Verhältnis seit Jahren bekannt, während die Politik mit ihren Maßnahmen hinterherhinke, sagt der Migrationsbeauftragte Berlin-Neuköllns Arnold Mengelkoch: "Die Autoritäten in den Familien wurden degradiert, weil die Kinder sich besser orientieren konnten als die Eltern. Da wurden Söhne zu Vätern und Väter zu Söhnen. Das ist nicht gut gegangen."

Das trifft auch auf Yehya und seine Familie zu. Er ist der Protagonist des Dokumentarfilms "Gangsterläufer". In einer Filmszene erklärt Yehya, dass seine Mutter und sein Vater nicht genug Deutsch könnten, um wirklich zu verstehen, was bei ihm los sei. Briefe der Staatsanwaltschaft verstünden sie nicht. Christian Stahl, Regisseur des Films, glaubt, dass Yehyas Eltern sehr wohl verstanden, aber aus Angst vor der Wahrheit und Scham vor der eigenen Ohnmacht nicht nachgefragt hätten: "Sie sind hilflos einer Welt gegenüber, die sie als Flüchtlinge aufgenommen, aber nie als Bürger akzeptiert hat und ihnen finanzielle Selbstständigkeit verwehrt. Und darüber hinaus können sie die Bedürfnisse ihrer Kinder oft nicht finanzieren", schreibt Stahl in seinem Buch "In den Gangs von Neukölln", das er 2014 veröffentlicht hat.

Das Leben wird zum Doppelleben

Die Geschichte von Yehyas Kindheit liest sich wie die vieler junger Flüchtlingskinder der ersten und zweiten Generation in Deutschland. Seine Heimat ist Berlin, mit einer Mauer drumherum. Bei Klassenausflügen außerhalb der Stadt muss er in der Schule bleiben, weil es ihm die Residenzpflicht nicht erlaubt, seinen Wohnort zu verlassen. Bei der Ausländerbehörde wird er ausgelacht, als er sagt, dass er sich Deutsch fühle, schreibt Stahl in seinem Buch. Und Polizisten wirken bedrohlich auf ihn, weil sie für ihn diejenigen sind, die seine Papiere kontrollieren und ihn und seine Familie abschieben können.

QuellentextYehya E.

In jedem Amt, in jeder Schule und an jeder Schlecker-Kasse kriegt man zu spüren: "Du bist ein Ausländer!" Und da neigt man dann eben auch dazu, zu sagen: "Ja, ich bin ein Ausländer!" und dazu zu stehen, was man ist. Dann bezieht man sich irgendwie auf die Kultur der Eltern. Weil man halt sowieso nicht dazu gehören kann, also tut man so, als ob man es nicht wollte.

Anmerkungen von Yehya E. im Gespräch mit Christian Stahl.

Quelle: Christian Stahl, In den Gangs von Neukölln, Hamburg: Verlag Hoffmann und Campe, 2014, Seite 159.

Yehya ist anders, lebt anders. Ihm fehlt Halt. Er wird zum Träumer, der keine Konsequenzen kennt – führt ein Leben in vom Staat verordneter Perspektivlosigkeit. "Es ist wie ein Gefängnis im Kopf", beschreiben junge Flüchtlinge in Interviews ihre Lebenslage. Was sie lernen ist, wie man ein Doppelleben führt, um bei jedem ein anderes Bild abzugeben: bei Freunden, in der Familie, in der Schule.

Als Yehya zum ersten Mal einen Mitschüler mit dem Messer bedroht, ist er zehn Jahre alt. Mit 13 Jahren hat die Polizei bei ihm bereits über 50 Straftaten registriert, er gilt als Intensivstraftäter. Im Berliner Stadtteil Neukölln nennen sie ihn den "Boss der Sonnenallee". "Wir machen den größten Ausbruch der Geschichte. Abenteuer. Mit Pistolen auf die Polizei schießen. Ich sterbe mit 25 und mein Name wird großgeschrieben. Bei diesen Gedanken hatte ich ein schönes Gefühl", sagt Yehya im Film.

QuellentextYeyha E.

Ich liebte es, in den Klassenraum zu kommen und die Angst in den Gesichtern der Schüler zu sehen, und am schönsten war es, wenn ich den Lehrer am Unterrichten hinderte, dadurch, dass ich Schüler zwang, den Unterricht zu stören.

Auszug aus einer E-Mail von Yehya E. an Christian Stahl über seine Zeit in der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln.

Quelle: Christian Stahl, In den Gangs von Neukölln, Hamburg: Verlag Hoffmann und Campe, 2014, Seite 47.

2008 kommt der inzwischen 17-Jährige wegen bewaffneten Raubüberfalls auf den Hamburger Prominenten-Wirt Reinhard R. für drei Jahre ins Gefängnis. Es ist eine brutale Tat, bei der Reinhard R. und dessen Freundin ein Jahr zuvor mit dem Messer verletzt werden und traumatische Folgen davontragen. Eine halbe Million Euro hatten sich Yehya und seine Komplizen von dem Überfall versprochen. "Ich dachte, wenn ich das durchziehe, muss ich nie wieder in meinem Leben klauen", sagt er im Film.

Der Weg raus aus dem Gefängnis

Regisseur Christian Stahl zeichnet in "Gangsterläufer" ein eindrückliches Portrait von Yehya und seiner Familie, die versucht, in Würde in der Fremde zu leben und deren Sohn dennoch zum Intensivstraftäter wird. Seine Geschichte ist zwiespältig, emotional und gewalttätig. Im Film scheint es aber, als würde er die Gründe für sein Handeln Schritt für Schritt begreifen, als würde er den Ausstieg schaffen.

Im Juli 2009 wird Yehya zum Freigänger und darf von 7 bis 17 Uhr das Gefängnis Berlin-Plötzensee verlassen. Nach seiner Entlassung wird er in der Sonnenallee mit "Respekt" begrüßt, weil er jetzt ein Mann mit Geschichte ist, mit Gefängnisaufenthalt. Zugleich wird er zum Schüler, der seinen mittleren Schulabschluss mit der Note zwei nachholt. Yehya: Vorzeigeaussteiger und ab 2010 ehrenamtlicher Streitschlichter bei der Deutsch-Arabisch-Unabhängigen Gemeinde in Neukölln. Einer, der von Politikern als Ansprechpartner eingeladen und zum Berater der Berliner Polizei wird und sie bei der Deeskalation brenzliger Situationen unterstützt, wie es Stahl in seinem Buch schreibt. Yeyha: Ein junger Mann, der über Heiraten und Familiengründung nachdenkt. Es ist der Versuch, sich der bürgerlichen Gesellschaft anzunähern und ein Teil von ihr zu werden. Doch auf seinen vermeintlichen Erfolg folgen Rückschläge.

Die Ausweisung droht

Die Justiz will ihn ausweisen, weil sie das bei Ausländern ab einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren kann. In einem Bescheid der Ausländerbehörde wird Yehya aufgefordert, Deutschland nach dem Ende seiner Haftzeit zu verlassen, sonst wird er abgeschoben – auf Basis eines Rücknahmeabkommens in die Ukraine.

QuellentextChristian Stahl

Die Ursachen der Kriminalität kann man nicht abschieben. Sie sind hier entstanden. Sie werden hier bleiben und sich verstärken, wenn wir nicht endlich die Fehler im deutschen System [der Asyl- und Flüchtlingspolitik] beheben.

Anmerkungen von Christian Stahl zur deutschen Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Quelle: Christian Stahl, In den Gangs von Neukölln, Hamburg: Verlag Hoffmann und Campe, 2014, Seite 221f.

Yehyas Anwalt klagt erfolgreich gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde. Das Gericht urteilt, dass er einen Aufenthalt bekommen muss, wenn er sein Abitur macht. Doch als er sein Fachabitur an einem Oberstufenzentrum beginnt, bittet ihn das Direktorium nach wenigen Tagen, die Klasse zu verlassen. Die Ausländerbehörde hat der Schule mitgeteilt, "dass geduldete Flüchtlinge wie Yehya, noch dazu mit seinen Straftaten, keinem Deutschen einen Abiturplatz wegnehmen dürfen", schreibt Stahl in seinem Buch. Yehya macht ein Praktikum bei einem Fotografen. Ein Antrag auf eine Arbeitserlaubnis wird abgelehnt. 2011 beginnt er die Ausbildung zum Sozialassistenten an einer Privatschule und nimmt an Sitzungen des Integrations- und Migrationsbeirates in Neukölln teil. Im Oktober 2012 steht er erneut vor Gericht. Der Vorwurf des Raubüberfalls wird fallen gelassen, doch erhält er wegen einfacher Körperverletzung eine einjährige Bewährungsstrafe. Zu diesem Zeitpunkt ist die Premiere des Films "Gangsterläufer" knapp eineinhalb Jahre her.

Kein Ausstieg, wieder Gewalt, wieder Haft

Yehya ist 23 Jahre alt, als er im März 2014 sein zweites Urteil bekommt: fünf Jahre Haft wegen Diebstahl, schweren Raubs in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung und Planung eines weiteren Überfalls. Er wird verurteilt als Kopf einer Bande. Über 50.000 Euro erbeuteten Yehya und Komplizen in einer Kaufhauskette, einem Modegeschäft und einer Privatwohnung. "Kriminalität ist keine Krankheit, die man mal so eben heilen kann", schreibt Stahl daraufhin in einem Essay für die Zeitung "Die Welt". Bei Jungen wie Yehya wirke sie wie eine Droge und die Wut sei ihr Antrieb, weil sie das Bedürfnis nach ihr wecke. Der 23-Jährige gibt vor Gericht eine fast halbstündige persönliche Erklärung ab, die Stahl in seinem Buch zitiert. Er berichtet über seine Kindheit und das Gefühl der Ausgrenzung als "nicht-deutsches" Kind, dessen Eltern arbeitslos sind, weil sie nicht arbeiten dürfen. Über seinen Umzug innerhalb Berlins vom bürgerlichen Prenzlauer Berg nach Neukölln, wo er zum ersten Mal das Gefühl der Zugehörigkeit gespürt habe, weil dort Kinder wie er lebten. Wie es sei einer Gruppe anzugehören und sich beweisen zu wollen, wie er "Scheiße baut" und irgendwann "seine Hemmungen verliert". Und Yehya spricht über die Zeit nach der ersten Haft und seiner Arbeit als Streitschlichter: "In meinem ehemaligen Paradies [Berlin-Neukölln] war ich plötzlich der V-Mann. [...] Ich wollte stark genug sein, in Neukölln zu leben und nicht kriminell zu sein. Womöglich schaffen das auch viele. Aber ich bin gescheitert. [...] Ich wollte meine Aufenthaltserlaubnis, meine Arbeitserlaubnis, und ich wollte wegziehen von Neukölln. Ich hab keine Arbeitserlaubnis bekommen und konnte keine Arbeit haben. Wegziehen konnte ich auch nicht. Keiner gibt einem Geduldeten eine Wohnung. [...] Dass ich wenigstens Berlin mal verlassen kann. Abgelehnt. Ausziehen? Keine Chance. Du bleibst dort, du bleibst mitten im Dreck. Das war mein Gefühl."

Wie fühlt es sich an, wenn das Zuhause niemals ein wirkliches Zuhause ist? Ist einem dann alles egal? Sind die Kriegsbiografien palästinensischer Einwandererfamilien ein Grund für die Kriminalität und Gewalt? Wer oder was ist schuld, dass Yehya kriminell geworden ist? Er selbst, die Gesellschaft, das familiäre Umfeld, die Freunde? Oder das enge Korsett bürokratischer Regeln: das Arbeitsverbot, die Residenzpflicht, die ständige Bedrohung, abgeschoben zu werden? Arnold Mengelkoch sagt, dass auch Kinder, die die Traumata nicht bewusst erlebt hätten, die Geschichte und Überlebensstrategie ihrer Eltern verinnerlichten und zum Teil falsch übertragen würden. Es sind Gefühle von Angst, Widerstand und Kampf, die im Inneren der Kinder weiterleben, doch über die in den Familien meist nicht geredet wird.

QuellentextChristian Stahl

Falls Yehya 2018 vorzeitig entlassen wird, wird er, nach heutigem Stand des deutschen Aufenthaltsrechts, weiterhin lediglich eine Duldung haben, keine Arbeits- und keine Aufenthaltserlaubnis bekommen, und die Ausländerbehörde wird weiter ohne Aussicht auf Erfolg versuchen, ihn abzuschieben.

Anmerkungen von Christian Stahl zur Perspektive von Yehya E. nach seiner voraussichtlichen Haftentlassung im Jahr 2018.

Quelle: Christian Stahl, In den Gangs von Neukölln, Hamburg: Verlag Hoffmann und Campe, 2014, Seite 221f.

"Die Schuld muss Yehya tragen", sagt Stahl. Doch reicht es ihm nicht, mit dem moralischen Zeigefinger auf Jungen wie ihn zu zeigen, härtere Strafen zu fordern und pauschal von kulturellen Konflikten und von Abschiebung zu sprechen. Es sei wichtig, die Hintergründe ihrer Geschichte zu verstehen. "Ohne zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, aber mit der Absicht zuzuhören", schreibt Stahl auf seiner Facebook-Seite.

Mehr als zehn Jahre sind inzwischen vergangen, seitdem er und Yehya sich kennengelernt haben. Der Junge lässt Stahl nah an sich heran, sie reden, sie streiten, Stahl wird zu einer wichtigen Ansprechperson. "Wer das Problem der Intensivstraftäter aus Flüchtlingsfamilien verstehen und abschaffen will, muss mit den jungen Männern und ihren Familien sprechen und nicht über sie", sagt auch Mengelkoch. Auf diese Weise werden der Film und das Buch von Stahl nicht nur das Zeugnis einer ungewöhnlichen Freundschaft, das die Enttäuschung, Erwartung und Sehnsucht nach einem anderen Leben als das der Eltern in einem zum Teil brutalen und intelligenten jungen Mann sichtbar macht, sondern auch eine unbequeme Deutung der deutschen Asylpolitik. "Die Probleme sind hier entstanden. Sie werden hier bleiben und sich verstärken", schreibt der Regisseur in seinem Buch. Für ihn steht fest, dass Yehya kein arabischer oder genauer: palästinensischer, sondern ein deutscher Krimineller ist. Deshalb fragt er: "Wann werden wir in Deutschland aufgewachsene Menschen endlich als Deutsche und die Probleme, die durch verfehlte Einwanderungspolitik mit verursacht wurden, als deutsche Probleme anerkennen?"

Weiterführende Literatur und Links

Bundesregierung, Erleichterungen für Asylbewerber, 02.01.2015,
Externer Link: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/10/2014-10-29-verbesserungen-fuer-asylbewerber-beschlossen.html

King, Vera (2005): Bildungskarrieren und Männlichkeitsentwürfe bei Adoleszenten aus Migrantenfamilien. In: King, Vera/Flaake, Karin (Hrsg.): Männliche Adoleszenz. Sozialisation und Bildungsprozesse zwischen Kindheit und Erwachsensein. Frankfurt/Main: Campus. S. 57-76

Prömper, Hans/Jansen, Mechtild M./Ruffing, Andreas/Nagel, Helga (Hrsg.) (2010): Was macht Migration mit Männlichkeit? Kontexte und Erfahrungen zur Bildung und Sozialen Arbeit mit Migranten. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich. S. 19-35

Schäfer, Eberhard/Moradli, Baljan/Yaşaroğlu, Ercan (2006): »Baba – Papa. Väter im Gespräch« – Ein Konzept für die Arbeit mit Vätern mit türkischem und arabischem Migrationshintergrund in Berlin-Kreuzberg. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Migration und Männlichkeiten. Schriften zur Geschlechterdemokratie.
Externer Link: http://www.gwi-boell.de/sites/default/files/uploads/2014/04/migration_oder_maennlichkeiten_nr.14.pdf

Stahl, Christian, „Die Neuköllner Gangs sind süchtig nach Kriminalität“, 22.09.2014,
Externer Link: http://www.welt.de/vermischtes/article132494500/Die-Neukoellner-Gangs-sind-suechtig-nach-Kriminalitaet.html

Stahl, Christian, Videos mit Yehya E. in der Justizvollzugsanstalt im Sommer/Herbst 2014,
Externer Link: https://www.youtube.com/user/Stahlmedien

Tunç, Michael (2007): Väter mit Migrationshintergrund zwischen Skandalisierung und Vernachlässigung. Umrisse einer Väterarbeit in der Migrationsgesellschaft. In: Zeitschrift für Migration und Soziale Arbeit. Jg. 29. Heft 1. S. 33-39.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung, Kleine Anfrage der Partei Die Linke, Drucksache 18/3987, 10. Februar 2015 (Seite 26ff): Externer Link: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/039/1803987.pdf

  2. Die Neuregelungen im Asyl- und Staatsangehörigkeitsgesetz sowie bei der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern wurden im Dezember im Bundestag und Bundesrat beschlossen. Es trat mit seinen überwiegenden Regelungen am 1. Januar 2015 in Kraft, einzelne Vorschriften am 1. März 2015. Die Regelungen sind zum Teil umstritten, denn neben Erleichterungen wurden u.a. Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Drittstaaten erklärt. Asylsuchende aus diesen Ländern haben damit kaum Chancen auf ein Bleiberecht in Deutschland. Externer Link: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2014/10/2014-10-29-verbesserungen-fuer-asylbewerber-beschlossen.html

  3. Zum Beispiel: Prömper, Hans/Jansen, Mechtild M./Ruffing, Andreas/Nagel, Helga (Hrsg.) (2010): Was macht Migration mit Männlichkeit? Kontexte und Erfahrungen zur Bildung und Sozialen Arbeit mit Migranten. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich. S. 19-35 .

  4. Siehe: Haruna, Hadija, "Gekommen, um zu bleiben? Das Leben junger Flüchtlinge in Berlin", www.fluter.de, 23.05.2011; Externer Link: http://www.fluter.de/de/flucht/thema/9330/

  5. Mit den Neuregelungen ab 2015 wird auch die Residenzpflicht nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland formell abgeschafft. An ihre Stelle tritt eine Wohnsitzauflage für Asylbewerber und Geduldete, die auf Transferleistungen angewiesen sind. Sie sind also verpflichtet an einem bestimmten Ort zu wohnen, dürfen sich aber ansonsten frei bewegen. Hier sind Einschränkungen möglich, sodass abzuwarten ist, wie die Wohnsitzauflage wirkt.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Hadija Haruna für bpb.de

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Hadija Haruna lebt und arbeitet als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Jugend und Soziales, Migration und Rassismusforschung. Ihre Redakteurs-Ausbildung hat die Diplom-Politologin an der Berliner Journalistenschule (BJS) absolviert. Sie arbeitet u.a. für den Hessischen Rundfunk, den Tagesspiegel, die ZEIT und das Fluter Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist Preisträgerin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gestifteten KAUSA Medienpreises 2012 "Macht sie sichtbar – Bildungswege von Migrantinnen und Migranten".