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Juden in Deutschland und der Staat Israel | Jüdisches Leben in Deutschland nach 1945 | bpb.de

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Juden in Deutschland und der Staat Israel

Daniel Mahla

/ 8 Minuten zu lesen

Für die Mehrzahl der Jüdinnen und Juden in Deutschland bleibt Israel ein emotionaler Zufluchtsort. Während die Existenz jüdischer Gemeinden in Deutschland in der Nachkriegszeit noch auf verbreitete Kritik aus Israel stieß, zieht es seit den 2000er-Jahren vermehrt junge Israelis nach Berlin, wo sie sich inzwischen ganz eigene Räume geschaffen haben.

Ein großes, buntes Schild begrüßt Ankommende im Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv, dem größten Flughafen Israels. Der israelische Staat garantiert allen Jüdinnen und Juden weltweit ein Einbürgerungsrecht und ist für viele daher eine Art Lebensversicherung. (© picture-alliance, Newscom | Rafael Ben-Ari/Chameleons Eye)

"Ich glaube, kein Jude auf der Welt kann ein neutrales Verhältnis zu Israel haben, schon gar nicht in Deutschland. Die Existenz des israelischen Staates, der jedem Juden ein Einbürgerungsrecht garantiert, ist eine Lebensversicherung. Hätte es ihn schon in den 30er-Jahren gegeben, wäre es nicht zu dem gekommen, was geschehen ist."

Mit diesen Worten schilderte in einem Interview im Dezember 2014 der damals gerade zum Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland gewählte Dr. Josef Schuster die Beziehung der Jüdinnen und Juden in Deutschland zum Staat Israel. Gleichzeitig aber betonte er, dass der Zentralrat "keine israelische Konsularbehörde" sei. Bei weitem nicht alle Deutschen, so führte er aus, könnten die Beziehung der Juden in Deutschland zu Israel verstehen. Ein Nachbar etwa habe seine Frau vor ein paar Jahren gefragt, ob die Familie im Sommer "wieder mal nach Hause" fahre.

Was Schuster hier beschrieb, ist eine Grundspannung, der sich in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden immer wieder ausgesetzt sehen. Denn zum einen ist klar, dass sich viele von ihnen in besonderer Weise mit dem jüdischen Staat identifizieren. Zum anderen aber haben sie mit dem klassischen antisemitischen Stereotyp zu kämpfen, Juden seien in erster Linie dem Staat Israel gegenüber loyal und nicht ihren Heimatländern. Bewusst oder unbewusst sprach der Nachbar der Familie Schuster mit seiner Bemerkung indirekt ab, zur Bürgerschaft der Bundesrepublik Deutschland zu gehören, wie der Vorsitzende des Zentralrats dann auch resigniert feststellte.

Konfliktträchtig und sprunghaft: die Jahre 1945–1990

Tatsächlich gestalteten sich die Beziehungen der Jüdinnen und Juden in Deutschland zu Israel nicht immer einfach. Gerade in den frühen Nachkriegsjahren blickten Israelis höchst negativ auf die Existenz jüdischer Gemeinden im Land der Täter. Der israelische Konsul in München etwa, Dr. Eliahu Livneh, unterstellte der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, keinerlei moralische Standards zu haben. "Es handelt sich um Elemente," so sein vernichtendes Urteil, "die nur in Dimensionen von Geld und Profit denken und Israel und den Zionismus mit Zynismus und Gleichgültigkeit betrachten." Ächtung und Boykott gegenüber allem Deutschen bezogen sich in dieser Weise auch auf die im Lande verbliebenen Jüdinnen und Juden, versinnbildlicht etwa in der anfänglichen Nichtanerkennung einer deutschen Sektion innerhalb der Zionistischen Weltorganisation. Noch weit negativer beurteilte man dort die 2500 bis 3000 Menschen, die vor dem Krieg aus Deutschland nach Palästina geflohen waren und in den späten 1940er- und frühen 1950er-Jahren wieder dorthin zurückkehrten.

Die jüdischen Gemeinden in Westdeutschland sahen sich – auch vor dem Hintergrund dieser Ablehnung – von einem schlechten Gewissen geplagt. Zum Ausgleich engagierten sie sich demonstrativ für den jüdischen Staat. Israel wurde zum Dreh- und Angelpunkt jüdischen Lebens in Deutschland. Da sie sich selbst auferlegten, im "Land der Henker" nicht heimisch zu werden, wurde der jüdische Staat für viele damals zur Ersatzheimat. Mit dem fortschreitenden wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er-Jahre drückte dies sich vor allem in einer enormen Spendenbereitschaft aus. Die in Westdeutschland etablierten Gemeinden veranstalteten zahllose Fundraising-Veranstaltungen. Einzelne Mitglieder wurden sogar unter Druck gesetzt, durch individuelle Zuwendungen ihre Solidarität mit Israel zum Ausdruck zu bringen. Diese Solidarität drückte sich außerdem in einer höchst zionistisch geprägten Erziehung aus, die bald Früchte trug. So gaben bei einer Umfrage im Jahr 1964 73 Prozent der befragten Jugendlichen an, zukünftig in Israel leben zu wollen. Nur 8 Prozent sahen ihre Zukunft in Deutschland. Zwar gab es vereinzelt auch Kritik an dieser Stimmung, etwa wenn der konservative Historiker Hans-Joachim Schöps mahnte, man solle sich nicht "als vorrübergehend in Deutschland amtierende Gast-Israelis" sehen, sondern als "deutsche Staatsbürger mit allen politischen Rechten und Pflichten." Doch die überwiegende Mehrheit der in Westdeutschland lebenden Juden sah dies anders.

Im Gegensatz dazu war für die Juden in der DDR solch eine offene Solidarisierung mit Israel aufgrund der antizionistischen Haltung des Staates höchst gefährlich. Nach dem Sechs-Tage-Krieg spitzte sich die antiisraelische Demagogie in der DDR noch weiter zu (mehr zum jüdischen Leben in der DDR siehe Interner Link: Jüdisches Leben in der DDR). Auch für die jüdischen Gemeinden in Westdeutschland war der Sechs-Tage-Krieg ein wichtiger Wendepunkt. Zum einen stärkte der überwältigende Sieg des jungen Staates über seine Feinde noch einmal die Identifikation vieler Jüdinnen und Juden mit Israel nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Zum anderen aber führte die nun einsetzende militärische Besatzung der Palästinensergebiete auch zu scharfer Kritik. Hinzu kam es mit dem Heranwachsen der zweiten Generation zu einer Pluralisierung der westdeutschen jüdischen Gemeinden. Insbesondere die Frankfurter Jüdische Gruppe um die Intellektuellen Dan Diner, Micha Brumlik und Cilly Kugelmann setzte sich äußerst kritisch mit dem jüdischen Staat auseinander und beteiligte sich an Protesten gegen die israelische Politik. Brumlik etwa erklärte das "zionistische Experiment in politischer und moralischer Hinsicht" für gescheitert und forderte, es müsse nun wieder möglich sein, sich ein Judentum "ohne den Staat Israel" vorzustellen.

Die ab 1977 regierende rechtsnationale Koalition unter Menachem Begin sowie der Libanonkrieg 1982 führten zu einer weiteren Verschärfung der Auseinandersetzung. In dieser Kritik und dem Aufbegehren gegen die Elterngeneration sahen sich die jüdischen Studierenden vereint mit vielen nicht-jüdischen Altersgenossen auf der politischen Linken. Allerdings gestaltete sich dort die Kritik am Staat Israel zunehmend aggressiver und wurde nicht selten von antisemitischen Untertönen begleitet. Dies bewirkte schließlich einen Prozess der Loslösung der jüdischen Aktivistinnen und Aktivisten von ihren linken Partnern. Sie entwickelten sich nun zu Intellektuellen, die entschieden jüdische Standpunkte vertraten. Darüber hinaus kam es in diesen Jahren zu einer positiveren Identifizierung vieler Jüdinnen und Juden mit Deutschland, womit gleichzeitig die Bedeutung Israels als "Ersatzheimat" zurückging. So gaben in einer Umfrage von 1990 64 Prozent der befragten Jüdinnen und Juden aus Westdeutschland an, sich "zunächst einmal als Deutsche" zu sehen und 56 Prozent verneinten die Behauptung, Israel sei ihre wahre Heimat.

Neue Perspektiven und Identifikationen: die Jahre 1990 – heute

Die deutsche Wiedervereinigung und die Einwanderung aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion stellten die jüdischen Gemeinden in den 1990er-Jahren schließlich vor weitreichende Herausforderungen, deren erfolgreiche Bewältigung nun im Fokus stand. Die Migrantinnen und Migranten brachten aber auch neue Perspektiven in die Gemeinden ein. Viele von ihnen unterhielten enge Verbindungen zu Verwandten und Freunden, die nach Israel emigriert waren. Andere hatten selbst ein paar Jahre im jüdischen Staat gelebt, bevor sie nach Deutschland kamen.

Gleichzeitig mussten sie sich in der neuen Umgebung zurechtfinden, was nicht selten zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Zugehörigkeit und Identität führte und damit auch zu der Frage, welche Bedeutung ihrem Verhältnis zum jüdischen Staat darin zukam. Vor allem die zweite Generation von ihnen, die als Kinder nach Deutschland gekommen waren oder erst hier geboren wurden, setzte sich intensiv mit solchen Fragen auseinander. Stellvertretend für diese Generation etwa kann der Schriftsteller und Journalist Dmitrij Kapitelman angeführt werden, der in seinem 2016 erschienenen Erstlingswerk "Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters" feinsinnig und humorvoll die eigene Suche nach Identität und Heimat thematisiert. Zurückgekehrt von einer Reise nach Israel, die er zu diesem Ziel zusammen mit seinem Vater unternahm, stellt er fest, auch dort gäbe es keine ideale Gesellschaft "ohne Fremdenfurcht, Neid und Ungerechtigkeit". "Die Reise mit meinem Vater hat mir gezeigt," so resümiert er seine Identitätssuche, "dass Zugehörigkeiten austauschbar sind – nicht aber die Menschen, mit denen man diese teilt. Meine Familie und Freunde leben in Deutschland. Die Unmenschen, die sie bedrohen, ebenfalls. Somit bin ich für Deutschland mitverantwortlich. Ob ich will oder nicht."

Daneben vollzog sich über die Jahrzehnte eine schrittweise Anerkennung der Gemeinden in Deutschland durch die großen jüdischen Zentren in Israel und den USA. Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem jüdischen Staat 1965 und die sich stetig enger gestaltenden Bindungen zwischen den beiden Staaten bildeten hierfür eine wichtige Voraussetzung. Einen historischen Moment konstatierte schließlich der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, als der israelische Präsident Mosche Katzav während eines offiziellen Staatsbesuchs 2002 bei der Einweihung einer neuen Synagoge in Wuppertal sprach und damit eine positive Einstellung gegenüber jüdischem Leben im Land demonstrierte.

In den 2000er-Jahren kam es dann zu einer neuen Entwicklung in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Erstmals wanderten nicht nur einzelne, sondern mehrere Tausend israelische Staatsbürgerinnen und -bürger ein, die sich insbesondere in Berlin niederließen und dort eigene Organisationen und Strukturen aufbauten.

QuellentextJunge Israelis in Berlin

Yehuda Swed zeigt stolz die moderne Einrichtung seines neuen Büros im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg. Der Vater zweier Jungs ist kein allzu emotionaler Typ, doch wenn er von seiner Fotoagentur Seesaw erzählt, gerät er ins Schwärmen. "Wäre ich in Israel geblieben, müsste ich wahrscheinlich Hochzeiten fotografieren und wäre nicht annähernd so respektiert." Der 1983 geborene Swed kam vor fast zehn Jahren aus Jerusalem nach Berlin, nachdem er 2006 im Libanonkrieg gekämpft und es satt hatte, "dass andere über mein Leben bestimmen".

Ausgerechnet in Berlin, jener Stadt, in der die Nationalsozialisten den Holocaust planten, leben heute tausende Israelis. Doch so präsent die Shoah sein mag, sie ist viel mehr Teil der Vergangenheit als des Alltags. Zumindest für viele Neu-Einwanderer aus Israel.

Jung, selbstbewusst, abenteuerlustig – in Berlin lebende Israelis ähneln sich in mancher Hinsicht sehr. Viele kommen, um zu feiern, vom Nahostkonflikt Abstand zu gewinnen oder einen Neuanfang zu wagen. Nach Angaben des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg hat sich die Zahl der in Berlin gemeldeten Israelis zwischen 1993 und 2014 auf 6265 Personen mehr als verdoppelt. Inzwischen ist in den Medien aber von bis zu 30.000 Menschen die Rede. Die israelische Botschaft geht von knapp der Hälfte aus. Verlässliche Zahlen sind rar. Nicht nur, weil viele Israelis ihren Zweitpass angeben. Sicher ist: 2018 waren in Berlin offiziell 5319 israelische Staatsbürger amtlich registriert.

Aber was zieht Israelis nach Berlin? Hat die deutsche Hauptstadt das Potenzial, Heimatgefühle zu wecken? "Was Heimat für mich bedeutet, kann ich nicht genau sagen", überlegt Yael Nachshon Levin, "das verändert sich dauernd." 2016 hat sie mit ihrer vierköpfigen Familie Tel Aviv verlassen. Aus Liebe zu ihrem Mann, Enkel von deutschen Holocaustüberlebenden, den es nach Deutschland zog – und um sich eine Auszeit zu nehmen. "Ich wollte nach meiner Krebserkrankung ein neues Kapitel aufschlagen", erzählt die 39-Jährige Nachshon Levin. Doch statt alles etwas langsamer anzugehen, organisierte sie in ihrer Berliner Altbauwohnung bald regelmäßig Wohnzimmerkonzerte und Ausstellungen. Der Erfolg von "Framed", so der Name ihres Kultursalons, führt 2019 zur Gründung eines Vereins. Die heimelige Atmosphäre bietet nun ein Studio in Friedrichshain, in dem auch Lesungen und Zeichenkurse gehalten werden.

Wer dennoch Heimweh bekommt, kann sich auch in Berlin ohne Mühe in einen israelisch-jüdischen Kosmos begeben. In praktisch jedem Innenstadtbezirk lässt sich nicht nur israelisch essen, sondern auch koscher. So muss niemand auf Falafel oder Shakshuka verzichten. Dazu kann man die neueste Ausgabe des hebräischen "Spitz"-Magazins lesen, das in der Spreemetropole herausgegeben wird oder in der privat geführten Hebräischen Bücherei vorbeischauen und abends noch israelischen Musikern lauschen. Und auch für spirituelle Momente ist gesorgt: Mehr als zehn Synagogen gibt es in Berlin. Jüdische Kitas und (Grund-)Schulen sind ebenfalls vorhanden.

Yehuda Swed fühle sich in erster Linie als Israeli, sagt er, nicht als Jude. Damit seine Kinder neben der deutschen Muttersprache auch Hebräisch lernen, kommuniziert er auf Ivrit mit ihnen. Deutsch ist dem mit einer Deutschen verheirateten Swed noch immer etwas fremd – und Englisch für seine internationale Agentur ohnehin die beste Wahl.

Ob als Fotograf, Modemacher, Journalistin, Start-up-Gründer, Bäcker oder Restaurantbesitzer – viele Israelis lassen sich als Selbstständige an der Spree nieder. Die Freiheit, die eigenen Talente auszuprobieren, ist verführerisch. In Israel sei sie ständig gegen Wände gelaufen, erklärt Yael Nachshon Levin, die auch Musikerin ist und Kolumnistin. In Berlin könne sie ihre Träume realisieren. Außerdem ermögliche ihr die Stadt, mit Syrern und Arabern befreundet zu sein. "Leute, die ich in Israel nicht mal treffe". Auch für Yehuda Swed spielt der entspannte Umgang mit der eigenen Identität eine entscheidende Rolle: "In Berlin kannst du dich immer wieder neu erfinden, anonym in der Großstadt unterwegs sein oder unter Freunden in deinem Kiez."

Christa Roth, "Berlin weckt Heimatgefühle", 23. Juli 2019, © Externer Link: www.deutschland.de

In Israel selbst sorgte diese neue Diaspora für Unmut. So warf etwa der damalige Finanzminister Yair Lapid den Fortgezogenen vor, "das einzige Land der Juden so einfach hinter sich zu lassen, weil das Leben in Berlin einfacher ist." Viele Deutsche dagegen zeigten sich hoch erfreut über die neue Anziehungskraft ihrer Hauptstadt auf junge Jüdinnen und Juden aus Israel und anderen Ländern.

Karikatur (© Til Mette)

Diese selbst sorgten für eine weitere Pluralisierung jüdischen Lebens in Deutschland. Einige unter ihnen vertraten eine entschieden kritische Position gegenüber der israelischen Politik und etablierten sich bald als zusätzliche Stimme im deutsch-israelischen Dialog. Auch hier kann wieder ein junger Autor als Beispiel dienen, der als Jugendlicher wegen der neuen Liebesbeziehung seiner Mutter aus einer israelischen Siedlung im Westjordanland ausgerechnet in eine Hochburg der NPD in Sachsen-Anhalt zog. Pointiert und provokativ erzählt Shahak Shapira, der heute in Berlin lebt und 2017 die deutsche Staatsangehörigkeit annahm, in seinen autobiografischen Aufzeichnungen "Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen! Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde" von seinen Erlebnissen. Schonungslos nimmt er dabei die neue deutsche und die alte israelische Heimat aufs Korn, wie auch seine jüdische Identität und den Umgang seiner deutschen Umgebung mit dieser. Der Autor und Satiriker provoziert zudem immer wieder mit Aktionen wie etwa einer Website, auf der er 2017 Selfies von fremden Personen vor dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas mit Fotomaterial aus NS-Vernichtungslagern kombinierte und damit eine Debatte über die Erinnerung an den Holocaust auslöste.

Doch im neuen Millennium trat auch der Antisemitismus wieder offener und vermehrt gewaltbereit zu Tage. In diesem Zusammenhang mussten in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden nicht selten erleben, dass sie für die israelische Politik gegenüber den Palästinensern verantwortlich gemacht und immer öfter auch Opfer von tätlichen Angriffen und Gewalt wurden. Vor diesem Hintergrund ist die eingangs zitierte Aussage Josef Schusters zu verstehen, der Staat Israel sei eine Lebensversicherung für alle Juden. Darüber hinaus zwingt die undifferenzierte Gleichsetzung von Juden und Israelis die in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden immer wieder dazu, sich zu positionieren und die eigene Beziehung zum Staat Israel zu erläutern. Wie erwähnt, steht hier das antisemitische Stereotyp im Raum, Juden könnten aufgrund ihrer Beziehung zu Israel keine loyalen Bürger ihrer Heimatländer sein. Doch wie dargestellt, gestalten sich diese Beziehungen sehr vielfältig und dynamisch und haben im Laufe der Jahre höchst unterschiedliche Positionen und Zugänge hervorgebracht.

Dr. Daniel Mahla ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilian-Universität (LMU) München und Koordinator des Zentrums für Israel-Studien. Er beschäftigt sich mit der modernen jüdischen Geschichte in Zentraleuropa und Palästina/Israel. Seine Monografie "Orthodox Judaism and the Politics of Religion: From Prewar Europe to the State of Israel” ist 2020 erschienen.
Dr. Daniel Mahla hat die Koordination für diese Themenausgabe übernommen.