Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Analyse: Klimapolitik: erste Schritte einer Energiesupermacht | Russland-Analysen | bpb.de

Russland-Analysen Verhandlungen unter Trump / Kriegs- und Wirtschaftsentwicklung (27.02.2025) Kommentar: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine: Trump als Game-Changer? Kommentar: Was hat Russland von der US-amerikanischen Verhandlungsinitiative? Kommentar: Frieden à la Trump? Drei Probleme und zwei Szenarien Kommentar: Stellen die USA und Russland die Ukraine und Europa beim Friedensprozess aufs Abstellgleis? Kommentar: Verhandlungen ohne zu verhandeln Kommentar: Millionen für eine Unterschrift: Russlands Rekrutierung in den Regionen Kommentar: Ernüchterung nach dem Fest der Haushaltsausgaben Kommentar: Drei Jahre Krieg: Die Lage der Dinge an den Fronten und in den Armeen Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Krieg gegen die Ukraine: Umfrageergebnisse / Rolle der russischen Exilopposition (25.02.2025) Analyse: Russland im Security Radar 2025 Analyse: Opposition – aber gegen wen und wogegen? Zu den Motiven der ukrainischen Skepsis gegenüber der russischen Exilopposition Umfragen: Einstellungen in der Ukraine gegenüber Russland und der russischen Antikriegsopposition Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Gender / Gasversorgung (03.02.2025) Analyse: Russlands Kampagne für eine Rückkehr des Patriarchalen: Förderung „traditioneller Werte“ mit dem Ziel demographischer und sexueller Souveränität Umfragen: Gendergerechtigkeit und -rollenbilder Analyse: Folgen der Beendigung des Gastransports durch die Ukraine für EU-Länder und Moldau Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Silowiki (23.12.2024) Analyse: Die Silowiki im Krieg: Die russischen Geheimdienste seit Februar 2022 Analyse: Die GRU – Russlands Militärgeheimdienst Analyse: Russlands Freiwilligenformationen: Vehikel zur Rekrutierung, Loyalitätsbeweis oder Zeichen der Machtdiffusion? Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Einstellung zum Krieg (20.12.2024) Analyse: Entwicklung der gesellschaftlichen Wahrnehmung und der Zustimmung in Russland zum Krieg gegen die Ukraine Umfragen: Einstellung zum Krieg gegen die Ukraine dekoder: Verschollene Gefallene Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Wirtschaftsmodell und Eliten (25.10.2024) Veränderungen in den Beziehungen zwischen Staat und Unternehmen angesichts des Krieges und der Sanktionen Ranking: Russen auf der Forbesliste der Milliardäre weltweit 2024 Analyse: Rätselhafte Todesfälle in der russischen Elite vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Auslandspropaganda (11.10.2024) Analyse: Wie deutschsprachige alternative Medien vom Kreml unterwandert und instrumentalisiert werden Kommentar: Sympathien für Putin: Eine Folge politischer Entfremdung Kommentar: Schulprojekt: "Russische Propaganda erkennen" – ein Werkstattbericht Dokumentation: Lesetipps: Russische Desinformationskampagne Doppelgänger in Deutschland Dokumentation: EU vs Disinfo: Doppelgänger Dokumentation: Durchführungsverordnung des Rates der Europäischen Union zu Sanktionen gegen Russland Dokumentation: Öffentliche Bewertung des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestags der russischen Einflussnahme in Deutschland Kommentar: Lauschangriff auf deutsche Offiziere: Russlands hybride Kriegsführung Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Russlands Weizenexporte (12.09.2024) Analyse: Konzentration der russischen Weizenexporte nach Ägypten und in die Türkei: Evidenzen aus den Exporten der Häfen Noworossijsk und Rostow Analyse: Weizenhandel zwischen Russland und dem Iran: ein unsteter Trend Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Nordkaukasus / Russisch-Orthodoxe Kirche (26.07.2024) Analyse: Ramsan Kadyrow: Halb Putins loyaler Prätorianer, halb ergebener Diener des tschetschenischen Volkes Dokumentation: Lesetipps zu Tschetschenien und Kadyrows Gewaltherrschaft, Familienclan, seinem Gesundheitszustand und Spekulationen über seinen Rücktritt Dokumentation: Ramsan Kadyrows Spezialoperation. Was schreiben die Regionalchefs auf Telegram und VK über Russlands Krieg gegen die Ukraine? Analyse: Fehlwahrnehmung: Inguschetien und Dagestan zwei Jahre nach der russischen Vollinvasion in die Ukraine Analyse: Prüfung durch das Gebet. Welche Perspektiven haben die Kriegsgegner in der Russisch-Orthodoxen Kirche? Chronik: Chronik: 1. bis 6. Juli 2024 Stimmen aus Russland: Museumswesen / Gewalt gegen Frauen (24.07.2024) Editorial: Stimmen aus Russland Geheimhaltung und Manipulation von Daten (05.07.2024) Analyse: Die Open Data-Lage in Russland während des Krieges:
zwischen Drohnenangriffen und bürokratischen Grabenkämpfen Analyse: Die Kunst der Datenmanipulation in Russland: Erkenntnisse aus der COVID-19-Pandemie Chronik: Hinweis auf die Online-Chronik Personalveränderungen in Regierung und Präsidialverwaltung (11.06.2024) Analyse: Regierungsumbildung in Moskau: Herrschaftssicherung sticht Effizienzsteigerung Analyse: Andrej Beloussow – Russlands neuer Kriegsminister dekoder: Alexej Djumin Chronik: 30. April – 18. Mai 2024 30 Jahre russische Verfassung (14.05.2024) Editorial: Einleitung der Gastherausgeberin Analyse: Wie der Gewalt der Weg geebnet wurde
. Die Verfassungskrise von 1993 und Russlands politischer Entwicklungspfad Analyse: Über die Bedeutung der russischen Verfassung Analyse: Legitimierung autoritärer Transformation
. Russlands Verfassungsgericht und der Preis des Kompromisses Analyse: Frauenrechte und die russische Verfassung
. 30 Jahre des Versagens Analyse: Menschenrechte in der Hochschullehre in Russland Lesetipp: Was kann die russische Verfassung noch leisten?
 Rechenschaft und Gerechtigkeit in einem Russland nach Putin dekoder: Meine Angst, mein Hass dekoder: Wie man den Drachen besiegt Dokumentation: 15 Thesen eines russischen Bürgers, der am Wohlergehen seines Landes interessiert ist Dokumentation: Politische Gefangene und ihre Schlussworte vor Gericht Chronik: 22. – 26. April 2024 Wahlen / Alternativen / öffentliche Meinung (02.05.2024) Analyse: Die Präsidentschaftswahl 2024: Ergebnisse und Deutungen Umfragen: Einstellung im Vorfeld der Präsidentschaftswahl 2024 in Russland Statistik: Präsidentschaftswahlen in Russland 2000 – 2024 dekoder: Es braucht eine Aussicht auf Veränderung Ranking: Die politische Elite im Jahr 2023 Chronik: 18. März – 20. April 2024 Krieg zwischen Israel und Hamas / Antisemitismus (03.04.2024) Analyse: Eine neue Phase der russisch-israelischen Beziehungen nach dem 7. Oktober 2023 Umfragen: Einstellungen zum Krieg zwischen Israel und der Hamas Analyse: Antisemitismus in Russland – ein alter Bekannter meldet sich zurück Umfragen: Antisemitismus in Russland Dokumentation: Gewissensfreiheit und Anti-Extremismus-Gesetzgebung in Russland dekoder: Lesetipp: Gaza und die Juden im Kaukasus Chronik: 11. – 18. März 2024 Annektierte Gebiete (27.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Einstellung der Bevölkerung zur Krim und dem Krieg gegen die Ukraine Chronik: 14. Februar – 10. März 2024 Propaganda / Nawalnyj (19.02.2024) Analyse: It’s fake! Wie der Kreml durch Desinformationsvorwürfe die Diskreditierung von Informationen in ein Propagandainstrument verwandelt Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Von der Redaktion: dekoder-Special "Propaganda entschlüsseln" Kommentar: Erste Gedanken zum Tod und zum Leben Alexej Nawalnys Statistik: Politisch motivierte strafrechtliche Verfolgung in Russland Chronik: 23. Januar – 09. Februar 2024

Analyse: Klimapolitik: erste Schritte einer Energiesupermacht

/ 9 Minuten zu lesen

Für einen Erfolg im internationalen Klimaschutz, ist die Rolle Russlands entscheidend. Seit der Kopenhagener Klimakonferenz 2009 hat in Russland ein Umdenken eingesetzt. Klimawandel als wird ernster genommen. Insbesondere das Thema Energieeffizienz findet hohe Beachtung.

Zusammenfassung

Am 28. November 2011 startet im südafrikanischen Durban der nächste zweiwöchige UN-Klimagipfel. Bei den Verhandlungen gilt Russland als eines der schwierigsten Länder. Gleichzeitig ist Russlands Rolle von hoher Bedeutung für den langfristigen Erfolg der internationalen Klimaschutzanstrengungen. Im Land selbst hat seit der Kopenhagener Klimakonferenz von 2009 ein Umdenken eingesetzt. Der Klimawandel wird als mögliche Bedrohung ernster genommen. Das Thema Energieeffizienz findet hohe Beachtung. Damit eröffnen sich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen EU und Russland in den Bereichen Klimawandel und Niedrig-CO2-Umbau der Wirtschaften.

Russlands Bedeutung

Es gibt nur wenige Länder, die für erfolgreichen internationalen Klimaschutz so entscheidend sind, wie Russland. Russland ist das Land mit den viertgrößten CO2-Emissionen. In seinen Wäldern und Mooren sind mehr Treibhausgase gespeichert, als in Brasilien oder irgendeinem anderen Land. Russland ist global der wichtigste Lieferant klimaschädlicher fossiler Energie. Das Land verfügt mit 5 bis 7 Gigatonnen nicht nur über riesige Mengen von ungenutzten Emissionszertifikaten (der sogenannten heißen Luft), sondern auch über eines der größten und theoretisch günstigsten Potentiale für Treibhausgaseinsparung weltweit. An Russland führt kein Weg vorbei, wenn der globale Temperaturanstieg so rechtzeitig aufgehalten werden soll, dass seine Folgen beherrschbar bleiben.

Doch im internationalen Klimaschutz ist Russland kein einfacher Partner. In den UN-Klimaverhandlungen verhält sich die russische Delegation passiv. Das Land gilt traditionell als obstruktiv agierende Vetomacht der Verhandlungen. Auch in Russland selbst passiert noch sehr wenig, um die Treibhausgasemissionen zurückzufahren. Eine konsistente russische Klimainnen- wie Klimaaußenpolitik ist bis jetzt nicht erkennbar. Auch ganz grundsätzlich hat Russland im neuen Politikfeld Klimawandel seine Rolle noch nicht gefunden.

Das hat vor allem drei Gründe. Erstens entwickelt sich erst seit dem Kopenhagener Klimagipfel 2009 nach und nach eine öffentliche Vorstellung davon, dass der Klimawandel ein reales und vom Menschen verursachtes Problem ist. Zweitens herrscht in Bevölkerung, Wissenschaft und Politik große Unsicherheit darüber, ob Russland die globale Erwärmung tatsächlich fürchten muss. Drittens bildet die fossile Energiewirtschaft das Rückgrat der russischen Volkswirtschaft. Alleine die Einnahmen aus dem Ölsektor tragen zu ca. 38 Prozent zum russischen Staatshaushalt bei.

Russische Sicht auf die Klimaverhandlungen

Die Sicht russischer Regierungsakteure auf die internationalen Klimaverhandlungen mäandert zwischen verschiedenen Polen. Grob lässt sich folgendes Raster festmachen. Die Verhandlungen werden, je nach beteiligter Person, gesehen als...

  • Obsession vor allem reicher westlicher Staaten, die von wiederum anderen Staaten genutzt wird, um sich ökonomische oder finanzielle Vorteile zu verschaffen, die für Russland aber auch enorme wirtschaftliche Risiken birgt. Zu dieser Sicht scheint zumindest in der Vergangenheit auch Ministerpräsident Putin geneigt zu haben.

  • ein von anderen Staaten für bedeutend angesehener internationaler Verhandlungsprozess, den Russland durch seine Funktion als Großmacht konstruktiv aber unter klarer Beachtung eigener Interessen zusammen mit den Partnern zu einem erfolgreichen Ende führen muss. Diese Sicht wird insbesondere von Akteuren im Außenministerium vertreten.

  • ein notwendiger internationaler Prozess zur Abwendung einer globalen Gefahrenlage, in dem auch Russland erhebliche Verantwortung zur Lösung des Problems trägt. Diese Sicht hat sich in den letzten paar Jahren verstärkt und wird von der Rhetorik Präsident Medwedews gestützt.

Hatte es in der Vergangenheit häufig so ausgesehen, als sei der russischen Regierung ihr Image in den Verhandlungen weniger wichtig, so hat sich dieser Eindruck mit dem Amtsantritt von Präsident Dmitrij Medwedew geändert. Auf dem Kopenhagener Klimagipfel hielt Präsident Medwedew eine engagierte Rede, die den Eindruck hinterließ, Russland würde sich ab sofort gemeinsam mit der Weltgemeinschaft aktiv gegen die globale Erwärmung stemmen.

Russland wird von seinen Verhandlern immer wieder als Sonderfall dargestellt. Um das Konsumniveau der anderen Industriestaaten zu erreichen, müssten Russlands Emissionen zunächst weiter steigen. Gründe für die schon jetzt hohen Emissionen pro Kopf seien dabei das Erbe der sowjetischen Planwirtschaft, das kalte Klima, die weiten Entfernungen zwischen den Städten sowie die auf Förderung, Verarbeitung und Transport von Rohstoffen ausgelegte Struktur der russischen Wirtschaft.

Hohe russische Beamte und Politiker betonen allerdings immer wieder den enormen Beitrag, den Russland bereits zum Klimaschutz geleistet hat. Tatsächlich kann seit 1990 kein anderes Land auf eine derart hohe absolute CO2-Reduktion verweisen. Ohne diese Leistung würde das aggregierte Emissionseinsparziel des Kyotoprotokolls für alte Industrieländer von minus 5,2 Prozent bis Ende 2012 wohl nicht erreicht. Auch wenn dafür keine gezielten Klimaschutzmaßnahmen verantwortlich waren, hat Russland diesen Beitrag zum Klimaschutz schmerzlich bezahlen müssen. Die hohen Mengen von überschüssigen Emissionszertifikaten (AAUs, heiße Luft), über die das Land derzeit verfügt, betrachtet die Regierung darum als legitime Anerkennung für Russlands im Klimajargon sogenannte »early action«. In Moskau hört man immer wieder, dass Russland durch die große Vorleistung eine komfortable Position einnehme. Andere Staaten müssten jetzt nachziehen.

Russlands Sicht auf den Klimawandel

Erst mit dem Gipfel von Kopenhagen und Präsident Medwedews Teilnahme erreichte der Klimawandel 2009 die Frontseiten der russischen Medien. Davor galt das Thema als hoch umstrittenes wissenschaftliches Nischenthema. Noch im September 2007 ergab eine Umfrage im Auftrag der britischen BBC, dass in lediglich drei anderen der in die Befragung aufgenommenen 21 Länder (Indonesien, Kenia, Nigeria) das Wissen über den Klimawandel ähnlich niedrig war, wie in Russland. 64 Prozent der befragten Russinnen und Russen gaben damals an, sie hätten über den Klimawandel noch nichts oder nur wenig gelesen bzw. gehört.

Insbesondere in den besonders betroffenen Gebieten Zentralrusslands lösten im Sommer 2010 Hitze und Torfbrände mit allein für Moskau angenommenen 11.000 zusätzlichen Sterbefällen die nach Kopenhagen nächste Aufmerksamkeitswelle aus. Im Juni 2011 ergab eine repräsentative Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum, dass der Klimawandel für die Moskauer an zweiter Stelle der lokal wahrgenommenen Umweltgefahren liegt.

Der Klimawandel wird damit inzwischen von maßgeblichen Teilen der Elite und Bevölkerung als dringendes globales Problem wahrgenommen. Große Unklarheit herrscht im Land dagegen bei der Frage, inwiefern die globale Erwärmung ein Problem für Russland darstellt. Das Katastrophenschutzministerium sowie die Wetterbehörde Rosgidromet haben in mehreren Berichten darauf hingewiesen, dass der Klimawandel für Russland trotz positiver Effekte eine negative Bilanz haben könnte. Die Zahl von Wetteranomalien mit hohen Folgeschäden für Wirtschaft und Bevölkerung hat sich seit 1991 bereits mehr als verdoppelt. Höhere landwirtschaftliche Erträge in den gemäßigten und nördlichen Breiten, so der Rosgidromet-Bericht von 2008, könnten durch Ertragsverluste in den trockenen Gebieten Südrusslands sowie durch Brände wie im Sommer 2010 überkompensiert werden. Einer erleichterten Erschließung von Rohstoffen im arktischen Schelf würde die erschwerte Erschließung von Ressourcen im tauenden Permafrost gegenüberstehen. Neuen Einnahmen durch die dauerhafte sommerliche Öffnung des nördlichen Seeweges würden neue Ausgaben durch die verstärkte Sicherung der nördlichen Landesgrenze gegenüberstehen. Noch wenig Resonanz finden Überlegungen, wonach eine durch die Folgen der globalen Erwärmung ausgelöste oder verstärkte Weltwirtschaftskrise Russland in besonderem Maße treffen könnte.

Dekarbonisierung in Russland

Dmitrij Medwedew hat insbesondere während der ersten Hälfte seiner Präsidentschaft (2008 bis 2012) versucht, in Russland Ansätze einer Klimapolitik zu etablieren. Kurz vor seiner Abreise zur Kopenhagener Klimakonferenz billigte er am 17.12.2009 eine Klimadoktrin, in der die Regierung den Klimawandel zum ersten Mal per Beschluss als reale und teilweise anthropogen verursachte Gefahr für Russland bewertet. Die Doktrin gibt nicht nur den Rahmen für staatliches Handeln vor, sondern soll Russland international auch als fortschrittliches Land präsentieren.

Zum 25.4.2011 trat nach langen regierungsinternen Diskussionen die Implementierungsverordnung zur Klimadoktrin in Kraft. Premier Wladimir Putin soll ein halbes Jahr gezögert haben, bis er seine Unterschrift unter die Ausführungsbestimmungen setzte. Damit schürte er bereits existierende Zweifel in der Administration ob der Priorität von Klimapolitik. Mit Putins Unterschrift ist jetzt das Signal gesetzt, dass die neue russische Klimapolitik ab sofort gemeinsame Linie des Regierungstandems ist.

Die Verordnung setzt unter anderem die Ausarbeitung und Implementierung einer »Sektorübergreifenden Strategie zur Begrenzung von Treibhausgasemissionen« bis 2020 als Ziel. Treibhausgasreduktionen sollen durch steuerpolitische Maßnahmen sowie durch die »Minderung von Marktverzerrungen« erreicht werden. Das Wirtschaftsministerium soll bis 2020 »ökonomische Instrumente zur Treibhausgasemissionssenkung« einführen. Es ist fraglich, ob derartige Zeithorizonte in den kommenden Jahren zu tatsächlichem Regierungshandeln führen. Dennoch bieten Klimadoktrin und Verordnung interessante Ansatzpunkte für eine intensivierte klimapolitische Kooperation mit Russland.

Diese Anfänge dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass explizite Klimapolitik nach wie vor nicht zu den prioritären Politikfeldern von Regierung und Kreml gehört. Von höchster Bedeutung für Medwedews Präsidentschaft und wahrscheinlich auch darüber hinaus ist dafür die Modernisierung der Wirtschaft. Deren Verlauf wird wesentlich darüber mitbestimmen, ob Russland als Energieanhängsel der Weltwirtschaft ökonomisch und weltpolitisch weiter ins Hintertreffen gerät, oder ob sich andere konkurrenzfähige Sektoren entwickeln und das gesamte Land voranbringen können. Medwedews Modernisierungsinitiative konzentriert sich auf fünf Entwicklungsprojekte: Energieeffizienz, Entwicklung alternativer Energien (inklusive Atomtechnik), Informatik, Telekommunikation und Medizintechnologie.

Insbesondere das Thema Energieeffizienz steht in Russland derzeit hoch auf der Agenda. Russlands Energieintensität (gemessen am BIP) war nach Weltbank-Angaben (World Development Indicators) 2007 dreimal höher als jene Deutschlands und lag 172 Prozent über dem Niveau der Ländergruppe »Upper Middle Income«, zu der auch Russland gezählt wird. Seit November 2009 ist ein Rahmengesetz in Kraft, das zum Ziel hat, die Energieintensität der Wirtschaft bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 2007 zu verringern. Vom Gesetz geht zwar eine wichtige Signalwirkung an Wirtschaft und Verwaltung aus. Um die ehrgeizige 40-Prozent-Zielmarke bis 2020 erreichen zu können, müsste die Regierung ihre Anstrengungen jedoch aller Voraussicht nach deutlich aufstocken.

Die ebenfalls 2009 veröffentlichte »Energiestrategie 2030« sieht zudem einen Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromproduktion von derzeit unter einem auf 4,5 Prozent 2020 und 7 Prozent 2030 vor (ohne Strom aus großer Wasserkraft, der aktuell einen Anteil von 18 Prozent am russischen Strommix hat). Erste auch große Unternehmen positionieren sich inzwischen mit strategischen Investitionsvorhaben im jungen Erneuerbare-Energien-Markt. Doch noch ist deren Lobby schwach, die politische Umsetzung des Ziels stößt auf Widerstand der fossilen Interessen. Eine Einhaltung des 4,5-Prozent-Ziels für 2020 könnte daher schwierig werden.

Auch wenn die Themen Energieeffizienz und Entwicklung erneuerbarer Energien in Russland in der Regel nicht direkt mit Klimapolitik in Verbindung gebracht werden, bieten sich hier unter dem Dach des Modernisierungsvorhabens Kooperationsmöglichkeiten zwischen der EU und Russland, für die auf russischer Seite das grundsätzliche Interesse hoch ist. Russland hat in den vergangenen Jahren mit der Europäischen Union sowie bilateral mit 15 EU-Staaten, darunter auch Deutschland, die Einrichtung von Modernisierungspartnerschaften vereinbart. Weitere Partnerschaften werden verhandelt. Sowohl die russisch-deutsche, als auch die EU-Russland-Modernisierungspartnerschaft sind dabei bisher weitestgehend leere Hüllen geblieben, die noch mit gemeinsamen Projekten und Austauschforen gefüllt werden wollen.

Russland als Bremser der globalen Dekarbonisierung?

Bis zur Mitte des Jahrhunderts, so der weitgehende Konsens der Klimaforschung, müssen die weltweiten anthropogenen Treibhausgasemissionen um über die Hälfte zurückgehen. Sonst drohen die Klimawandelfolgen unbeherrschbar zu werden. Viele Staaten haben inzwischen erste Schritte zur Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften eingeleitet. Russland hinkt auch gegenüber Brasilien, China und anderen Ländern mit vergleichsweise niedrigerem BIP pro Kopf deutlich hinterher und droht dabei den Anschluss in wichtigen globalen Leitmärkten von morgen zu verlieren. Für die selbstdeklarierte Energiesupermacht böten dabei gerade Technologiemärkte in den Bereichen Energieeffizienz und erneuerbare Energien erhebliche Chancen für die angestrebte Diversifizierung und Modernisierung der eigenen Wirtschaft - und damit für den Weg aus der krisenanfälligen und von Korruption durchsetzten Rohstoffökonomie.

Gelingt es Russland in den kommenden Jahren nicht, erste erfolgreiche und damit ermutigende Schritte in Richtung auf eine Niedrigkarbonmodernisierung zu gehen, steigt die Wahrscheinlichkeit einer russischen Nichtbeteiligung an internationalen Klimaabkommen. Russland könnte die globale Dekarbonisierung dann als Projekt definieren, dass sich gegen seine strategischen Interessen richtet. Für die allgemeinen Beziehungen Russlands zur EU sowie zu seinen vom Klimawandel besonders negativ betroffenen südlichen Nachbarstaaten wäre eine solche Entwicklung kein gutes Vorzeichen.

Doch die Vorzeichen für eine intensivierte Kooperation der EU mit Russland im Bereich Niedrig-CO2-Modernisierung haben sich in den letzten Jahren durchaus verbessert. In Russland hat seit 2008 die Aufmerksamkeit gegenüber den Gefahren des Klimawandels deutlich zugenommen. Gleichzeitig hat sich auf staatlicher Ebene ein Bewusstsein für die dringend notwendige Verringerung der eigenen Abhängigkeit von fossilen Ressourcen entwickelt. Die russische Sorge vor einer anhaltenden Rückständigkeit bei neuen Technologien ist groß. Auch als Resultat aus diesen Veränderungen geht die Energiesupermacht Russland inzwischen erste Schritte in Richtung auf mehr Energieeffizienz, einer vorsichtigen Entwicklung der erneuerbaren Energien sowie eines besseren wissenschaftlichen Verständnisses der globalen Erwärmung. Insbesondere in diesen Bereichen liegen die konkreten Kooperationsmöglichkeiten, die Deutschland und die EU aufgreifen können.

Über den Autor:

Oldag Caspar ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Lesetipps:

  • Korppoo, Anna/Safonov, George/Lugovoy, Oleg, Russia and the Post 2012 Climate Regime. Emission Trends, Commitments and Bargains, 2010, https://www.norden.org/en/publications/publications/2010-584

  • McKinsey&Company, Pathways to an Energy and Carbon Efficient Russia. Opportunities to Increase Energy Efficiency and Reduce Greenhouse Gas Emissions, 2009, http://www.mckinsey.it/storage/first/uploadfile/attach/141678/file/russian_cost_curve_summary.pdf

Fussnoten